Archiv für die Kategorie „Glosse“

Was bleibt: Verwirrungsstrategie

Donnerstag, 22. April 2010

Jetzt soll’s also Frau Richstein richten. Die hatte ja schon im September den richtigen Riecher, als sie mit ihrem Terrier Felix statt des eigenen Antlitzes auf ihren Wahlplakaten SPD-Minister Rainer Speer eine empfindliche Schlappe zufügte. Hübsch gewählt: Bissiger Hund, glücklicher Name. Jetzt soll Richstein, so das Kalkül der CDU, Oberbürgermeister Jann Jakobs im Wahlkampf jene Angst einflößen, die der eigentlich nur vor seinem Linken-Herausforderer Hans-Jürgen Scharfenberg hat. Die Idee: Wer einen SPD-Mann besiegt, besiegt auch andere. Und weil so ein bisschen oberbürgermeistern eine Powerfrau wie Barbara Richstein unmöglich ausfüllen kann – mit dem bisschen Rathaus ist man ja mittags fertig – bewirbt sie sich zugleich auch noch um den Parteivorsitz im Land, um auch die Nachmittage zu füllen. Die dafür eigentlich vorgesehene Parteifreundin Saskia Ludwig ist schließlich demnächst mit ihrem Erstgeborenen befasst und kann dann unmöglich Partei und Fraktion zugleich führen, neben der ganzen Windelwechselei. Soweit, so bissig. Das bisschen Gassigehen mit Felix lässt sich da sicher noch verquetschen – etwa auf dem Weg vom Stadthaus in den Landtag, mittags, beim Schichtwechsel.
Zu einem solchen Zweitjob rät ohnehin eine genaue Beobachtung der Stadt-CDU. Die säbelt nämlich schon mal aus heiterem Himmel verdiente Mitarbeiter aus exponierten Positionen ab, wie Stadtpartei-Urgestein Wolfgang Cornelius kürzlich leidvoll erfahren musste. Täte die Partei das auch mit ihrer Bürgermeisterin, könnte Richstein als Parteichefin hernach die Meuterer herauskatapultieren. Schlau, die Frau. Hintergrund all dieser Volten scheint ohnehin die nach wie vor nicht überwundene Lagerbildung in der CDU zu sein, die selbst für außenstehende Insider, vulgo: Journalisten, kaum mehr zu überblicken ist. Cornelius etwa wurde geschasst, weil er als Anhänger der Kreischefin Katherina Reiche gilt, die wiederum dem Lager ihres Ehemannes Sven Petke angehört. Der wiederum ist der Antipode des Ex-Parteivorsitzenden Ulrich Junghanns. Auf den folgte Johanna Wanka, die nun nach Niedersachsen wechselt, um dort Wissenschaftsministerin zu werden. Die Opposition hier lag ihr nicht so. Wanka galt zwar als lagerübergreifende Kandidatin, hatte aber ein angespanntes Verhältnis zum Petke-Reiche-Lager. Barbara Richstein wiederum wird eben diesem Lager zugerechnet, folglich müsste die Stadtfraktion mit ihrer eigenen Bürgermeisterkandidatin ein Problem haben. Testfrage: Welchem Lager gehört wer in der Stadtfraktion an? Das verspricht ein lustiger Wahlkampf zu werden. Zumal die FDP ohnehin beleidigt ist, dass man keinen gemeinsamen Kandidaten fand und eventuell die Gefolgschaft verweigert. Aber vielleicht ist das alles auch nur eine clevere, großangelegte Verwirrungsstrategie, um die Gegenseite in Sicherheit zu wiegen. Falls ja: Sie funktioniert. Das Händereiben bei den Linken ist unüberhörbar.

Erschienen am 22.04.2010

Was bleibt: Kleine Diktaturenkunde

Donnerstag, 8. April 2010

Es scheint, als ginge bei dräuendem Erfolg in Uferwegdingen mit Rechtsanwälten gern mal die Historie durch. Unvergessen der Auftritt des Reiner Geulen vor dem Oberverwaltungsgericht im Mai letzten Jahres, kurz bevor das Gericht der Stadt am Griebnitzsee die zweite kapitale Klatsche zumutete und Geulens wegsperrenden Mandanten einen Erfolg bescherte: Da stand der Anwalt im Gerichtssaal, hochrot, drehte sich zum Publikum statt zum Richter, hob den pädagogischen Zeigefinger und ließ erstmal laufen: In Potsdam seien „seit 20 Jahren die Uhren stehen geblieben“, es herrsche ein „post-sozialistischer Eigentumsbegriff“ in der „ideologisch verblendeten“ Stadt, die noch „die DDR in den Knochen“ habe, ja ein einziges „sozialistisches Biotop“ sei. Solche Ergüsse kommen meist davon, dass der Sprecher es beim Potsdam-Besuch nur vom Hauptbahnhof bis zum Schlaatz geschafft hat, statt auch mal in der Berliner und Nauener Vorstadt vorbeizuschauen.
Als zweiten hat es nun offenbar Christoph Partsch erwischt, der bislang als eher kühler Stratege galt. In seiner Wut über die „zu lange Untätigkeit“ der Polizei bei den Ostermontags-Protesten vor den Grundstücken seiner wegsperrenden Mandanten in Groß Glienicke ließ er multimedial die Worte fahren, dies habe „anscheinend Tradition“ und erinnere „an die Zeit zwischen 33 und 45“. Etwas mehr Abstimmung dürfte man da schon verlangen, schließlich betreuen beide Herren zwar unterschiedliche Mandanten, aber mit dem gleichen Ziel – der gern zitierten nachhaltigen Entfernung des Pöbels aus der Sichtachse Kaffeetasse – Bootssteg. Da sollte es doch möglich sein, sich auf eine deutsche Diktatur zu einigen. Zumal beide Regime nach kurzer Einarbeitungszeit doch recht gut unterscheidbar sind: Holocaust, Weltkrieg, Atombombe und so: 33-45. Mauer, Stasi & Pioniergeburtstag: DDR.
So gesehen hat dann eher der Herr Geulen recht, denn mit Aussperrungen, Mauern und Grenzposten haben die Uferwege in jeder Beziehung mehr zu tun als mit Atombomben und Weltkriegen. Mit Sozialismus allerdings weniger, und engagiert protestiert wurde zu DDR-Zeiten ja auch erst kurz vor Schluss (fragen Sie mal den Baudezernenten!).
Sie werden ihre Diktaturenvergleiche ohnehin nicht glauben, die Herren Advokaten. Partsch ist mehrfach als Verfasser kluger Artikel über den Nationalsozialismus an die Öffentlichkeit getreten, Geulen hat entscheidenden Anteil am Sieg der Bürgerinitiative gegen das Bombodrom in der Kyritzer Heide – eines der linken Vorzeigeprojekte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die gezielten Provokation die Stimmungen schüren sollen – medial funktioniert das ja schon bestens. Dass es am Ende auch den Schürern nützt, ist hingegen zweifelhaft. Über vorschnelle NS- und DDR-Vergleiche ist schon mancher böse gestolpert.

Erschienen am 08.04.2010

„Was für ein mieser Tag!“

Donnerstag, 25. Februar 2010

Liebes Tagebuch! Tut mir wirklich leid, dass ich Dich aus Deinem Winterschlaf reiße: dienstliche Anordnung. Ich darf jetzt nicht mehr mailen, wenn mich was bedrückt. Weil die Presse komischerweise von meinem Ärger über die Bibliothek Wind bekam. Die einen empfingen eine private Mail, die anderen eine versehentliche Weiterleitung aus dem Grünen-Verteiler. Blöd, das. Dabei wollte ich mich doch dazu gar nicht mehr äußern.
Liebes Tagebuch, war das ein mieser Tag gestern! So hatte ich mir das nicht vorgestellt, als ich mich vor einem Jahr um den Posten des Baubeigeordneten bewarb. Ich wollte eigentlich von allen gemocht, ach was, geliebt werden, egal, was ich tue. Dass ich das in einem Ressort wollte, das nur mit paramilitärischen Mitteln zu überleben ist, machte die Sache nur reizvoller. Und nun so ein Tag: Gleich morgens zerrte mich ein Fachbereichsleiter zum zweiten Mal vor den Kadi, weil er partout nicht einsehen mag, dass ich einen Sündenbock für die Kosten an der Humboldtbrücke brauche. Ständig belegt er mir, dass ihn keine Schuld trifft. Habe ihm ausführlich erklärt, dass die Beliebtheit des Chefs Opfer von den Untergebenen mit Zeitvertrag verlangt, aber der sture Kerl sieht das nicht ein. Und bekommt Recht! Für solches Recht bin ich 1989 aber nicht auf die Straße gegangen! Im Hauptausschuss ging’s weiter. Mein Hinterkopf ist schon ganz flach von den Schlägen, wenn ich was zur Bibliothek sage. Dabei habe ich immer für Meinungsfreiheit demonstriert, seinerzeit.
Liebes Tagebuch, und das Schlimmste, das ist diese Presse. Als sie was vom „Obama der Bauverwaltung“ schrieben, habe ich mich wirklich gefreut. Sehr. Die hatten mich verstanden. Meine Sekretärin hat zwar gesagt, das sei ironisch, aber die ist nur neidisch. Die sagt mir ja auch nicht, wenn ich morgens im Büro noch die Fahrradklammer am Hosenbein habe. Doch seither mischen die sich in alles ein, diese Schreiber und Filmer und Knipser. Ich kann keine Mitarbeiter schassen, ich kann nicht mal mittelfristig den Autoverkehr lahmlegen, ohne dass sich einer gleich am nächsten Tag darüber aufregt.
Das ärgert mich, das verletzt mich, und natürlich habe ich für sowas nicht demonstriert, damals, ’89. Dauernd rühren die mir meine Ankündigungen aus der Zeit vor dem Amtsantritt unter: Transparenz, Gleichbehandlung, Überparteilichkeit und so. Die müssten doch wissen, wie das läuft, schreiben doch auch täglich viel, was tags darauf keinen mehr kümmert.
Am allerschlimmsten aber ist die Linke. Wenn der Jäkel im Bauausschuss ansetzt, bin ich schon auf der Palme, bevor das erste Wort auf mein Trommelfell trifft. Und dann sitzt der da und feixt. Das macht der mit Absicht! Ich wette, der hatte 1989 nicht ein einziges Mal ein Plakat in der Hand – und für sowas haben wir damals… Was soll’s: Wenn das so weitergeht, werfe ich irgendwann einfach die Sandförmchen hin und gehe. Dann darf ich auch endlich wieder mailen. Ähm… nix für ungut, liebes Tagebuch: Dein Matze Klipp

Erschienen am 25.02.2010

Was bleibt: Jungferngeburten

Donnerstag, 4. Februar 2010

Die Nachricht, der Oberbürgermeister habe den Parteien seiner Kooperation nahegelegt, bei der im Herbst anstehenden Wahl um seinen Posten auf eigene Kandidaten zu verzichten, um seine, Jakobs, Wiederwahl zu sichern, hatte etwas von einer Jungferngeburt: Sie kam überraschend. Und ihr ging nicht das Erwartbare voraus. Denn noch wenige Wochen zuvor hatte Jakobs die Linke – selbstverständlich in deren ureigenem Interesse – vor einer Kandidatur ihres stasibelasteten Fraktionschefs Hans-Jürgen Scharfenberg gewarnt. Diese ritterliche, ja selbstlose Geste passte nun so gar nicht zum Bild des Stadtoberhaupts, das vor den Kooperations-Spitzen mit besorgter Miene Zahlen an die Wand warf, wonach die Linke bis zu 30 000 Wähler mobilisieren kann, und dem besorgten Kommentar, es könnte daher für ihn, Jakobs, eng werden. Ganz böse Zungen sagten gar, er habe da außerordentlich verschreckt gewirkt, der OB. Wobei es natürlich auch nicht ritterlich von den anderen Parteien ist, dieses Bild des schlotternden Stadtchefs an die hämische Presse zu transportieren. Flugs hatte die noch hämischere Opposition (doch, das geht!) nämlich wieder Oberwasser, was ihr noch eine Woche zuvor niemand zugetraut hätte: Angesichts der Debatte um Rot-Rot im Land sah es aus, als könne Jakobs’ Herausforderer schon einpacken, bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat. Nicht, dass nun am Ende die Linke noch die Kooperation warnen muss, Jakobs aufzustellen, weil es ihm am Rückhalt im eigenen Lager mangelt. Möglicherweise handelt es sich aber auch um ein ganz abgekartetes Spiel der Kooperation, um die Linke in der Sicherheit des unsicheren Oberbürgermeisters zu wiegen, während dieser längst die Mehrheiten hinter sich schart. Das wäre dann die nächste Jungferngeburt, jedenfalls für alle, die erneut mit einem knappen Ausgang der Wahl, zuletzt entschieden 122 Stimmen, rechnen.
Aber womit kann man schon rechnen in dieser Stadt! Mit dem Winterdienst sicher nicht, der wurde erst diese Woche wieder vom überraschenden und unerwarteten Schneefall kalt erwischt, so dass noch am Mittwochmorgen jungfräulich auf den Nebenstraßen lag, was seit Dienstag vom Himmel fiel. Vielleicht sollten einfach mal die Politessen und die Winterdienstler eine Jobrotation versuchen: Dann wären die Straßen schon gefegt, bevor die ersten Flocken fallen – schließlich bekommt man hier ja auch Strafzettel, bevor der Parkschein abgelaufen ist –, und die Falschparker könnten bis zum nächsten Morgen stehen bleiben, ohne Knöllchen von der Windschutzscheibe kratzen zu müssen. Recht zuverlässig funktioniert auch immer noch die Bevorzugung einiger durch das Bauamt. Da darf schon mal im reinen Wohngebiet eine Galerie betrieben werden, und verdiente Bürger sollen Sonderrechte auf gesperrten Straßen bekommen. Ein bisschen Verlässlichkeit gibt es eben in Potsdam. Immerhin.

Erschienen am 04.02.2010

2010 – was kommt!

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Satire: Freiland wird besetzt, die Uferwege befreit und der Bahnhof verschwindet im Pflasterhagel

Unter dem Titel „Was bleibt“ glossiert die MAZ die Themen der Woche. Zum Jahreswechsel wagen wir einen nicht wirklich ernsten Blick voraus: Was kommt?

Das neue Jahr beginnt mit der Besetzung des „Freiland“-Geländes an der Friedrich-Engels-Straße durch seine künftigen Nutzer: zum einen, weil die Stadt mit dem Projekt über allem Workshoppen nicht in die Puschen kommt, zum anderen, weil das Besetzen soziokultureller Usus ist. Quasi eine Form von Traditionspflege, auch wenn die Vokabel „Tradition“ bei autonomen Selbstverwaltern nicht wohlgelitten ist. Was wäre schon ein „Freiland“, wenn es von der Stadt legal zur Verfügung gestellt würde? Ein Unfreiland, eine Manifestation obrigkeitsstaatlicher Gewalt, eine verordnete Gummizelle zum Austoben, damit die Soziokultur den Mainstream unbehelligt lasse – kurzum: eine Frechheit. Also besetzen!
Mit einer Tradition bricht hingegen der Schlaatz: Der Integrationsgarten brennt diesmal Silvester nicht ab, was für dessen Nutzer und die Polizei eine hervorragende, für Lokalpolitik und -presse aber eine schwierige Neuigkeit ist: In der nachrichtenarmen Zeit nach Neujahr bleiben daher einige Zeitungsspalten und Sendeminuten ungefüllt, und auch die rituellen Betroffenheitsbesuche der Politik vor Ort müssen ausfallen.
Doch das Jahr kommt auch so in Gang. Baubeigeordneter Matthias Klipp kann getrost auf den Einkauf einer Jahresration Shampoo verzichten, da ihm der Oberbürgermeister ohnehin regelmäßig den Kopf wäscht – spätestens, wenn der grüne Klipp Potsdam komplett zum verkehrsberuhigten Bereich erklärt (Februar), die Humboldtbrücke nur noch für Radfahrer zulässt (März) und die Tiefgaragen abreißen lässt (April bis Dezember). Flankiert wird er von „Mitteschön“, die den neuen Gestaltungsrat feindlich übernehmen und jeden B-Plan, in dem die Worte „Rekonstruktion“, „Knobelsdorff“, „Barock“ und „sklavisch genau“ vergessen wurden, von vornherein unter größtmöglicher Öffentlichkeitswirksamkeit ablehnen. Der Bauausschuss fühlt sich daraufhin ein wenig überflüssig, was eine leise Depressivität zur Folge hat: Erstmals seit der Wende werden einzelne Vorlagen nach nur 30-minütiger Debatte ohne große Änderungen zum Beschluss empfohlen. In der Alten Mitte legt Klipp zudem ein Tempo vor, dem der Ausschuss ohnehin nicht folgen kann.
Auch der leidige Pflasterstreit erledigt sich von selbst: Es gibt bald keines mehr, weil sich die Freiland-Besetzer der Steine als Wurfgeschosse bedienen, da ihrer Besetzung zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie bewerfen den nahe gelegenen Bahnhof mit seinem toten S-Bahngleis und das daneben entstehende Wohngebiet. Die Empörung ist jedoch gering, da beides ohnehin als städtebauliche Katastrophe gilt und viele Potsdamer heimlich sympathisieren.
Dank des heimlich angesammelten Überschusses im Haushalt, den Bürgermeister Burkhard Exner nach hochnotpeinlicher Befragung auf zirka 73 Millionen Euro schätzt, lassen sich die Griebnitzsee-Grundstücke vom Bund kaufen, die Sperranrainer knicken ein vor der Gewalt eines fehlerfreien B-Plan-Entwurfs und der ganze Uferweg ist nun wieder von Spaziergängern besetzt.
Und sonst? Ach ja, die Oberbürgermeisterwahl. Sie geht diesmal ausnahmsweise knapp aus. Dem Linken-Kandidaten Hans-Jürgen Scharfenberg fehlt am Ende exakt eine Stimme, um Amtsinhaber Jann Jakobs zu schlagen. Es ist die seines Noch-Immer-Partei- und Ex-Fraktionsgenossen Pete Heuer. Alternativ hätte es auch genügt, wenn jemand von den Freiland-Besetzern zur Wahl gegangen wäre. Doch die waren ja mit Schmollen ausgelastet.

Erschienen am 31.12.2009

Was bleibt: Nebenerwerbe

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Nun, da die Stadt dem Antikorruptionsverein Transparency beitreten will, müssen die Stadtverordneten ihre Haupt- und Nebeneinkünfte offenbaren. Das ist eine hübsche Sache, denn so erfahren wir, dass der Oberbürgermeister offenbar keinen Zweitjob hat und Groß Glienickes Ortsvorsteher Peter Kaminski nicht nur in Sachen Uferweg, sondern auch zum Broterwerb im Beschwerdemanagement tätig ist. Mindestens ebensoviel Einsicht verspräche es, wenn auch hochrangige Verwaltungsmitarbeiter sich auf diese Weise entäußerten. So würden wir uns nicht wundern, falls der Stadtplanungschef mit CDs und psychologischen Testverfahren seine kärglichen Beamtenbezüge aufmöbelte: Andreas Goetzmann ist ja einer, der auch in freier Rede zuwendungsbescheidreif formulieren kann, und er macht von dieser Fähigkeit hinreichend Gebrauch, gern mal untersetzt mit einer launigen Powerpoint-Präsentation, die mit kleinteiligen Tabellen und Zahlen so gespickt ist, dass selbst Adleraugen nach wenigen Minuten tränen. Wenn er zuvor dem Kaffee über die Maßen zusprach, bastelt Goetzmann auch mal eine neckische Illustration hinein: dann greifen die verschiedenen Faktoren bei der Standortanalyse zur Frage Sportbad oder Freizeitbad in lustige Zahnrädchen gesetzt ineinander. Auf seine Zuhörer hat dies einen außerordentlich ermüdenden Effekt, so dass sich in psychologischen Tests die Goetzmann-Minuten mittlerweile zum internationalen Standard für Aufmerksamkeitsdauer gemausert haben. Lediglich subalterne Mitarbeiter der Bauverwaltung und regelmäßige Besucher des Bauausschusses erreichen auf dieser Skala Spitzenwerte („Wahnsinn! Zwölf Goetzmann-Minuten! Haben Sie trainiert?“).
Dann wären da noch jene Selbsthypnose-CDs, die unter dem Label „Entschlummern mit Andy“ die schönsten Referate des Stadtplaners zu Bäderstandort, Entwicklungs- und Ergänzungskonzepten oder planungsrechtlicher Einordnung auf nur einer Silberscheibe versammeln. Ein Geschenk, das gerade in dieser, zur Besinnlichkeit angelegten Jahreszeit, jeden Gabentisch ziert. Besonders imponiert Goetzmanns Fähigkeit, fast ohne Senken oder Heben der Stimme eine 30 Folien umfassende Präsentation durchzuziehen und nicht mal am Ende den Stimmbändern Freilauf zu gewähren.
Seine baufachliche Befähigung bildet dessen ungeachtet die Kernkompetenz des Stadtplaners, vor der die Zweittalente im Zuge einer umfänglichen Gesamtschau verblassen. Das sieht auch sein Chef Matthias Klipp so, obgleich er kürzlich äußerte, wegen des städtebaulich verunglückten Bahnhofscenters demnächst ernste Fragen an seine führenden Mitarbeiter zu richten. Sollte dort der Konfliktfall eintreten, hat der noch beruflose Oberbürgermeister sicher Zeit, schlichtend einzugreifen. Oder er schickt den Kollegen Kaminski vor. Sie wissen schon: Beschwerdemanagement.

Erschienen am 03.12.2009

Rasen für die Stadtkasse

Dienstag, 24. November 2009

Jan Bosschaart hat ein paar Vorschläge, um das Bußgeldaufkommen zu steigern

Es gibt Radeln fürs Klima, Rauchen gegen den Terrorismus und Trommeln für den Weltfrieden. Dieser Gutmenschen-Olympiade könnte man längst die Disziplinen Falschparken für die Kommunalfinanzen und Rasen für die Stadtkasse hinzufügen. Immerhin verdient Potsdam rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr mit Knöllchen und Blitzbescheiden. Das Perfide an diesen Formen moderner Wegelagerei und an den überteuerten Porträtfotos mit miserablen Abzügen ist, dass den vermeintlichen Abzockern nicht nur Recht und Gesetz, sondern auch das Gemeinwohl als unüberwindliche Argumentationshilfe zur Verfügung stehen. Da bleibt dem ordnungswidrigen Bürger nur, die Wut in ein Magengeschwür zu wandeln. Konsequenterweise sollten aber Spendenquittungen ausgestellt werden, wenn jemand zum Beispiel regelmäßig auf dem Bordstein parkend oder durch die Tempo-30-Zone rasend seiner Bürgerpflicht nachkommt. Auch Titel wie „inoffizieller Sponsor der Landeshauptstadt Potsdam“ würden das Engagement sicher noch steigern können, damit das leidige Haushaltssicherungskonzept endlich obsolet wird. Denn eines, liebe Bußgeldstelle, sollte doch glasklar sein: Wenn wir alle mal für einen Tag in den Ordnungswidrigkeits-Streik träten und korrekt parkten, wäre bei Euch ein Heulen und Zähneklappern.

Erschienen am 24.11.2009

Der Kevin der Jahreszeiten

Samstag, 21. November 2009

Jan Bosschaart hat Mitleid mit dem ungeliebten Winter, auch wenn er bald einbricht

Die von allen verweilenden Jugendlichen bereinigten Bushaltestellen und das immense Aufkommen suizidaler Eisdielenbesitzer lassen keinen Zweifel zu: Der Winter steht vor der Tür. Und weil niemand, der die Musik des Wortes „Cabrio“ kennt oder lauen Sommerabenden auch nur einen Hauch abgewinnen kann, diese Tür je freiwillig öffnen würde, bricht der Winter dem Sprachgebrauch zufolge irgendwann ein – ein ungebührliches Verhalten, dass sich Frühling, Sommer und Herbst nie leisten würden, ja auch gar nicht müssen, denn sie sind meist wohlgelitten. Der Winter hingegen ist das Problemkind unter den Jahreszeiten, er wurde vermutlich früh verhaltensauffällig, woraufhin sich ein jeder abwandte, was einen fatalen Kreislauf in Gang setzte: Um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu bekommen, trommelte der Winter – hätte er einen Vornamen, er müsste wohl Kevin lauten – mit Eis, Sturm und Hagel an die Fenster. Doch die Menschen, für seine Hilferufe blind, mochten ihn danach noch weniger. So harrt er nun, zwischen Wut und Resignation pendelnd, drei, vier Monate seines Endes, bevor der Frühling sanft sprießt oder wahlweise leise hereinweht. Er hat es ja auch leicht, der alte Angeber. Ihm stehen die Herzen offen.

Erschienen am 21.11.2009

Dünnschiss auf dem Jakobsweg

Donnerstag, 19. November 2009

„No jokes on names“ – keine Witze über Namen, sagt der Engländer. Es ist zugleich eine journalistische Grundregel geworden, die eigentlich nur die anarchistische TAZ brechen darf („Castro nicht mehr fidel“, titelte sie angesichts der Erkrankung von Kubas Staats-Chef). Schade eigentlich, denn das enthebt uns einiger schöner, bunter Möglichkeiten, auf niedrigem intellektuellen Niveau das Thema Uferweg am Griebnitzsee zu kommentieren. Als da wären: das Stolpern der Stadt zum freien Weg – nach ihrem Oberbürgermeister – als Jakobsweg zu bezeichnen. Oder der Potsdamer CDU, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach offenen Wegen und den Eigentumsbegriffen ihrer Kernwählerschaft, nach ihrem Babelsberger Vorsitzenden Hans-Wilhelm Dünn, Schiss zu unterstellen. Oder die Differenz zwischen dem Preis, den der Bund gern für einen Quadratmeter Uferland am Griebnitzsee hätte und der Summe, die die Stadt nun dafür zahlt, nach ihrem Bürgermeister als „ein Exner“ zu bezeichnen. Ein Exner wäre demnach 32,50 Euro wert. Auch können wir dank der unschönen Regel nun nicht behaupten, im Behördendeutsch habe sich für das preisliche Über-den-Tisch-Ziehen bei solchen Verkäufen das Verb „krusemarken“ geprägt – nach der Chefin des Rechtsamtes und Hauptunterhändlerin der Stadt. „Der wurde aber schwer gekrusemarkt“, wäre gerade für Haushaltsverhandlungen eine hübsche Formulierungshilfe. Geht aber leider nicht; schade, schade. Das Leben ist halt kein Kirschgarten. Noch schwerer wiegt, dass die ablehnende Haltung der FDP/Familienpartei in der Uferwegfrage – die Fraktion hätte von den nötigen 2,6 Millionen Euro lieber Radwege gebaut – nun auch nicht als ein ziemliches Utting gebrandmarkt werden darf – obgleich Brian Utting genau diese Begründung an die Medien übermittelte. Vielleicht sollte sich der Baubeigeordnete mal Klipp und klar davon distanzieren, oder, etwas TACKtvoller, die scheidende Bauausschuss-Chefin.. Autsch, das war jetzt wirklich unterste Schublade, zugegeben.
Rettung aus dieser verfahrenen Lage bietet dann ganz unverhofft jenes journalistische Lehrbuch, das erklärt – wir zitieren aus lauter Freude nahezu wörtlich – eine Ausnahme von der Regel bestehe lediglich für Glossen, denn die Glosse dürfe nicht nur alles, der Bruch mit allen Regeln sei geradezu ihr „Wesenskern“. Also jetzt bitte kein Jäkeln mehr! „No jokes on names“ hat seine Berechtigung, doch ist es gut, dass es das „Was bleibt“ gibt. So lassen sich die Regeln auch mal austricksen, Verzeihung: krusemarken.

Erschienen am 19.11.2009

Schade eigentlich!

Mittwoch, 30. September 2009

Schade eigentlich, dass die Wahl schon wieder vorbei ist. Man hat so gar nichts gemerkt davon. Erste freundliche Menschen machen sich bereits daran, die inhaltsleer grinsenden Kandidatengesichter von den Laternenmasten zu schälen. Manchem Mandatsbewerber ist das Grienen im Laufe des Sonntagabends ohnehin vergangen, und das überhebliche Feixen der Sieger will auf die Dauer erst recht niemand sehen. Es erinnert den Bürger zu schmerzlich daran, dass die Freude beim Kreuzen kurz und die Reue beim Regiertwerden lang ist. Passend zur politischen Stimmung hat sich mit der großen Koalition auch der Sommer verabschiedet. Jetzt ist es kalt in Deutschland, dunkel und grau, das Leben fällt von den Bäumen. Sagen jedenfalls die Verlierer. Die Gewinner hingegen versprechen mehr netto als brutto, frische Atomkraftwerke und einen festen Platz der Türkei in der Arabischen Liga – statt in der EU. Im Land haben es zumindest die Grünen wieder in den Landtag geschafft – wenn auch nur in die Opposition. Sie werden sich wohl vergeblich am Ausstieg aus der Kohle aufreiben, statt sich um das Problem zu kümmern, das die Landeshauptstädter wirklich bedrückt: die immens wachsende Zahl von Riesenjeeps in Potsdam, die trotz Klimawandels und Abwrackprämie täglich um zehn Exemplare zuzunehmen scheint. Vorsichtigen Schätzungen zufolge verlängern diese in der Stadt völlig sinnfreien Cayennes und Qashqais den ohnehin nervigen täglichen Stau um den Faktor zwei und die Parkplatznot in der Innenstadt sogar um den Faktor drei: Weil die rollenden Kompensationsmechanismen zwei Parkplätze brauchen und der Fahrer sich qua gesellschaftlichem Status und Geldbörse den albernen Linien, die den Parkplatz begrenzen, ohnehin nicht verpflichtet fühlt. Er steht außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams und daher auch der Verkehrsregeln, und auch den Treibhauseffekt kommentiert er eher schulterzuckend mit: „Was kümmert mich Euer Klimaelend? Wenn die Ostsee dereinst bis Berlin reicht, weil Holland als Vorfluter untergeht, kaufe ich mir halt eine Finca im südamerikanischen Hochplateau.“ In solchen Momenten gewinnt dann die Idee an Charme, die Abgase aller Autos mit mehr als 300 Milligramm Kohlendioxidausstoß zur Vorklärung zunächst durch den Innenraum des Fahrzeugs zu leiten und den Lenker als Biofilter zu benutzen. Wird sich aber natürlich mal wieder nicht durchsetzen, diese grandiose Idee, weil die Grünen mal wieder Mopsfledermäuse schützen. Oder, wie in Potsdam, mit der Errichtung eines gesamtstädtischen Freilichtmuseums befasst sind. Schade eigentlich.

Erschienen am 30.09.2009


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