Archiv für die Kategorie „Toast & Honig“

DAS WAR DIE WOCHE: Das will ich auch!

Samstag, 10. November 2012

Was für eine Aufregung – es gibt doch tatsächlich Schüler, die kiffen! Gut, an einer Elite-Sportschule mit Olympiastützpunkt ist das jetzt nicht sooo toll – schon gar nicht, weil dort selbst bei Klausuren überraschend mal ein Dopingtester auftaucht und zum kollektiven Gang zur Toilette bittet. Und bei erst 15-Jährigen ist trotz aller Liberalität Kiffen wirklich noch keine gute Idee: Es bleibt ein Restrisiko dauerhafter psychischer Schäden nach nur einmaligem Konsum. Egal nun aber, wie: Eltern, Schule und Stadt müssen jedenfalls reagieren. Vorschlag: Die Stadt benennt die Einrichtung in „Christoph-Daum-Elitesportschule“ um – der bisherige Namenspatron, Turnvater Jahn, ist ohnehin von vorgestern. Die Schulleiter geben endlich offen zu, dass an jeder Schule gekifft wird, statt schamhaft so zu tun, als gebe es nur das Kiffen der Anderen. Und die schuldgeplagten Eltern verweisen darauf, dass am selben Tag, an dem die Fälle publik wurden, in den USA ein bekennender Ex-Kiffer als Präsident wiedergewählt wurde und ein Bundesstaat Hasch legalisierte. Okay, nicht für Minderjährige, aber wir wollen jetzt nicht kleinlich sein. Die Lage ist schließlich bierernst.

Dass das Thema nicht überall so erschütterte, zeigte sich in der Stadtverordnetenversammlung. Dort stand die Ehrung verdienter Sportler der Eliteschule auf der Tagesordnung, und im Publikum machten schnell kreative Vorschläge die Runde: Koks statt Pflastersteinen mit Siegernamen, Freibier statt freien Nahverkehrs für Olympioniken. Als dann auch noch die „Erhöhung des Stammkapitals“ des Sportareals aufgerufen wurde, kannte die Kreativität kein Halten mehr: „Stammwürze statt Stammkapital“, forderte jemand; seit wann Cannabis auf Bäumen wachse, fragte ein anderer. Erst der Ordnungsruf des Parlaments-Vorsitzenden ernüchterte den Kreativrausch.

Um beim moralischen Zeigefinger zu bleiben: Diebstahl ist nie eine gute Idee, er schädigt andere, er erniedrigt den Dieb letztlich selbst und ganz nebenbei ist er auch noch strafrechtlich verboten. In Potsdam geht die Strafe indes über das juristisch Geforderte weit hinaus, wenn man dem Polizeibericht trauen darf (und wem könnte man noch trauen, wenn nicht der Polizei?): Als die Beamten am Dienstag eine attraktive 18-jährige Tschechin beim Handtaschenklau im Stern-Center erwischten, haben sie – Originalzitat! – „sie zur weiteren Bearbeitung auf ein Polizeirevier verbracht“. Für solche feinsinnigen Formulierungen ist die Polizei in letzter Zeit berüchtigt. Kürzlich explodierte „innerhalb eines überdachten Mülleimers“ ein Böller in einem „ansässigen Hotel“, den „lauten Knall“ nahm ein Zeuge „akustisch wahr“. Da sagt man sich als Schüler doch zurecht: Was die nehmen will ich auch!

Erschienen am 10.11.2012

DAS WAR DIE WÖÖCHE: Gedeeeehnt

Samstag, 27. Oktober 2012

Dass Zeit ein relativer Begriff ist, wissen wir seit Einstein. Angeblich haben die Relativitätstheorie nur eine handvoll Menschen auf dieser Welt wirklich verstanden. Blödsinn! Weiß doch jeder aus der Alltagserfahrung, dass Zeit relativ ist: Auf dem Zahnarztstuhl können Sekunden zu Jahrzehnten werden, während ein freies Wochenende auf gefühlte zehn Minuten zu schrumpfen imstande ist. Diese Woche jedenfalls gehörte zu denen, die sich dehnen – und das nicht nur, weil es die einzige ist, die 169 statt der üblichen 168 Wochenstunden hat – sondern auch vom Gefühl her. Schon am Montag machte der Begriff „Strohfeuer“ seiner sprichwörtlichen Bedeutung keine Ehre, denn tausende Ähren in Bornim brannten ganze zwölf Stunden lang. Dehnen wird sich für des betroffenen Bauern Vieh nun auch der Winter, denn es muss mit der Hälfte des Futters auskommen, weil es statt ihrer die Flammen verschlangen.

Kröönung des Ganzen war die Nachricht, der pompööse Möödeschööpfer Harald Glööckler, zu dessen Markenzeichen neben Strass und Kröönchen es gehöört, jeden Vokal und vor allem jedes „Ö“ zu dehnen, ebenjener Glööckler erööffne eine Firma am Heiligen Söö … Verzeihung: See. Vön dört aus verkauft Glööckler Fertighäuser – er nennt sie „Kleine Paläste“ – füür Individualistön. Nach dem Studium der Glööcklerschen Presseankündigöng war das Sprachgeföhl jedes Redaktörs schwer gestöört – hoffentlich nur tempöörär. Ein anderer Modeschööpfer, diesmal sogar aus Potsdam, hat es immerhin zu zwei O im Nachnamen gebracht: Wolfgang Joop. Dessen ausgedehntes Lebenswerk ehrte die Bundesregierung diese Woche mit einem Designpreis. Er habe nicht das Gefühl, die Jury habe den Bogen überdehnt, indem sie ihm, dem erst 67-Jährigen, schon jetzt einen Preis fürs Lebenswerk zuspreche, ließ Joop galant die Presse wissen.

Ausgedehnte Stadttouren gegen Bezahlung können demnächst Potsdamer Studenten machen, denn der städtische Verkehrsbetrieb bedarf ihrer als Aushilfs-Tramfahrer. Klug gedacht, denn dank der Gleise ist ein Verfahren selbst für ortsunkundige oder von der Vorabendparty noch leicht mitgenommene Studis ausgeschlossen. Eine gewisse Scheu bleibt aber: „Saumäßig verantwortungsvoll“ nannte ein Sprecher den Job. Eine kleine Orientierungshilfe sei daher erlaubt: Wenn plötzlich Glööcklers Kröönchenpaläste vor der Fröntscheibe auftauchen, seid Ihr in Größ Glienicke und damit ein Stück zu weit gefahren. Es sei denn, das Schienennetz hätte sich inzwischen ausgedehnt. Ist aber unwahrscheinlich, selbst in dieser überdehnten Woche.

Erschienen am 27.10.2012

Kleine Paläste vom Doppel-Ö

Freitag, 26. Oktober 2012

„Modeschööpfer“ Harald Glööckler designt jetzt auch Häuser / Seine Firma sitzt am Heiligen See

Das Doppel-ÖÖ wird in Potsdam heimisch: Der Modeschöpfer Harald Glööckler (dessen bürgerlicher Name allerdings nur ein „ö“ aufweist), bekannt durch seine strassbesetzten Glitzerkollektionen mit allgegenwärtigen Kröönchen – Verzeihung: Krönchen hat in der Seestraße 14 am Heiligen See ein Unternehmen gegründet – die „Glööckler House & Home“. Von dort aus bietet der Designer Fertighäuser an, die er unter dem Titel „Petit Palais“ unters Volk bringt. Neben Mode, Süßwaren und Hundeausstattung soll das Glööcklers viertes wirtschaftliches Standbein werden.
Die am Glamour orientierte Handschrift des Modeschööpfers ist – wenig überraschend – auch in seinen kleinen Palästen erkennbar: Das Haus hat vier Türmchen und eine pompööse, 3,5 Meter hohe Eingangstür („Grand Entree“), die – selbstverständlich – von einem „Eingangsdiadem“ gekröönt wird, einem „Dorodem“, wie es Glööckler nennt, der sich den Begriff gleich schützen ließ.
„Es war mir ein Herzenswunsch, ein Wohnhaus zu designen, für dessen Bewohner täglich der rote Teppich ausgerollt ist“, beschreibt Glööckler das Konzept hinter den „Fertigbauten für anspruchsvolle Individualisten“, wie es in einem Werbeprospekt heißt. Angeregt zu seinen Kreationen habe ihn dabei der Lebensstil an der Côte d´Azur und in Südfrankreich allgemein, so der Designer. Den letzten Anstoß gaben Kundenwünsche: „Inspiriert durch die steigende Nachfrage von Damen nach einem von Harald Glööckler designten Haus, verspürte ich den Wunsch, mich dieser neuen Herausforderung zu stellen“, ließ der Designer die Presse wissen. Auch in den Innenräumen dominiert das Barocke, Pompööse, an Ludwig XIV. Erinnernde: schwere goldene oder goldbesetzte Vorhänge, weiße Mööbel mit Goldborte, weiße Fliesen in Marmoroptik am Boden, strassbesetzte und/oder goldumrandete Spiegel.
Es sei gar nicht so einfach gewesen, auf rund 220 Quadratmetern in dem Zweigeschosser alles unterzubringen, was ein „glamourööses Lebensgefühl“ erfordere, lässt Glööckler wissen. Seine Firma bietet auf Wunsch auch von Glööckler designte Tapeten, Mööbel, Geländer und Vorhänge an, der Bauherr könne aber gern auch alles nach eigenem Willen gestalten und nur das reine Haus bestellen. Musterflächen für den Bau bietet die Firma im in Enstehen begriffenen Villenpark Groß Glienicke an. Auch eine Finanzierung ist mööglich, damit der pompööse Neubau nicht am Ende in arge Finanznööte führt. Das wäre schließlich nicht sehr glamouröös.

Erschienen am 26.10.2012

DAS WAR DIE WOCHE: Martialisch

Samstag, 13. Oktober 2012

War da noch was außer der Bombe in dieser Woche? Na gut, Hohenzollern: Nachwuchs bei Preußens und Friedrich II. als Popart-Gemälde wird für rund eine Million Euro den Besitzer wechseln. Der alles verdrängende Blindgänger aber (damit ist jetzt die Bombe gemeint, nicht Fritze) scheint jedes weitere Thema der letzten Tage komplett überdeckt zu haben. Einigen wir uns also am besten auf Militarismus als übergreifenes Thema, auch wenn jetzt die Hohenzollern-Fans aufheulen wie die Sirene bei Bombenalarm. Das ist zu reduktionistisch, zugegeben, aber der Platz ist begrenzt. Und es passt doch auch zu gut: Da meldet diese Woche das Militärmuseum (!) in der ehemaligen Kriegsschule (!), dass es aufgeben muss und seine Bestände dem Potsdam-Museum übereignet. Es melden sich die Techno-Veteranen (!) Marusha und Love-Parade-(!)-Gründer Dr. Motte und wollen im Waschhaus nochmal die Stimmung zum Explodieren bringen . Schließlich fasst die Polizei den Feuerteufel, der in Neu Fahrland regelmäßig Autos hochgehen ließ. Eingeschlagen hat schließlich auch die Nachricht, dass die gerade vom CDU-Fraktions- und Landesvorsitz weggesprengte Saskia Ludwig in einer Kampf(!)kandidatur um ein Bundestagsmandat gegen das politische Schlachtross Katherina Reiche antritt. Die nimmt den Fehdehandschuh, den ihr auch der Kreisverband Potsdam-Mittelmark mit Ludwigs Nominierung zuwirft, auf. Dann schlägt die Nachricht vom Blindgänger Am Stern ein, und der Rest sind Entschärfungskommandos, Sperrkreise und Langzeitzünder. Gut, jeder hatte offenbar seinen Spaß. Nächste Woche aber bitte wieder etwas weniger martialisch.

Erschienen am 13.10.2012

Zwischen alten und neuen Mauern

Freitag, 12. Oktober 2012

„Mercure“-Statiker und Fotograf Herbert Posmyk hat einen Bilderschatz im Keller und einen Erinnerungsschatz im Kopf

Er war DDR-Stadtplaner und kämpfte gegen die Sprengung des Stadt- Schlosses. Die Statik des Hotel Mercure ist sein Hauptwerk, dennoch plädiert er für den Abriss. Posmyk passt in keine Schublade außer einer: unerschütterlicher Potsdam-Freund.

Als die Männer von der Kampfgruppe einmarschierten, wusste Herbert Posmyk, dass dies keine Fachdebatte werden würde. Immer abwechselnd einer mit Fahne, einer mit Kalaschnikow zogen die Uniformierten in den Saal im Rat des Bezirkes ein, wo eine Aussprache angesetzt war, die – so dachte Posmyk – nur eine baufachliche Frage klären sollte. „Ich war halt jung und naiv, noch keine 30 Jahre alt“, sagt der heute 83-Jährige und lächelt altersweise. Mit 14 weiteren Kollegen vom VEB Hochbauprojektierung Brandenburg hatte Posmyk sich 1959 dafür in die Bresche geworfen, das kriegszerstörte Stadtschloss nicht abzureißen. „Für uns war das keine ideologische Frage, sondern eine städtebauliche“, sagt er.
Zwei Gutachten zum Erhalt hatten er und die Kollegen unaufgefordert erstellt und dem Rat der Stadt vorgelegt, doch blieb das ohne Reaktion. Nun sollte der Abriss beginnen, und Posmyk und seine Mitstreiter hatten einen letzten Rettungsversuch gewagt: Sie schickten sechs Telegramme und baten um Hilfe: drei aus Potsdam an DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck, den Rat des Bezirks und die Bau-Akademie, drei über Posmyks Bruder aus Westberlin an die Akademie der Wissenschaften Moskau, die Akademie der Künste in Paris und den ehemaligen französischen Außenminister Georges Bidault, weil der beim Potsdamer Abkommen 1945 die Schlossruine besichtigt hatte und schwer beeindruckt war.
Kurz darauf fanden sie sich zur Aussprache verdonnert, von Kampfgruppen flankiert. Drei Stunden saß man so zusammen, ein Gespräch war es eher nicht. „Ich untersage jegliche Diskussion über das Stadtschloss“, sagte der Vorsitzende, „sonst finde ich Mittel und Wege, Sie zum Schweigen zu bringen“. Dieser Satz, sagt Posmyk, habe sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Verstehen konnte er es immer noch nicht. „Wir waren gar keine Rebellen, nur eine fachliche Opposition“. Als Strafmaßnahme sollten die 15 abtrünnigen Baufachleute bei den Absperrungen zur Sprengung des Schlosses helfen und das Publikum fernhalten. „Von uns ist aber niemand hingegangen“, sagt Posmyk, „obwohl das ein Affront ersten Ranges war.“
In die Stadtschlossruine verliebte sich der junge Bauingenieur, als er 1953 nach Maurerlehre, Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle und Ingenieursstudium in Cottbus nach Potsdam kam. Vor allem der Schlosshof erschien dem 24-Jährigen wie eine andere Welt: Die Säulen und Fragmente, Teile des Figurenschmucks, diese riesige Ruine, teils mit Brennnesseln überwuchert, „dort konnte ich gut abschalten, fühlte mich manchentags wie auf einer Agora in Griechenland, es war traurig, es war romantisch, und erst hinter den Resten des Fortunaportals tobte wieder das Leben“.
Zugleich beunruhigten ihn Gerüchte, die Partei wolle die Ruine sprengen, weil sie einen Aufmarschplatz brauche. Im 300 Mann starken Hochbau-VEB blieben solche Pläne nicht lang geheim. Also sann Herbert Posmyk darauf, wenigstens die Stimmungen zu erhalten.
Als begeisterter Hobbyfotograf griff er zu seiner „Exakta Varex IIa“, auf die er ein halbes Jahr gespart hatte – 1200 Ostmark waren ein kleines Vermögen – und seinem geliebten Zeiss-Objektiv und machte mehr als 500 Bilder von der Schlossruine. 300 in Schwarzweiß, die er im Betrieb selbst entwickelte und abzog; 200 auf Farbdias, die er zum Entwickeln direkt zu Orwo nach Wolfen schicken musste – auch das ein teurer Spaß: Zehn Mark kostete ein Film, fünf Mark die Entwicklung, auf die man zwei Wochen wartete. Die Ergebnisse zeigen nicht nur Posmyks Talent für Fotografie, seinen Motivblick, die akribische Belichtungsmessung und seine unermüdliche Suche nach der richtigen Perspektive, sondern auch, dass das Schloss bei weitem nicht so kaputt war, die viele heute annehmen: Zwar waren das Dach komplett eingestürzt und die Innenräume komplett ausgebrannt, doch von den Außenmauern standen mehr als 80 Prozent.
Besser noch als Posmyks Worte beschreiben seine Bilder den morbiden Charme der Ruine. Das haben auch der Stadtschlossverein und die Initiative „Mitteschön“ erkannt, die aus Posmyks Fotoschatz einen Kalender schöpften, aus dessen Erlös sie die Reparatur des originalen Stadtschloss-Figurenschmucks finanzieren wollen. Das Interesse an seinen Bildern und die professionelle Aufarbeitung für den großformatigen Kalender machen Herbert Posmyk, der dem Fotohobby zeitlebens treu blieb und auch den Umstieg aufs Digitale sofort mitmachte, glücklich. Dennoch ist er kein Wiederaufbau-Fetischist, wie er betont. Wie schon bei der Frage um den Stadtschloss-Abriss bemüht sich Posmyk um den Blick aufs Gesamte. Das Hotel Mercure etwa habe nach dem Schlossaufbau keinen Platz mehr in der Innenstadt, sagt er.
Ein Satz, der ihn zugleich schmerzt, denn als Chefstatiker für den Bau hat er sechs Monate lang mit dem Rechenschieber die Stabilität des Hauses kalkulierte. „Es war das statische Hauptwerk meines Lebens“, sagt Posmyk, „ein komplexer Bau, auch wenn es nicht so aussieht.“ Obwohl er keinen Platz mehr für den Betonriesen sieht, verletzte es Posmyk doch, dass in der Debatte im Frühjahr TV-Moderator Günther Jauch es „Notdurftarchitektur“ und Schauspielerin Nadja Uhl „verpupst“ nannte.
Als das Leitbautenkonzept für die Innenstadt 2011 diskutiert wurde, wollte Herbert Posmyk sich auch äußern. Als Statiker des Mercure und Projektierer der Staudenhofplatte galt er aber von vornherein als Ewiggestriger, kam kaum zu Wort. Auch das tat ihm, dem Stadtschlossfreund, weh. „Da war wieder keine fachliche Debatte möglich“, sagt er. „Immerhin kamen keine Kampfgruppen.“

(Erschienen am 13.10.2012)

DAS WAR DIE WOCHE: Mit der Keule

Samstag, 22. September 2012

Wenn es stimmt, was Platon sagt, dass das Staunen der Anfang aller Philosophie ist, dann war dies eine gute Woche für Philosophen. Nehmen wir die einzige Ausnahme gleich vorweg: Staunen ließ sich hier nicht über die Nachricht, dass in Deutschland die zehn Prozent der Reichsten 50 Prozent des Geldes besitzen und die 50 Prozent der Ärmsten gerade mal ein Prozent – das weiß jedes Potsdamer längst, denn in seiner Stadt ist es freundlicherweise so eingerichtet, dass die zehn Prozent mit dem Geld die Seeufer bevölkern und die 50 Prozent ohne die Plattenbauten. Das erspart den Armutsforschern eine Menge Laufarbeit. Nur ganz repräsentativ ist Potsdam nicht, denn dank emsigen Drehens an der Mietenschraube, das (fast) alle Parteien indirekt mitmachen, dürfte die Stadt bald deutlich mehr Reiche als der Bundesdurchschnitt aufweisen und die Geringverdiener in die Peripherie verdrängt haben. Da gibt’s dann Seeufer immerhin mal kostenlos und ohne Zaun zu bestaunen.

Staunen mussten indes die Potsdamer Geoforscher, die aus der Presse erfuhren, dass ihnen der Landtag großzügig und kostenfrei sein marodes Domizil überlassen will, sobald er vom Berg in die schicke Mitte herabsteigt. Blöd nur, dass die Geoforscher sich mit instabiler (Archi-)Tektonik auskennen und deshalb merken, wenn man ihnen spröde Gesteinsschichten andrehen möchte. Sie ziehen lieber neben das Gebäude und messen die Erschütterung, sobald die Decke herunterkommt. Das Land hätte es ahnen können: Schon Einstein warnte, Wissenschaftler seien ständig auf der Flucht vor dem Staunen.

Was wiederum alle Nicht-Kunsthistoriker diese Woche in Erstaunen versetzte, war die Restaurierung eines Puttos namens „Herkules-Amor“ im Foerstergarten. Der Bud Spencer der griechischen Mythologie und der knabenhafte römische Liebesgott in einer Person, das scheint so überraschend und unpassend wie das Lob der NPD für die Gewerkschaft der Polizei, das diese Woche ebenfalls zu bestaunen war. In Potsdam, so lernen wir staunend, zieht der Liebesgott mit der Keule los. Das wiederum erklärt, warum die hiesige Linke trotz Dauerangriff auf den SPD-Oberbürgermeister noch von einer rot-roten Stadtkoalition träumt. Hier werden Waffen halt nicht mit sanfter Hand geführt, um Zuneigung zu signalisieren.

So betrachtet, war die Deo-Attacke mit einer chemischen Keule der Marke „Axe“ auf eine Aldi-Kassiererin, die diese Woche vor Gericht verhandelt wurde, wohl auch nur eine verdeckte Liebeserklärung. Ob die Liebe allerdings der zwangsparfürmierten Dame oder dem Kasseninhalt galt, muss offen bleiben. Schließlich warb das Deo einst mit dem Slogan: „Der Duft, der Frauen provoziert“.

Erschienen am 22.09.2012

Aus den Vollen

Donnerstag, 20. September 2012

Über eine überraschende Wende im Gezerre um die Wagenburg

Laut Stadt kann das Wagenburggrundstück auf Hermannswerder für sechs Millionen Euro verkauft werden. Dort wohnen 22 Menschen. Sollten die Stadtverordneten nach erneuter Abwägung beschließen, die Burg stehen zu lassen, hieße das, ihnen wäre der Verbleib jedes Wagenbürgers gut 270 000 Euro wert. So viel Geld pro Nase für einen Wohnsitz mit Blick aufs Wasser, das würde anderswo in der Stadt als Schnäppchen gelten – nur dass die dortigen Anwohner ihr Wassergrundstück selbst bezahlen mussten. Der Verkauserlös auf Hermannswerder indes flösse ins Stadtsäckel, bleibt er aus, fehlt er dort. Es könnte daher nicht nur in Drewitz oder im Schlaatz durchaus ein Vermittlungsproblem geben beim Versuch, das dem Bürger zu erklären – es sei denn, die Stadtverordneten finden eine Möglichkeit, auch für jeden anderen Potsdamer solche Summen für einen Wohnsitz mit Wasserblick locker zu machen. Diese Stadt will immer alles – bezahlbare Mieten, aber keinen Wohnungsneubau, mehr Geld für Sozialleistungen, aber keine Vertreibung von Alternativprojekten. Geld scheint jedenfalls in der Stadtkasse noch genug vorhanden zu sein, wenn solche Optionen ernsthaft erwogen wären. Komisch nur, dass es bei Kitas, Schulen und Straßenunterhalt immer fehlt.

Erschienen am 20.09.2012

Schaulust und Seitenhiebe

Samstag, 15. September 2012

Fasziniert von Fußballfotos, angeraunzt von Ortsvorstehern: Die Stadt lud zur 65. Stadtwanderung

Es ging um „Wohnen und Arbeiten“ in Potsdam, aber auch um alten Ärger, neue Entdeckungen und das ganz normale Leben.

Es scheint ihn wirklich zu interessieren. Wer schon einmal Bürgermeister, Minister oder Abgeordnete auf Vor-Ort-Terminen erlebt hat, weiß, wie aufgesetzt das wirken kann – das gedehnte „Lecker!“ beim zwölften Gürkchen auf dem Messerundgang und das fünfte gepresste „Schön haben Sie’s hier“ im Wähler-Wohnzimmer beim Stadtteilrundgang lässt selbst Berufspolitiker mit allumfassendem Bürger-Umarmungs-Drang nicht mehr sonderlich überzeugend wirken. Jann Jakobs dagegen ist entweder sehr breit interessiert oder ein unglaublich begabter Schauspieler. Der Oberbürgermeister steht beim Tischler Gänserich in Fahrland und interessiert sich für Schleifbänke und Spanabsauganlagen, als hinge seine Leben davon ab. Er entdeckt den alten Ofen zum Veredeln von Spanplatten in der Ecke der Werkhalle, den selbst der Chef schon halb vergessen hatte.
Dass selbst das noch steigerbar ist, lernen selbst seine zur Mitreise verpflichteten Beigeordneten im Dachgeschoss von Ralf Grengel. Grengel gehört die „Powerplay Medienholding“, er hat vor zehn Jahren sein Zehn-Mann-Unternehmen und den Familienwohnsitz in eine Villa mit Seeblick verlegt und steuert von dort ein Unternehmen, das die Herzen von Sportfans höher schlagen lässt: Er schreibt Bücher mit, für und über Athleten wie Katarina Witt, Claudia Pechstein und Graciano Rocchigiani, erstellt das Stadionmagazin für Hertha BSC und hält das größte historische Sportfotoarchiv unter seiner Ägide. Jakobs betritt das Büro und ist sofort verzaubert, als er an den Wänden ein großes Foto von der einzigen Saison Franz Beckenbauers beim Hamburger Sportverein entdeckt und eines, auf dem Fritz Walter das Bundesverdienstkreuz von einem seltsam jugendlichen Helmut Kohl bekommt. Auf einem extra Ständer steht die 50 mal 75 Zentimeter große, in Holz und Leder gebundene Edelchronik des FC Bayern, 25 Kilo schwer, 3000 Euro teuer und für 1444 Euro Aufpreis mit einem Bild der „Jahrhundertelf des Vereins“ versehen: einer Fotomontage der besten Spieler der Vereinsgeschichte in einer Mannschaft. Jakobs erkennt sie alle, auf Anhieb, Ralf Grengel ist begeistert, die Kultur- und Sportdezernentin Iris Jana Magdowski applaudiert, der Rest des Trosses schweigt andächtig. Als Jakobs dann noch erfährt, dass der Macher und Sportgeschichtsfanatiker Grengel alle Jahrgänge der Fachzeitschrift „Kicker“ seit 1936 im Keller hat, ist es fast um seine Selbstbeherrschung geschehen. Mitarbeiter müssen Jakobs zaghaft aber bestimmt daran erinnern, dass weitere Termine warten.
Es geht um „Wohnen und Arbeiten in Potsdam“ bei der vierten Stadtwanderung in diesem Jahr. Insgesamt ist es bereits die 65., und Jakobs ist der einzige, der bei allen dabei war. Alles beginnt in Groß Glienicke, wo Ortsvorsteher Franz Blaser Jakobs und den Beigeordneten die Pläne für ein Nahversorgungszentrum und Wohnungen am Kreisverkehr vorstellt. Ein Rewe-Markt, eine Drogeriefiliale, ein Bekleidungsgeschäft und ein Tierfutteranbieter sollen dort den existierenden Discounter auf der anderen Straßenseite ergänzen und die Versorgung sichern, falls der kleine Laden im Seecenter 2014 die Pforten schließt. Außerdem entstehen – hauptsächlich nördlich der Potsdamer Chaussee – 70 bis 100 Wohnungen in Einzelhäusern und im Geschosswohnungsbau, die Stadt kümmert sich um die Erschließung. Der nötige Bebauungsplan ist noch im Werden, Erik Wolfram vom Bauamt zeigte sich aber optimistisch, dass schon im nächsten Jahr die ersten Spaten in die Erde gestochen werden. Für Franz Blaser ist das eine „dringend nötige städtebauliche Abrundung“ des Ortes, nur Ortsbeiratsmitglied Andreas Menzel (Grüne), erklärter Gegner des Projekts, murrt vernehmlich, wofür ihn Blaser anraunzt. Die Kulturdezernentin hatte Menzel bereits mit „Was will denn die Promenadenmischung hier?“ begrüßt und dabei offen gelassen, ob sie Menzel oder dessen mitgebrachten Hund meinte. „Das ist ein ungarischer Mudi“, gab der ungerührt zurück.
Angeraunzt wurde der Stadtwanderungs-Trupp auch von Fahrlands Ortsbürgermeister Claus Wartenberg, der nicht nur wegen der oberbürgermeisterlichen Fußballfaszination wartengelassen wurde, sondern auch sauer ist, dass der Bauherr Semmelhaack in seinem Ort zwar Hunderte Wohnungen gebaut hat und weitere 450 ab dem nächsten Jahr bauen will, „aber die versprochene Infrastruktur nicht herstellt“. Speziell beklagen die Fahrländer das Fehlen eines Arztes und einer Apotheke – erst recht, wenn der Ort demnächst um weitere 1000 Anwohner anschwillt. Die Stadt und Semmelhaack-Vertreter Berko Dibowski betonen daraufhin erneut, dass man keinen Arzt und Apotheker zur Ansiedlung zwingen könne, was Wartenberg noch eine Spur wütender macht: „Diese Ausreden höre ich schon seit fünf Jahren.“ Ihm entgleiten endgültig die Gesichtszüge, als der Trupp nach wenigen Minuten wieder aufbricht, um die beim Fußballfachsimpeln verlorene Zeit aufzuholen.
In Bornim wird am Hügelweg die letzte Freifläche ab nächstem Jahr mit 200 Wohnungen in 40 Häusern bebaut, die Erschließung hat schon begonnen. Erik Wolfram schafft es, das in drei Minuten zu erläutern, exakt eine Oberbürgermeisterzigarettenlänge, dann geht’s zum Schlusspunkt, der Semmelhaack-Siedlung am Krongut Bornstedt. 114 Häuser habe man dort gebaut, sagt Berko Dibowski, seit 2007, nun sei alles so gut wie fertig. Der Bau zog sich, weil das Grundwasser Probleme machte, auch der Verkauf lief schleppend, nun vermietet Semmelhaack einen großen Teil der Häuser. „Das läuft viel besser“, sagt er. „Die sehen alle gleich aus“, bemängelt jemand aus der zweiten Reihe. „Die haben verschiedene Farben“, wendet Dibowski ein.
Ansonsten ist auch diese 65. Stadtwanderung die bewährte Mischung aus „Wir schauen uns auch mal vor Ort an, worüber wir sonst in Sitzungen nur hören“ und Betriebsausflug. Der Baudezernent fehlt, was allgemeinen Unmut hervorruft, der Finanzdezernent sagt kein Wort und ist auf sein Handy konzentriert, die Kulturdezernentin stellt am Ortsschild von Groß Glienicke erschreckt fest, dass das ja „am Arsch der Welt“ liege und die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger juchzt auf einer Fahrländer Brache, als ihr Handy ihr meldet, dass sie soeben zum fünften Mal Oma geworden ist. Das ganz normale, pralle Leben halt.

Erschienen am 15.09.2012

DAS WAR DIE WOCHE: Betroffenbesoffen

Samstag, 15. September 2012

Angesichts des Hypes um das Abrechnungsbuch der 598-Tage-Bundespräsidentinnen-Gattin Bettina Wulff und all der medialen Nebenwirkungen in den bunten Blättern und bunten Talkshows haben wir immerhin eines gelernt – dass es eine neue Buchgattung gibt, die Betroffenheitslektüre heißt. Nicht so sehr, weil der Leser von der Lektüre so betroffen wäre, sondern weil den Autor sein eigenes Schicksal so betroffen macht, dass er es anderen zur Lektüre empfiehlt. Quasi eine Betroffenheitsbesoffenheit. Dennoch: Hübsche Idee, mit therapeutischem Schreiben noch Geld zu verdienen, statt einen Therapeuten bezahlen zu müssen. Die sichersten Merkmale der Betroffenheitslektüre, so die Forschung, sind ein wehleidiges Kreisen um die eigenen Sorgen – „ Ich musste zurückstecken, als der Christian Präsident war, ich hatte davon Hautrötungen, ich leide sehr unter den Gerüchten über ein Rotlicht-Vorleben“ – und die völlige Abwesenheit von Selbstironie oder Humor, die solchen Leidens-Zentrismus aufbrechen könnten. Mag sein, dass „Tattoo-Betty“ darin deutsche Meisterin wird, wir können aber auf regionaler Ebene durchaus mithalten.

Wir wurden vom bösen Oberbürgermeister angegriffen, der unsere schöne Demo schlecht machen wollte, klagte etwa die NPD ihre Betroffenheit dem Verwaltungsgericht. Das wiederum zeigte Ironie, indem es dem Oberbürgermeister einer Stadt mit Toleranzedikt eine Auszeit von der gesetzlich gebotenen Neutralität gewährte, die es anderen Bürgermeistern verwehrte. Unsere Wertung: Betroffenheit: Kreisliga. Ironie: Bundesliga.

Die Stadt ist voll fies. Jahrelang lässt sie uns auf einem Filetwassergrundstück für kleines Geld wohnen, und nun will sie, dass wir umziehen. Und lässt uns nur ein halbes Jahrzehnt Zeit dafür. Das war die Klage der Wagenbürger von Hermannswerder diese Woche, und ja, das ist wirklich hart – Betroffenheit: Champions League!

Die Presse in Brandenburg ist so gemein. Sie wird von der SPD gelenkt und ist total ganz doll gegen die CDU, speziell gegen mich, klagte auch Saskia Ludwig, damals noch Fraktions- und Landesvorsitzende, in einer, nun ja, nicht wirklich die politische Mitte vertretenden Postille. Es war nicht mal die erste Klage dieser Art, doch ihre Fraktion entzog ihr daraufhin das Vertrauen. Darüber klagte Frau Ludwig vermutlich auch, aber nicht mehr öffentlich. Selbstironie haben aber selbst ihre engsten Mitstreiter nie an ihr bemerkt. Betroffenheit: Landesliga, mit guten Abstiegs-Chancen. (Hinweis: Der letzte Absatz wurde wie gewohnt auf Anweisung der Staatskanzlei aufgenommen.)

Erschienen am 15.09.2012

NACHSCHLAG: Der guten Würze zu viel

Freitag, 14. September 2012

Das „Café Heider“ nennt sich zu Recht das Wohnzimmer der Stadt: Gemütlich, freundlich, kleine Macken

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

Den Potsdamern das Café Heider zu erklären, das ist ein bisschen, als zeige man ihnen, wo der Park Sanssouci liegt. Wir wagen es dennoch, schließlich bezeichnet sich das Restaurant und Caféhaus als „Wohnzimmer der Stadt“ – und über fremde Wohnzimmer redet man gern. Es ist wochentags, der letzte Sommernachmittag, kurz nach 14 Uhr, das Café Heider ist halbvoll, dafür gibt’s draußen keinen freien Platz mehr – alles genießt die letzten Sonnenstrahlen. Also rein, neben der Tür zum Platz ist ein Tischchen frei, vier Kellner bespielen Haus und Platz und haben enorm zu tun, bleiben aber freundlich – untereinander und zum Gast. Einem redebedürftigen Rentnerpaar zuliebe bleibt die hübsche Kellnerin (das hat Tradition im Heider, hier hat sogar Wolfgang Joop Franziska Knuppe entdeckt) sogar nach dem Zahlen noch zu einem Mini-Schwatz stehen, obgleich von draußen jemand wenig galant ihre Aufmerksamkeit fordert: „Kommt ooch eena raus oda watt?“ Sie enteilt.
Die Karte ist lang und zeigt, warum Café Heider auf dem ersten Wort betont wird: Mehrere Seiten voller Tees, Kaffeespezialitäten, heißen Schokoladen, dazu ein umfangreiches Frühstücksangebot – und zwei Seiten mit Essen, darunter Caféhaustypisches wie Wiener Schnitzel mit lauwarmem Kartoffelsalat, aber auch Suppen und Snacks für den kleinen Hunger. Den Mittagsgast zwischen 11.30 Uhr und 14 Uhr erwartet ein wechselndes Gericht für 6,90 Euro – in dieser Woche von Hähnchencurry über Königsberger Klopse und Currywurst bist Pasta – und ein wöchentlich wechselndes Gericht von der Hauptkarte, das um 15 Prozent günstiger und mit einem Kaffee zum Nachspülen angeboten wird.
Dafür ist es aber etwas zu spät, daher greifen wir in die Vollen – heißt: zum teuersten Gericht – und ordern das Rumpsteak nebst quarkübergossener Ofenkartoffel und Salatbeilage (17,50 Euro), dazu – es ist ja noch Mittag – eine große Fassbrause (3,40 Euro), obschon die kleine, aber hervorragende Weinauswahl lockt. Obwohl die Kellner viel zu tun haben, kommen sie schnell und bleiben auch beim Tester ausnehmend freundlich. Ebensoschnell kommt das Essen – nicht so schnell, dass wir die Mikrowelle im Verdacht haben, hier unterstützend eingegriffen zu haben, aber auch nicht so spät, wie wir angesichts des touristengefluteten „Heider“ befürchteten.
Die Backkartoffel ist riesig und anfangs noch heiß, was natürgemäß wegen des Quarks schnell nachlässt. Das Rumpsteak lässt nicht auf überzogenen Sparwillen schließen, wurde aber seines kleinen Fettrandes beraubt, eine Unsitte, die angesichts des Trends zur gesunden Küche zwar zunehmend um sich greift, das Rumpsteak aber streng genommen zu einem teureren Hüftsteak degradiert, denn der kleine Fettrand im ansonsten mageren Fleisch ist eigentlich Teil der Definition. Caféhaustypisch werden keine großen Locken auf dem Teller gedreht, das Auge freut sich aber über die dicke Schicht aus Pfeffer, Salz und Gewürzen, die das Steak auf dessen gesamter Länge bedeckt. Die Zunge nicht. Es ist einfach zuviel. Zu salzig, zu pfeffrig, zu würzig. Nach dem ersten Bissen gebrauchen wir das Messer daher als Schabehilfe, und ein Berg Gewürze häuft sich neben das Steak. Das war übrigens „medium“ gebraten bestellt, kommt aber durchgebraten an. Nur in der absoluten Mitte hält sich trotzig ein Minikern rosafarbenen Fleisches. Schade. Zum Abschluss darf’s noch ein doppelter Espresso (3,40 Euro) sein, um die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Der ist wie erwartet klein, stark, schwarz und lecker. Am dazu gereichten Wasserglas indes klebt ein schokoladiger Fingerabdruck. Besser könnte man den Besuch nicht zusammenfassen: Kleine Mängel, aber gemütlich, freundlich, zentral gelegen, kurzum: ein typisches Wohnzimmer.

Erschienen am 14.09.2012


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