Archiv für die Kategorie „Croissant & CrèmeBrûlée“

Die Hauptstadt muss sich warm anziehen

Dienstag, 27. November 2007

Elona Müller eröffnet Brandenburgs größten Weihnachtsmarkt und bescheinigt ihm Konkurrenzfähigkeit

INNENSTADT Sozialbeigeordnete müsste man sein. Schön eingemummelt auf der Kutsche sitzen, von eifrigen Budenbesitzern mit Heißgetränken versorgt, von den Passanten beachtet – ein idealer Zustand. Zumindest aus Sicht des Pressetrosses, der am Luisenplatz steht und der Beigeordneten harrt, die hier den Weihnachtsmarkt eröffnen soll. Sie ist mittlerweile 40 Minuten zu spät dran, die Temperatur liegt bei einem Grad, der Wind pfeifft, die Glühweinbuden duften verlockend, die Termine drücken. Jeder ist bemüht, unauffällig zu frieren. „Ob die Pferde dieses Jahr wieder diese albernen Elchhörner aufgesetzt bekommen?“ fragt jemand in die Runde. „Noch zehn Minuten, und ich hole mir doch einen Glühwein“ – ist das eine Antwort? „Ich bin ja für die Erderwärmung“, wirft eine Kollegin ein und tritt von einem Fuß auf den anderen. Der Mann vom rbb meint, einen Pferdekopf im Getümmel der Brandenburger Straße ausgemacht zu haben, das Fernsehteam stürmt los. „Wenn das mal nicht der Bürgermeister war“, versucht jemand zu witzeln. Funktioniert nicht, keiner lacht. „Der OB hat Meniskus. Die Beigeordnete kommt“, klärt ihn jemand auf. „Klugscheißer“, lautet der Dank. Dann: Pferdegetrappel, Menschenauflauf, Blitzlichtgewitter – die Kutsche kommt doch. Die Pferde haben Elchhörer aufgesetzt.

„Entschuldigung“, sagt Dezernentin Elona Müller. Sie ist dick eingemummelt und hat ein Heißgetränk in der Hand. Im Laufschritt – Bewegung hält warm! – gehts zur Bühne. Dort warten schon Wolfgang Cornelius als Chef der ausrichtenden AG Innenstadt und ein komplett durchgefrorener Kinderchor vom Treffpunkt Freizeit, der ein niedliches Lied vorträgt. Anschließend wird traditionell der riesige Stollen angeschnitten, die Kinder greifen begierig zu, und Elona Müller freut sich über den „noch schöneren“ Weihnachtsmarkt, der in diesem Jahr nicht so eng steht und zudem über die Friedrich-Ebert-Straße hinaus bis zur Kirche St. Peter und Paul erweitert wurde. Sie betont, man könne „auch mit den Berliner Märkten locker konkurrieren“. Mit mehr als 130 Buden sei es auf jeden Fall der größte Markt in Brandenburg, und genau genommen wohl auch einer der schönsten, ergänzt wenig später Organisator Eberhard Heieck von der Agentur Coex. Mit dem täglichen Märchenspiel um 17 Uhr auf dem Luisenplatz besitzt der Markt zudem ein Alleinstellungsmerkmal, das ihn bundesweit einzigartig macht. Heieck hat noch weitere Zahlen: 3000 blaue und goldene Kugeln sind entlang des Weges zu finden, die Umsetzung des Mottos „blauer Lichterglanz“ erfolge langsam, aber stetig. Wenn er einen Wunsch frei hätte, so würde er den Potsdamern noch die häufig geäußerte Bitte nach weihnachtlicher Beleuchtung von St. Peter und Paul erfüllen, verrät er, aber das scheitert bislang am Geld und an Widerständen. Für die Zukunft ist Heieck aber optimistisch.
„Mir würde schon mehr Pünktlichkeit genügen“, brummelt ein jetzt ganz ungeniert zitternder Reporter. Er bekommt ein Heißgetränk statt einer Antwort.

Erschienen am 27.11.2007

Die Langzeiturlauber am Trabbi-Weg

Samstag, 20. Oktober 2007

Am Gaisberg campen manche schon seit 40 Jahren – verordnete fröhliche Ostalgie ist ihre Sache aber nicht

PIRSCHHEIDE Die Zuwegung beginnt ganz harmlos als „Eichenallee“. In ihrem Verlauf scheinen die Buchstaben ein wenig durcheinander zu geraten, denn plötzlich steht da: „Erich-Allee“. Ein Versehen scheidet aus, denn neben dem Schriftzug prangt das gewohnt grimmige Konterfei des Staatsratsvorsitzenden.
Es ist nicht die einzige Reminiszenz an die DDR im Campingpark Sanssouci-Gaisberg in der Pirschheide. Während in der Landeshaupstadt längst die Wilhelm-Pieck-Straße zur Charlottenstraße wurde, drängen sich zwischen Elster- und Drosselweg, zwischen Wildschweinwiese und Storchenufer die „DDR-Promenade“, der „Trabbi-Weg“ und der „Sandmännchen-Pfad“. „Es wäre doch albern, unsere Vergangenheit zu leugnen“, sagt Dieter Lübberding, der zur Betreiberfamilie gehört. Die kommt aus Niedersachsen. Das gilt als kleiner Schönheitsfehler unter den Dauercampern, wie auch der Umstand, dass Lübberding demonstrativ mit einem gelben Trabi-Kübel durch Potsdam und Umgebung kurvt – mit einem, den ein CLP-Kennzeichen ziert. CLP wie Cloppenburg.
Dieter Lübberding ist in dieser Hinsicht schmerzfrei: Er parkt den Gelben gut sichtbar am Eingangstor, auf einer extra gezimmerten Plattform. Für ihn ist das eine Form des Marketings. Vielen Gästen sei die DDR-Geschichte doch gar nicht gegenwärtig, oft werde er gefragt, ob Potsdam im Osten gelegen habe. „Wir müssen uns hier mit unserer Ost-Vita doch nicht verstecken“, sagt er.
Sein Campingpark gehört zu den besten in Deutschland – von Branchenführern und vom ADAC wird er regelmäßig mit den höchsten Auszeichnungen bedacht. Weil er wunderschön gelegen ist, weil die Betreiberfamilie mehr als rührig ist und weil auf jedes Detail geachtet wird. „Klein aber fein“ und „Urlaub ohne Sorgen“ sind die Firmenmantras, die Dieter Lübberding nicht nur unermüdlich wiederholt, sondern seit Übernahme des Platzes 1991 auch ebenso unermüdlich umsetzt. Über den Herrentoiletten, die es in drei Größen S, M und L für verschiedene Wuchshöhen gibt, wachen Friedrich der Große und Kaiser Wilhelm I., die Damen müssen unter Augusta von Sachsen oder Sophie-Luise von Mecklenburg-Schwerin hindurch, um sich zu erleichtern. Der Platz heißt nunmal königlicher Campingpark Sanssouci, und Adel verpflichtet.
Trotzdem ist es ein typischer Campingplatz, und ein typisch deutscher dazu. Von den ausländischen Gästen – Holländer und Dänen kommen besonders gern – werden etwa die allgegenwärtigen Verbotsschilder stets mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Verärgerung quittiert: Surfbretter verboten. Eltern haften für ihre Kinder. Keine Tiere füttern. Kinder unter 7 Jahren nicht allein aufs Klo. Kein Lärm vor 8 Uhr, kein Lärm nach 22 Uhr, kein Lärm zwischen 13 und 15 Uhr. Keine Besucher ohne Anmeldung. Keine Wasserentnahme aus dem Sanitärtrakt.
Der Platz ist gepflegt. Sehr gepflegt. Der englische Rasen zwischen den Dauercampern erstrahlt in fast unnatürlichem Grün, die Halme sind exakt gestutzt. Nur selten verunziert ein gelbes Blatt die reine Fläche. Dieser Tage kommt selbst der emsigste Laubfeger nicht hinterher. Es ist eine idyllische und – doch, ja – streckenweise auch ziemlich spießige Parallelwelt an den Toren der Landeshauptstadt.
Christel Herbst versucht es trotzdem. Die 67-Jährige hat den Besen fest in der Hand und ficht entschlossen ihren Kampf gegen das Laub. „Wer einen Tag aussetzt, hat verloren“, sagt sie und betont, dass daher wenig Zeit für weitere Fragen bliebe. Seit 1971 residiert die Dauercamperin auf einem der privilegierten Plätze ganz vorn am Ufer des Templiner Sees – mit dem vollen Programm: Wohnwagen, Vorzelt, Pavillon, umzäunte Fläche, Blumenkästen, Sat-Schüssel. Der Wohnwagen ist längst fest mit dem märkischen Boden verwachsen. Ihr Sohn nebst Frau hat den Platz rechts dahinter, die Enkelin nebst Urenkelin links daneben. Von Ende März bis Anfang November lebt Christel Herbst dort, in der „Übergangszeit dazwischen“ muss sie in ihre Stadtwohnung auf dem Kiewitt.
150 solcher Dauercamper gab es zu DDR-Zeiten auf dem Platz, nach der Wende hat sich die Schar der Alteingesessenen auf unter 50 reduziert, erzählt sie. Sie sagt es so nachdrücklich, dass es unmöglich ist, das Bedauern in ihrer Stimme zu überhören. Ob ihr daher auch Erich-Allee und Trabbi-Weg gefallen? Christel Herbst hält mit dem Kehren inne. „Ach das“, sagt sie und stellt den Besen weg, „das hat sich der Lübberding letztes Jahr einfallen lassen.“ Sie tippt mit der nun freien Hand an die Stirn, sieht sich um und senkt die Stimme: „Der hat von der DDR doch keine Ahnung. Für den ist das Spaß. Wir aber kennen den Unterschied noch – auch preislich.“ Drei Preiserhöhungen habe es seit der Wende schon gegeben, und dreimal Umziehen habe sie auch müssen, als der Platz umstrukturiert wurde. Umziehen, das kommt für Dauercamper offenbar einer Vertreibung aus dem Paradies gleich.
Dass sie für ihr Geld auf einem der besten Campingplätze residiert, ist Christel Herbst ziemlich gleich: „Ich brauche nur den See und die Bäume. Tolle Duschen, Toiletten, Küche und Restaurant nutze ich nicht. Wir sind Selbstversorger.“ Entsprechend kritisch sieht sie das Streben nach beständiger Verbesserung. „Wir heißen nicht mehr Dauercamper, sondern Langzeiturlauber, haben die beschlossen – so’n Quatsch!“ Mit den Urlaubern pflegt sie wenig Kontakt – „die neiden uns meist unsere Plätze“.
Dass es am Ende doch noch ein bisschen wie DDR ist, merkt an diesem Tag allgemeiner Abreise ein Autofahrer, der hoffte, über das Gelände des Campingparks den Weg zum Gaisberg abzukürzen: Gegen Besuchergebühr kommt er zwar rein, wegen eines Eisengitters am anderen Ende aber nicht wieder heraus.

Erschienen am 20.10.2007

Musik, die den Horizont erweitert

Donnerstag, 27. September 2007

Alf Ator im MAZ-Gespräch über Dummheit, Tod und Exkremente

Knorkator rocken am Sonnabend im Lindenpark. Die MAZ sprach vorab mit dem Keyboarder Alexander Thomas alias Alf Ator. Die Fragen stellte Jan Bosschaart.

Im Internet steht, Knorkator seien Blödelrocker? Eine zutreffende Bezeichnung?
Alf Ator: Nö. Wir wollen nur gute Musik machen. Das gelingt uns so sehr, dass wir es nicht nötig haben, uns ernst zu nehmen.

Wie würden Sie Ihren Musikstil denn nennen?
Alf Ator: Er ist ein Gemisch aus Industrial-Metal und klassischen Elementen. Zugleich haben wir Freude an Härte. Wenn man übers Auf-die-Schnauze-hauen singt, hilft Soul nicht weiter.

Laut Pressetext dient die Tour dazu, einen Film zu drehen?
Alf Ator: Jaaa! Ein weltbekannter Regisseur dreht „Aufstieg und Fall“ von Knorkator. Bisher spielten wir in riesigen Stadien, das war nicht glaubwürdig, um unsere Anfänge nachzustellen. Daher die Tour in kleinen Clubs: Um behaupten zu können, das wären wir als junge Menschen. Leider sind wir längst alt und dick.

Der Film soll auch künftige Ereignisse zeigen – welche denn?
Alf Ator: Unseren Abstieg und den Tod unseres Gitarristen Buzz Dee. Das wird eine stark berührende Szene mit vielen Fans aus aller Welt.

Buzz Dee plant abzutreten?
Alf Ator: Wir planen das. Er weiß noch nichts davon.

Vermissen Sie manchmal die Berühmtheit nach dem Grandprix-Ausscheid 2000?
Alf Ator: Selten. Wir hatten davor schon einen treuen Fankreis, der hat sich nicht verändert. Die anderen haben sich kurz für Idioten, die Keyboards zerschlagen, interessiert, aber nicht für unsere Musik. Es ist nur ein kleiner Bevölkerungsteil Knorkator-kompatibel. Das ist okay. Ein Ferrari pro Bandmitglied reicht uns.

Eine Zeitung schrieb, Knorkator weigere sich, erwachsen zu werden.
Alf Ator: Da ist endlich die gesamte Wahrheit über uns. Im Ernst: Diese Bands, die immer jugendlich frisch sind und nur drei Themen haben: ich wachse – ich bin verliebt – ich finde die Welt ganz schlimm, sind doch langweilig. Weil wir das nicht tun, und wir Texte über Exkremente machen, heißt es gleich „Chaoten“.

Wie läuft der kreative Prozess bei Knorkator ab?
Alf Ator: Die anderen sitzen und warten. Ich beginne zu denken, schreibe Lieder und Texte, lese viel, konsumiere Kultur. Daraus erwächst Kunst, die die anderen lediglich interpretieren dürfen. Sie sind dankbar und froh, für mich zu spielen.

Als Berliner Band berlinern Sie gern in ihren Texten.
Alf Ator: Wir stellen es sprachlich nur nach vorn, wenn es sich anbietet: wenn Dummheit zelebriert wird.

Das wird die Potsdamer aber freuen.
Alf Ator: Ich hege keine Arroganz gegenüber Potsdam. In den Anfangstagen war Potsdam für Knorkator extrem wichtig, weil dort die Radiostationen waren, die sich für uns interessiert haben.

Was erwartet die Konzertbesucher?
Alf Ator: Sie werden das Glück haben, von meiner Aura beschienen zu werden. Das gibt Auftrieb, das hilft durchs Leben: Musik, die den Horizont erweitert.

Erschienen am 27.09.2007

Tach ringsum!

Samstag, 11. August 2007

In der Potsdamer Polit-Elite hat sich ein Hang zur sprachlichen Pflaumigkeit breit gemacht, der jovial wirken soll, in Wirklichkeit aber nur peinlich, weil irgendwie „ossig“ ist. So in etwa lautet die These eines großen Hamburger Nachrichtenmagazins, das doch wirklich einen seiner Spitzenschreiber nach Babelsberg-Süd entsandte, um der Einweihung eines Aufzugs beizuwohnen. Ob’s nun dem Sommerloch zu klagen ist oder der Edelfeder ein besonderer Hang zu Liften innewohnt, muss ungeklärt bleiben, denn der Text lässt die Frage nach seinem Anlass aus Hamburger, ja nationaler Sicht offen. Jedenfalls gibt der Autor die Protagonisten – neben Anwohnern auch den Infrastrukturminister – gern mundartlich wieder, er lässt sie „„jefördert“, und „abjewandelt“ sagen und nutzt das nicht nur, um seinen Text lokal einzufärben, sondern auch, um dessen Süffisanz durch diesen Schwung Provinz zu steigern. Tja: Wer sich in die Mark begibt, der muss ooch mittet Berlinern auskommen. Ein paar weitere Termine, etwa mit dem Landesvater, der beim Betreten eines Raumes stets ein launig-flapsiges „Tach zusamm’“ oder „Tach ringsum“ in die Menge wirft, hätte die Edelfeder aber gelehrt: Die tun hier nicht nur so. Die sind so.

Erschienen am 11.08.2007

„Karl Marx“ lässt Häuser liften

Dienstag, 17. Juli 2007

Eine Aufzug-Inbetriebnahme mit ministeriellem Beistand

AM STERN Ruth Rauter hatte mit vielem gerechnet an diesem Vormittag, aber nicht damit, dass der Minister begehrliche Blicke auf ihren Braten werfen würde. Doch Reinhold Dellmann (SPD), im Kabinett für Verkehr und Infrastruktur zuständig, tat genau das: Er stellte sich vor den Braten in Ruth Rauters Küche und sagte vernehmlich: „Der sieht aber lecker aus!“ Der Appetit war so deutlich zu hören, dass Frau Rauter, obschon bestrebt, eine gute Gastgeberin zu sein, sich gezwungen fand, zu antworten: „Ja, der ist für unseren Besuch, der gleich kommen wird.“

So zog der Minister knurrenden Magens wieder aus der Rauterschen Küche. Er hatte sie betreten, weil Ruth und Gerd Rauter die ersten Wiedereinzügler in der Galilei-Straße 73/75 sind, seit die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ das Haus aufwändig sanierte: mit neuem Wohnungszuschnitt, neuen Bädern, Wärmedämmung, neuer Fassade und einem Fahrstuhl, der dafür sorgt, dass 15 Wohnungen nun alten- und behindertengerecht zu erreichen sind. Rund 1,7 Millionen Euro hat das gekostet, und weil das Land im Rahmen eines Zuschussprogramms die Hälfte der Kosten des Aufzugs – etwa 90 000 Euro – übernahm, schaute auch der Minister zur Einweihung vorbei. Schließlich ist die Galileistraße 73/75 das erste Haus, das in den Genuss dieses im Zuge der Föderalismusreform an die Länder gewanderten Fördertopfes gelangte, der im Februar geöffnet wurde.

Es war Dellmans erster Termin nach dem Urlaub und es schien, als habe er gefastet: Auch WG-Chef Ulf Hahn musste den Minister enttäuschen, als der nach einer Testrunde mit dem Fahrstuhl fragen ließ, wo denn nun die Schnittchen zu finden seien. „Beim nächsten Mal wieder“, sagte Hahn, und machte ein Gesicht, als sei er beim Abschreiben ertappt worden.

Davon abgesehen war es ein guter Tag für den WG-Chef: Die hellen, großzügigen und leicht zugänglichen Wohnungen mit 46, 55 und 61 Quadratmetern Wohnfläche ernteten viel Lob und sind samt und sonders schon vergeben, nicht zuletzt wegen günstiger Mietpreise. Der Beginn der Sanierung und Erweiterung des nächsten Hauses steht noch in dieser Woche an: Am Kahleberg werden nicht nur zwei Stockwerke auf ein weiteres WG-Gebäude draufgesetzt, dank erneuter Förderung aus dem Hause Dellmann wird auch dort ein Aufzug das Erreichen der Wohnungen nicht nur für Alte und Behinderte erleichtern.

Die Rauters sind schon jetzt hochzufrieden. Sie sind trotz Baulärms früher zurückgezogen und erfreuen sich täglich am neuen Schnitt ihrer Wohnung, am breiten Korridor und dem großen Bad. Und am noch eben geretteten Braten.

Erschienen am 31.07.2007

Das Stock-Werk

Samstag, 16. Juni 2007

„Auf geht’s“, das hielt der gewöhnliche Deutsche bislang für eine ländlich-bajuwarische Ermunterung, die dem sinnenfrohen Bergvolk den beschwerlichen Aufstieg zu den Rindviechern auf der Alm erleichtern sollte. Auch wenn die zwei Silben, knackig wie a Lederhos’n, längst legion geworden sind: Spätestens durch testweises Anhängen eines „Buam!“ gelingt die landschaftliche Einordnung des rustikalen Motivationsausrufs selbst dem Zugereisten.
Dass indes die ursprüngliche Bedeutung eine – man muss es so deutlich sagen: – handfestere ist, hat die Welt jenseits des Weißbieräquators nun von zweien erfahren, die eher für den schnellen Abstieg berühmt sind. Naheliegenderweise war es der Donau-Kurier, der „die Skilegenden Rosi Mittermeier, 56, und Christian Neureuther, 58“ mit dem endgültig aufklärenden Satz zitierte: „Seit eine Studie belegt hat, dass Nordic Walker länger Sex haben, steht meine Frau täglich mit den Stöcken neben meinem Bett und drängt: ,Auf geht’s! Auf geht’s!’“ Selbst wenn wir uns ungern vorstellen, welche Rolle die Stöcke konkret dabei spielen mögen, auch wenn wir nicht verstehen, ob es dem Altersunterschied geschuldet ist, dass der Neureuther Christian – noch? – im Bett liegen muss, während die Mittermeier Rosi die Stecken schon fest in der Hand hat, so imponiert doch zweierlei: Der in Zeiten blauer Pillen rührend naive, ja fast schon naturmystisch zu nennende Glaube, allein durch Zuruf die erhoffte Wirkung zu zeitigen und nicht zuletzt die offenkundige Vertrautheit der beiden Spezl’n mit dem breiten Repertoire der Symbolik des Liebesspiels.
Haben nicht schon unzählige Romanciers und Regieheroen, Maler und Musiker, Psychologen und Pornoproduzenten, Größen des Geistes und Groschenheftautoren den Aufstieg, die Treppe und den Gipfelsturm mit dem Akt verglichen? Taten wir den beiden munteren Margarinevertretern gar unrecht, wenn wir mutmaßten, die Vereinigung der Geschlechter sei für sie nur eine weitere Form des cholesterinbewussten Genießens? Was der Donaukurier dazu verrät, ist im Grunde nur das: bei der Rosi und dem Christian, da läuft’s offenbar wie geschmiert.

(Veröffentlicht am 16. Juni 2007)

Pilchereske Ausmaße

Sonntag, 10. Juni 2007

Zwölf Minuten. So lange dauert es, bis der Zuschauer weiß, wohin die Reise geht. In dem Moment, wo sich Jenny, scheinbar im Übermut, auf dem Rasen an die Brust des väterlichen Freundes Lothar wirft und ihr Dekolleté noch einen Moment nachwogt, ist klar, was kommen wird.
Doch der Reihe nach: Lothar (Udo Wachtveitl), Fotograf für Whirlpoolprospekte, und Flugkapitän Milan (Miroslav Nemec), sind Freunde seit immer, aber nur die Copiloten ihres Lebens. Milan hat den Tod seiner Frau nicht verwunden und widersteht jedem Verkupplungsversuch durch offensiven Einsatz des Familienfotoalbums.
Lothar hingegen sieht sich eher als Künstler und befindet sich zudem im ehelich verordneten Zeugungsstress: Gattin Amelie hat sich für die späte Mutterschaft entschieden und einen strammen Fahrplan errichtet, der an den fruchtbaren Tagen dem immer gleichen Ritual aus Marvin Gayes „Sexual Healing“ und untergeschobenem Kissen folgt. Die Konflikte brechen durch, als Milans Tochter Jenny vom Studium zurückkehrt und eine Romanze mit Lothar beginnt. Das führt in Beziehungs- und Gefühlswirren pilcheresken Ausmaßes, die nur treue Zuschauer des großen ZDF-Sonntagsfilms nicht mehr schrecken kann.
Die Charaktere wirken, als seien sie aus dem Kulissenfundus einer Inga-Lindström-Verfilmung direkt auf die Startbahn der Copiloten geschoben: etwa der makellose Brian, Brite mit obligatem Akzent, der den hochwertigen Pullover stets adrett über die Schultern gelegt trägt oder die hyperkritische Journalistin, die nur darauf wartet, den späten Fotokünstler Lothar in Grund und Boden zu schreiben. Da ist es folgerichtig, dass auch Friederike Kempter die Rolle der Jenny mit einer jedes Klischee erfüllenden Jugendlichkeit gibt, Ältere-Herren-Erotik inklusive.
Was bleibt, sind Fledermaus-Füttern im Sonnenuntergang und beziehungsrelevante Gespräche an der Isar. Dass der Film dennoch keine 90-minütige Bruchlandung bietet, liegt allein am „Tatort“-Duo Nemec und Wachtveitl, die dank ihrer Präsenz dafür sorgen, dass er zumindest eine gewisse Höhe gewinnt.

Gegen die seichte Story kommen sie aber nicht an, und spätestens das ebenso vorhersehbare wie überzuckerte Happy-End dieses telegenen Flachseglers macht ihre Mühen zunichte. Warum sie sich in diese Tiefen schwingen mussten und was den Kultursender Arte bewog, dabei zu kooperieren, bleiben offene Fragen an diesem Fernsehabend.

(Veröffentlicht am 10. Juli 2007)

Keine Anleitung zur Interpretation der DDR

Donnerstag, 29. März 2007

Ein Buch zur Debatte: Wie weit darf Politik das kollektive Gedächtnis normieren?

Den Begriff „Geschichtspolitik“ hört Martin Sabrow nicht gern. Er verliert dann für einen Augenblick sein entspannt-distanziertes Lächeln. Der Historiker war Vorsitzender einer Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung zwischen 2005 und 2006 Vorschläge zur „Neuordnung der DDR-Erinnerungslandschaft“ erarbeitete. An der Arbeit und am Bericht entzündete sich eine aufgeregte Debatte, die in der medialen Wahrnehmung zeitweise zum „neuen Historikerstreit“ aufgebauscht wurde. Widerspruch entspann sich vor allem an der Forderung, dem DDR-Alltag im kollektiven Gedächtnis breiteren Raum zu gewähren. Damit öffne die Kommission einer „weichspülenden Diktaturverharmlosung“ Tür und Tor, so der Vorwurf. Ein Buch, das die Debatte dokumentiert, ist dieser Tage erschienen.
Es ist heiß und hoffnungslos überfüllt im Seminarraum des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) am Neuen Markt in Potsdam, als ZZF-Direktor Sabrow das Werk vorstellt. Und es wird schnell deutlich, dass sich die Kampflinien seit der Präsentation des Berichts im Sommer 2006, die knapp an einem Eklat vorbeischrammte, nicht wesentlich verändert haben. „Eine Expertenkommission, die über die Zukunft der Erinnerung bestimmt, das hatten wir doch schon“, ruft ein älterer Herr erregt, „ich hatte gehofft, diese leidvolle Erfahrung nicht erneut machen zu müssen.“ Martin Sabrow räumt ein, die DDR sei eine „Konsensdiktatur“ gewesen, verwahrt sich aber gegen den Kern des Vorwurfs. Erinnerungen entstünden unabhängig von Kommissionen, sagt er, und weil das zugleich den Zweck seines Gremiums in Frage stellt, fügt er hinzu: „Wir wollten nur die Richtung beeinflussen.“ So recht überzeugen mag das die wenigsten. Der Journalist und Historiker Peter Bender betont, das immer Geschichtspolitik herauskomme, wenn Politik sich mit Geschichte befasse. Das müsse nicht per se schlecht sein. Die Kommission habe weder die Diktatur noch den Widerstand relativiert und der Versuchung widerstanden, ein Schwarz-Weiß-Bild der DDR zu zeichnen. Bender bemängelt allerdings das völlige Fehlen der Außenpolitik im Bericht. „Das ist ein großes Manko. Vieles, was in der DDR geschah, wurde nicht im Politbüro, sondern in Moskau und Washington entschieden.“ Zudem sei die DDR nicht immer gleich gewesen: „Es ist ein verdammter Unterschied, ob wir über Ulbrichts Rasereien der 50er oder die autoritäre Langeweile der 80er Jahre reden.“
Als auch noch Reinhard Rürup, ehemals Direktor der Berliner „Topografie des Terrors“, anfügt, zeitgeschichtliche Forschung sei immer Geschichtspolitik, und wer das verleugne, sitze einer Illusion auf, springt Rainer Eckert auf. Der Leipziger Historiker war Kommissionsmitglied. Die gesamte Debatte gründe vom ersten Tag an auf einem für Deutschland symptomatischen Missverständnis, schimpft er: „Wir wollten keine Geschichte der DDR schreiben, keine Interpretationsanleitung.“ Vielmehr lautete der Auftrag, Empfehlungen an die Politik zu formulieren, wie Gedenkstätten und Gedenkpolitik zu organisieren seien. „Wir haben nie politisch argumentiert“, fügt er hinzu. „Als ob das einen großen Unterschied machte“, murmelt jemand im Plenum.
Indirekt hat Martin Sabrow die Schwierigkeiten da längst eingeräumt. Auf die Frage, ob in und mit Hilfe seiner Kommission Stellvertreter-Kriege der wichtigsten politischen Richtungen in Deutschland ausgefochten wurden, verstummt er kurz: „Nach langem Nachdenken muss ich sagen: ja!“

Erschienen am 29.03.2007 (Kultur)

Michas rotierende Welt

Montag, 22. Januar 2007

Ein Abend im „Waschomat“

Vorwäsche

Mit einem Klick rastet die Waschmaschinentür ein, der Finger verharrt über dem Startknopf. „Das würde ich nicht tun“, sagt Michael. „Wieso nicht? Ist beides schwarz, beides 30 Grad!“ Das muss ein furchtbar dummer Satz gewesen sein, denn Michael verdreht genervt die Augen. „Das fusselt“, sagt er schließlich, „Baumwolle und Kunstfaser zusammen, das fusselt.“

Es ist leer im Waschomat am Rande der Altstadt. Nur wenige der 18 Waschmaschinen mümmeln, von Neonlicht beschienen, die Unterwäsche, Gardinen, Handtücher ihrer Mieter durch. Außer Michael, 38, graue Hose, grauer Karo-Pulli mit weißem Hemd darunter, sitzt nur einer im Geschäft, vor drei riesigen Reisetaschen, und liest. „Das ist Sven, aber den brauchst du gar nicht ansprechen, der ist stumm wie ein Fisch“, sagt Michael. Aus seiner Verachtung macht er keinen Hehl. Sven, unrasiert und mit filzigen Haaren, hat offenbar den Inhalt der Taschen in drei große Maschinen gepresst und überbrückt die Zeit, indem er „Die Bedeutung des sozialen Abstiegs für die Identität“ liest. Nachdem die Erwähnung seines Namens ihn ohnehin unterbrochen hat, geht er zum Kaffeeautomaten und zieht sich einen Plastikkaffee.

Hauptwaschgang

Zwei quirlige Teenager betreten den Waschomaten mit einer Reisetasche, die sie gemeinsam tragen. Sie wirken uniform: Lange schwarze Haare, dick aufgetragene Schminke, enge Jeans. Und sie sind bester Laune. Kichernd und giggelnd räumen sie eine Maschine ein, zeigen sich ihre Kleidung. Michaels Stirn liegt in Dauerfalten. Er ist von dem Gespräch ausgeschlossen, da sie türkisch reden, und ihr Umgang mit der Wäsche behagt ihm auch nicht. Sven, vom plötzlichen Lärm aufgeschreckt, zieht sich noch einen Kaffee.

Die Tür spuckt einen älteren Herrn in den Waschsalon. Unsicher schaut er sich um, hinkt in die hinterste Ecke zu einer großen Maschine. Aus seinem abgewetzten, löchrigen Koffer stopft er unwillig, fast wütend die Trommel voll. Dann ist die Leibwäsche an der Reihe: Die Jacke mit dem fleckigen Kragen, die schmuddelige Cordhose, die statt eines Gürtels von einer Paketschnur gehalten wird, das Polohemd, dem die Knöpfe fehlen. Nur in einer Unterhose, die mal weiß gewesen sein muss, und in Strümpfen setzt er sich auf die Bank und schaut in eine Zeitung von letzter Woche. Die Teenager kichern etwas lauter und blicken den Alten ungeniert an. „Arme Sau!“ sagt Michael.

Als es dunkel wird, kommt Herr Yildeniz. Herr Yildeniz ist klein und ständig in Bewegung. An seiner viel zu dicken, goldenen Armbanduhr hängt ein Schlüsselbund. Herr Yildeniz sieht hier nach dem Rechten, hebt Taschentücher auf, wischt Waschmittelreste weg, füllt Automaten nach. Er hat einen schwäbisch-bayrisch-türkischen Akzent, das klingt putzig. „Hallo Yildrim!“, sagt Michael, als Herr Yildeniz unter seinen erhobenen Füßen die Flusen unter der Bank hervorfegt. „Du schon wieder!“, knurrt Herr Yildeniz auf schwäbisch-bayrisch-türkisch und fegt weiter.
Das Surren des Kaffeeautomaten verrät, dasss Sven nicht an seinem Platz ist.

Als Herr Yildeniz geht, macht sich Langeweile breit. Die Abendkundschaft ist durch. Der Alte schläft, die Mädchen rauchen vor der Tür. Sven liest, umringt von leeren Kaffeebechern. Michael starrt auf „Jumbo, die Waschmaschine mit dem großen Hunger (14 kg)“. Darüber steht ein Schild: „Bitte keine Pferdedecken in die Maschine!“ Was macht Michael eigentlich hier? Seine Wäsche – zwei Pullunder, drei Hemden – ist längst gewaschen, geschleudert, gemangelt und getrocknet sowie nach Farben, Funktionen und Schrankfächern sortiert. „Ich lerne hier, mich zu emanzipieren!“, sagt er. „Ein Mann muss irgendwann selbstständig werden. Schließlich bin ich bald 40. Zeit für eine Freundin.“ Sein Gesicht lässt nicht erkennen, ob das Ironie ist. Etwas verlegen streicht er seine akkurat sitzende Ewiger-Junggeselle-Frisur zurecht.

Schleudergang

Das ist der Moment, in dem Julia auftritt. Julia kommt nicht einfach herein, Julia erscheint. Trotz drei Grad Kälte trägt sie einen kurzen Rock und Lederstiefel mit Metallabsätzen, die auf den Fliesen laut klacken. Hinter der Tür hält sie kurz inne und mustert die Runde. Ihr Gesichtsausdruck wird verächtlich. Erhobenen Hauptes schreitet sie klappernd durch den Raum und hinterlässt dabei eine betäubende Duftspur. „Das ist wirklich mal ein kurzer Rock“, sagt Michael, der sich vorgebeut hat, um hinterherzuschauen. „Widerlich“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.
Selbstverständlich würde Julia hier niemandem ihren Namen verraten. Doch Julia telefoniert, während die Baby-Waschmaschine den Inhalt ihres blauen Jeans-Handtäschchens wäscht. „Hallo, Maja-Schatz, hier ist Julia“, sagt sie. Julias Welt scheint noch aus mehreren Schätzen zu bestehen, doch die Babymaschine läuft schnell durch. Julia stopft die nassen Sachen in ihre Handtasche und entschwebt, ohne jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen. Vor der Tür wartet ein Sportwagen, dessen gegelter Fahrer sie mit quietschenden Reifen davonträgt. „Ekelhaft!“, sagt Michael. Er sagt es so laut, dass der Neid deutlich hörbar wird.

Trocknen

Baumwolle und Kunstfaser sind im Trockner, die Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt. Die Mädchen haben ihre Wäsche abgeholt, der Alte schnarcht. Sven ist sauer, denn der Kaffeeautomat zeigt „Fehler“. Schweigendes Starren auf rotierende Wäschestücke. Ein neuer Kunde kommt mit zwei Teppichen, deren ursprüngliche Farbe unter Katzenhaaren nicht mehr zu erkennen ist, und müht sich redlich, sie in Jumbo zu stopfen. Michael springt entrüstet auf: „Hey, kannst Du nicht lesen?!“ „Halt einmal’s Maul, Micha, einmal! Und geh zu Mama!“, lautet die Antwort. Jetzt schaut sogar Sven auf – er grinst. Michael stapft wutentbrannt und ohne Gruß hinaus. Die Niederlage auf eigenem Boden nimmt er übel.
Der Trockner meldet, Kunstfaser und Baumwolle seien fertig. Sie haben gefusselt.

(Veröffentlicht am 22. Januar 2007)


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