Wortlos verstehen

Soziales: Wege aus der akustischen Isolation / In Falkensee belegen Hörende einen Gebärdenkurs

Sie hören gut. Sie können auch sprechen. Dennoch erlernen jetzt in Falkensee 14 Männer und Frauen die Gebärdensprache, mit der sich Taube und Stumme verständigen.

FALKENSEE Es wird geschnattert an diesem Nachmittag, dass es eine wahre Freude ist. Mehr als ein Dutzend Leute unterhalten sich paarweise: Sie verabreden sich zum Kino, zum Schwimmen, zum Grillen. Trotzdem fällt kein einziger Ton im Raum. Es ist so still, dass der Lärm Fußball spielender Kinder, der durchs angeklappte Fenster fällt, deutlich hörbar wird. Denn die, die sich hier verabreden, tun das mit Gesten statt mit Worten:

Die 14 Teilnehmer eines Gebärdensprachkurses sind an diesem Nachmittag ins ASB-Kulturhaus Falkensee gekommen. Keiner von ihnen wäre auf die Handzeichen und das stumme, überdeutliche Worteformen mit den Lippen angewiesen, denn alle können hören und sprechen – bis auf den Kursleiter. Doch sie zahlen dafür, in zehn Sitzungen die Grundlagen der Gebärdensprache von Thomas Zander zu erlernen.

Die Motive sind unterschiedlich: Da ist ein Ehepaar – sie lebenslustig und laut, er verhalten und manchmal etwas irritiert: Das Hörvermögen des Mannes lässt stetig nach. Sollte er ertauben, soll die Kommunikation in der Familie weitergehen. „Da ist es leichter, ich lerne die Gesten, solange ich noch hören kann“, sagt der Mann.

Eileen ist gekommen, weil sie eine Ausbildung zur Heilpädagogin macht und möglicherweise mit Tauben oder Taubstummen arbeiten wird. Einige nehmen aus purem Interesse teil, eine Frau will einfach nur „eine ungewöhnliche neue Sprache lernen“, eine andere hat ein gehörloses Kind, mit dem sie sich besser verständigen möchte.

Tina ist hochgradig schwerhörig und zugleich Physiotherapeutin: Sie will sich selbst gegen das Schlimmste wappnen und zugleich auf taube oder schwerhörige Patienten besser eingehen können.

Und dann ist da Carola Szymanowicz, engagierte Streiterin für die Belange aller Schwerhörigen im Havelland, Leiterin der Selbsthilfegruppe „Kommunikation ohne Barrieren“, selbst fast ohne Gehör. Carola Szymanowicz beherrscht die hohe Kunst, Leid in Aktivität zu wandeln: Sie hat diesen ersten Kurs in Gebärdensprache für Hörende angeregt, beim ASB kostenlos einen Raum dafür bekommen, Teilnehmer aufgetrieben, den Dozenten engagiert, die Selbsthilfegruppe gegründet. Und sie plant weiter: einen Gebärdenklatsch, ein Sommerfest, einen Grillabend und eine Anlaufstelle für Gehörlose im Kreis. „Wir müssen Gehörlose aus der Isolation herausholen, der Machtlosigkeit entkommen“, sagt sie, „denn die zwischenmenschlichen Beziehungen gehen sonst verloren.“

Das ist schwer vorstellbar an diesem Nachmittag, wo sich alle ohne gesprochene Worte blendend verstehen, Spaß haben, lachen, Verabredungen treffen. Aber genau das ist es, was Carola Szymanowicz meint: Man braucht keine Rede, um eingebunden zu sein, Gebärden genügen. Nur ohne Kommunikation droht die Vereinzelung.

Dass es so munter zugeht im Kurs ist vor allem Thomas Zander zu verdanken. Der selbstständige Gebärdensprachdozent ist zugleich Geschäftsführer der Berliner Gebärdensprachschule „Visual Hands“ und seit 17 Jahren als Dozent unterwegs. Im Nebenjob arbeitet er als Pantomime-Clown – eine Aufgabe, die er von der des Sprachlehrers kaum trennen muss: Egal, was Zander tut, er tut es unglaublich beredt, spricht mit jeder Geste und mit jedem Zucken seines Gesichts, Humor kommt nie zu kurz.

In dieser Woche steht das Thema „Verabreden“ auf dem Stundenplan. Lektion 1: Die zeitliche Dimension. Zukunft sind Gesten, die vom Sprecher nach vorn wegweisen, Vergangenheit weist nach hinten. Zander muss nicht viel erklären: Das Prinzip verstehen alle sofort. Gegenwart zeigt nach unten: Hier stehe ich. Jetzt! Wochentage haben definierte Zeichen, die es zu lernen gilt. Uhrzeiten werden mit Fingern gezeigt, die nach vorn gekippte Hand bedeutet nachmittags, die nach hinten gekippte: vormittags.

Lektion 2: Der Ort. Gebäude werden mit zwei Händen als Dach geformt, andere Orte langsam ausgesprochen, schlimmstenfalls buchstabiert. Orte sind eben abstrakt.

Leichter wird es in Lektion 3: Was tun wir? Schwimmen, Grillen, Wandern lässt sich gut gestikulieren, Kino durch eine angedeutete Leinwand auch noch. Spätestens beim Einigen auf einen Filmtitel muss dann aber doch zum Buchstabieren übergegangen werden. „Keinohrhasen“ lässt sich zwar mit zugehaltenen Ohren und mümmelndem Mund verdeutlichen, aber das ist eher ein guter Gag für die Runde als eine pragmatische Lösung.

So verstreicht der Kurs im Nu, und nach einem enthusiastischen Winken ist Thomas Zander verschwunden. Nun wieder ihre Münder benutzend, verlässt die Gruppe fröhlich schnatternd den Raum. Carola Szymanowicz ist es zufrieden. Sie ist ihrem großen Ziel an diesem Tag etwas näher gekommen: Gehörlose in die Gesellschaft zu inkludieren, statt sie nur zu integrieren. Inklusion heißt für sie: keinen Unterschied machen. „Bei Integration entscheiden andere über uns. Das haben wir satt“, sagt sie.

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