2010 – was kommt!

Satire: Freiland wird besetzt, die Uferwege befreit und der Bahnhof verschwindet im Pflasterhagel

Unter dem Titel „Was bleibt“ glossiert die MAZ die Themen der Woche. Zum Jahreswechsel wagen wir einen nicht wirklich ernsten Blick voraus: Was kommt?

Das neue Jahr beginnt mit der Besetzung des „Freiland“-Geländes an der Friedrich-Engels-Straße durch seine künftigen Nutzer: zum einen, weil die Stadt mit dem Projekt über allem Workshoppen nicht in die Puschen kommt, zum anderen, weil das Besetzen soziokultureller Usus ist. Quasi eine Form von Traditionspflege, auch wenn die Vokabel „Tradition“ bei autonomen Selbstverwaltern nicht wohlgelitten ist. Was wäre schon ein „Freiland“, wenn es von der Stadt legal zur Verfügung gestellt würde? Ein Unfreiland, eine Manifestation obrigkeitsstaatlicher Gewalt, eine verordnete Gummizelle zum Austoben, damit die Soziokultur den Mainstream unbehelligt lasse – kurzum: eine Frechheit. Also besetzen!
Mit einer Tradition bricht hingegen der Schlaatz: Der Integrationsgarten brennt diesmal Silvester nicht ab, was für dessen Nutzer und die Polizei eine hervorragende, für Lokalpolitik und -presse aber eine schwierige Neuigkeit ist: In der nachrichtenarmen Zeit nach Neujahr bleiben daher einige Zeitungsspalten und Sendeminuten ungefüllt, und auch die rituellen Betroffenheitsbesuche der Politik vor Ort müssen ausfallen.
Doch das Jahr kommt auch so in Gang. Baubeigeordneter Matthias Klipp kann getrost auf den Einkauf einer Jahresration Shampoo verzichten, da ihm der Oberbürgermeister ohnehin regelmäßig den Kopf wäscht – spätestens, wenn der grüne Klipp Potsdam komplett zum verkehrsberuhigten Bereich erklärt (Februar), die Humboldtbrücke nur noch für Radfahrer zulässt (März) und die Tiefgaragen abreißen lässt (April bis Dezember). Flankiert wird er von „Mitteschön“, die den neuen Gestaltungsrat feindlich übernehmen und jeden B-Plan, in dem die Worte „Rekonstruktion“, „Knobelsdorff“, „Barock“ und „sklavisch genau“ vergessen wurden, von vornherein unter größtmöglicher Öffentlichkeitswirksamkeit ablehnen. Der Bauausschuss fühlt sich daraufhin ein wenig überflüssig, was eine leise Depressivität zur Folge hat: Erstmals seit der Wende werden einzelne Vorlagen nach nur 30-minütiger Debatte ohne große Änderungen zum Beschluss empfohlen. In der Alten Mitte legt Klipp zudem ein Tempo vor, dem der Ausschuss ohnehin nicht folgen kann.
Auch der leidige Pflasterstreit erledigt sich von selbst: Es gibt bald keines mehr, weil sich die Freiland-Besetzer der Steine als Wurfgeschosse bedienen, da ihrer Besetzung zu wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Sie bewerfen den nahe gelegenen Bahnhof mit seinem toten S-Bahngleis und das daneben entstehende Wohngebiet. Die Empörung ist jedoch gering, da beides ohnehin als städtebauliche Katastrophe gilt und viele Potsdamer heimlich sympathisieren.
Dank des heimlich angesammelten Überschusses im Haushalt, den Bürgermeister Burkhard Exner nach hochnotpeinlicher Befragung auf zirka 73 Millionen Euro schätzt, lassen sich die Griebnitzsee-Grundstücke vom Bund kaufen, die Sperranrainer knicken ein vor der Gewalt eines fehlerfreien B-Plan-Entwurfs und der ganze Uferweg ist nun wieder von Spaziergängern besetzt.
Und sonst? Ach ja, die Oberbürgermeisterwahl. Sie geht diesmal ausnahmsweise knapp aus. Dem Linken-Kandidaten Hans-Jürgen Scharfenberg fehlt am Ende exakt eine Stimme, um Amtsinhaber Jann Jakobs zu schlagen. Es ist die seines Noch-Immer-Partei- und Ex-Fraktionsgenossen Pete Heuer. Alternativ hätte es auch genügt, wenn jemand von den Freiland-Besetzern zur Wahl gegangen wäre. Doch die waren ja mit Schmollen ausgelastet.

Erschienen am 31.12.2009

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