Verbotsrepublik

Jan Bosschaart über den Wert der schieren Möglichkeit, ein Bier am Bahnhof zu trinken

Wie oft dürfte es dem Durchschnittspotsdamer passieren, dass er, ein Bier trinkend, über den Bahnhofsvorplatz schlendert? Selten. Und trotzdem hinterlässt der jüngste Vorstoß, dort mit einem Alkoholverbot für Gesetz und Ordnung zu sorgen, ein ungutes Gefühl. Ja, pöbelnde, betrunkene Horden sind unangenehm, und ebenso sind es die Scherben und erst recht die organischen Reste der Zechgelage. Und sicher würden die meisten Menschen nie von diesem Verbot beeinträchtigt, da ja der Bahnhofsvorplatz auch nicht eben das hat, was Städteplaner gern eine „Aufenthaltsqualität“ nennen, so dass man gern dort den Sonnenuntergang beim Feierabendbier genösse. Diese Qualität bekäme er auch nicht, wenn dort niemand mehr tränke. Trotzdem ist das angepeilte Verbot einer jener phantasielosen Vorstöße, die geneigt sind, die Verbotsrepublik Deutschland ein kleines Stück weiter zu zementieren. Sollte also doch einmal jener unwahrscheinliche Fall eintreten, dass den Durchschnittreisenden der unwiderstehliche Drang nach einem Bier überfiele, dann hinterließe die sofort einschreitende Ordnungsmacht einen Nachgeschmack, gegen den eine Bierpfütze vom Vorabend wie Veilchen duftet. Ob ihm dieses Stück persönlicher Freiheit wichtiger ist als ein entpöbelter, sauberer Vorplatz, muss freilich jeder für sich entscheiden.

Erschienen am 01.06.2010

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