Die Langzeiturlauber am Trabbi-Weg

Am Gaisberg campen manche schon seit 40 Jahren – verordnete fröhliche Ostalgie ist ihre Sache aber nicht

PIRSCHHEIDE Die Zuwegung beginnt ganz harmlos als „Eichenallee“. In ihrem Verlauf scheinen die Buchstaben ein wenig durcheinander zu geraten, denn plötzlich steht da: „Erich-Allee“. Ein Versehen scheidet aus, denn neben dem Schriftzug prangt das gewohnt grimmige Konterfei des Staatsratsvorsitzenden.
Es ist nicht die einzige Reminiszenz an die DDR im Campingpark Sanssouci-Gaisberg in der Pirschheide. Während in der Landeshaupstadt längst die Wilhelm-Pieck-Straße zur Charlottenstraße wurde, drängen sich zwischen Elster- und Drosselweg, zwischen Wildschweinwiese und Storchenufer die „DDR-Promenade“, der „Trabbi-Weg“ und der „Sandmännchen-Pfad“. „Es wäre doch albern, unsere Vergangenheit zu leugnen“, sagt Dieter Lübberding, der zur Betreiberfamilie gehört. Die kommt aus Niedersachsen. Das gilt als kleiner Schönheitsfehler unter den Dauercampern, wie auch der Umstand, dass Lübberding demonstrativ mit einem gelben Trabi-Kübel durch Potsdam und Umgebung kurvt – mit einem, den ein CLP-Kennzeichen ziert. CLP wie Cloppenburg.
Dieter Lübberding ist in dieser Hinsicht schmerzfrei: Er parkt den Gelben gut sichtbar am Eingangstor, auf einer extra gezimmerten Plattform. Für ihn ist das eine Form des Marketings. Vielen Gästen sei die DDR-Geschichte doch gar nicht gegenwärtig, oft werde er gefragt, ob Potsdam im Osten gelegen habe. „Wir müssen uns hier mit unserer Ost-Vita doch nicht verstecken“, sagt er.
Sein Campingpark gehört zu den besten in Deutschland – von Branchenführern und vom ADAC wird er regelmäßig mit den höchsten Auszeichnungen bedacht. Weil er wunderschön gelegen ist, weil die Betreiberfamilie mehr als rührig ist und weil auf jedes Detail geachtet wird. „Klein aber fein“ und „Urlaub ohne Sorgen“ sind die Firmenmantras, die Dieter Lübberding nicht nur unermüdlich wiederholt, sondern seit Übernahme des Platzes 1991 auch ebenso unermüdlich umsetzt. Über den Herrentoiletten, die es in drei Größen S, M und L für verschiedene Wuchshöhen gibt, wachen Friedrich der Große und Kaiser Wilhelm I., die Damen müssen unter Augusta von Sachsen oder Sophie-Luise von Mecklenburg-Schwerin hindurch, um sich zu erleichtern. Der Platz heißt nunmal königlicher Campingpark Sanssouci, und Adel verpflichtet.
Trotzdem ist es ein typischer Campingplatz, und ein typisch deutscher dazu. Von den ausländischen Gästen – Holländer und Dänen kommen besonders gern – werden etwa die allgegenwärtigen Verbotsschilder stets mit einer Mischung aus Amüsiertheit und Verärgerung quittiert: Surfbretter verboten. Eltern haften für ihre Kinder. Keine Tiere füttern. Kinder unter 7 Jahren nicht allein aufs Klo. Kein Lärm vor 8 Uhr, kein Lärm nach 22 Uhr, kein Lärm zwischen 13 und 15 Uhr. Keine Besucher ohne Anmeldung. Keine Wasserentnahme aus dem Sanitärtrakt.
Der Platz ist gepflegt. Sehr gepflegt. Der englische Rasen zwischen den Dauercampern erstrahlt in fast unnatürlichem Grün, die Halme sind exakt gestutzt. Nur selten verunziert ein gelbes Blatt die reine Fläche. Dieser Tage kommt selbst der emsigste Laubfeger nicht hinterher. Es ist eine idyllische und – doch, ja – streckenweise auch ziemlich spießige Parallelwelt an den Toren der Landeshauptstadt.
Christel Herbst versucht es trotzdem. Die 67-Jährige hat den Besen fest in der Hand und ficht entschlossen ihren Kampf gegen das Laub. „Wer einen Tag aussetzt, hat verloren“, sagt sie und betont, dass daher wenig Zeit für weitere Fragen bliebe. Seit 1971 residiert die Dauercamperin auf einem der privilegierten Plätze ganz vorn am Ufer des Templiner Sees – mit dem vollen Programm: Wohnwagen, Vorzelt, Pavillon, umzäunte Fläche, Blumenkästen, Sat-Schüssel. Der Wohnwagen ist längst fest mit dem märkischen Boden verwachsen. Ihr Sohn nebst Frau hat den Platz rechts dahinter, die Enkelin nebst Urenkelin links daneben. Von Ende März bis Anfang November lebt Christel Herbst dort, in der „Übergangszeit dazwischen“ muss sie in ihre Stadtwohnung auf dem Kiewitt.
150 solcher Dauercamper gab es zu DDR-Zeiten auf dem Platz, nach der Wende hat sich die Schar der Alteingesessenen auf unter 50 reduziert, erzählt sie. Sie sagt es so nachdrücklich, dass es unmöglich ist, das Bedauern in ihrer Stimme zu überhören. Ob ihr daher auch Erich-Allee und Trabbi-Weg gefallen? Christel Herbst hält mit dem Kehren inne. „Ach das“, sagt sie und stellt den Besen weg, „das hat sich der Lübberding letztes Jahr einfallen lassen.“ Sie tippt mit der nun freien Hand an die Stirn, sieht sich um und senkt die Stimme: „Der hat von der DDR doch keine Ahnung. Für den ist das Spaß. Wir aber kennen den Unterschied noch – auch preislich.“ Drei Preiserhöhungen habe es seit der Wende schon gegeben, und dreimal Umziehen habe sie auch müssen, als der Platz umstrukturiert wurde. Umziehen, das kommt für Dauercamper offenbar einer Vertreibung aus dem Paradies gleich.
Dass sie für ihr Geld auf einem der besten Campingplätze residiert, ist Christel Herbst ziemlich gleich: „Ich brauche nur den See und die Bäume. Tolle Duschen, Toiletten, Küche und Restaurant nutze ich nicht. Wir sind Selbstversorger.“ Entsprechend kritisch sieht sie das Streben nach beständiger Verbesserung. „Wir heißen nicht mehr Dauercamper, sondern Langzeiturlauber, haben die beschlossen – so’n Quatsch!“ Mit den Urlaubern pflegt sie wenig Kontakt – „die neiden uns meist unsere Plätze“.
Dass es am Ende doch noch ein bisschen wie DDR ist, merkt an diesem Tag allgemeiner Abreise ein Autofahrer, der hoffte, über das Gelände des Campingparks den Weg zum Gaisberg abzukürzen: Gegen Besuchergebühr kommt er zwar rein, wegen eines Eisengitters am anderen Ende aber nicht wieder heraus.

Erschienen am 20.10.2007

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