Filzer, Färber, Fellhändler

Böhmischer Weihnachtsmarkt lockt mit rustikal-mittelalterlicher Atmosphäre / Schon am ersten Abend überrannt

BABELSBERG Angelina wartet nicht auf den Weihnachtsmann. Angelina wartet auf Timo. An den Glühwein-Stand gelehnt, schafft sie das Kunststück, zugleich gelangweilt und genervt auszusehen. Ihrer Freundin gelingt das nicht, obwohl sie redlich versucht, sich Angelina in Kleidung, Haltung und Frisur anzugleichen. Von der Eröffnung des Böhmischen Weihnachtsmarktes um sie herum nehmen die beiden 15-Jährigen nur insofern Notiz, als er ihnen als Bühne dient. Gesehen werden lautet das Motto.
Gehört werden wollen hingegen die vier Tschechen des Ambrosia-Quartetts, die mit zwei Flöten und zwei Trommeln auf der Bühne musizieren. Doch auch das ist schwer: Während die Herren mit ihren Schlaginstrumenten noch zu vernehmen sind, flöten die Damen hilflos gegen den Marktlärm an, gegen Musik aus den Buden und die Gespräche der Besucher. Ihr „Stille Nacht“ verpufft ungehört.
Es ist Freitagabend, kurz vor 18 Uhr, das heißt: kurz vor Stollenanschnitt, und der Markt, der in diesem Jahr erstmals schon am Freitag beginnt, ist rappelvoll mit gut gelaunten Potsdamern, die sich dick eingepackt zwischen 108 Ständen entlangschieben. Bis auf Angelina und ihre Freundin. Die sind bauchfrei erschienen. Das Thermometer an der Glühweinbude, die ihnen als Stütze gilt, zeigt 5 Grad. Von Timo keine Spur. „Der ist bestimmt auf der Brandenburger“, schlägt die Freundin vor, „der Markt ist eh cooler. Mehr Läden da und so.“
Was die Läden angeht, hat sie nicht unrecht: Während auf der Flaniermeile sich Imbissbude an Imbissbude reiht, setzt der Böhmische Weihnachtsmarkt auf traditionelles Handwerk: Schmiede und Sternenfalter, Filzer und Färber, Märchenerzähler und Maroni-Kocher, Kerzenziehen und Kettenfädeln, Fellhändler, Wahrsager, Handleser und Lebkuchenbäcker haben ihre Buden aufgeschlagen.
Auf die Bühne kommt Bewegung: Oberbürgermeister Jann Jakobs ist eingetroffen und freut sich ins Mikrofon, dass sein Wunsch nach drei Tagen Böhmischer Weihnachtsmarkt erhört wurde. Nicht immer würden seine Wünsche so schnell umgesetzt, sagt er. Burkhard Baese, Sprecher der AG Babelsberg, die den Markt quasi erfunden hat, freut sich hingegen darüber, dass der Markt im Weberviertel zwischen all den alten Handwerkerhäusern immer niveauvoller und atmosphärischer wird und es auch mit dem arg hochgejubelten Berliner Pendant am Schloss Charlottenburg aufnehmen kann. Den hat sich Baese diese Woche mal angesehen – zu Vergleichszwecken. Sein Fazit: „Der hat nicht diese Atmosphäre.“ Baese freut sich auch, dass immer mehr Babelsberger sich einbringen, dass das Kulturhaus das Programm auf der Bühne gestaltet, dass mit Simone Kabst zum ersten Mal eine „böhmische Kristallfee“ zu sehen ist und dass der Markt schon am ersten Abend so überrannt ist, dass einige Händler sich ärgern, den Aufbau ihrer Stände auf Sonnabend verschoben zu haben. „Jedes Jahr ein Stückchen besser“, sagt er.
Nur Angelina, die freut sich nicht. Timo ist immer noch nicht da, und die restlichen Besucher haben mehr Augen für den korpulenten Weihnachtsmann als für sie. Sie wechselt den Standort: Ab in die Brandenburger.

Erschienen am 01.12.2007

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