Noch eine Kapitulation

Das Frankfurter Scheidungs-Urteil und die Leitkultur-Debatte

Von HENRY LOHMAR
und JAN BOSSCHAART

POTSDAM Henryk M. Broder ergeht sich in Sarkasmus. „Was sich noch nicht herumgesprochen hat: Ich habe diese Frau bezahlt“, sagt der Berliner Publizist über die Familienrichterin aus Frankfurt/Main, die Gewalt in einer muslimischen Ehe gerechtfertigt hat. In der Tat: Der am Mittwoch bekannt gewordene Fall passt wunderbar zu Broders These, wonach der Westen in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus sein Heil zunehmend im Appeasement, in der vorauseilenden Selbstaufgabe, sucht. „Hurra, wir kapitulieren“, hat „Spiegel“-Autor Broder sein jüngstes Buch genannt, in dem er sich mit diesem Phänomen beschäftigt.
Die Frankfurter Richterin hatte die vorzeitige Scheidung einer Muslimin von ihrem Mann, der sie geschlagen haben soll, abgelehnt und festgelegt, dass es „keine unzumutbare Härte“ sei, das Trennungsjahr abzuwarten. Sie berief sich dabei auf eine Sure des Korans und argumentierte, im marokkanischen Kulturkreis des Paares sei das Züchtigungsrecht des Mannes gegenüber seiner Frau nicht unüblich (MAZ berichtete). Die Frau, eine Deutsche marokkanischer Abstammung, wollte eine schnelle Scheidung mit der Begründung, ihr Mann habe sie geschlagen. Sie lehnte die Richterin schließlich als befangen ab, ein anderer Richter gab diesem Antrag am Mittwoch statt.
Der Fall hat bundesweit für große Aufregung gesorgt und eine neue Debatte über westliche Leitkultur und die Wehrhaftigkeit des demokratischen Rechtsstaats ausgelöst. Eine vernünftige Erklärung aber, wie eine deutsche Richterin auf die Idee kommen kann, den Koran quasi über das Grundgesetz zu stellen, hat keiner. Ein Einzelfall? Keinesfalls, sagt Henryk M. Broder. Es komme immer wieder vor, „dass Leuten ihr kultureller Hintergrund als mildernder Umstand angerechnet wird.“ Bekannteste Beispiele aus jüngster Zeit sind wohl der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen und, in dessen Gefolge, die Absetzung der Berliner „Idomeneo“-Inszenierung. In der Interpretation des Mozart-Stücks war ein abgeschlagener Mohammed-Kopf auf der Bühne gezeigt worden.
Aber auch aus der Justiz gibt es Beispiele. So hatte ein Urteil des Potsdamer Landgerichts gegen das ZDF im vergangenen Mai für Unverständnis gesorgt. Die Richter untersagten dem Sender, einen früheren Imam der Berliner Mevlana-Moschee „Hassprediger“ zu nennen. Das ZDF-Magazin „Frontal21“ hatte über den Imam berichtet und ihn im Frühjahr 2005 auf der Internetseite ZDF-Online als „Hassprediger“ bezeichnet, der unter anderem Deutsche als „stinkende Ungläubige“ tituliert habe, die in die Hölle kämen. In der Urteilsbegründung hieß es, der Begriff „Hassprediger“ sei keine reine Meinungsäußerung, sondern enthalte den Vorwurf einer strafbaren Aussage.
Die Begründung der Frankfurter Familienrichterin wurde gestern einhellig zurückgewiesen. Der Zentralrat der Muslime bezeichnete das Verhalten als „skandalös und auch rassistisch“, die Frauenrechtlerin Seyran Ates warf der Richterin gar Menschenverachtung vor. „Gewalt darf mit nichts gerechtfertigt werden. Die Richterin sollte schleunigst suspendiert werden“, forderte der Bundesvorsitzende der türkischen Vereinigung, Kenan Kolat. Frauenrechtlerin Alice Schwarzer beklagte auf Spiegel Online „eine Unterwanderung des deutschen Rechtssystems durch islamische Kräfte im Namen eines anderen Kulturkreises“.
Interessant ist nun, was aus der Frankfurter Familienrichterin wird. Disziplinarische Konsequenzen seien abwegig, sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Jürgen Lünemann. Er bezeichnete den Fall aber als „klare Fehlentscheidung.“ Autor Broder hat eine andere Idee: „Ich wünsche dieser Frau, dass sie in einen saudi-arabischen Harem verheiratet wird. Dann hätte sie die Praxis zu ihrer Theorie.“

Erschienen am 23.03.2007

Hinterlasse eine Antwort

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu erstellen.


%d Bloggern gefällt das: