Rechenfehler an der Alten Fahrt

Rechnungsprüfer: Grundstücke nicht korrekt vergeben / Unterlegene haben Recht auf Schadensersatz

Drei von acht Grundstücken hätten andere Eigentümer, wenn so gerechnet worden wäre, wie es die Ausschreibung suggerierte.

Ein systematischer Fehler in der Bewertung der Angebote für Neubauten an der Alten Fahrt stellt das Ergebnis des aufwändigen, zweistufigen Wettbewerbs infrage. Nach Auffassung des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), der Gerichte und einiger Bieter haben die Stadt und der mit dem Wettbewerb befasste Sanierungsträger durchgehend falsch gerechnet, als es um Barberini, Chiericati, Pompeji und Nachbarn ging. Trifft das zu, dann sind drei Grundstücke falsch vergeben worden: Das Eckgrundstück Humboldtstraße 1–2 hätte statt vom niederländischen Konzern „Kondor Wessels“ vom Elmshorner Unternehmer Semmelhaack erworben werden können, die Brauerstraße 3 wäre an die Firma Elpro statt der Complan gegangen und die Brauerstraße 2 an die Bietergemeinschaft Seisreiner/Malik statt an die Lelbach-Stiftung. Bei den anderen Grundstücken ändert die Rechenart den Gewinner nicht.
Das Problem liegt in der Bewertung des Kaufpreises. Laut Ausschreibung erhielt der Bieter mit dem höchsten Gebot fünf Punkte, der mit dem niedrigsten Gebot null. „Die Punkte der dazwischen liegenden Gebote werden durch lineare Interpolation ermittelt“, heißt es in der Ausschreibung. Demnach hätte, wenn es drei Bieter gäbe, und diese eine, zwei und drei Millionen geboten hätten, Folgendes passieren müssen: Der schlechteste Bieter (eine Million) hätte null Punkte bekommen, der beste (drei Millionen) fünf Punkte und der mittlere (zwei Millionen) 2,5 Punkte. Stattdessen ließ die Stadt aber so rechnen, als hätte der schlechteste Bieter auch null Euro geboten – was die Reihenfolge durcheinander wirbelt. Dadurch sind die Gebote „deutlich breiter gespreizt“, argumentierte Volker Theobald, Leiter des Team „Recht“ beim Sanierungsträger gegenüber dem RPA. „Wir sind trotzdem absolut von der Fehlerhaftigkeit überzeugt“, schrieb Rechnungsprüfungsamts-Chef Christian Erdmann an den Oberbürgermeister – mit Verweis auf die anders lautende Ausschreibung. „Um die Fehlerhaftigkeit zu erkennen, bedarf es keines großen mathematischen Sachverstandes“, fügte Erdmann noch an.
Das schlug hohe Wellen in der Verwaltung. Baudezernent Matthias Klipp war so erbost, dass er die Kündigung der Antikorruptionsbeauftragten Petra Rademacher forderte, die den Fehler zuerst bemerkt hatte, sagen RPA-Mitarbeiter. Deren Chef Christian Erdmann verwahrte sich dagegen. Unterdessen ließ der Sanierungsträger öffentlich erklären: „Rechenfehler gab es nicht! Das Verfahren wurde von Seiten der Antikorruptionsbeauftragten und der Ombudsfrau durchleuchtet und es wurde nichts zu Beanstandendes festgestellt“.
Unterdessen haben die unterlegenen Bieter bereits den Weg zu den Gerichten gesucht. Eine Bietergemeinschaft zog vors Landgericht, um wegen der Rechenfehler zu verhindern, dass mit dem vermeintlichen Gewinner ein Kaufvertrag geschlossen wird. Das Gericht bestritt zwar den Anspruch auf einen Kaufvertrag, wies aber darauf hin, dass die Unterlegenen wegen der Rechenfehler Schadenersatz bekämen müssten. Ähnlich äußerte sich das Oberlandesgericht. Zwar würden andere Gerichte in solchen Fällen durchaus die Stadt gezwungen haben, die Verträge zu lösen und neu zu vergeben, doch sehe sich das OLG außerstande, wegen einer Regelungslücke im Gesetz das Recht selbst fortzuentwickeln. Stattdessen sei der Gesetzgeber gefordert. Schadenersatz stehe den Parteien zu. Die „Elpro“ prüft indes noch weitere rechtliche Mittel, Semmelhaack wollte sich „derzeit“ noch nicht zu weiteren Schritten äußern.
Die Stadtverordneten hatten die Verträge übrigens in Kenntnis der Bedenken beschlossen. Oppositions-Chef Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) sagte, es sei Sache der Gerichte, nicht der Politik, diese Fragen zu klären.

Erschienen am 27.03.2012

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