Goldene Nasen und die Zauberkröte

Ausblick: Ein Blick in die redaktionelle Glaskugel zeigt die Potsdamer Höhepunkte des Jahres 2012

Unter dem Titel „Was bleibt“ glossiert die MAZ die Themen der Woche. Zum Jahreswechsel wagen wir einen nicht wirklich ernsten Blick voraus: Was kommt?

Im Januar verleiht die Bundesvereinigung der Rechtsanwälte und Gutachter der Stadt den Ehrenpreis „Goldene Nase“ für die überdurchschnittliche Förderung des Berufsstandes. „Mit teuren Rechtsgutachten, um die sich am Ende keiner schert, hat sich die Stadt in ungewöhnlicher Weise um das Gutachterwesen verdient gemacht“, heißt es zur Begründung. Herausgehoben werden der Blanko-Auftrag an einen Berliner Rechtsanwalt in der Transparenzkommission, der zur Überraschung aller sechsstellige Kosten verursacht hat, sowie Gutachten zu Straßenreinigung, Bäderstandorten, der Renitenz von Stadtverordneten und zur Verwendung von Gutachten im Stadthaus.
Im März rutscht Baudezernent Matthias Klipp mit dem Fahrrad auf nassem Pflaster in der Zimmerstraße aus und stürzt so unglücklich, dass ein alter Bandscheibenvorfall wieder akut wird. Beim Versuch, ihn in die Notaufnahme des Josephs-Krankenhauses zu fahren, wird der Rettungswagen so durchgeschüttelt, dass Klipps Schmerzensschrei bis zur nahe gelegenen Schlösserstiftung dringt, wo Kustodin und Grünen-Parteikollegin Saskia Hüneke am Schreibtisch zusammenzuckt. Sie erklärt sich sofort bereit, Klipp während der fünfeinhalbjährigen Krankschreibung zu vertreten. Als erste Amtshandlung lässt sie die Nutheschnellstraße pflastern.
Im Mai stellt ein Gericht fest, dass die Streichung der Abfindung für Ex-Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen rechtswidrig war. Die Stadt muss 1,4 Millionen Euro zahlen. Damit bleibt Paffhausens angedrohte Öffnung seines Giftschrankes aus. Durch den kollektiven Erleichterungsseufzer an der Spitze kommunaler Unternehmen und des Rathauses kommt es zu einem kleinen Frühjahrssturm, der aber nur ein paar Dachziegel vom Stadthaus fegt. Tags darauf erklären Mitglieder des Stadtwerke-Aufsichtsrates anonym in der Bild-Zeitung, sie hätten das schon immer so gesehen, sich aber nicht getraut, etwas zu sagen, weil Bürgermeister Exner so böse geguckt und gedroht habe, sie nicht mehr zu grüßen.
Im Juli vertäut die Stadtfraktion der Grünen am Ufer der Schiffbauergasse eine zwei mal drei Meter große Seebühne für eine umweltverträgliche Version der „Zauberkröte“. Die künstlerische Leitung übernimmt Saskia Hüneke. Sie lässt zunächst die Bühne pflastern. Sämtliche Hauptrollen bekommt der Stadtverordnete Andreas Menzel, bis auf jene der leicht nörgeligen Witzfigur Papageno. Das bekomme er einfach nicht hin, sagt Menzel.
Im August ermöglicht es eine Sozialgesetznovelle, dass die Teilnahme am städtischen Bauausschuss Ansprüche auf Schmerzensgeld begründet. Eine Art Goldgräberstimmung bricht aus. Mangels Training gelingt es den Bürgern aber nicht, länger als zwei Stunden auszuharren – letzte Standhafte verlassen schreiend den Saal, als nach dreistündiger Debatte zum ersten der 18 Tagesordnungspunkte ein sachkundiger Einwohner seine Rede mit den Worten „Das ist jetzt nicht unmittelbar zum Thema, aber ich möchte noch anfügen, dass…“ einleitet.
Im November entspringt eine neue Debatte um das fast fertige Stadtschloss. Jemandem von „Mitteschön“ ist aufgefallen, dass an den historisch korrekten Holztüren mit den historisch korrekten Türbeschlägen der kleine Schieber, der das Schlüsselloch verdeckt, vom Schlossarchitekten Peter Kulka heimlich ausgetauscht wurde: Statt eines barock ziselierten Blättchens aus getriebenem Eisen ist ein silbrig glänzendes Aluminiumstück verarbeitet. Die mediale Empörung erreicht binnen weniger Tage vorrevolutionäre Ausmaße. Kulka will sich vom historisch korrekten Kupferdach stürzen, dass jedoch wegen der historisch korrekten Dachneigung nicht genug Schwung gibt, so dass er unverletzt auf dem ersten Fensterbrett zu liegen kommt – da es in den historischen Maßen gefertigt wurde, ist es breit genug, den Architekten aufzufangen. Weinend gibt Kulka ein letztes Mal nach und murmelt: „Ich hätte so gern wenigstens ein Detail selbst entschieden.“

Erschienen am 31.12.2011

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