WAS BLEIBT: Äußerst stille Nacht
Der Geist der Weihnacht ist in diesen Jahr von Reaktanz getragen – jener erstaunlichen Fähigkeit, das gefühlt Richtige zu tun, obwohl es doch ganz offenbar unsinnig ist. In die adventliche Bildersprache übersetzt hieße das: Der Weihnachtsmann (regional korrekt: Weihnaxmann) und seine vier Rentiere sitzen gemeinsam im Schlitten, mit verschränkten Armen und zum Schmollen verzogenen Mündern. An sich ein amüsantes Bild, wären da nicht die Geschenke, die hinten auf dem Schlitten ihrer Zustellung harren. Dieses Bild, gefunden auf einer Weihnachtskarte, ist in diesen nur meteorologisch frostfreien Tagen so treffend wie selten – sei es nun beim Weltklimagipfel, in Fragen der Eurorettung oder in der Stadtverordnetenversammlung: Lasst doch den Planeten absaufen, lasst uns die Währung um die Ohren fliegen und die Straßenreinigungsgebühren ausbleiben – Hauptsache, wir haben nicht nachgegeben. Da wird dann auch im Stadtparlament gern zweimal dieselbe Straßenreinigungssatzung beschlossen, obwohl sie offenkundig rechtswidrig ist, weshalb die Stadt sie dann zweimal beanstandet. Gerade im Advent ist ja Repetition die Mutter der Herzenswärme, es sind die immer gleichen Traditionen, Lieder und Rituale, die es lauschig machen. An dieser Lauschigkeit mangelt es offenbar außerhalb des Plenarsaals, weshalb sich die wilden 54 dann auch in der Woche vor Weihnachten und in der Woche danach nochmal zum Schrott-Wichteln ausgedienter Meinungen mit Abstimmungskarte und angeschlossenem Glühwein treffen. Nur der Adventskranz (regional korrekt: Adsventskranz) fehlt. Ob die Stadt, die diese Termine einberuft, auf Weihnachtsmilde hofft, ist nicht überliefert, bisher ging die Rechnung jedenfalls nicht auf. Aber begraben unter Geschenkebergen, zermürbt von einer angejazzten Stille-Nacht-Version und träge vom dritten Gänsebraten in Folge sowie des Glühweins wegen friedfertig gestimmt, mag das am 28. Dezember ja anders sein. Doch nein, das hieße wohl, dem Weihnachtsfest noch mehr aufzubürden, als ihm an sozialer Erwartung ohnehin schon aufgeladen wird. Selbst wenn es gelänge, einen Kompromiss über die Frage zu finden, ob manche Straßen denn nun günstiger zu reinigen wären, so drohte mit der Frage, welche Straßen das denn betreffen soll, der nächste Konflikt zwischen Nord, Süd, Ost und West – vermutlich müsste man die Streckenabschnitte erst wahlkreisscharf aufteilen. All das zöge allerdings auch noch Sondersitzungen am Silvesterabend und Neujahrsmorgen nach sich. Das wäre wiederum eine der wenigen Gelegenheiten, von denen sich sagen ließe, die Stadtverordnetenversammlung wäre mal ein Kracher gewesen. Mit Clownsnasen, Partyhüten und Konfetti im Haar würde bei einigen Abgeordneten auch endlich mal Deckung zwischen Form und Inhalt erreicht. Doch es wird ein Wunschtraum bleiben. Der Weihnachtsschlitten ist blockiert, die Geschenke bleiben aus. Äußerst stille Nacht. Kein Kehrfahrzeug zu hören.
Erschienen am 23.12.2011