NACHSCHLAG. Gänseleber ohne Gala-Uniform

Speckers Landhaus vereint großartiges Essen mit einer unkonventionellen Atmosphäre

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

Mit dem Motto „Gänseleber in Jeans“ lockt Gourmetgastronom Gottfried Specker in sein „Landhaus“, das er zusammen mit Tochter Tina als „Maitre“ und Schwiegersohn Steffen am Herd betreibt. Wir probieren das aus: Nach einem Spaziergang, etwas zerzaust und vom Regen überrascht, fallen wir an einem kühlen Samstagabend bei „Speckers“ ein. Einen schönen Tisch zu bekommen, ist kein Problem, auch ohne Voranmeldung nicht, und niemand schaut pikiert ob der fehlenden Abendgarderobe. Das rustikal, fast ein wenig verspielt eingerichtete Lokal ist dennoch neutral genug, um weder im Anzug noch in Wanderermontur unangenehm aufzufallen. Im kühlen Biergarten sitzt Ex-EU-Kommissar Günther Verheugen in Damenbegleitung, umschwärmt vom Patron Specker. Verheugen hat von „Gänseleber in Jeans“ offenbar nichts gehört, er ist im Anzug erschienen, seine Begleitung im Abendkleid. Anfänger!
Die kurze Karte bietet für notorisch Unentschlossene das fertig konfektionierte Drei-Gang-Frühlingsmenü mit thailändischer Hummersuppe, Salzwiesenlamm und Zitrusfrüchten an Aloe-Vera-Sorbet an (32 Euro), Vegetarier werden beim Vegi-Menü mit Tomatenschaumsuppe und kross gebratenem Tofu (32 Euro) fleischlos glücklich. Wir wagen den großen Zugriff und kombinieren einzeln: zur Vorspeise die mit Ziegenkäse gefüllten Teigtaschen, die mit Holunderhonig und Balsamicoessig verfeinert ein hübsches Zusammenspiel von süß, kräftig und mild zeigen (12 Euro), sowie den Ochsentafelspitz im eigenen Gelee, dessen Sommertrüffel-Garnitur eine südfranzösische Note in das urdeutsche Gericht bringt (12 Euro). Die dazu gereichte violette Kartoffelcreme hätte sicher auch in einer anderen Farbe gut geschmeckt, sorgte dank dieses Farbtupfers aber für einen weiteren Sommergefühlsbonuspunkt. Zwischendrin grüßt Steffen Specker aus der Küche mit einem Matjeshappen auf roter Beete und belegt damit, dass er auch im Detail ein Perfektionist ist: Der Happen schmeckt selbst dem erklärten Rote-Beete-Hasser. Die Zeit bis zum Hauptgang krönt ein weiteres Detail: hausgebackenes Brot, dazu Essig und Öl und das von Specker angemischte Wildkräutersalz, das allein den Besuch gerechtfertigt hätte. Stilecht aus dem kleinen Fässchen löffelt der Gast eine geheimnisvolle Mischung auf das noch warme Brot, die unter anderem getrocknete Kornblumen enthält und wie eine Wiese im Hochsommer duftet – perfekt. Zum Hauptgange wählt die Dame das Entrecôte vom Black-Angus-Rind, klassisch mit grünem Spargel und Sauce Bérnaise (23 Euro). Die Bérnaise kommt gewaltig daher, was den Spargel hervorragend begleitet, das zarte Entrecôte aber glatt unter sich begräbt. Doch das ist eine Klagen auf sehr hohem Niveau. Auch eine Spur weniger Estragon hätte die Soße möglicherweise entschärft. Der andere Hauptgang, das in Heu gegarte Salzwiesenlamm (22 Euro) hinterlässt begeisterte Sprachlosigkeit: Perfekt gegartes Fleisch, das die Sommerwiesen-Assoziation des Kräutersalzes dank der Heugarung zärtlich wiederbelebte, dazu rustikale Perlgraupen und das beigelegte Honiggemüse nur leicht sautiert lassen vom Sommer träumen. Alles ruft nach einem leichte Roséwein, doch wir haben uns wegen der Kühle und des dunklen Fleisches für einen roten Ladoix entschieden, der mit seiner Undifferenziertheit hinter den Erwartungen und dem Preis (45 Euro) zurückbleibt. Das Soufflé aus Turroné-Mandeln mit Erdbeersorbet (10 Euro) entschädigt aber nicht nur dafür, der grandiose feinherbe Riesling von einem Gut Günther Jauchs (6 Euro) lässt den Abend auch noch weintechnisch begeisternd ausklingen – es war kein besserer Soufflébegleiter denkbar.
Beim Weg hinaus fällt der Blick auf Vater und Schwiegersohn Specker, die rauchend und leicht fröstelnd am Ende ihres Tagwerks im Hof stehen, den Blick zu den Sternen gerichtet, und über Geschmacksnuancen und Gästewünsche plaudern. Spätestens jetzt wird klar: Eine bessere Mischung aus großartigem Essen und unkonventioneller Atmosphäre ist kaum denkbar.

Erschienen am 08.07.2011

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