Gloegglich macht besonders glücklich

MAZ-Leser testen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt in der „Brandenburger” — und küren einen eindeutigen Sieger

Die Mission: Sie scheuen weder Kater noch Kopfschmerz, weder Sodbrennen noch Schluckauf, sie kennen keine Zimt- und keine Nelkenallergie, sind bereit, sich schlimmstenfalls Magen und Leber zu ruinieren: Acht MAZ-Leser stürzten sich in eines der letzten Abenteuer, das diese Stadt noch zu bieten hat, und tranken sich gnadenlos durch den Weihnachtsmarkt auf der Brandenburger Straße — mit nur einem Ziel: den ultimativ besten Glühwein zu finden.

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Die Teams: Drei Gruppen zu je drei Mitgliedern galt es, aus der Zahl der Bewerber zu filtern, um einen repräsentativen Durchschnitt des Weihnachtsmarktbesuchers abzubilden: Junge und Ältere, Männer und Frauen, Feinschmecker und Vieltrinker. Nur ein Jurymitglied bekam kurz vor Beginn Angst vor der Verantwortung und fehlte. Am Ausgangspunkt, einer Hütte mit einem sprechenden und singenden Elch auf dem Dach (erster Kommentar: „schrecklich!”), trafen sie zusammen, um dann, mit Bewertungsbogen bewaffnet, auszuschwärmen, und die Weine auf Aroma und Temperatur, Originalität und Alkoholgehalt, Preis und Schuss zu testen.

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Das Revier: Um Doppeltests zu vermeiden, ward die Arena in drei Areale unterteilt: Ebert- bis Dortu-Straße, Dortu- bis Elfleinstraße, Elfleinstraße bis Luisenplatz. Das ambitionierte Ziel jedes Testers: Drei bis vier Glühweine die zunächst noch kühle Kehle hinunterrinnen zu lassen.

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Der Start: Die Stimmung ist zunächst noch nüchtern und analytisch. Kritisch posieren die Kritiker auf dem Gruppenbild. Dann geht’s los — zwei Stunden Zeit, dann Manöverkritik unterm Elch.

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Team 1: Die Trinkfesten. Nico Höhne (27) und Bärbel Lubosch (73) — die Gruppe mit der größten Altersdifferenz — steuern zuerst den Stand aus der italienischen Partnerstadt Perugia an. Dort gibt es einen klassischen Glühwein, für 2 Euro, der auf Merlot und Sangiovese beruht und mit einer streng geheimen Gewürzmischung zum Adventsgetränk wird. Als Wirt Domenico Giacomino merkt, dass hier getestet wird, kommt er aus seiner Hütte und instruiert die Tester, wie es wohl nur Italiener tun: Worauf sie beim Trinken zu achten haben, welche Aromen herauszuschmecken sind. Die Styroporbecher, in denen der Wein kommt, erregen erstmal kein Wohlwollen, halten das Getränk aber immerhin lange heiß. Nico Höhne stellt seine noch jugendliche Leber unter Beweis und ordert alle Weine konsequent „mit Schuss” (+1 Euro) — er hat die Wahl zwischen Limoncello und Sambuca und entscheidet sich für den Zitronenlikör. Das tut dem Wein durchaus gut, befindet er, seinem Geschmack entspricht es aber nicht.

Station 2 ist der Stand des Restaurants „La Madeleine”, wo ein Beaujolais, verfeinert um eine ebenfalls geheime Würzmischung des Chefkochs, in Tassen gereicht wird. Nico Höhnes Schuss ist in diesem Fall ein Rum, den Amaretto lässt er nach der schlechten Erfahrung mit Likören links liegen — „macht den Wein noch süßer”. Bärbel Lubosch aber ist begeistert, „ein klassischer Glühwein auf hohem Niveau”. Die Gruppe zieht weiter — sie wird am Ende die einzige sein, die vier (Lubosch) und fünf (Höhne) Weine getestet hat: „Wir verfügen eben über die perfekte Mischung aus Erfahrung und Gesundheit”, kommentieren sie trocken.

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Team 2: Die Experimentierfreudigen. Antje Schäfer und Peter Gotthardt (49) kommen als Paar. Gotthardt misst 2,06 Meter, er ist im Gewühl jederzeit zu finden. „Da passt viel rein”, scherzt Burkhard Otte (70), der mit Abstand bestaufgelegte Tester. Unermüdlich reiht der Stahnsdorfer Scherz an Scherz, wohl wissend, dass ihn am Ende seine Tochter nach Hause chauffieren wird. Alle drei testen konsequent drei verschiedene Weine, sodass sie am Ende neun Buden auf ihren Bögen haben — und ein breites Spektrum von Schlehen-, Holunder-, Kirsch-, Heidelbeer-, und Apfel-Zimt-Glühwein im Magen. Es ist die einzige Gruppe, die sich in den Sperlingshof wagt, wo es einen Glühwein mit Doppelschuss für zwei Euro gibt. Der ist im Preis-Dröhnungsverhältnis ungeschlagen, schmeckt aber nur „naja” und kommt lau im kleinen Becher. „Für Leute, die den Geschenkekauf hassen, aber günstig Mut tanken wollen”, sagt Otte. Peter Gotthardt, der ihn trank, belässt es bei einem angedeuteten Aufstoßen. So richtig begeistert ist die Gruppe nirgends, lediglich der Grüne Kobold, ein Weißwein mit Minze und Waldmeister, bekommt Bestnoten. Ein Flammkuchenstand kurz vor dem Luisenplatz serviert indes den Verlierer dieses Tests: Einen muffig riechenden, faden, lauwarmen Wein ohne spürbaren Alkohol. Für diese „Qualität” ist der Preis von 2,50 Euro „stolz”, vermerkt Otte.

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Team 3: Die Kritischen. Barbara Seiwert (63) war früher selbst Innenstadt-Händlerin und hatte auch einen Weihnachtsmarkt-Stand . Sie blickt mit dem kühlen, kritischen Blick der Geschäftsfrau in die Tasse und auf den Tresen, bewertet Freundlichkeit, Beratung, Sitzgelegenheiten, Regenschutz und sonstige Details akribisch, macht gar Verbesserungsvorschläge wie den, die Tassen vorzuwärmen. Ihr Begleiter Uwe Trotte (63) ist dagegen recht still, dafür aber unerbittlich in seinem Urteil. Komplettiert werden die Kritischen von Gerd Hampel (40), der hinter sehr jovialem Auftreten einen unbestechlichen Gaumen verbirgt. Blumes Glühweinhütte, wo die drei zunächst einen Glühwein mit Bacardikirschen bestellen, bekommt ein differenziertes Urteil im Mittelfeld: Geschmacklich alles okay, aber die kalten Kirschen und die kalten Tassen lassen den ansonsten guten Wein zu schnell erkalten. Besser ergeht es dem Stand „Zur Feuerzangenbowle”, wo die Kritischen einen weißen Apfel-Zimt-Glühwein ordern. Er gefällt ihnen sehr gut, auch der gesamte Stand erhält gute Noten. Doch er verblasst vor dem Gesamtsieger, dem „Gloegglich”-Stand des Lakritzkontors. Hier gibt es fast nur Lob: Super Geschmack, eine Riesenauswahl an „Schüssen” (Barbara Seiwert wählt Schokoladenwodka), Rosinen und Mandeln kostenlos nach Bedarf, gute Beratung — selbst die Kritischen vergeben hier durchweg Bestnoten.

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Die Manöverkritik: Eine deutlich munterere, redseligere Gruppe trifft unter dem Elch wieder zusammen, der plötzlich so schrecklich gar nicht mehr ist. Erfahrungen werden ausgetauscht, Empfehlungen gegeben. Nico Höhne findet, eigentlich könne man doch noch eine Abschlussrunde nehmen, jetzt, wo’s so gemütlich sei. Geschäftsfrau Barbara Seiwert überschlägt das Restbudget — alle haben gut gewirtschaftet — und befindet: müsste reichen! Der vierte Glühwein für die Tester (Nummer fünf und sechs für die Trinkfesten) trinkt sich wie von allein in der Euphorie. Alle sind nach des Testens Mühe gelöst, aber geistig wie körperlich in denkbar bester Verfassung: kein Schwanken, kein Lallen. Über Sieger und Verlierer gibt es dennoch keine Zweifel: Gloegglich und Kobold, keine Frage. Kurz bevor Burkhard Otte von seiner Tochter abgeholt wird, macht jemand noch einen letzten Vorschlag: Vielleicht sollten doch nun alle noch den Testsieger kosten? Er findet rege Zustimmung.

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