Allein auf verlorenem Lustposten

Wer nichts hat, der ist in der Regel neidisch auf die, die was haben. Das ist menschlich, aber auch tragisch: Kaum ist der soziale Abstieg da, schießt sich der Abgestiegene mit dieser wenig sympathischen Regung noch weiter ins Aus. Nun ist das keine neue Erkenntnis, doch sie wurde von der FDP — die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern, das ist eine Partei, die früher in vielen Landtagen und sogar im Bundestag vertreten war — in dieser Woche mustergültig durchexerziert hat.

Fast wäre uns deren Mail durchgerutscht, da niemand mehr etwas mit dem Kürzel FDP anfangen konnte, aber ein Redaktions-Urgestein erinnerte sich dann dunkel, also schauten wir hinein — und lernten. Als erstes lernten wir, dass der Oberbürgermeister demnächst eine Lustreise macht. Doch, wirklich, das steht da so. Und zwar nach Sansibar. Dass er dahinfliegt, wussten wir längst, dass es eine Lustreise ist, nicht. Wir kannten als Lustreise-Destinationen bislang nur Thailand und einige Gegenden in Lateinamerika, in denen Menschen in übel beleumdeten Gegenden ihr Geschlecht gegen Bares feilbieten. Aber gut, wir sind ja Journalisten geworden, weil man in dem Job täglich dazulernt.

Dann lernten wir, dass diese Reise unglaublich teuer sein muss. Die FDP verweist nämlich darauf, dass die Lustreise angesichts der Bettensteuer, des fehlenden Geldes für Kitas und Verkehr, „unvertretbar” ist. Nun tritt der Oberbürgermeister ja nicht dahin, sondern er fliegt, und wenn es denn wirklich eine Lustreise ist, so dürfte sie dem Verkehr ja durchaus förderlich sein (Fremdenverkehr, Luftverkehr), aber sei dem, wie ihm wolle, wenn ein Verzicht auf die Reise wirklich die Bettensteuer überflüssig macht und dafür sorgt, dass die Kitas, die ja allein mithilfe von Lust am Verkehr gefüllt werden, besser finanziert werden können, sind wir auch entschieden gegen die Reise. Lust hin oder her. Wie sie mit 11 400 Euro Kitas, Verkehr und Betten finanzieren will, sagt die FDP indes leider nicht. Auch finden wir es ungewöhnlich, dass man Lustreise mit der Ehefrau antritt, aber da sind sie halt liberal, die Liberalen.

Besonders peinlich sei, dass die Reise mit dem Ziel einer Klimapartnerschaft begründet würde, fährt die FDP fort. Wer das Klima schützen wolle, dürfe nicht um die halbe Welt fliegen. Wir haben dieses Argument mal kurz zu Ende gedacht und sind drauf gekommen, dass es dann auch keine Klimakonferenzen mehr gäbe, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass über 200 Staats-Chefs zu den jeweiligen UN-Gipfeln geradelt kommen. Auch meinen wir uns zu erinnern, dass die FDP einst, als sie noch mitregierte, 50 Klimapartnerschaften mit südlichen Staaten forderte. Heute indes fordert sie von der Stadt, den „ökologischen Fußabdruck” zu berechnen, den der Oberbürgermeister auf seiner Reise hinterlässt. Wie man einen Fußabdruck bei etwas hinterlassen soll, das „unvertretbar” ist — und zu dem man fliegt, nicht läuft —, das haben wir zwar auch nicht verstanden, aber das hat sicher wieder was mit Verkehr zu tun.

Auffallend bleibt in jedem Fall, dass von 56 Stadtverordneten nur der eine FDP-Abgeordnete etwas gegen die Reise zu haben scheint. Alle anderen, selbst die Opposition, selbst jene in der Opposition, die alles, was vom Oberbürgermeister kommt, schon deshalb ablehnen, weil es vom Oberbürgermeister kommt, selbst wenn sie es kurz zuvor noch selbst vorgeschlagen haben — alle 55 anderen also, sie haben Lust auf die Partnerschaft in Sachen Klima und Verkehr.

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