Praktizierende Jungfrauen

Delegiertes Saufen: Dass Chefs gern unangenehme Aufgaben delegieren ist ebenso menschlich wie bei Angestellten unwillkommen. Einen Bruch dieser Regel leistete sich gestern der Geschäftsführer einer Baufirma bei einem Richtfest: Statt den Richtspruch dem Polier zu überlassen, wie es guter Brauch und Sitte, drängte es den Chef selbst aufs Gerüst. Das dabei zum Wohle des Bauherrn, der Bauleute, des Architekten, der künftigen Bewohner, Gottes und noch weiterer unmittelbar Beteiligter zu leerende Glas, welches am Ende rituell zerschmettert wird, denn Scherben bringen auch auf dem Bau Glück (jedenfalls bevor der Glaser da war), überließ er hingegen einem Angestellten, der auf Befehl fünfmal kräftig schlucken musste. Der Maurer dürfte schon härtere Aufträge gehabt haben, es sei denn, im Glas war nicht der angekündigte „edle Rebensaft”, sondern irgendwas aus dem Tetrapack vom gegenüberliegenden Aldi à la „Rüdesheimer Nierentritt”. Der Mann stand für Auskünfte darob leider nicht zur Verfügung.

Erzwungene Publizität: In einer Glosse vereiert werden ja nur die wenigsten gern, und manches böse Wort ward schon gegen Glossenautoren gerichtet. Es gibt aber auch von dieser Regel eine Ausnahme: die Wahlkampfzeit. Da ist manchem selbst eine Erwähnung in Hohn und Spott noch lieber als gar keine. Dennoch muss es als — wenn auch charmante — Beleidigung der journalistischen Würde, die bekanntlich viel auf ihre Unabhängigkeit hält, gelten, wenn Menschen Fehlleistungen produzieren und sich danach dezent an den Journalisten heranwanzen, um lächelnd zu erwähnen, dass das doch jetzt ein ganz tolles Futter für eine Glosse hergäbe. Deshalb nochmal in aller Deutlichkeit: Nein, es genügt nicht, sein Portemonnaie bei einer Abendveranstaltung am Thresen zu vergessen und sich dann mit Namen ausrufen zu lassen, um hier aufzutauchen. Auch Verwechslungen von Namen, wie erheiternd sie für alle Umstehenden auch sein mögen, qualifizieren nicht. Tut uns ganz doll leid. Echt. Dickes Indianerehrenwort.

Praktizierende Jungfrauen: Der Puff im Plattenbau, über den wir berichteten, zerrt sehr an den Nerven der Nachbarn. Die Lust der Anderen ist der Frust der Einsamen. Sie erhofften sich von der Veröffentlichung Druck auf den Betreiber, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Stattdessen scheint ein unbeabsichtigter Werbeeffekt noch mehr — natürlich nur vor Neugier! — Lüsterne in die Platte zu treiben. Die Damen dort versicherten gerüchtehalber mit künstlichem Augenaufschlag, sie seien samt und sonders Jungfrauen. Vom Sternzeichen. Da stehen dann bald viele laute Geburtstagspartys an.

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