Bewegende Momente, wenn auch verfrüht

Im Prinzip ist Selbstironie ein cleveres Kommunikationswerkzeug. Der Selbstironische nimmt sich nicht zu wichtig und er ist befähigt, sein Handeln quasi von außen zu überprüfen und zu bewerten. Außerdem kann der Selbstreflektierte über seine Schwächen lachen. Selbstironie ist grundsympathisch. Schwieriger liegt der Fall, wenn unklar bleibt, ob es sich um Selbstironie oder landläufige Blödheit handelt. Das ist manchmal nämlich schwer unterscheidbar.

Reden wir aber zunächst über das Motto der Stadt für 2015, das diese Woche vorgestellt wurde und da lautet: „Potsdam bewegt”. Ein schönes Motto, zweifellos, und dazu noch hinreichend vage, um alles, was ohnehin passiert wäre, darunter zu fassen. Der Schlösserlauf etwa, der Stadtsportball sowie Film, Wissenschaft und die Auseinandersetzung mit der Geschichte hätten — ja, wir lehnen uns jetzt bewusst sehr weit aus dem Fenster, aber manchmal muss man halt was riskieren, selbst als Journalist — sowieso stattgefunden. Bevor wir uns jetzt in der ketzerischen Frage verlieren, ob eine ohnedies erfolgende Bewegung unter dem Motto „Potsdam bewegt” noch mehr bewegt, erfreuen wir uns lieber der innewohnenden Ironie: Wie der Zufall es wollte, fiel die Verkündung des Mottos in eine Zeit, in der sich in Potsdam, speziell in dessen Norden, sehr wenig bewegt. Genau genommen noch weniger, als ohnehin schon nicht, also quasi fast gar nichts — dank der hinreichend gewürdigten zehn parallelen Sommerbaustellen. Andererseits hat der resultierende Stau die Potsdamer wirklich bewegt und sogar bewogen, ordentlich Dampf abzulassen, in Foren, auf Facebook, in Leserbriefen. Wir lernen: Gerade, wenn sich nichts bewegt, bewegt das viele.

Ob es noch unter Selbstironie zu fassen ist, muss offen bleiben, aber sympathisch, reflektiert und Schwächen eingestehend war das Folgende in jedem Fall: Ältere Leser mögen sich erinnern, dass Potsdams Baudezernent 2009 auch mit dem wiederholt und laut vorgetragenen Versprechen antrat, unter seiner Herrschaft werde es ein Ende haben mit der Bevorzugung derer, die einen kennen, der einen kennt. Die Ordnungsbeigeordnete war damals schon im Amt — wenn auch noch unter einfachem Namen, sie lernte dann zwischenzeitlich jemanden kennen, der jemanden kannte und hat jetzt einen Doppelnamen — und agierte schon seinerzeit ohne Bevorzugung anderer, nur ohne darüber groß zu sprechen. Wie diese Woche offenbar wurde, bevorzugt sie aber nicht mal sich selbst, jedenfalls nicht, wenn es ums Falschparken geht: Obgleich dienstlich unterwegs und zeitlich sehr eingelastet und daher ordnungswidrig parkend, freute sie sich laut, als ihre Politessen auch ihr ein Knöllchen gönnten. Das zu hören war wahrlich bewegend — und das, obwohl wir erst das Jahr 2014 schreiben!

Nicht nur Sie, auch wir konnten sie natürlich kaum erwarten, die gewohnt hyperspannenden, hochinformativen Plakate zur Landtagswahl. Neben einigen Untoten (Wieland Niekisch, dereinst unter anderem wegen eines nicht angegebenen Beratervertrages geschasster Kreis-Chef der CDU, ringt um ein Mandat und nennt sich — Achtung, total witziges Wortspiel mit dem Landtagsgebäude! — den „Schlüssel zum Schloss”) machte vor allem die FDP Furore, der es gelang, erstmals in der Geschichte Deutschlands einen Slogan zu präsentieren, der komplett der Wahrheit entspricht: „Keine Sau braucht die FDP”. Der Applaus war noch nicht verhallt, da verklärten die Liberalen den Spruch zur Selbstironie. Jungs, ganz ehrlich: Ihr habt das Konzept irgendwie missverstanden.

In Versprechern steckt eine tiefe Wahrheit, das wusste schon der olle Freud. Deshalb ist es besonders hübsch, wenn einem Psychiater ein solcher unterläuft: Bei der Einweihung einer Tagesstätte für psychisch Kranke vergaß der Herr die Dezernentin in seiner Begrüßung — und, im Versuch, das zu glätten, bat er darum, sie möge es ihm „nicht verzeihen”. Vermutlich sind ihm die Bitte ums „Verzeihen” und jene ums „nicht Übelnehmen” sprachlich ineinandergeflossen. Selbstironisch war das zwar nicht, aber dafür ein schönes Beispiel für das Konzept der Verschlimmbesserung. Darüber schreiben wir dann ein andermal.

Es bleibt daher als Fazit: Die schönste Ironie ist noch immer die unfreiwillige. Nicht so sympathisch — aber viel lustiger.

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