„Männliche Rituale ablösen“

Daniel Cohn-Bendit über den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich

Als deutsch-französischer Politiker und Europa-Parlamentiarier verfolgt Daniel Cohn-Bendit (Grüne) den Wahlkampf in Frankreich mit besonderem Interesse. Im MAZ-Interview spricht er über die Unberechenbarkeit französischer Wahlabsichten, die Misere von Frankreichs Grünen und erklärt, warum er sich die Sozialistin Royal zur Präsidentin wünscht. Die Fragen stellte Jan Bosschaart.

Frankreich nimmt großen Anteil an diesem Wahlkampf, nach einer Umfrage wollen so viele Bürger wählen gehen wie noch nie. Woher rührt die überdurchschnittliche Mobilisierung?
Cohn-Bendit: Die Wahl 2002 war keine richtige Wahl. Weil der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl kam, war, mussten viele für Jacques Chirac stimmen, ob sie ihn mochten oder nicht. Das hat frustriert. Nachdem Chirac nun auf eine erneute Kandidatur verzichtet hat, kommt es in jedem Fall zu einer Erneuerung. Zudem gibt es eine große Auswahl: Bei vier Kandidaten ist für fast jeden etwas dabei, es fühlen sich mehr Franzosen angesprochen. Auch weil es scheint, als sei der erste Wahlgang noch nicht entschieden.

Knapp die Hälfte der Wähler ist noch unentschlossen. Sind alle Kandidaten so reizvoll oder können sich die Franzosen nicht zwischen verschiedenen Übeln entscheiden?

Cohn-Bendit: Weder noch: es liegt an der Überschneidung der Programme. Wer die Rechten verhindern will, weiß nicht, ob er die Sozialistin Royal oder den Zentrumspolitiker Bayrou wählen soll. Wer sich eine Mitte-Rechts-Regierung wünscht, ist unsicher, ob ihn Sarkozy oder Bayrou besser vertreten. Die Kandidaten können daher kurzfristig noch sehr viele Wähler für sich einnehmen.

Ist es an der Zeit, dass Frankreich seine erste Präsidentin bekommt?
Cohn-Bendit: Ich fände es in der Tat richtig. Zwei Dinge sind in Frankreich längst überfällig: eine Präsidentin und die Einführung des Verhältniswahlrechts. Das derzeit geltende Mehrheitswahlrecht ist undemokratisch: Wer auf einer Welle reitet, bekommt überproportional viele Abgeordnete in die Nationalversammlung und dann hat dort eine sichere Mehrheit. Das ist nicht gut für Frankreich. Das Land muss lernen, auch von Koalitionen regiert zu werden.

Im EU-Parlament haben Sie kürzlich von Angela Merkel und Ségolène Royal „Hand in Hand und Wange an Wange“ geträumt. Was versprechen Sie sich von einer Präsidentin?

Cohn-Bendit: Diese doch sehr männlichen Symbole der deutsch-französischen Freundschaften, ob es nun de Gaulle und Adenauer, Kohl und Mitterand, d’Estaing und Schmidt oder Chirac und Schröder waren, sollten mal abgelöst werden. Zwei Frauen symbolisieren die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 15 Jahre besser. Zudem verspreche ich mir davon eine zivilere Form der deutsch-französischen Freundschaft.

Was würde ein Sieg eines der „Großkandidaten“ für die deutsch-französischen Beziehungen bedeuten?
Cohn-Bendit: Ein Sieg von Ségolène Royal würde eine integriertere Kooperation beider Länder einleiten. Nicolas Sarkozy steht eher für das traditionell Französisch-Gallische, für ein „Frankreich zuerst“. Das würde die Kooperation erschweren.

Ségolène Royale erfreut sich großer medialer Beliebtheit, ist aber nicht unumstritten. Manche Kommentatoren werfen ihr vor, nur durch ihre Beliebtheit und Attraktivität zu punkten.
Cohn-Bendit: Es ist eine sehr männlich-dominierte Sicht, die sich da in Frankreich zeigt. Als sich Ségolène Royal in einem Interview einen Fehler leistete, griffen alle Medien das Thema auf. Sofort wurde gefragt, ob sie zu diesem Amt fähig ist. Zwei Wochen später machte Sarkozy einen ähnlichen Fehler, aber niemand bezweifelte seine Eignung. Hier zeigt sich ein uraltes Muster: eine Frau muss immer noch doppelt so gut sein, wenn sie mit einem Mann konkurriert, ihr wird bei gleicher Fähigkeit weniger zugetraut.
Hoffen Sie, dass ein Sieg Royals etwas an diesem Muster ändert?
Cohn-Bendit: Ein Sieg Royals würde symbolisch zeigen, wie eine Frau sich durchsetzen kann, das würde anderen Frauen Mut machen. Das wäre ein sehr positives Signal.
Was sind die drängendsten Probleme in Frankreich, die der Nachfolger von Jacques Chirac angehen müsste?
Cohn-Bendit: Die soziale Schieflage, in der Frankreich sich befindet, ist das wichtigste Thema. Zweitens ist es dringend nötig, die Umweltpolitik nach vorn zu bringen, weg von der Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Und dann muss man mit den Franzosen dringend diskutieren, wie eine vernünftige Position zur europäischen Einigung und zum Verfassungsvertrag aussieht.
Welcher Kandidat wäre für Europa am besten?
Cohn-Bendit: Ségolène Royal und François Bayrou würden die europäische Einigung am schnellsten voranbringen.
Wiederholt Bayrou das Kunststück von Jean-Marie Le Pen und wird Überraschungssieger im ersten Wahlgang?
Cohn-Bendit: Bei der derzeitigen Entwicklung ist das nicht ausgeschlossen. Aber es ist in Frankreich sehr schwer, sechs Wochen vor der Wahl eine Prognose zu machen. Die meisten entscheiden sich erst in der letzten Woche. Wie sie schon sagten: Wir haben etwa 50 Prozent Unentschlossene.
Kann Le Pen noch einmal einen Überraschungserfolg feiern, oder sind die französischen Wähler vorgewarnt?
Cohn-Bendit: Le Pen ist noch lange nicht abgeschrieben. Es kann sein, dass viele sagen, sie wählen Sarkozy, und im letzten Moment entscheiden sie sich für Le Pen. Die Situation ist unsicher, spannend und unübersichtlich. Alle vier können in die zweite Runde kommen, ich wage da momentan keine Prognose.
Wagen Sie doch mal eine andere Prognose: Ziehen die französischen Grünen wieder in die Nationalversammlung ein?
Cohn-Bendit: Die haben momentan große Schwierigkeiten. Es gab zunächst eine große Chance, mit Umweltthemen ein gutes Ergebnis zu erzielen. Doch die Grünen haben sich sehr linkslastig entwickelt und ihre Qualitäten nicht gezeigt. Ihr internes Funktionieren ist eher abstoßend. Das macht nicht gerade Lust, für sie zu stimmen.

Erschienen am 13.03.2007

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