Magier an der Maus

Olaf Skrzipczyk lässt für die Leinwand Tiere sprechen, Gebäude altern undMenschen jünger werden.Was Filmeffekte angeht, hält er Deutschland dennoch für ein Entwicklungsland.

Schnee. Schöner, weißer, großflockiger Schnee ist derzeit der Renner aus Olaf Skrzipczyks Angebot. Das hat so seine Gründe: Realer Schnee kommt und geht, wann er will, aber immer zum falschen Zeitpunkt – alte Filmregel. Kunstschnee kommt und geht, wann der Regisseur will, doch er ist teuer und er fällt, wie er eben fällt. Nur Olaf Skrzipczyks Schnee tut, was immer Olaf Skrzipczyk will – und was dem Regisseur vorschwebt. Sobald die Regisseure gemerkt haben, was möglich ist, sagt Skrzipczyk, fangen sie an, den Schnee zu choreografieren, ihn der gewünschten Wirkung der Szene anzupassen. Einer habe mal gesagt, „Olaf, der Schnee ist mir zu lyrisch. Ich brauche prosaischeren Schnee“. Für Skrzipczyk ist das kein Problem. Es kostet ihn ein paar Stunden Arbeit, einige Mausklicks und etwas Rechenpower. Danach fällt der Schnee eben prosaisch. Oder theatralisch. Vielleicht sogar sehnsüchtig. Regisseure sind, was das angeht, kreativ.

Das muss Olaf Skrzipczyk, Geschäftsführer der Firma Exozet Effekte im Filmpark Babelsberg, auch sein. Das Geschäft mit den visuellen – heute heißt das vor allem: digitalen – Effekten ist keine Fließbandarbeit und darf auch keine werden. Selbst wenn drei Regisseure für verschiedene Filme digitalen Schnee wünschen, legen Skrzipczyks Leute am Computer nicht einfach ein paar Flocken über die fertige Szene. Im Gegenteil: Wenn es gut läuft, sagt der geborene Dessauer, werde seine Firma schon beim Drehbuchschreiben hinzugezogen, um von Anfang an erklären zu können, was möglich ist und wie es eingebunden werden kann: „Wer uns für Postproduktion hält, die nur hier und da ausbessert, nutzt uns nur unzureichend.“ Nicht zuletzt deshalb besteht Skrzipczyk auch darauf, den ganzen Film zu sehen, selbst wenn sein Team nur an einer Szene tätig wird. Ohne den Kontext zu kennen, sagt er, kann kein Effektspezialist gut arbeiten.

Mit Bernd Böhlich gibt es diese gute Zusammenarbeit. Der zweifache Grimmepreisträger war zunächst ebenso skeptisch wie viele seiner Regisseurskollegen; er hielt die Arbeiten aus dem FX-Center im Filmpark für Effekthascherei. Skrzipczyk aber konnte ihn überzeugen – nicht nur, aber auch mit Kostenargumenten. In Böhlichs neuestem Film „Der Mond und andere Liebhaber“ ließen die Exozet-Leute nun eine nagelneue Brücke digital altern und zerstörten die Straße davor mit einigen Mausklicks – Effekte, die in der realen Welt entweder unmöglich oder kaum bezahlbar wären. Ganz zu schweigen von der Sprengung einer Fabrik im Vorspann. Statt Steine fallen dort nur Pixel einer computergenerierten Detonation zum Opfer und verschwinden in virtuellem Staub. Besonders stolz ist Olaf Skrzipczyk auf die Szenen mit Mond und Sternen. Gerade Sterne sind im Film nicht darstellbar: Zu klein, nicht hell genug. Sie verschwinden, wenn das Filmlicht die Szene ausleuchtet, aus dem Blick der Kamera. Mit der Maus streuten die Exozet-Leute sie wieder ein. Dazu klebten sie nicht einfach ein paar Punkte an den Horizont, sie ließen sie flimmern, funkeln und synchronisierten sie mit den Kamerabewegungen.

Im Grunde ist Skrzipczyk ein Magier: Er lässt die Mongolen Europa überrollen und braucht dazu nur fünf Reiter. Die stürmen hunderte Male durchs Bild, und nach einigen Wochen Arbeit am Computer sind es unüberschaubare Horden, die den Kontinent niederwalzen. Er durchlöchert per Mausklick Menschen mit Gewehrkugeln, die danach putzmunter aufstehen und weder blaue Flecken vom Gummigeschoss noch rote Flecken vom zerplatzten Farbbeutel haben. Er lässt Tiere sprechen, Bauwerke altern und nichtexistierende Hubschrauber fliegen. Er knipst virtuos unerwünschte Lichter in gefilmten Gebäuden aus, ohne den Schalter zu kennen, räumt störende Bauwerke und andere Hindernisse aus dem Filmbild, flutet die Gustloff mit Meerwasser und sorgt dafür, dass Filmtote nicht blinzeln, atmen oder zucken. Es ist die hohe Kunst der schmerz- und trümmerfreien Zerstörung.

Wenn dann der Abspann flimmert und der Zuschauer sich fragt, warum dort digitale Effekte aufgeführt werden – er hat doch gar keine gesehen – hat Skrzipczyk sein Ziel erreicht. Gute Effekte sind Effekte, die nicht als solche wahrgenommen werden. Und sie sind mittlerweile überall, nicht nur in den Effektschlachten wie der „Matrix“ oder dem „Herrn der Ringe“, sondern auch in kleinen, leisen Autorenfilmen mit schmalen Budgets. Entsprechend breit ist das Auftragsspektrum bei Exozet. Die Firma hat in den zehn Jahren ihres Bestehens über 80 Filme bearbeitet – vom Sandmännchen bis zum Erotikthriller. Rund zwei Drittel der Aufträge sind für Fernsehfilme und -serien, das andere Drittel kommt vom Film – oft auch vom Studio gegenüber. Babelsberg hat so seine Synergien. Von den großen internationalen Produktionen dort, speziell jenen aus Hollywood, kann Exozet nicht profitieren. Die bringen ihre eigenen Leute mit, und sie machen ihre Effekte zuhause. Weil die Studios langfristige Verträge mit den Effektfirmen haben, und weil Deutschland im Grunde ein Entwicklungsland ist, was digitale Effekte angeht. Wo in den USA die Effektleute hinzugezogen werden, bevor der erste Satz im Drehbuch steht, sollen sie hierzulande oft am fertigen Film retten, was aus Kostengründen nicht möglich war. Wo amerikanischen Studios zwei Jahre Zeit und 20 Leute für eine Szene zur Verfügung stehen, muss Olaf Skrzipczyk mit drei Leuten und sechs Monaten für viele Szenen auskommen. Dafür bekomme er oft nur den Bruchteil der transatlantischen Honorare, aber die Produktionsfirma will am liebsten alle Effekte aus der „Herr der Ringe“-Trilogie sehen, sagt er. Das sind die Momente, wo Skrzipczyk tief Luft holt, einen Schluck Wasser trinkt und dann einen hundertfach gehaltenen Vortrag über die Möglichkeiten, Grenzen und vor allem Kosten digitaler Effekte hält.

Das macht er so gut, dass ihn die Filmhochschule, das ZDF und RTL regelmäßig buchen, damit deren Studenten, Mitarbeiter und Regisseure die Effektwelt besser zu nutzen lernen. „Wir sind aufgerufen, die Industrie zu entwickeln“, sagt Skrzipczyk, dessen Firma im FX-Center im Filmpark mittlerweile der einzige Mieter ist. „Viele Unternehmen haben es nicht geschafft, obwohl sie mehr Geld hatten“, betont er, und es ist nicht nur Stolz, sondern auch Bedauern, das in seiner Stimme mitschwingt. Mitbewerber, das hieße auch, eine größere Lobby für den visuellen Effekt zu haben, mehr Bewusstsein bei den Regisseuren. Manchmal komme er sich vor wie ein Vertreter, der einen Trick zu verkaufen hat, sagt der 48-Jährige, der ausgebildeter Kameramann ist, also beide Welten kennt und das als einen einzigartigen Vorteil begriffen hat: Als Grenzgänger zwischen Kamera und Computer, als einziger Geschäftsführer einer Visual-Effects-Firma, der – in Babelsberg! – an der Kamera ausgebildet wurde, kann Skrzipczyk anders beraten, anders helfen, anders am Set agieren. In Deutschland das durchzusetzen, was in den USA, Großbritannien und mittlerweile gar in Neuseeland längst State of Art ist, das wäre sein Traum, betont er. Er wird noch eine Weile träumen müssen, obschon es an Nachwuchs nicht mangelt.

Die Technikfreaks sind ihm aber suspekt. Einen PC bedienen können heute alle jungen Digital Artists, und auch die dafür nötigen Programme kennen sie entweder bereits seit dem Studium oder sie haben sich in kürzester Zeit eingearbeitet. Dafür vermisst der Exozet-Geschäftsführer immer häufiger den Kunstverstand, denn „Digital Artist“ wird auf dem zweiten Wort betont. Als die Exozet-Leute für einen Film einen gotischen Dom bauen sollten, sah das Ergebnis toll aus. Er hatte alles, der Dom: Säulen, Türmchen, Portale – nur nichts Gotisches. Seither schult Skrzipczyk seine Mitarbeiter: Architekturstile, Künstlerbiografien, Ausstellungsbesuche, die Geschichte Babelsbergs als Filmstadt, das alles steht auf dem Curriculum. Futter für Augen und Hirn, damit die Mitarbeiter nicht nur „Digital“, sondern auch „Artists“ sind. Dass derart umfassend gebildete Mitarbeiter auch in London oder Hollywood gefragt sind, nimmt Skrzipczyk dafür in Kauf. Er hofft, dass sich diese Investitionen auszahlen; hofft auf jene noch zu seltenen magischen Momente, wenn Regisseure neue Effekte anregen, die Exozets Kreativität herausfordern, statt sich aus Skrzipczyks Bauchladen bereits gemachter Tricks zu bedienen. Dafür würde er auch Schnee zaubern, der irgendwie „gotisch“ vom Himmel fällt.

Infobox: Exozet effects

Je nach Auftragslage arbeiten zehn bis zwölf feste Mitarbeiter für Exozet effects im Babelsberger Filmpark, in Spitzenzeiten wächst das Team um Olaf Skrzipczyk (Foto: Exozet) auf 25Leute an.
Seit rund zehn Jahren sitzt die Visual-Effects-Firma im sogenannten Special-FX-Gebäude des Filmparks.
Seither ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen. Mit der Offenheit für Effekte bei den Produzenten haben auch die Aufträge zugenommen.
Als Spezialist für visuelle Effekte arbeitet Exozet heute vor allem mit digitaler Nachbearbeitung – aber nicht ausschließlich: Für die ZDF-Tragödie „Die Gustloff“ baute das Unternehmen ein Modell im Maßstab 1:5, das dann mit Wasser geflutet wurde. Am Computer erhielten die Aufnahmen den letzten Schliff.
Den aufwändigsten Auftrag erledigte Exozet, als sie für die ARD „Frau Holle“ bearbeiteten. Die märchenhafte Landschaft entstand nahezu komplett am Computer, die Schauspieler agierten vor blauen Wänden.

Erschienen am 02.08.2008

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