Bilaterale Entspannung

Post: Ein Zusammentreffen natürlicher Feinde: Briefträger übten den Umgang mit Hunden

Das Verhältnis von Hunden und Postboten ist vielerorts zerrüttet. Man trägt sich gegenseitig Bisse und Revierverletzungen nach. Ein Seminar in Mahlow sollte Abhilfe schaffen

MAHLOW| Warum beißen Hunde bevorzugt Briefträger? An dieser Frage haben sich schon Generationen von Erkenntnistheoretikern erfolglos die Hirnzellen wund gemartert. Es existiert eine Hypothese, die besagt, wenn Stubenhunde, deren Alltags-Temperament der Rubrik „Sofarolle“ zuzuordnen ist, plötzlich gegen jede Gewohnheit nach dem Postillion schnappen, sei eine genetisch bedingte Abneigung gegen Uniformen im Spiel. Andere Kynologen wiederum vermuten, das überkommene Gerücht, der Briefträger nutze die Abwesenheit des Ehegatten, um Hausfrauen nicht nur mit schönen Päckchen zu beglücken, habe unter den Fiffis dieser Welt die Runde gemacht, und sie verteidigten Muttis Ehre an Vatis Statt.
Von solchen epistemologischen Feinheiten mussten sich die 25 Mitarbeiter des Zustellstückpunkts Mahlow gestern früh nicht irre machen lassen. Ihr Interesse war ein ganz handfestes – sie wollten weniger gebissen werden. Nicht, dass das noch an der Tagesordnung wäre: Nur 31 Mal schnappten Vierbeiner in Brandenburg 2007 nach dem Briefträger, ein deutlicher Rückgang zum Jahr davor, als sich noch 63 Mal die Zähne des Haushundes ins Fleisch eines Postboten gruben. „Hunde und Postboten verstehen sich immer besser“, titelte daher die Pressestelle der Post ganz verwegen, und Tiertrainer Jörg Ulbricht wusste auch anzugeben, warum: Weil der Briefträger aus Hundesicht langsam lernt, sich anständig zu benehmen.
Was das heißt, erklärte er den 25 aufmerksam zuhörenden Zustellern an diesem Morgen. Kardinalfehler Nummer eins sei noch immer der Brief- oder Paketwechsel über dem Hund, erinnerte Ulbricht, der in Freital bei Dresden eine Hundeschule betreibt und der für Post in Sachsen und Süd-Brandenburg Seminare gibt. Von fremden Füßen umstellt, fühle sich der Hund eingeengt, und alles, was über seinem Kopf geschehe, mache ihn zusätzlich nervös, so der Trainer. Bei aggressiven Tieren empfahl er Ruhe, auch wenn’s schwerfalle: Keine hektischen Bewegungen, kein Weglaufen. „Wenn sie trotzdem gebissen werden, war’s ohnehin nicht zu verhindern. Aber wenn sie fuchteln oder weglaufen, provozieren sie womöglich einen Biss, den sie sonst nicht bekommen hätten“, erklärte er. „Na toll“, kommentierte eine Zustellerin, „was für eine Auswahl.“ Wer Patentrezepte erwartet hatte, musste zwangsläufig enttäuscht sein. Doch die Tipps und Strategien des Hundetrainers können immerhin das Risiko senken. Wie das Briefing vor einem Geheimdiensteinsatz nahm sich Ulbrichts Gefahrenanalyse aus, zu deren Durchführung er ein typisches Grundstück an die Wand warf und besonders gefährliche Punkte, Aktionsradien, Vermeidungsstrategien und Fluchtweganalysen durchsprach.
Im Praxisteil auf dem Parkplatz des Zustellstützpunkts schärfte Ulbricht den Blick der Teilnehmer für typisches Hundeverhalten anhand eines Schäferhundes und eines Terriers: Die Postboten lernten, Hundeverhalten richtig zu deuten, Angst zu erkennen, Schwanzwedeln nicht misszuverstehen und Drohgesten einzuschätzen. Das beste Mittel, gestand der Trainer, sei immer noch, über Leckerli eine Beziehung zu schwierigen Tieren aufzubauen. Das ist bei der Post aber verboten.
Gut möglich also, dass letztlich doch ein Philosoph das Rätsel der besonderen Vorliebe von Hunden für Briefträger lösen muss, bevor die Post titeln kann: „Hunde und Postboten verstehen sich grundsätzlich blendend.“

Info-Box: Kleine Hundekunde
Um so biss-sicher zu werden wie ein Postbote, empfiehlt es sich, einige Grundregeln zu befolgen:
Hunde fühlen sich vom Eindringen in ihr Revier bedroht, von schnellen Bewegungen oder raschem Entfernen, das als Flucht gedeutet werden kann.
Je höher ein Hund in der Familienrangordnung ist, desto angriffslustiger ist er – er glaubt ja, das Rudel schützen zu müssen.
Angst zu zeigen ist wie eine Einladung zum Angriff, Schreien oder Weglaufen sind daher keine besonders gute Idee.
Auch Drohgebärden, Blickkontakt, Störungen beim Fressen, Weglaufen oder das Entwenden ihres Spielzeugs mögen aggressive Hunde gar nicht.
Der beste Rat ist grundsätzlich, stehenzubleiben und keine Angst zu zeigen, wenn ein Hund auf einen Menschen zukommt. Oft will er ihn einfach nur erschnuppern. Wenn schon Rückzug, dann langsam.

Erschienen am 08.10.2008

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