„Hier bin ick richtich“

Gesundheit: Seniorenmesse öffnete gestern ihre Pforten / Breites Angebot von Augenklinik bis Zahnersatz

165 Unternehmen und Einrichtungen buhlen auf der Seniorenmesse um die „Generation 50plus“. Ein Rundgang mit einem Vertreter der Zielgruppe.

POTSDAM| Nein, bitte, nicht auch noch die Frau vom Beerdigungsinstitut anmotzen! Bitte! Nicht! Zu spät. Horst Kutzmann ist einfach zu gut in Fahrt. „Sacht mal, spinnt ihr, oder watt? Ditt is ’ne Messe, um fit zu werden, nich um begraben zu werden.“ Der 67-Jährige mit den buschigen silbernen Augenbrauen ist wirklich gut in Form: Er ist erst beim zehnten Stand der „Gesundheits- und Seniorenmesse“ in der Metropolishalle angelangt – „Friedwald – Begraben unter Bäumen“ steht auf dem wandfüllenden Foto hinter der angeraunzten Frau – und hat schon elf Aussteller angeschnauzt. „Beim Thema Tod bin ick empfindlich“, sagt er so abfällig, dass man die enthaltene Entschuldigung kaum heraushört. Dem Tod, sagt Kutzmann, sei er nämlich kürzlich „vonner Schippe jehopst“ – Herzinfarkt, Ambulanz, Intensivstation, Reha-Klinik, „dit volle Projramm“. Seither ernährt er sich gesünder, raucht nicht mehr und schränkt seinen Bierkonsum ein. „Tut dem Körpa jut“, betont er. Der Stimmung offenbar nicht.
Aber Horst Kutzmann ist ja auch nicht zur Messe gekommen, um „den Gute-Laune-Drops zu machen“, wie er betont, sondern weil er sich informieren will, wie er wieder auf die Beine kommt. Schließlich heißt die Messe „Vital 50plus“, da müsse es doch etwas für ihn geben, ist Kutzmann überzeugt. Eine Hoffnung, die sich zumindest an den ersten Ständen nicht einlöst. Mit eloquenten Schuhputzern, schwitzenden Glasbläsern und Damen, die polnischen Zahnersatz anpreisen, hatte der Rentner nicht gerechnet. Und er lässt es sie auch gern wissen. Lediglich der Anbieter von Brillenputztüchern findet ein wenig Gnade vor seinen Augen: „In den Lappen is wenigstens Alkohol drin“, sagt er. Kurze Pause. Lächelt er jetzt? Er lächelt! Das ärztliche Bierverbot scheint ihn dennoch schwer zu quälen.
Es geht weiter: Der Schmuckstand, die Haarentfernung, der Pfannenhändler und die Pediküre finden keine Gnade vor seinen Augen, doch weil Horst Kutzmann langsam die Puste ausgeht – „bin halt noch nich aufm Damm“ –, hat er zumindest das Motzen eingestellt.
Kritisch beäugt er die Karawane der Politprominenz, Fraktionsvorsitzende, Stadtverordnete, Messe-Verantwortliche, die von Stand zu Stand zieht und für jeden ein freundliches Wort hat. „Blöder Häppchentourismus“ ist alles, was dem zu Atem kommenden Kutzmann dazu einfällt.
Doch es wird besser: Die Angebote des SC Potsdam gefallen dem Rentner durchaus. Der Verein hat gleich Trampolin, Trimmrad und Hanteln aufgebaut und kann im Gespräch nicht nur das „Bewegungs- und Aufbautraining“, sondern auch den „Reha- und Gesundheitssport“ empfehlen. „So hatt ick mir ditt das vorjestellt“, sagt Kutzmann, schon versöhnlicher, und wippt in Schuhen auf dem Trampolin herum, als keiner hinschaut.
Die Infrarot-Kabinen, die ausgestellt werden, gefallen dem ehemaligen Schlosser auch, versprechen sie doch Fitness ohne Bewegung, doch beim Preis von mehr als 6000Euro winkt er dankend ab. Immerhin kein Anranzer an den freundlichen Verkäufer. Die Messe beginnt offenbar zu wirken.
Sie büßt noch einmal etwas ein, als er das Vortragsprogramm studiert: „Moderne Handchirurgie“, Sturzprävention, Demenz, Arthrose, Zahnimplantate, Krampfadern, Schnarchen und der Gesundheitsfonds sind nicht Kutzmanns bevorzugte Themen. Bei „gesunde Ernährung“ und „Patientenverfügung“ gar schwillt die Ader an seinem Hals bedrohlich an, doch dann entdeckt der Rentner die Punkte „Herz-Rhythmus-Störung“, „Herzschwäche“ und „Schlaganfall“, und er lässt sich zufrieden auf einen der noch zahlreichen leeren Stühle fallen. „Hier bin ick richtich. Ick habs ja jewusst“, ist alles, was er noch sagt.

Erschienen am 21.03.2009

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