Klarheit und Reinheit

2005 konvertierten mehr als 4000 Deutsche zum Islam – darunter auch einige Märker

POTSDAM Für Christian Hoffmann war es wie ein Blitz. Auf seinem Balkon sitzend, durchflutete ihn plötzlich die Erkenntnis: „Himmel und Erde sind Allahs Schöpfung, und der Islam ist die letzte von ihm offenbarte Religion.“ Glaubt man seinen Worten, so war er damals glücklich und nach nichts auf der Suche. Später hat der ehemalige CDU-Pressesprecher ein Buch über seinen Wechsel zum Islam und all die Folgen geschrieben, das 1995 für einigen Wirbel sorgte: „Zwischen allen Stühlen“ heißt es.
Nicht immer gibt es diesen einen Moment, wo sich eine neue Religion mit Blitz und Donner oder einem inneren Erdbeben zeigt. Bei Abdalhafidh Ullmann war es ein langsamer, konflikthafter Prozess. Am Anfang stand Unzufriedenheit. „Etwas war aus der Balance geraten“, sagt der 25-Jährige und rückt seinen leuchtendroten Fez zurecht. Was genau, das weiß er nicht. Oder er mag es nicht sagen. Es ist schwer, hinter Abdalhafidhs Stirn zu blicken. Nach jeder Frage nippt er am Espresso, schaut eine Weile zum Fenster und setzt ein wissendes Lächeln auf, bevor er antwortet. „Ich weiß nicht, was gefehlt hat, aber der Islam hat es mir gegeben. Ich bin jetzt ein glücklicher Mensch.“
Nach der Schule ging Abdalhafidh für vier Jahre zur Bundeswehr. Damals hieß er noch Alexander. Die klare Struktur, die Ordnung dort haben ihm gefallen. Und der Respekt, den Jüngere vor Älteren haben. „Draußen“, sagt er, und meint die Welt außerhalb der Kaserne, „draußen habe ich das vermisst“. „Draußen“, das war auch das Volkswirtschaftsstudium, auf das sich Abdalhafidh, der bereits eine Lehre zum Bankkaufmann in der Tasche hatte, schließlich einließ. Nicht für lange. Das Gebot des Geldvermehrens, „diesen Zynismus“, das habe er nicht ertragen. Die nächste Station, eine Ausbildung zum Heilpraktiker, füllte ihn mehr aus. Die Unzufriedenheit mit seinem Leben aber blieb. Alexander war ein Suchender, Abdalhafidh ist ein Angekommener. Sagt Abdalhafidh.
Klarheit, Reinheit, Respekt: Viele Deutsche, die zum Islam konvertieren, fühlen sich davon angezogen. In den letzten Jahren wurden es stetig mehr, rund 4000 ermittelte das Islam-Archiv in Soest für 2005, und die Tendenz scheint weiter steigend. „Die Konvertitenszene hat sich total verändert“, sagt Salim Abdullah, der Leiter des Islam-Archivs. Waren es früher Ehepartner, vorrangig Frauen, die bei der Heirat mit einem Muslim dessen Religion annahmen, so sind es heute vor allem junge Akademiker, die sich intensiv mit dem Koran beschäftigen und dann aus freien Stücken den Weg zu Allah suchen. „Die wenigsten sind älter als 35“, sagt Abdullah.
Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. „Das ist eine ganz individuelle Entscheidung“, meint der Leiter des Islam-Archivs. Auffällig ist, dass die Zahl der deutschen Konvertiten seit etwa 2001 rapide ansteigt – von etwa 300 im Jahr vor 2001 auf mehr als 4000 heute. Es scheint, als habe der 11. September eine Lawine ausgelöst.
Eine Erklärung lautet: Durch die politische Entwicklung ist der Islam ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt, und viele Menschen begannen, sich damit näher zu befassen. Einige fanden darin eine neue Heimat. Ahmad Gross, der Amir der Potsdamer Muslime, sagt, für manchen sei der Wechsel zum Islam auch eine politische Aussage: gegen Globalisierung, gegen die Macht des Zinses, den der Koran ausdrücklich verdammt, und gegen die amerikanische Außenpolitik. Das ist die andere Erklärung.
Auf Abdalhafidh treffen beide nicht zu. Der Islam ist für ihn ein Weg, sein Leben neu zu ordnen. Und nicht nur für ihn. „Meine Frau war depressiv. Jetzt ist sie zum zweiten Mal schwanger. Einen besseren Beweis für meinen Glauben gibt es nicht.“ Auch er schätzt am Islam die Klarheit. Mit der Dreifaltigkeit des christlichen Gottes kann er wenig anfangen. Für Moslems sind Christen Polytheisten. Außerdem stehe bei ihnen die Kirche zwischen dem Einzelnen und Gott.
„Im Islam schließt der Gläubige hingegen einen Privatvertrag mit Allah. Keine Priesterkaste entscheidet über Aufnahme oder Ablehnung“, sagt der Leiter des Islam-Archivs. Lediglich zwei muslimische Zeugen sind nötig, um die Schahada, das Bekenntnis, abzulegen. Auch einen formellen Austritt gibt es nicht. „Das muss der Gläubige mit Allah ausmachen“, so Abdullah.
Die Klarheit seines neuen Glaubens – ein Gott, ein Prophet, eine seit ihren Ursprüngen unveränderte heilige Schrift – korrespondiert für Abdalhafidh mit der Klarheit, die sein Leben seitdem gewann. Mit seiner Herkunftsfamilie habe er sich ausgesöhnt, nachdem er den Koran studiert hatte. Auf einige Freunde müsse er verzichten. „Die dachten, ich renne künftig mit dem Sprengstoffgürtel durch die Welt“, erzählt er und versucht ein Lächeln. Die Aufnahme in die muslimische Gemeinde ersetze sie ihm hundertfach.
Es ist ein enger Kreis, etwa 20 Familien, der sich in den hellen, spartanisch eingerichteten Räumen in der Potsdamer Weinbergstraße trifft. Der Sonntag gehört ganz den Familien. Man liest gemeinsam im Koran, hört Vorträge, betet und singt. Die Frauen bereiten im Obergeschoss Essen zu, die Männer sitzen in Grüppchen auf dem Boden und reden. Draußen tobt ein munterer Haufen Kinder. Aufgaben und Hierarchien sind klar verteilt, und Abdalhafidh findet hier den Respekt, den er „draußen“ so schmerzlich vermisst: Die Kinder sind höflich, und sie übernehmen selbstverständlich Pflichten: decken den Tisch, räumen auf, machen sauber. Reinheit ist auch eine Besonderheit des Islam. Viele Moslems fühlen sich schon von der christlichen Lehre der Erbsünde „irgendwie beschmutzt“, wie Abdalhafidh es nennt. Vor jedem Gebet ist eine Waschung Pflicht, um in den Zustand ritueller Reinheit zu gelangen. Wer Moslem wird, bekommt alle zuvor begangenen Sünden vergeben. Alkohol und Schweinefleisch lehnen Muslime als verunreinigend ab.
Abdalhafidh hat einige Religionen „angetestet“, wie er sagt, bevor er zum Islam fand. Das haben sie hier fast alle. Die meisten der Potsdamer Muslime sind in der DDR großgeworden und waren sehr skeptisch. „Wie in einem Warenhaus haben sie alles genau geprüft und abgewogen“, sagt Amir Gross. Für viele Ostdeutsche ist es die erste Religion, was die Skepsis nicht eben minderte. Die Geschichte von Christian Hoffmann und dem Blitz kann Abdalhafidh daher nicht nachvollziehen. „Der Glaube wächst in einem – dafür bleibt er dann auch.“

Erschienen am 21.02.2007

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