Was bleibt: Eine Keks-Phantasie
Jetzt, wo ihr Nachfolger in den Startlöchern steht, bereits erste Veranstaltungen besucht und Projekte begutachtet, können wir es ja sagen: Am Ende ist sie nicht am Battis-Bericht oder an schlechter Kommunikation gescheitert, die Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz. Sondern an der Geschichte mit den Keksen.
Aus baulicher Sicht sind diese Kekse eine ganz simple Angelegenheit: Trocken-bröseliger grundhafter Aufbau, Vollmilch-Deckschicht und – als fassadäres Highlight – eine Applikation aus weißer Schokolade in Form eines Turmes. Poetisch veranlagte Naturen wären da schon hellhörig geworden: Der Turm, ein Solitär, wehrhaft, aber sehr einsam. Doch Journalisten sind nicht poetisch veranlagt. Wären sie es, säßen sie im Feuiletton und nicht bei der Baubeigeordneten. Der in Rede stehende Keks jedenfalls gehört zu einer Kekssammlung, wie es ihrer tausende gibt. Der durchschnittliche Journalist wird wöchentlich im Schnitt 3,72 Mal mit solchen Keksen konfrontiert, die meist als launiges Beiwerk zu nur mäßig genießbarem Filterkaffee bei Presseeinladungen am späten Vormittag daherkommen. Ist nicht zufällig noch ein stets hungriger Fotograf im Raum, bleiben sie meist unangetastet, die Kekse.
Nicht so in Zimmer 1.023 des Stadthauses, wenn die Beigeordnete Neuigkeiten für die Presse vorhielt. Sie griff bei den Turmkeksen stets beherzt zu – als Gastgeberin ihr gutes Recht. Was die Sache nicht unerheblich komplizierte, ist, dass es derer je Packung nur zwei gibt – der Kekse, nicht der Beigeordneten. Und: Sie betonte stets launig und lauthals, dass diesen Keksen ihr unumstößliches Interesse gälte. Hätte sie wortlos gekrümelt, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen. Zunächst ließen die Reporter die Beigeordnete gewähren, denn sie haben ein prinzipielles Misstrauen, wenn sie auf Terminen gefüttert werden sollen. Doch dann berichteten sie in der Redaktion von der Vorliebe der Beigeordneten, und die Dinge nahmen einen dramatischen Lauf. Redaktionsleiter nämlich, die Natur und die Berufssoziologie wollen es so, sind per Definition Alphatiere – beim nächsten Termin in 1.023 folglich harrten der Beigeordneten keinerlei Turm-Kekse mehr, stattdessen aber zwei vollgekrümelte Lokalchefs mit diabolischem Grinsen. Der Brunnen war augenblicklich vergiftet, der Fehdehandschuh geworfen, das Kriegsbeil exhumiert. Doch man wird nicht Beigeordnete im nur mit paramilitärischen Methoden zu überlebenden Bauressort Potsdams, wenn man sich nicht zu wehren weiß: Beim nächsten Termin erschien Kuick-Frenz deutlich früher, um Vorräte sicherzustellen. Die Journaille ihrerseits schlug zurück, in dem sie eine Vorhut aus niederen Chargen – Volontäre, freie Mitarbeiter – zur Keksreservierung entsandte. Die sich auf beiden Seiten unvermeidlich einstellenden Keksverluste wurden durch böse Zeitungskommentare auf der einen und zurückgehaltene Informationen auf der anderen Seite kompensiert. Eine normale, kritisch-würdigende Zusammenarbeit erwies sich fürderhin als unmöglich. Das Klima war vergiftet, das Gebäck auch, und so bröselte der Keks – man ging sich gehörig auf denselben. Am Ende, man muss es sagen, hatte die Beigeordnete keine Chance mehr gegen die geballte veröffentlichte Meinung. Der weiße Turm war befleckt, die Wiederwahl unmöglich. Und der einzige Hunger, der blieb, war der nach Vergeltung.
Erschienen am 05.08.2009