WAS BLEIBT: Ultrakarmingrellbunt

In der aktuellen Schulflurfarbberatung haben sich Trends etabliert, die ohne jeden Zweifel auf Netzhautzersetzung abzielen. Wo immer in Potsdam derzeit eine Schule oder Kita saniert wird, erstrahlen Flure und – schlimmer noch – Toiletten in Farbtönen, die mit dem Begriff Ultrakarmingrellbunt noch milde umschrieben wären. Eher fühlt man sich an den Otto-Waalkes-Klassiker „schreiende Farbe sind out, brüllende Farben sind in“ erinnert. Flure in einem Bonbon-Neongrün, das farblich irgendwo zwischen atomar verstrahltem Laubfrosch und der Gesichtsfarbe nach zwei Wochen Seekrankheit rangiert. Mädchentoiletten in einem Pink, das selbst fortgeschrittenen Prinzessin-Lillifee-Jüngern Tränen in die Augen treibt und sich schmerzhaft ins Sehzentrum brennt. Das mag für Sehbehinderte an einem trüben Wintertag bei Stromausfall eine existenzielle Orientierungshilfe sein, für alle anderen unter allen anderen Umständen ist es schlicht unerträglich. Fragt man die Bauleute nach dem Sinn, erntet man kollektives Schulterzucken und den Hinweis, dass es so im Auftrag gestanden habe. Fragt man die Architekten, wird auf die Ausschreibung verwiesen, und fragt man den Auslober, so spielt er den Ball an die Schulplaner weiter. Die wiederum antworten gar nicht erst. Möglicherweise, weil ihre Sehkraft nicht mehr ausreicht, um Mails zu entziffern, die in schlichten schwarzen Lettern auf weißem Grund gehalten sind. Möglicherweise ist es eine Generationsfrage. Möglicherweise müssen wir beherzt in die Klischeekiste greifen und behaupten, die heutige Jugend sei dank medialen Dauerbeschusses, dank MP3-Player, PC und TV so reizabgestumpft, dass nur noch mit Farben jenseits der optischen Lärmgrenze überhaupt Wirkung erzielt wird. Ein Architekt behauptete allen Ernstes in der neuen Musikschulfiliale am Stern, das unangenehm verdauungsfördernde Grün der Jungstoiletten sei „erfrischend“ und „belebend“ für die Schüler. Dieser mutige Erklärungsansatz, bezeichnenderweise mit zusammengekniffenen Augen vorgetragen, wirft dann aber die Frage auf, wie solch ein Musikschüler nach dem belebenden Toilettenbesuch mit farblichem Terroranschlag in der Lage sein soll, die Nuancierung in Liszts Liebesträumen am Klavier wiederzufinden. Mag sein, dass es hilft, für Thrash Metal in die richtige innere Stimmung zu kommen. Oder für Grindcore Punk. Oder für Hardcore Techno. Dass das Hauptgeschäftsfelder der Musikschule wären, hat sich bislang aber nicht herumgesprochen. Und es erklärt auch nicht, warum Grundschulflure in der selben Farbe leuchten. Sollten Sie zum Ferienende jedenfalls eine renovierte Schule betreten müssen, nehmen Sie sich bitte eine Sonnenbrille mit. Sie machen ihrem Augenarzt eine echte Freude.

Erschienen am 12.08.2011

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