Rangelei wegen eines Gedenksteins

Eklat: Zossener Ladeninhaber verlor die Kontrolle, weil vor seinem Geschäft ermordeter Juden gedacht wird

Was als Zeremonie zur Erinnerung an jüdisches Leben in Zossen geplant war, wurde von einem brüllenden, prügelnden Internet-Café-Betreiber überschattet.

ZOSSEN| Es begann ganz harmlos: 15 Leute hatten sich gegen Mittag vor dem Rathaus versammelt, um unter der Leitung von Kurt Liebau Orte jüdischen Lebens in Zossen aufzusuchen. Es regnete, es stürmte, es war kalt, aber es war eben auch „ein wichtiger Tag für Zossen“, wie Liebau betonte. Ehrenamtlich verfolgt der studierte Indienwissenschaftler seit Jahren die Spuren jüdischer Bewohner der Stadt und ihrer Ortsteile. Für den Nachmittag war die Verlegung der ersten sechs Stolpersteine geplant. Unter diesem Namen setzt der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 15 Jahren an den ehemaligen Wohnstätten von Juden, die von den Nationalsozialisten vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden, Steine ins Pflaster. Sie sind zehn mal zehn Zentimeter groß und tragen auf einer Messingplatte Namen und Lebensdaten der Opfer. Rund 17000 Steine in mehr als 350 Städten und Gemeinden hat Demnig bisher verlegt.
Die ersten vier dieser Steine zum „darüber Stolpern“ kamen gestern vor dem Buchladen auf dem Marktplatz, Hausnummer 16, in die Erde. Dort lebte seit 1924 die vierköpfige Familie Falk in der oberen Etage. Sie wurde in Auschwitz ausgelöscht. Zwei weitere Steine sollten danach vor dem Haus Berliner Straße 11 eingelassen werden, wo Martha und Lesser Weinberg ein Textilgeschäft unterhielten. Sie wurden nach Theresienstadt deportiert. Doch schon auf dem Marktplatz machte das Gerücht die Runde, der dortige Ladenbesitzer wolle die Steine verhindern. Einer kurzen Beratung von Organisatoren, Stadtverwaltung und Polizei zufolge musste man sich keine Sorgen machen: Der Weg befindet sich im öffentlichen Straßenraum, und die Steinlegung ist durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung eindeutig legitimiert.
Die inzwischen auf rund 20 Personen gewachsene Gruppe wanderte also guten Mutes in die Berliner Straße, aber dort eskalierte es: Aus dem Internetcafé „Medienkombin@t“ stürmte ein Mann, der sich als „Eigentümer Herr Link“ vorstellte und das Setzen des Steines verbot. Auf die freundliche Mitteilung hin, dass er das nicht könne, weil es sich um städtischen Raum handle, rief er die Polizei – die war ohnehin schon im Anmarsch. Als dann die Spaten angesetzt wurden, stürmte der Ladeninhaber brüllend heraus, stieß wahllos umstehende Zuschauer um und verwickelte einen Mitarbeiter der Stadt in eine Rangelei. Der blutete am Ende. Die Polizei versuchte sich in Deeskalation und riet dem Ladenbesitzer, gegen den Beschluss der Stadt vorm Amtsgericht zu klagen. Die Chancen auf Erfolg dürften verschwindend gering sein. Indes wurden die Steine ins Pflaster gelassen. Seine Drohung, sie „wieder rauszureißen“, sollte der Geschäftsmann besser nicht wahr machen: Ihm drohen ohnehin schon Anzeigen wegen versuchter Körperverletzung. Gegenüber der MAZ und der „gesamten Scheißpresse“ wollte er sich zu den Gründen für seinen Unmut nicht äußern. Lediglich, dass die Steine „geschäftsschädigend“ seien, brüllte er mehrfach mit hochrotem Kopf.

Erschienen am 21.11.2008

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