NACHSCHLAG: Der guten Würze zu viel
Das „Café Heider“ nennt sich zu Recht das Wohnzimmer der Stadt: Gemütlich, freundlich, kleine Macken
Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.
Den Potsdamern das Café Heider zu erklären, das ist ein bisschen, als zeige man ihnen, wo der Park Sanssouci liegt. Wir wagen es dennoch, schließlich bezeichnet sich das Restaurant und Caféhaus als „Wohnzimmer der Stadt“ – und über fremde Wohnzimmer redet man gern. Es ist wochentags, der letzte Sommernachmittag, kurz nach 14 Uhr, das Café Heider ist halbvoll, dafür gibt’s draußen keinen freien Platz mehr – alles genießt die letzten Sonnenstrahlen. Also rein, neben der Tür zum Platz ist ein Tischchen frei, vier Kellner bespielen Haus und Platz und haben enorm zu tun, bleiben aber freundlich – untereinander und zum Gast. Einem redebedürftigen Rentnerpaar zuliebe bleibt die hübsche Kellnerin (das hat Tradition im Heider, hier hat sogar Wolfgang Joop Franziska Knuppe entdeckt) sogar nach dem Zahlen noch zu einem Mini-Schwatz stehen, obgleich von draußen jemand wenig galant ihre Aufmerksamkeit fordert: „Kommt ooch eena raus oda watt?“ Sie enteilt.
Die Karte ist lang und zeigt, warum Café Heider auf dem ersten Wort betont wird: Mehrere Seiten voller Tees, Kaffeespezialitäten, heißen Schokoladen, dazu ein umfangreiches Frühstücksangebot – und zwei Seiten mit Essen, darunter Caféhaustypisches wie Wiener Schnitzel mit lauwarmem Kartoffelsalat, aber auch Suppen und Snacks für den kleinen Hunger. Den Mittagsgast zwischen 11.30 Uhr und 14 Uhr erwartet ein wechselndes Gericht für 6,90 Euro – in dieser Woche von Hähnchencurry über Königsberger Klopse und Currywurst bist Pasta – und ein wöchentlich wechselndes Gericht von der Hauptkarte, das um 15 Prozent günstiger und mit einem Kaffee zum Nachspülen angeboten wird.
Dafür ist es aber etwas zu spät, daher greifen wir in die Vollen – heißt: zum teuersten Gericht – und ordern das Rumpsteak nebst quarkübergossener Ofenkartoffel und Salatbeilage (17,50 Euro), dazu – es ist ja noch Mittag – eine große Fassbrause (3,40 Euro), obschon die kleine, aber hervorragende Weinauswahl lockt. Obwohl die Kellner viel zu tun haben, kommen sie schnell und bleiben auch beim Tester ausnehmend freundlich. Ebensoschnell kommt das Essen – nicht so schnell, dass wir die Mikrowelle im Verdacht haben, hier unterstützend eingegriffen zu haben, aber auch nicht so spät, wie wir angesichts des touristengefluteten „Heider“ befürchteten.
Die Backkartoffel ist riesig und anfangs noch heiß, was natürgemäß wegen des Quarks schnell nachlässt. Das Rumpsteak lässt nicht auf überzogenen Sparwillen schließen, wurde aber seines kleinen Fettrandes beraubt, eine Unsitte, die angesichts des Trends zur gesunden Küche zwar zunehmend um sich greift, das Rumpsteak aber streng genommen zu einem teureren Hüftsteak degradiert, denn der kleine Fettrand im ansonsten mageren Fleisch ist eigentlich Teil der Definition. Caféhaustypisch werden keine großen Locken auf dem Teller gedreht, das Auge freut sich aber über die dicke Schicht aus Pfeffer, Salz und Gewürzen, die das Steak auf dessen gesamter Länge bedeckt. Die Zunge nicht. Es ist einfach zuviel. Zu salzig, zu pfeffrig, zu würzig. Nach dem ersten Bissen gebrauchen wir das Messer daher als Schabehilfe, und ein Berg Gewürze häuft sich neben das Steak. Das war übrigens „medium“ gebraten bestellt, kommt aber durchgebraten an. Nur in der absoluten Mitte hält sich trotzig ein Minikern rosafarbenen Fleisches. Schade. Zum Abschluss darf’s noch ein doppelter Espresso (3,40 Euro) sein, um die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen. Der ist wie erwartet klein, stark, schwarz und lecker. Am dazu gereichten Wasserglas indes klebt ein schokoladiger Fingerabdruck. Besser könnte man den Besuch nicht zusammenfassen: Kleine Mängel, aber gemütlich, freundlich, zentral gelegen, kurzum: ein typisches Wohnzimmer.
Erschienen am 14.09.2012