Forschen Schritts durch die Geschichte

Historie: Im Olympischen Dorf haben die Führungen wieder begonnen / Nasskaltes Wetter sorgte bislang für wenig Andrang

Der Abriss zweier Plattenbauten im Olympischen Dorf ist so gut wie abgeschlossen. Dafür kommen jetzt die Besucher.

ELSTAL Die Bedingungen sind nicht eben optimal: Es ist kalt, ein fieser, eisiger Nieselregen dringt durch jede Jacke und die Truppe, die sich am Eingang des Olympischen Dorfes sammelt, könnte motivierter sein. Die meisten sind Ein-Euro-Jobber, die von der Akademie Seeburg zum Dorfrundgang abkommandiert wurden: Um sich weiterzubilden, und weil sie in einem Tourismus-Projekt später Flyer entwerfen sollen. Ob’s nun dem Wetter geschuldet ist oder dem Umstand, dass viele das Olympische Dorf längst kennen: Kommentare wie „Hat einer ein Koppkissen bei?“ und demonstratives Gähnen lassen nur auf gut verborgene Begeisterung schließen.

Dorfführer Klaus Michels, ehemaliger Sport- und Russischlehrer, lässt sich davon aber wenig beeindrucken: An seiner Jacke perlt der Regen ebenso ab wie die allzu laut geflüsterten Kommentare an seiner Begeisterung. Also setzt der 70-Jährige mit einem „Und los!“ den müden Tross in Gang, als starte er einen Crosslauf und eilt forschen Schritts voran.

Michels kennt sich auf dem 55 Hektar großen Areal aus wie in seiner Hosentasche, das wird mit jedem Wort klar. Er kennt die Lage jedes Gebäudes, ob es nun noch steht wie die rund 20 ehemaligen Sportlerunterkünfte oder von den russischen Streitkräften abgerissen wurde wie die repräsentative Empfangshalle und etwa 100 weitere Sportlerheime. „Junge, der kennt wohl selbst jeden Stein hier mit Vornamen“, entfährt es einem Teilnehmer, und trotz aller Unlust schwingt Respekt in diesem Satz.

Klaus Michels hat sich einen Zeitplan von zwei Stunden gesetzt, und er ist entschlossen, das zu schaffen. Im Sauseschritt geht’s zunächst zum Kommandantenhaus, er erklärt, was davon noch steht und wie es früher aussah, welche Teile warum fehlen und ist schon weiter unterwegs zum Waldsee, der inzwischen ausgetrocknet ist. Die Sauna, auf Wunsch der finnischen Mannschaft angelegt, existiert auch nicht mehr, doch Michels hat ein Foto davon dabei. Er zeigt es und sprintet zum Hindenburghaus weiter, im Laufen darum bittend, die Privatgespräche wenigstens leiser zu führen, damit die dann doch Interessierten ihn verstehen können.

Eveline und Frank Unger sind zwei dieser „dann doch Interessierten“: Sie haben 49. Hochzeitstag und sind fest entschlossen, aus diesem Anlass „etwas Neues aufzunehmen“. Rathenow und Nauen kennen die Steglitzer Rentner mittlerweile bestens, nun ist das Olympische Dorf dran. Sie sind begeistert – nicht nur von Klaus Michels’ Führung, die sie als „exzellent“ und „rhetorisch brillant“ loben, sondern auch von der Schönheit des Geländes und dem Einsatz der DKB-Stiftung für dessen Erhalt, den sie „segensreich“ nennen. Einzig den geringen Bekanntheitsgrad des halbverfallenen Schmuckstücks vor den Toren Berlins beklagen sie und sind wild entschlossen, in ihrem Bekanntenkreis für einen Besuch zu werben.

Während Klaus Michels mit den beiden über den „Thing“ und die „Bastion“ zur Speisehalle der Nationen weitereilt, die restliche Gruppe wie einen störrischen Hund hinter sich herziehend, muss DKB-Mitarbeiter Jens Becker die Bauarbeiter bremsen. Vor wenigen Wochen haben sie mit dem Abriss zweier der hässlichsten Plattenbauten aus der Zeit der russischen Garnison begonnen, jetzt sind sie ihm etwas zu zügig, denn das Olympische Dorf erregt zunehmend Medieninteresse: Der „Spiegel“, die „Zeit“, die „New York Times“ gar, wollen über die Erhaltung des Dorfes und die Entfernung der russischen Hinterlassenschaften berichten, doch vom ehemaligen russischen Café etwa kündet nur noch ein Hinweisschild, das Haus ist weg, der Boden planiert, selbst Gras schon gesät.

Klaus Michels, der sonst mit kritischen Worten nicht spart, nennt das Wirken der DKB am Ende seines Rundgangs unverhohlen „großartig“, trotz Meinungsverschiedenheiten im Detail. Die abkommandierten Ein-Euro-Jobber sind da längst ins Wochenende enteilt, und so hat er nun Zeit, im Trockenen der Sporthalle stehend, die interessierten Fragen der Ungers zu beantworten. „Waren doch optimale Bedingungen“, sagt er lächelnd, bevor er sich auf sein Rad schwingt, um nach Hause zu fahren.

Erschienen am 19.04.2008

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