Manchmal ist Montagnacht mehr los

Polizeireport_ Die Landeshauptstadt blieb weitgehend ruhig / Eine Silvesternacht im Streifenwagen

Tausende auf den Straßen, reichlich Alkohol im Spiel und jeder Zweite hat ordentlich Feuerkraft im Gepäck – Silvester kann ein Albtraum für Polizisten sein. Kann es, muss es aber nicht.

Um 23.50 Uhr senkt sich eine seltsame Ruhe über die Polizei-Wache Potsdam-Mitte. Während ringsum alles aus den Häusern und Restaurants strömt, während vor der gegenüberliegenden Spielbank die Zocker ihre Raketen in Position bringen und der Lärmpegel, der durchs Wachenfenster dringt, stetig anschwillt, herrscht drinnen Stille. Drei Funkwagen sind gerade mit Geheul davongebraust, Richtung Luisenplatz, wo jemand eine Zusammenrottung meldete, die sich als Irrtum herausstellen wird. Im Hinterzimmer koordiniert jemand per Funk die Wagen, vorn, am Thresen, tippt ein Beamter konzentriert Berichte in den Computer. Die Minuten rinnen dahin. Punkt 0 Uhr erhebt sich ein Heidenlärm vorm Fenster – vor der Spielbank detoniert der Parkplatz. Der Tippende hebt kurz den Kopf zur Uhr. „Oh,“ sagt er, „is schon soweit.“ Es ist eine Mischung aus Frage und Feststellung, gefolgt von einem zu sich selbst gemurmelten „Nadann: Frohesneues!“.
Dienstgruppenleiter Jens Kneip und seine Stellvertreterin Peggy Wölk haben in dieser Nacht Dienst – von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Kurz nach 0 Uhr sitzen sie wieder im Funkwagen. Zwischen der Nichtzusammenrottung am Luisenplatz und der Routinerunde durch die Stadt lag ein kurzer Halt in der Wache, kurze Neujahrsgrüße an die Kollegen, dann zurück in den Wagen.
Im Slalom geht es zunächst die Zeppelinstraße entlang. Dicke Nebelschwaden von detonierten Böllern und aufgestiegenen Raketen erschweren die Sicht auf die Fahrbahn – was angesichts vieler auf der Straße stehender Potsdamer und allgegenwärtiger Flaschen, die als Raketenabschussrampen dienten, durchaus ein Sicherheitsrisiko ist. „Wir wollen ja nicht, das einer als Kühlerfigur endet“, sagt Jens Kneip trocken, während Peggy Wölk die Funkgeräte überwacht. Der erste Wunsch der beiden ans neue Jahr lautet: Es möge wenig passieren in dieser Silvesternacht. Bislang ging das in Erfüllung, aber vorerst garantiert nichts, dass es dabei bleibt. Kritisch sind die Zeiten direkt nach Mitternacht und noch einmal kurz vor Dienstschluss gegen morgen, wenn der Kehraus der Übriggebliebenen aus den Lokalen und Diskotheken stattfindet. Doch jeder Dienst ist anders: „Wir hatten schon Montagnächte, da war mehr los als an manchem Silvester“, sagt Peggy Wölk. Es scheint, als sollte diese Nacht ein solche werden. Nur das nie ruhende Funkgerät kündet von kleineren Einsätzen: Brennende Balkone, auf denen eine Rakete landete, ein mitternächtlicher Wohnungsbrand in Babelsberg nahe dem Lutherplatz, gesprengte Briefkästen, deren wütende Besitzer einen Nachweis für die Versicherung benötigen und ein Linienbus, der von einer Flasche getroffen wurde und wegen der durchschlagenen Frontscheibe aus dem Verkehr gezogen werden muss. An der Orangerie liegt eine Laterne auf der Fahrbahn, doch wer auch immer sie umstieß, ist längst verschwunden. In Fahrland haben Gastgeber einen betrunkenen Gast vor die Tür gesetzt, der damit gar nicht einverstanden war, die Haustür eintrat und den Gastgeber schlug. Das alles erfahren die Dienstgruppenleiter nur per Funk: Meist ist ein anderer Wagen schneller. So pendeln Kneip und Wölk in dieser Nacht 250 Kilometer zwischen Bornstedt und Zeppelinstraße, lauschen dem Funk, kommentieren die Kollegen und amüsieren sich verhalten, wenn die Leitstelle zwischendurch kurzzeitig den Überblick verliert und Funkwagennummern verwechselt. Gegen drei Uhr machen sie wieder in der Wache Station. Durchs Fenster ist der noch immer tippende Kollege zu erkennen. Außer einer Feier mit seiner Familie hat er nichts verpasst.

Erschienen am 02.01.2008

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