Mensch, Matzell!

Wir dürfen uns den Marcel Guse als relativ arme Sau vorstellen. Wir wollen gar nicht mit ihm über die groben Stöße klagen, die das politische Leben als einziger rechtsextremer Stadtverordneter in einer Stadt mit einer so deutlichen parlamentarischen linken Mehrheit mit sich bringt – all das Niedergebrülltwerden, die Saalverweise, die tief und schmerzlich empfundene Einsamkeit, wenn sich nie ein anderer Arm mit der Stimmkarte für seine sorgsam ausgearbeiteten, mit arischem Blut geschriebenen Vorlagen in die Höhe reckt –; nein, über solch grobe, rüpelhafte Behandlung soll Klage hier nicht geführt werden. Denn was des Guses im Kern doch zarte Seele viel schwerer angeht, ist nun dies: Die schändliche Misshandlung seiner Muttersprache, die doch auch seine Vatersprache und damit die jenes Landes ist, für das sein Herzblut zu geben er sich im Weltnetz so emsig bereit erklärt. So jedenfalls lautet seine stete Klage, geführt nicht nur in eben jenem Weltnetze, sondern auch am beweglichen Telefon, wie kürzlich auf den Fluren des Rathauses zu vernehmen war. Über Anglizismen klagte er da, über das die Seele wenig bewegende Verwaltungssprech und ja, auch und gerade über die rhetorisch wenig anspruchsvollen Einlassungen, insbesondere der Linken. Geradezu gröblich werde er da zuweilen angeredet, selbst mit körperlicher Misshandlung ihm gedroht. In just diesem Moment war klar: Er hat ein empfindsames Gemüt, vielleicht sogar eine Dichterseele, der Marcel, die dicht unter der trutzig-nationalen Haut schlummert und von allem außer dem kunstvoll gedrechselten Worte schnell verletzt wird. Was für Qualen muss dieser Junge während seiner Jugend in Potsdam-Mittelmark gelitten haben, einer Region, in der er nur „Matzell“ gerufen wurde, wie hart müssen ihn die Lehrjahre im Bayrischen angekommen sein, wo die lokale Mundart vom Deutschen weiter entfernt ist als mancher südchinesische Dorfdialekt und wie selig muss ihn jenes ferne niedersächsische Exil gestimmt haben, in dem eine Weile zumindest Hochdeutsch seine Ohren erfreute. „Hoch“ und „deutsch“ in einem Wort, schon das ein Leckerbissen für den Gepeinigten. Unsägliche Qualen muss er auch leiden, wenn er – allein seiner Mission geschuldet – jene rechte Hetzpostille mit den seitenhohen Lettern buchstabiert, deren Konsum ihm 90 Prozent jeder Plenarsitzung so sichtlich verleidet. Tröstlich da, dass er sich im Weltnetz im hohen Dichterworte zu üben weiß, denn dort lesen wir von ihm Poetisches wie die Verneigung vor den Deutschen, die „im großen Völkerringen ihr Leben in die Waagschale legten. Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“ Wohl gewählte Worte, Marcel. Und trotzdem bist Du eine arme Wurst, denn Du übersahst: Eine hirnrissige Weltsicht wird auch durch schöne Worte nicht wahrer.

Erschienen am 11.06.2010

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