Was bleibt: Der Welt Lohn

Ja, wo ist nur, der Geist der Weihnacht? Da haben wir nun Schnee, Glühwein und Kommerz in Hülle und Fülle und reiben uns verwundert die Lebkuchenkrümel aus den Augen, weil sich das adventliche Gefühl partout nicht einstellen will. Fast scheint es, als fehle eine Zutat, aber welche sollte es sein, wenn das Wetter winterlich ist, der Magen voll und Defizite im Zwischenmenschlichen unter den Geschenkebergen sorgfältig kaschiert sind? Es ist, verzeiht den klerikalen Tonfall, Schwestern und Brüder, die Dankbarkeit, der wir entbehren. Dankbarkeit ist der Schlüssel zu adventlichen Gefühlen, Dankbarkeit ist das, was fehlt in dieser Stadt – im Großen wie im Kleinen. Fangen wir mit dem Großen an: Da plagt sich der Kämmerer seit Jahren mit dem Haushalt, dem er wie einer alten Zitrone durch gezieltes Wringen und Quetschen noch den einen oder anderen Tropfen Substanz abringt, welchen der gute Mann dann gewissenhaft mit einem kleinen Schälchen aufzufangen pflegt und an sicherer Stelle verwahrt, auf dass nichts verdunste. Kurz vor dem Fest der Liebe geht er, des stolzen Geschenkes froh, in eine „Haushaltsklausur“ genannte Weihnachtsfeier und eröffnet, während im Hintergrunde Händels Halleluja läuft, im Schein der Kerzen die frohe Botschaft: Wir haben Geld! Einen Überschuss! Preiset den Herrn der Doppik! Doch es kommt, wie es in jeder guten Familie kommt: Die sorgfältig ausgewählten Krawatten und Socken treffen nicht den Geschmack, das Geschenk ist zwar willkommen, aber nicht so, nicht jetzt, nicht auf diese Art. Früher hätte man es haben mögen, damit die Socken noch gegen neue Radwege, die Krawatten gegen kostenloses Kitaessen hätten getauscht werden können. Und dann kommen sie ihm mit Spielräumen, dem armen Kämmerer, die er ihnen genommen habe, mit arglistiger Täuschung, mit Lüge gar – ihm, der er stets nur, wenn auch mit einiger Verschlagenheit, der Stadt Bestes suchte! Hätten Sie danach noch Lust auf Gänsebraten und Rotwein im Kreise der Lieben? Eben. Undank ist des Ringens schmaler Lohn.
Ein Prinzip, das auch im Kleinen gilt. „Das größte Geschenk, dass Sie ihrem Leser machen können, ist es, ihm kulinarische Tipps zu geben. Testen Sie Restaurants und Kneipen, testen Sie Eis im Sommer und Glühwein im Winter“, so tönte es in Journalistenkreisen dieses Jahr laut von fern und nah. Da wir berufsbedingt ausgesprochen gern Geschenke machen, stürzte die MAZ also voran, zu Sterneköchen und Dönerbuden, in die Eisdielen und an die Glühweinstände. Und was tun Sie, liebe Leser? Haben wir auch nur eine freundliche Dankeskarte bekommen? Hat uns einer die vom Schreibkrampf gekrümmte Hand geschüttelt, dass wir ihn vor einem gustatorischen Desaster bewahrt, ihm die Magenverstimmung oder die Privatinsolvenz für zwei Crème Brûlée erspart haben? Mitnichten! Stattdessen wird geklagt! Wie man denn das Lieblingsrestaurant verreißen könnte, bloß weil es nicht schmeckt – die Chefin ist doch so nett und es gibt immer kostenlos Schnaps, wurden wir gefragt. Ob wir den Lieblingsdöner vernichten wollen, bloß weil das Fleisch kalt und das Brot labbrig ist? Nein, so kommen wir nicht weiter – fürs nächste Jahr daher bitte den Vorsatz größerer Dankbarkeit fassen, dann klappt’s auch wieder mit der Adventsstimmung. Mit kritischen Politikern und Lesern lässt sich kein Staat machen. Die stellen am Ende noch den ganzen schönen Weihnachtskommerz in Frage. Und dann wird es wirklich finster, im Weihnachtswirtschaftswunderland.

Erschienen am 17.12.2010

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