Was bleibt: Acht goldene Regeln

Derzeit vergeht kaum ein Tag in dieser Stadt, an dem sich keine neue Bürgerinitiative gründet. Unerklärlicherweise gelingt es dann aber doch hin und wieder der Mehrheit – oder zumindest der Stadtverordnetenversammlung, die ein paar verschrobene Demokratietheoretiker immer noch für die Repräsentanz dieser Mehrheit halten – der Stadt Bestes gegen den wütenden Ansturm der Partikularinteressierten durchzusetzen. Das muss nicht sein. Mit ein paar einfachen Ratschlägen lässt sich so ziemlich jede Bürgerinitiative zum Erfolg führen – und zum Liebling in Politik und Medien machen. Hier die acht wichtigsten Punkte:
1. Engagieren Sie sich nur gegen Vorhaben, die Sie ganz konkret betreffen. Sehen Sie davon ab, sich für schwachsinnige übergeordnete Ziele wie Menschenrechte, Atomausstieg oder Kinderarmut einzusetzen. Bekämpfen Sie nur den Straßenausbau, der Ihr Geld kostet, die Verkehrsmaßnahme, die Ihnen Lärm beschert, das Neubaugebiet, das Ihnen die Sicht vom Balkon verbaut.
2. Ebenso unumstößlich ist es aber, niemals dazu zu stehen, dass es nur um Ihre ureigenen Interessen geht. Heucheln Sie stets ein Allgemeininteresse, reagieren Sie höchst empfindlich auf die Unterstellung, Sie wollten ja nur Ihre Ruhe im Vorgarten.
3. Für Fortgeschrittene: Simulieren Sie Verständnis für gesellschaftliche Notwendigkeiten, sehen Sie öffentlich ein, dass man die Straße, Schule oder Siedlung ja brauche, aber eben nicht genau hier, bei Ihnen. Ignorieren Sie den völlig hirnrissigen Einwand, dass, wenn alle das sagten, nirgendwo mehr Schulen gebaut würden. Was geht Sie anderer Leute Elend an?
4. Suchen Sie Gleichgesinnte, gründen Sie eine BI, geben Sie sich einen Namen, der mindestens einen Imperativ enthält und mit einem Ausrufezeichen endet. Sichern Sie sich die gleichlautende Internetadresse. Dort schauen zwar nur Ihre Mitglieder drauf, aber das gibt Ihnen die hübsche Gelegenheit, auf der Seite eine Umfrage zum bekämpften Projekt zu starten, deren Ergebnis Sie dann in einer Pressenotiz „repräsentativ“ und „überwältigend“ nennen.
5. Für Profis: Warten Sie mit Ihrem Protest bis kurz vor dem ersten Spatenstich. Ignorieren Sie jahrelange politische Debatten, Bürgerversammlungen, Foren, Presseberichte, Planauslegungen. Kommen Sie erst ganz zu Schluss hervor und klagen Sie dann lauthals, das hier mal wieder nicht mit den Anliegern geredet wurde, obwohl das doch das Naheliegendste gewesen wäre. Beklagen Sie ein Demokratiedefizit und mangelnde Bürgernähe.
6. Seien Sie, um Himmels Willen, feindselig und kompromisslos. Gehen Sie unbedingt davon aus, dass Ihnen Politiker und Verwaltungsmenschen Übles wollen, dass die Sie sie austricksen, hintergehen, auf die lange Bank schieben. Halten und erklären Sie jeden für komplett unzurechnungsfähig und böswillig, der eine andere Meinung vertritt.
7. Bemerken Sie, wie unfähig doch Verwaltung und Politik sind. Recherchieren Sie im Internet ähnlich aussehende Fälle, die anders entschieden wurden und verklären Sie diese dann zu Referenzurteilen. Lesen Sie sich auf eigene Faust in komplexe Rechtsmaterien ein und schreien Sie begeistert Zeter und Mordio, wenn ein Offizieller in der Bügerversammlung nicht Ihre Detailkenntnis hat.
8. Bleiben Sie unsachlich und bekämpfen Sie jedes Argument gegen das Vorhaben, so einleuchtend es auch sein mag. Vermeiden Sie Differenzierung wie der Teufel das Weihwasser. Und geben Sie nie, nie, nie ganz einfach zu, dass das Projekt gut ist, aber Sie einfach davon verschont bleiben wollen.

Erschienen am 14. April 2011

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