Letzte Ausfahrt Heiligendamm

Attac: Im Jahr des G 8-Gipfels droht der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit

POTSDAM In der „Galerie“ finden sich Bilder aus besseren Tagen: Die Potsdamer Attacies beim G8-Gipfel in Evian (Sommer 2003) und beim Europäischen Sozialforum in Paris (November 2003). Unter Termine steht: „Nächstes Treffen 2005, Montag“. Die Rubrik „Aktuelles“ vermerkt eine Protestdemo am 16. Februar 2005. Kurzum: Auf der Internetseite von Attac Potsdam liegt eine spürbare Staubschicht. Auch auf Mails und Anrufe reagiert zunächst niemand. Damit ist Potsdam kein Einzelfall, die Attac-Hauptseite beweist es – viele Ortsgruppen haben den Betrieb vorübergehend oder dauerhaft eingesellt: Emden: „Die Gruppe ruht im Moment, es soll aber bald weitergehen.“ Oder Greifswald: „Zurzeit finden keine Treffen statt.“ Was also ist los mit Attac, dem einstigen Medienliebling, der „Stimme der Globalisierungskritiker“?
„Attac ist in ein Loch gefallen, man macht eine formidable Orientierungskrise durch“, sagt Ralf Baus, der für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung mehrere Dossiers über das Netzwerk verfasst hat. Ein Grund sei die abgenommene Aufmerksamkeit der Medien. Aber erklärt das das Phänomen nicht quasi von hinten nach vorn? „Die Medien haben Attac groß gemacht“, bestätigt Dieter Rucht, der am Wissenschaftszentrum Berlin über soziale Bewegungen forscht: „Attac war nie ein Vorkämpfer der Globalisierungskritik. Und es ist nicht groß: Im Vergleich mit den Gewerkschaften oder Greenpeace ist es sogar ein Zwerg. Aber sie sind im richtigen Moment von den Medien emporgespült worden.“
Geboren wurde die Protestbewegung schon einige Jahre zuvor in Frankreich. In einem berühmt gewordenen Leitartikel der französischen links-intellektuellen „Le Monde diplomatique“ forderte der Journalist Ignacio Ramonet die Einführung einer Steuer auf internationale Devisengeschäfte, die so genannte Tobin-Steuer, um die internationalen Finanzmärkte zu demokratisieren. Der Aufruf erzeugte soviel Resonanz, dass es innerhalb weniger Monate Anfang 1998 zur Gründung von Attac kam. Der Name leitet sich aus der französischen Abkürzung für „Verein für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürger“ ab. Der deutsche Ableger des Netzwerks erblickte im Jahr 2000 das Licht der Öffentlichkeit. Ein denkbar günstiger Moment: Die beiden linken Parteien im Bundestag waren an der Regierung und hatten ein Jahr zuvor Deutschland in den ersten Kriegseinsatz seit Gründung der Bundesrepublik geführt. Linker Protest fand im Parteiensystem keinen Ansprechpartner mehr.
„Gerade für viele junge Leute war Attac eine interessante Gruppe: Sie erhofften sich eine schnelle Veränderung in der Politik und wurden von den lockeren Netzwerkstrukturen angezogen“, sagt Dieter Rucht. In wenigen Jahren explodierten die Mitgliedszahlen förmlich: von 2000 im Dezember 2000 auf 12 000 im Dezember 2003. Daran ist vor allem Genua schuld. Kein Ereignis hat soviel Aufmerksamkeit auf Attac gelenkt wie der G 8-Gipfel im Juni 2001 in Italien, bei dem es zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen zwischen teils militanten Globalisierungsgegnern und der Polizei kam. „Das war das Format von Attac: Wo die Großen der Welt zusammenkommen, sind wir demonstrierend dabei, und wenn es Randale gibt, haben wir mediale Aufmerksamkeit“, umschreibt Ralf Baus den Mechanismus. Die „nicht eindeutige Abgrenzung von Gewalt“ hält er für den schwierigsten Aspekt an Attac. Dass die Gruppe immer wieder mit dieser Frage ringt, zeigt sich auch vor dem G 8-Gipfel im Juni in Heiligendamm: Weil sich der Attac-Vorsitzende Peter Wahl im Vorfeld eindeutig vom gewaltsamen Protest distanzieren wollte, distanzierte sich plötzlich der G 8-kritische „Gipfelsoli“ von Attac.
Mediale Aufmerksamkeit hat den Charakter einer Droge: Sie putscht und pusht, aber sie flacht schnell wieder ab. So schnell, dass Attac nicht immer nachlegen konnte. Im Überraschungserfolg von Attac 2001 lag bereits der Keim des Untergangs: Der Medienhype spülte Tausende Mitglieder ins Netzwerk, das darauf gar nicht vorbereitet war. Auch war nicht jeder Neuzugang zum Besten der Organisation: Die Randale in Genua machte Attac vor allem für radikale Linke interessant, kirchliche Gruppen wie Pax Christi oder Umweltverbände wurden an den Rand gedrängt. Also ging man in die Breite, um jedem seine Spielwiese zu geben. Vielfach wurde das Thema Globalisierung dazu aufs Nationale oder gar Regionale heruntergebrochen. Plötzlich gab es Arbeitsgruppen zur Bahnprivatisierung und zu kommunaler Abwasserproblematik. Attac zerfaserte. Das Konsensprinzip, nach dem eine Mehrheit für Entschließungen nicht genügt, sondern stets allgemeine Übereinstimmung herrschen muss, machte die aus 170 Organisationen bestehende Gruppe zum zahnlosen Tiger.
Nicht zuletzt ist Attac auch ein wenig das Opfer seines eigenen Erfolges geworden. Kernforderungen der Globalisierungskritiker sind längst Allgemeingut: Als Franz Müntefering (SPD) im Frühjahr 2005 Finanzinvestoren mit einer Heuschreckenplage verglich und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) weltweite Finanzspekulationen auf die Tagesordnung der G 8 setzte, nahmen sie globalisierungskritische Kernthemen auf. „Wenn Themen einer Gruppe in die Öffentlichkeit einsickern, steht der ursprüngliche Impulsgeber nicht mehr lange im Zentrum“, sagt Bewegungsforscher Rucht. Eine Erfahrung, die auch Greenpeace und die Grünen machen mussten. Erfolg kann für soziale Bewegungen tödlich sein, wenn sie sich nicht rasch neu orientieren.
Bewegungsforscher Dieter Rucht sieht die größere Dynamik der Globalisierungskritik ohnehin bei christlichen Gruppen in Afrika und den sozialistischen Bewegungen Lateinamerikas. „Die Dynamik geht nicht von den kapitalistischen Kernländern aus. Die Kraft, die Energie und vor allem die Evidenz der Problematik sind in den Südländern viel stärker spürbar“, sagt er.
Was also passiert mit Attac? Geht es unter? Thomas Baus sieht keine Perspektive. Ein Großereignis wie Heiligendamm könne zwar die Orientierungskrise überdecken, aber nicht lösen, glaubt er. Dieter Rucht hingegen sieht Attac momentan nicht aktiv bedroht. Durch die G 8-Mobilisierung gebe es „einen Zufluss an Kräften“. Exorbitantes Wachstum erwartet er aber nicht.
Am Ende gibt es doch noch Rückmeldung von der Potsdamer Attac-Website. Man sei derzeit dabei, die Gruppe neu zu formieren, heißt es. Was das genau bedeutet, ob die alte Gruppe tot und eine neue im Aufbau ist, verrät der Sprecher auch auf Rückfrage nicht. Man sei mit den Vorbereitungen für den Gipfel voll ausgelastet. Das scheint auch drigend nötig zu sein: Auf dem steilen Weg nach unten ist Heiligendamm die letzte Ausfahrt.

Erschienen am 14.04.2007

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