Aurasehen für den Anfänger

Messe: Drei Tage „kommerzialisierter Obskurantismus“ im Waschhaus

Noch bis Sonntag informieren die Esoteriktage über Geistheilung, Hellsicht und Aurafotografie.

SCHIFFBAUERGASSE| Das Seminar zur Selbstheilung muss krankheitsbedingt leider ausfallen, verkündete eine Notiz. Davon abgesehen ging es am Eröffnungstag der Esoterik- und Naturheiltage im Waschhaus gestern aber munter zu. Auch wenn vom „großen Andrang“, den der Veranstalter ausgemacht haben wollte, nicht die Rede sein konnte, kamen doch rund 50 Besucher gleich zur Eröffnung in die Schiffbauergasse. Der Veranstalter rechnet mit 3000 bis Sonntagabend.
Gleich in der Eingangshalle dominiert der Stand mit den Heilsteinen. Der Besucher lernt, dass es Steine gegen Bandscheiben und Haarausfall, Lernschwäche und Schluckauf, Tumore und Sodbrennen, Leberschäden und Schlaganfall gibt; solche, die „Sensiblen ein dickes Fell schenken“ und andere, die „aus Drama Komik“ machen, was auch das Motto des Standes sein könnte. Doch die Verkäuferin nimmt ihre Steine sehr ernst, sie rät den Käuferinnen, sie jeden Abend unter klarem Wasser von negativen Energien zu reinigen und pendelt für jede Interessentin den richtigen Stein aus. Wer will, kann selbst ein Pendel erwerben und über dem Diagramm die Sinnfragen des Lebens anhand der fundamentalen Alternativen „ja“, „nein“ und „vielleicht“ entscheiden lassen. Man kennt das noch vom „Willst-du-mit-mir-gehen?“-Zettel aus der Grundschule. Ein vierter Punkt ermöglicht dem Pendel, die Antwort zu verweigern. Wer auf soviel Hilfe nicht mit ausreichend Barschaft vorbereitet ist, darf glücklicherweise mit Kreditkarte zahlen. Ein Stein gegen akuten Geldmangel oder fehlendes Vertrauen in Esoterik ist aber nicht im Angebot.
So geht es weiter. Eine Schamanin drückt den Besuchern Amulette in die Hand und trommelt dann mit geschlossenen Augen so lange, bis sich deren Probleme offenbaren. Wer mag, darf das Amulett für 45 Euro mitnehmen. Der Bücherstand bietet alles über Engel, Schamanen, Rituale, Magie in den Farbschlägen weiß, schwarz und rot, über Kabala, Karma und Hellsicht für den Hausgebrauch. Ein paar Meter weiter probiert ein Herr, dem die Beine wehtun, die feinstofflich aktive Bettwäsche. Dafür setzt er sich 30 Minuten in die Ecke, das Kopfkissen vor die Brust gepresst, und hofft auf Besserung. Nach 30 Minuten Sitzen tun die Beine wirklich weniger weh, und zum Glück nimmt der Anbieter auch EC-Karten, also ist die Bettwäsche gekauft. Am anderen Ende lassen die Besucher Fotos von ihrer Aura machen. Mit Deutungshilfe kostet das 20 Euro, mit mündlicher Erklärung vom Aurafotografen 25 Euro.
Eine Psychotherapeutin, die nachher schon den Tsunami von 2004 vorausgesehen hatte und alles wichtige im Voraus durch den Wind spürt, bietet die Wohnungsbefreiung von Geistern für 190 Euro an. Büros sind offenbar schwerer zu entgeistern, sie kosten nämlich 350 Euro. Andere Anbieter heilen das innere Kind oder helfen bei der spirituellen Partnersuche. Mancher bietet auch einfach nur „das beste Wasser der Welt“ zu Literpreisen, die selbst Tankwarte neidisch machten oder Massagebürsten, Kräutertees und Holundergelee. Die Kunden sind mehrheitlich fasziniert und überzeugt.
Lediglich eine Dame, die ihren Namen nicht verrät, zieht von Stand zu Stand, um den Anbietern ins Gewissen zu reden: Dass das doch Unsinn sei, Geschäftemacherei und gotteslästerlich obendrein. Das ist angesichts der versammelten Esoterikbranche, die sie den „kommerzialisierten Obskurantismus“ nennt, ein eher sportliches Unterfangen. Vielleicht hätten ihr die Seminare „Familienstellen mit Engeln“ oder „Aurasehen für Anfänger“ besser getan.

Erschienen am 18.04.2009

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