Zwischen alten und neuen Mauern
„Mercure“-Statiker und Fotograf Herbert Posmyk hat einen Bilderschatz im Keller und einen Erinnerungsschatz im Kopf
Er war DDR-Stadtplaner und kämpfte gegen die Sprengung des Stadt- Schlosses. Die Statik des Hotel Mercure ist sein Hauptwerk, dennoch plädiert er für den Abriss. Posmyk passt in keine Schublade außer einer: unerschütterlicher Potsdam-Freund.
Als die Männer von der Kampfgruppe einmarschierten, wusste Herbert Posmyk, dass dies keine Fachdebatte werden würde. Immer abwechselnd einer mit Fahne, einer mit Kalaschnikow zogen die Uniformierten in den Saal im Rat des Bezirkes ein, wo eine Aussprache angesetzt war, die – so dachte Posmyk – nur eine baufachliche Frage klären sollte. „Ich war halt jung und naiv, noch keine 30 Jahre alt“, sagt der heute 83-Jährige und lächelt altersweise. Mit 14 weiteren Kollegen vom VEB Hochbauprojektierung Brandenburg hatte Posmyk sich 1959 dafür in die Bresche geworfen, das kriegszerstörte Stadtschloss nicht abzureißen. „Für uns war das keine ideologische Frage, sondern eine städtebauliche“, sagt er.
Zwei Gutachten zum Erhalt hatten er und die Kollegen unaufgefordert erstellt und dem Rat der Stadt vorgelegt, doch blieb das ohne Reaktion. Nun sollte der Abriss beginnen, und Posmyk und seine Mitstreiter hatten einen letzten Rettungsversuch gewagt: Sie schickten sechs Telegramme und baten um Hilfe: drei aus Potsdam an DDR-Staatspräsident Wilhelm Pieck, den Rat des Bezirks und die Bau-Akademie, drei über Posmyks Bruder aus Westberlin an die Akademie der Wissenschaften Moskau, die Akademie der Künste in Paris und den ehemaligen französischen Außenminister Georges Bidault, weil der beim Potsdamer Abkommen 1945 die Schlossruine besichtigt hatte und schwer beeindruckt war.
Kurz darauf fanden sie sich zur Aussprache verdonnert, von Kampfgruppen flankiert. Drei Stunden saß man so zusammen, ein Gespräch war es eher nicht. „Ich untersage jegliche Diskussion über das Stadtschloss“, sagte der Vorsitzende, „sonst finde ich Mittel und Wege, Sie zum Schweigen zu bringen“. Dieser Satz, sagt Posmyk, habe sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Verstehen konnte er es immer noch nicht. „Wir waren gar keine Rebellen, nur eine fachliche Opposition“. Als Strafmaßnahme sollten die 15 abtrünnigen Baufachleute bei den Absperrungen zur Sprengung des Schlosses helfen und das Publikum fernhalten. „Von uns ist aber niemand hingegangen“, sagt Posmyk, „obwohl das ein Affront ersten Ranges war.“
In die Stadtschlossruine verliebte sich der junge Bauingenieur, als er 1953 nach Maurerlehre, Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle und Ingenieursstudium in Cottbus nach Potsdam kam. Vor allem der Schlosshof erschien dem 24-Jährigen wie eine andere Welt: Die Säulen und Fragmente, Teile des Figurenschmucks, diese riesige Ruine, teils mit Brennnesseln überwuchert, „dort konnte ich gut abschalten, fühlte mich manchentags wie auf einer Agora in Griechenland, es war traurig, es war romantisch, und erst hinter den Resten des Fortunaportals tobte wieder das Leben“.
Zugleich beunruhigten ihn Gerüchte, die Partei wolle die Ruine sprengen, weil sie einen Aufmarschplatz brauche. Im 300 Mann starken Hochbau-VEB blieben solche Pläne nicht lang geheim. Also sann Herbert Posmyk darauf, wenigstens die Stimmungen zu erhalten.
Als begeisterter Hobbyfotograf griff er zu seiner „Exakta Varex IIa“, auf die er ein halbes Jahr gespart hatte – 1200 Ostmark waren ein kleines Vermögen – und seinem geliebten Zeiss-Objektiv und machte mehr als 500 Bilder von der Schlossruine. 300 in Schwarzweiß, die er im Betrieb selbst entwickelte und abzog; 200 auf Farbdias, die er zum Entwickeln direkt zu Orwo nach Wolfen schicken musste – auch das ein teurer Spaß: Zehn Mark kostete ein Film, fünf Mark die Entwicklung, auf die man zwei Wochen wartete. Die Ergebnisse zeigen nicht nur Posmyks Talent für Fotografie, seinen Motivblick, die akribische Belichtungsmessung und seine unermüdliche Suche nach der richtigen Perspektive, sondern auch, dass das Schloss bei weitem nicht so kaputt war, die viele heute annehmen: Zwar waren das Dach komplett eingestürzt und die Innenräume komplett ausgebrannt, doch von den Außenmauern standen mehr als 80 Prozent.
Besser noch als Posmyks Worte beschreiben seine Bilder den morbiden Charme der Ruine. Das haben auch der Stadtschlossverein und die Initiative „Mitteschön“ erkannt, die aus Posmyks Fotoschatz einen Kalender schöpften, aus dessen Erlös sie die Reparatur des originalen Stadtschloss-Figurenschmucks finanzieren wollen. Das Interesse an seinen Bildern und die professionelle Aufarbeitung für den großformatigen Kalender machen Herbert Posmyk, der dem Fotohobby zeitlebens treu blieb und auch den Umstieg aufs Digitale sofort mitmachte, glücklich. Dennoch ist er kein Wiederaufbau-Fetischist, wie er betont. Wie schon bei der Frage um den Stadtschloss-Abriss bemüht sich Posmyk um den Blick aufs Gesamte. Das Hotel Mercure etwa habe nach dem Schlossaufbau keinen Platz mehr in der Innenstadt, sagt er.
Ein Satz, der ihn zugleich schmerzt, denn als Chefstatiker für den Bau hat er sechs Monate lang mit dem Rechenschieber die Stabilität des Hauses kalkulierte. „Es war das statische Hauptwerk meines Lebens“, sagt Posmyk, „ein komplexer Bau, auch wenn es nicht so aussieht.“ Obwohl er keinen Platz mehr für den Betonriesen sieht, verletzte es Posmyk doch, dass in der Debatte im Frühjahr TV-Moderator Günther Jauch es „Notdurftarchitektur“ und Schauspielerin Nadja Uhl „verpupst“ nannte.
Als das Leitbautenkonzept für die Innenstadt 2011 diskutiert wurde, wollte Herbert Posmyk sich auch äußern. Als Statiker des Mercure und Projektierer der Staudenhofplatte galt er aber von vornherein als Ewiggestriger, kam kaum zu Wort. Auch das tat ihm, dem Stadtschlossfreund, weh. „Da war wieder keine fachliche Debatte möglich“, sagt er. „Immerhin kamen keine Kampfgruppen.“
(Erschienen am 13.10.2012)