Viele Besucher, viele Fragen
Der Andrang beim Tag der offenen Baustelle im Stadtschloss ebbte zu keiner Zeit ab
Schauen, Staunen, Fragen stellen: ein Rundgang mit einer schloss-skeptischen Besucherin.
Während Martin Richter Löcher in den Sandstein schlägt, fragt ihm Else Hoyer welche in den Bauch. Der Steinmetz der sächsischen Sandsteinwerke befreit mit Beitel und Knüpfel eine von 1000 Palmetten fürs Stadtschloss aus dem Reinhardtsdorfer Sandstein, die 78-Jährige Besucherin hingegen legt ihrer Neugier im Schlosshof keine Fesseln an. Wie lange er für eine Palmette brauche? Elf Stunden. Wieso er keine Schablone benutze? Weil er nach der 100. Palmette die Form fest im Kopf hat. Was passiert, wenn er mal zuviel abschlägt? Dann gibt es „Middel und Wege“, sagt Martin Richter mit seinem sächsischen Akzent trocken. Ob er nicht eigentlich eine Schutzbrille tragen müsse? Müsse er, und eine Gesichtsmaske, aber dies sei nun mal ein Tag der offenen Tür und er wolle allen Interessierten zeigen, wie die Palmetten entstünden. Mit Maske ließen sich nur schwer die ganzen Fragen beantworten.
„Aha“ sagt Else Hoyer und schaut, als leuchte ihr wenigstens diese Antwort unmittelbar ein. Sie ist resolut, und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie vom Stadtschloss eigentlich wenig hält. Zwar ist sie vor 13 Jahren „nach der Verrentung“ wegen der Schlösser und Parks aus Chemnitz nach Potsdam gezogen, aber den neuen Landtag im alten Gewand findet sie „affig“. „Unzeitgemäß und affig“, korrigiert sie. Zum Tag der offenen Tür kam sie trotzdem, wie auch 21 500 andere Besucher. Um ihre Vorurteile zu prüfen, wie sie sagt. Und um Experten zu löchern.
Ihr nächstes Opfer ist Sandro Hilmes, beim Baukonzern BAM fürs Kupferdach zuständig. Wie weit das Dach denn nun sei? Im Moment arbeite man am Südflügel, etwa ein Drittel des Daches sei bereits gedeckt. Dann werde man sich auf beiden Seitenflügeln vom Norden nach Süden durchdecken. Wann das denn fertig sei? Bis Oktober, sagt Hilmes, und das müsse es auch, weil Kupfer bei Kälte nicht verlegt werden könne. Was man denn gegen diese Buntmetalldiebe tue? Hilmes lächelt. „Wir haben Tag und Nacht gutes Wachpersonal.“ „Und wenn der Bau fertig ist? Kann ein frecher Dieb das dann nicht vom Dach reißen?“, lässt Else Hoyer nicht locker. Hilmes lächelt breiter und ein wenig angestrengt und sagt: „Das ist eher unwahrscheinlich. Fallrohre und Regenrinnen würden zudem hinter der Fassade verlegt, seien also unerreichbar. So mit Fakten versorgt, geht Else Hoyer zur Bewertung über: Sie finde das Kupfer furchtbar protzig, das glänze wie Gold und sehe bei Sonne „nur großspurig“ aus. Hilmes kann beruhigen. Schon nach zwei Wochen sei der ärgste Glanz vorüber, die Patina brauche allerdings 30 Jahre.
So geht es weiter. Im dichten Besucherstrom durchs Treppenhaus, dessen Ausblick auf Fortunaportal und Nikolaikirchenkuppel Else Hoyer um ein Haar mit dem Schloss versöhnt hätte, am Plenarsaal vorbei („bisschen mickrig für so ein Riesenschloss, finden Sie nicht?“) durch den Ostflügel mit den künftigen Büros, wo Landtagsabgeordnete wie Dieter Dombrowski schon mit dem Zollstock Maß nehmen für die Büroeinrichtung. Die Fragefreudigkeit Else Hoyers ist unermüdlich, doch auf seltsame Weise kreuzen nach gewisser Zeit kaum noch BAM-Mitarbeiter ihren Weg. Sie sind mit Funkgeräten untereinander verbunden. Else Hoyer fragt dann einfach andere Besucher oder stellt sich die Fragen selbst. Nach einer guten Stunde ist der Rundgang beendet. Else Hoyer hat nicht ihren Frieden mit dem Schloss gemacht, sagt sie. Aber sie weiß jetzt eine Menge drüber.
Erschienen am 14.05.2012