Ohne Hang zum Krawall
Johannes von der Osten-Sacken ist Berufsrichter und seit kurzem FDP-Fraktionschef
Von der rhetorischen Keule hält er wenig: Mit stiller, kluger Sacharbeit will der neue Fraktions-
chef Wähler gewinnen.
Es macht ihm sichtlich Spaß. Fast weidet er sich ein wenig daran, an der Reaktion auf diesen Kontrast aus Form und Inhalt, aus Erwartung und Überraschung. Denn formal wirkt Johannes Ullrich Theodor Baron von der Osten genannt Sacken wie die Fleischwerdung des konservativen, statusbewussten Richters nach süddeutscher Prägung: Adelstitel, Siegelring mit Familienwappen, Trachtenhut, Cordsakko. Doch dann staunt der Besucher über das für einen Vorsitzenden Richter am Landgericht kleine Büro, und von der Osten-Sacken sagt ganz leichthin: „Für mich reicht’s, ich habe keinerlei Repräsentationsbedürfnisse“ – und schaut genau hin, wie dieser Satz aufgenommen wird. Er ist ohnehin ein konzentrierter Zuhörer, der Herr Richter, auch wenn er dabei gern auf dem Stuhl lümmelt, was ihm – eingeräumtermaßen – auch im Gerichtssaal und – beobachtetermaßen – im Bildungsausschuss passiert. Doch sobald er Sätze sagt wie „Ich war früher ziemlich links, habe beim Protest in Wackersdorf am Zaun gerüttelt“, richtet er sich auf, und die Mundwinkel verziehen sich zu einem amüsierten Lächeln, das sagt: Das hätten Sie jetzt nicht gedacht, gell?
Ähnlich unprätentiös ist von der Osten-Sacken auch vor vier Monaten in seine neue Funktion als FDP-Fraktionsvorsitzender gerutscht – eine Partei, der er erst seit drei Jahren angehört und für die er bei der Kommunalwahl kandidierte, ohne große Ambitionen auf die Macht zu haben – sondern eher aus einer Art Pflichtbewusstsein. „Wenn ich mich aufstellen lasse und dann gewählt werde, dann nehme ich das Mandat auch an“, sagt er. Als dann im Spätherbst überraschend Martina Engel-Fürstberger als Fraktionsvorsitzende ausschied, rutschte von der Osten-Sacken nicht nur nach, sondern auch gleich auf den Chefposten der vierköpfigen Fraktion. „Ich habe mich nicht um den Vorsitz gedrängt“, sagt er – ein typischer Politikersatz, doch dem 51-Jährigen glaubt man es sogar. Die anderen Fraktionäre seien beruflich noch mehr eingespannt gewesen. Das mag stimmen, doch mit rund 1200 neuen Fällen im Jahr kann auch von der Osten-Sacken als Vorsitzender der Zivilkammer des Landgerichts über Langeweile nicht klagen. 3000 bis 4000 Aktenseiten muss er an manchen Tagen durchackern – „einen nicht vorbereiteten Richter erkennen Anwälte sofort und nutzen das zu ihren Gunsten“. Dagegen sind die Papierberge der Stadtverordnetenversammlung offenbar ein Kinderspiel.
Besonders aufgefallen ist von der Osten-Sacken im Plenar indes noch nicht, denn mit seiner eher besonnenen und an den Fakten orientierten Art ist der Kontrast zur Vorgängerin, die auch mal die rhetorische Keule herausholte, wenn sie es für angebracht hielt, recht ausgeprägt. Sein Credo laute eher „beobachten, analysieren, ausgleichen, bescheiden“. Ob das für die Außenwahrnehmung einer Partei, die bundesweit eine einmalige Krise durchlebt, genügt? „Ich empfinde es oft als zielführend“, sagt Osten-Sacken, ganz Jurist. Die Stadt vernünftig zu verwalten sei wichtiger als Krawall, etwa: für einen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen. Gerade in einer Kooperation aus vier Parteien sei niemandem gedient, wenn man laut „Diebstahl!“ rufe, sobald eine andere Fraktion den eigenen Antrag übernimmt. Man könne dann auch „Super, dass ihr unserer Meinung seid“ sagen. Er hat halt wenig Repräsentationsbedürfnisse, der Herr Baron.
Erschienen am 23.02.2012