NACHSCHLAG. „Miesmuschel … auf einer Art Kloß“

Das „Jero“ bietet französische Küche auf höchstem Niveau, ohne Gourmetpreise zu verlangen

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter der MAZ sind als anonyme Tester unterwegs.

Beim Blick durch die Schaufenster bleibt zunächst unklar, ob es sich beim „Jero“ nun um ein Restaurant oder ein Gourmetgeschäft mit französischen Spezialitäten handelt. Bei näherer Betrachtung indes zeigt sich – es ist beides. Und das zu beiderlei Vorteil: Der Einkäufer, der nur Beaujolais oder Rohmilchkäse erwerben möchte, wird von den wenigen, liebevoll im Edel-Bistro-Stil gedeckten Tischen verführt, als Gast wiederzukommen. Und der Gast, so er denn mit der Küche zufrieden war, kann Wein und Roquefort zur Verlängerung des kulinarischen Eindrucks mit nach Hause nehmen. Wir treffen an einem Freitagabend ein, die wenigen Tische im Verkaufsraum sind besetzt, doch wir müssen weder warten noch weichen: Ein paar Stufen höher ist es nicht nur ruhiger, sondern auch separierter, denn der Aquariumseffekt für die Flaneure auf der Friedrich-Ebert-Straße entfällt. Zwischen dunklem Holz und auf festem Leder sitzt es sich gut und nobel, die Schiffsvertäuung an den Wänden fügt eine rustikale Note hinzu und rettet den Brasserie-Charme von unten herauf. Die Bedienung kommt prompt und begrüßt uns auf französisch, wechselt nach einem tiefen Blick in unsere erschreckten Gesichter aber nahtlos ins Hochdeutsch mit charmantem Akzent. Die Karten sind bistrotypisch übersichtlich gehalten: Alle Gerichte passen auf ein Blatt, alle Getränke auf ein zweites. Wir starten mit einem Meeresfrüchtesalat (15,50 Euro), der als Meeresanteil kleine Garnelen und Scheiben vom Tintenfischarm mit sich bringt. Sehr schön komponiert und mit Limone und Olivenöl fein abgeschmeckt, zwar sehr kalt serviert, aber geschmacklich ohne Tadel. Zum Hauptgang darf es Tartar sein, 180 Gramm rohes Hackfleisch aus der Rinderlende, klassisch serviert mit einem Eigelb und Limetten-Creme-Fraiche als Note des Hauses (18,50 Euro). Die Aussicht auf klassisch angerichtetes Tartar hatte uns schon auf der Straße verführt und war der Anlass, das „Jero“ zu erkunden. Bis uns das Hackfleisch erreicht, bringt ein junger Kellner zunächst einen Gruß aus der Küche, schwungvoll angekündigt als „Miesmuschel auf … äh … ähm … tja … also … nun … Miesmuschel auf … naja … einer Art Kloß“. Sprach’s und verschwand mit einem entschuldigenden Lächeln. Das Tartar ist ohne Fehl und Tadel, frisch, weich, saftig und, da roh, naturgemäß schwer verdaulich. Glücklicherweise hilft der „Wein des Tages“, ein roter Bordeaux (0,2-Glas 6,90 Euro), beim Verdauen. Ohne Fehl und Tadel, entlockt aber auch keine Begeisterung. In einem Gourmetfachgeschäft hätten wir etwas mehr erwartet. Nur mit Not passt noch eine Crème caramel (7,50 Euro) hinterher, doch nach so viel roher Fleischgewalt schreit der Gaumen nach einem süßen Ende. Derart gepäppelt ist der Rückweg über die Treppe fast schon eine Herausforderung, ein kurzes Flanieren über die Ebert-Straße tut Not. Von dort lässt sich neidvoll auf jene hinter der Scheibe schauen, die den Genuss noch vor sich haben.

Erschienen am 06.01.2012

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