Pathos und Superlative
Pläne für die Alte Fahrt haben nun ein Gesicht / Bauten werden „ein Stück Stadtgeschichte“ schreiben
Der Alte Markt soll Potsdam sowohl ein Stück Geschichte wiedergeben als auch in die Zukunft weisen. Die Bauherren sind überzeugt, dass das gelingen wird.
Es war die Stunde großer Worte. Man schreibe heute ein Stück Stadtgeschichte, betreibe ein Stück Stadtreparatur, sagte Erich Jesse, Chef des städtischen Sanierungsträgers, bei der Vorstellung der Bauvorhaben für die Alte Fahrt. Jesse ist sonst nicht eben für übertriebenes Pathos berühmt, eher für wohlplatzierte Spitzen. Die Historizität des Augenblicks riss ihn offenbar mit. Im „aufwändigsten und transparentesten Verfahren, dass es je gab“ (Jesse) seien die Bauherren für die Alte Fahrt und das Eckgrundstück an der Schwertfegerstraße/Friedrich-Ebert-Straße gefunden worden, und sie hätten „die besten Ergebnisse gezeitigt, die wir kriegen konnten“, davon sei er überzeugt. Der Superlative war damit noch kein Ende: Man habe im Auswahlgremium und bei der Vorbereitung der aufwändigen zweistufigen Ausschreibung „die besten Leute bundesweit“ gehabt, ergänzte Baudezernent Matthias Klipp, auf den das zugrunde liegende Leitbautenkonzept zurückgeht. Egal, was nun die Politik sage – die Stadtveordneten müssen die Verkäufe im Dezember noch absegnen –, etwas Besseres könne die Stadt unmöglich vorlegen. Klipp dankte den künftigen Bauherren, denn das Verfahren sei „eine Zumutung“ gewesen: „Ich bin glücklich, dass wir am Ende noch willige Bauherren haben“. Architekten und Investoren mussten nicht nur zunächst ein Interessenbekundungsverfahren und dann, bei Erfolg in dieser ersten Runde, ein ausgefeiltes Bau- und Finanzierungskonzept vorlegen, sie waren auch gezwungen, sich dem Auswahlgremium und dem Gestaltungsrat zu stellen, die jeweils noch Änderungswünsche und Anforderungen an die Gebäude hatten. Das alles kostete viel Zeit und Geld, und bis zur Vertragsunterzeichnung konnte niemand sicher sein, auch den Zuschlag zu bekommen.
Ein Großteil der Arbeit fängt nun erst an: Die Investoren müssen Bauanträge schreiben, die Stadt muss sie möglichst schnell bearbeiten und zeitgleich die archäologischen Untersuchungen im Baugrund voranbringen. Die ersten Käufer würden gern im Frühjahr mit dem Bau beginnen, die letzten spätestens Anfang 2013. 15 bis 24 Monate soll die reine Bauzeit betragen; die Baustellenlogistik neben der Großbaustelle Stadtschloss und auf dem engen Uferstreifen an der Alten Fahrt dürfte dann noch eine Herausforderung der ganz besonderen Art werden.
Größter und prunkvollster Bau wird sicher das Palais Barberini. Hotelbesitzerin Gertrud Schmack hat das Grundstück bekommen und plant dort in der historischen Kubatur – das Barberini ist der einzige echte Leitbau – ein weiteres Hotel mit 80 Suiten. Für Überraschung und viel Lob sorgte die Nachricht, dass der junge Potsdamer Bauingenieur Christopher Kühn, der sich bei „Mitteschön“ sehr für historische Rekonstruktion einsetzt, am Barberini mitbauen darf. Weil Schmack nicht, wie gewünscht, noch das Grundstück nebenan bekam, auf dem sie Wirtschaftsräume des Hotels unterbringen wollte, dürfen auf den (nicht leitbau-geschützten) Hofflügeln des Barberini nun Staffelgeschosse errichtet werden, die aber laut Christopher Kühn so weit versetzt sind, dass sie von der Straße und selbst von der Freundschaftsinsel aus kaum zu sehen sein werden. Über eine Durchwegung in der Mitte bleibt der Durchgang zur Havel für alle Besucher offen; für Hotelgäste entsteht eine Tiefgarage. Auch zwei historische Säle im Barberini sollen wiedererrichtet werden und „für öffentliche Nutzungen zugänglich“ sein.
Am längsten diskutiert und mit den meisten Änderungswünschen belegt war der Komplex am Standort des ehemaligen Palasthotels in der Humboldtstraße 1 und 2. Der Baukonzern Kondor Wessels will dort ein kombiniertes Ärzte- und Bürohaus sowie Wohnen einrichten. Im Erdgeschoss ist ein Restaurant geplant; auch hier wird eine Tiefgarage ausgehoben. Als Brückenkopf zur Langen Brücke und nächster Nachbar zum Stadtschloss war das modern zu planende Gebäude besonderen Anforderungen unterworfen. Im Laufe des Verfahrens wurden die Ecke zur Brücke hin durch eine breite Kante ersetzt und die Dachform angepasst. Auch sollte das Haus nicht höher als das Stadtschloss werden, um sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Unter den beauftragten Architekten ist hier auch der renommierte Potsdamer Bernd Redlich.
In der Humboldstraße 4 baut ebenfalls Kondor Wessels – ebenfalls mit Bernd Redlich – das Palais Chiericati mit historischer Fassade wieder auf – als Wohn- und Geschäftshaus. An der Humboldtstraße 3 kam die Prinz von Preußen AG zum Zuge, die dort hinter der historischen Fassade des Palais Pompeji ebenfalls ein Wohn- und Geschäftshaus plant sowie ein Gartenhaus, das nur zum Wohnen gedacht ist.
Auf den schwierigen, weil sehr schmalen Grundstücken links neben dem Barberini baut unter anderem Star-Architekt Franco Stella für die Lelbach-Gesellschaft ein Stadthaus und eine Gartenvilla mit moderner Architektur, aber im Stile Palladios. Im Erdgeschoss sind ein Kunstsalon und ein Café geplant, darüber Wohnungen, ebenso im Gartenhaus. Daneben hat die Complan Kommunalberatung ein Grundstück erworben, das ähnlich genutzt wird: Gewerbe im Erdgeschoss, Wohnen darüber und im Gartenhaus. Die Fassade ist ebenfalls modern gehalten.
Erschienen am 26.10.2011