WAS BLEIBT: Spatenstiche

Um lange aufgehäuftelten Frust abzulassen, empfiehlt nicht nur der MAZ-Ratgeber regelmäßig Gartenarbeit. Sollte der von Potsdams Affären geplagte Oberbürgermeister also seinen geballten Unmut über die miese Medienmeute, die doch dauernd über eigentlich ganz passabel gelaufene Grundstücksgeschäfte hechelt, mal verscharren wollen, empfiehlt sich der beherzte Griff zum Spaten. Das oberbürgermeisterliche Anwesen in der Alexandrowka böte ja noch hinreichend Raum für neue Obstbäume, und Herbstzeit ist Pflanzzeit. Zudem wäre das doch mal etwas Produktives, statt ewig alten Geschäften, Spitzeleien und Sponsorings nachgraben zu müssen. Den Nadelstichen der Opposition und – schlimmer! – der Kooperation ließen sich also beherzte Spatenstiche entgegensetzen. An Werkzeug dürfte es nicht mangeln, denn zu den wenigen Freuden des Oberbürgermeisterdaseins gehört es, im Laufe der Amtsjahre eine unüberschaubare Zahl an Spaten anzuhäufen, die bei jedem ersten Spatenstich abfallen – steuerfrei, mit Namensgravur und nur einmal benutzt. Selbst das gestrenge Beamtenrecht und alle Transparenzkommissionen dieser Welt verlangen bislang noch nicht, dass ein Stadtoberhaupt diese Werkzeuge wegen der Gefahr der Vorteilsnahme etwa dem Bauhof übereignet, auf dass dieser damit in der Hauptverkehrszeit die Zeppelinstraße mal lustig punktiere, um sich über den hübschen Stau zu freuen. Nun ist nicht überliefert, ob der Spatenmillionär Jakobs die edlen Werkzeuge in einem Extraraum des labyrinthischen Stadthauses oder einem eigens dafür eingerichteten Schuppen in der Alexandrowka verwahrt, wir stellen uns das aber so vor: An einem trüben Samstagmorgen im Spätherbst schreitet der Oberbürgermeister vergrämten Blickes in eben jenen Raum, ein Druck auf den Schalter lässt die Beleuchtung aufflackern, und da hängen sie, liebevoll poliert, in gläsernen Vitrinen: Spaten um Spaten, vom Landtagsschloss über die Garnisonkirche bis zum Hans-Otto-Theater, SAP, Klinikums-Erweiterung, hunderte Kitas, Schulen, Turnhallen, aber auch City-Quartier am Bahnhof (autsch!) – ein Panoptikum oberbürgermeisterlichen Schaffens, eine sicht- und greifbare Lebensleistungsschau, etwas, was bleibt. Liebevoll streicht die vom nervösen Trommeln auf hunderten Sitzungstischen verkrampfte Hand über die Schäfte – und langsam hellt sich das oberbürgermeisterliche Antlitz auf: Heute ist doch ein Feiertag. Jakobs erwählt, nach kurzem Zögern, ob das nicht etwas übertrieben wäre, den Stadtschloss-Spaten. Zwanzig Minuten später ist der gesamte Frust von 50 Zentimetern Erde bedeckt.

Erschienen am 20.10.2011

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