Der feine Unterschied

Namensstreit: Beirat diskutierte die Nuancen der Begriffe Ausländer, Immigrant, Zuwanderer und Migrant

Es bedarf keines Soziologie-Studiums, um zu wissen, dass Name und Identitätsgefühl zusammenhängen. Doch um zu erleben, wie tief eine Bezeichnung ins Selbstgefühl eines Menschen eingreifen kann – und wie unterschiedlich dabei die Wahrnehmungen sind – bot sich die jüngste Sitzung des Ausländerbeirats an. Ganz unscheinbar und nicht auf der Tagesordnung vermerkt, versteckte sich nach dem Punkt „Sonstiges“ dort die Umbenennung, eingebracht von der Ausschuss-Vorsitzenden Hala Kindelberger – eine Deutsche ägyptischer Herkunft. Sie eröffnete ihren Punkt kämpferisch: „Ausländer sagt man nicht mehr“, erklärte sie in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zu dulden schien. Durch die NPD sei der Begriff gänzlich ins Abwertende verschoben worden. Drei Vorschläge gäbe es deshalb: Integrationsbeirat, Migrationsbeirat und Migrantenbeirat stünden zur Debatte, doch eigentlich liege der Fall klar: Integration sei viel umfassender, betreffe neben Ausländern auch Behinderte, Senioren, Delinquente und psychisch Kranke und falle daher weg, so Kindelberger, die als Soziologin zur Migration forscht, lehrt und darin promoviert. Migrationsbeirat sei auch unpassend, da man ja kein Beirat für die Durchführung von Migration sei, sondern einer für die Belange von Migranten – daher könne doch eigentlich nur Migrantenbeirat genommen werden, war Hala Kindelberger überzeugt.
Dem widersprach nun Olga Schummel, Deutsche weißrussischer Herkunft und Philologin, die betonte, Migration bedeute schlicht Wanderung, und Migranten seien auch Menschen, die von Bayern nach Potsdam zögen, so, dass es entweder Zuwanderer- oder Immigrationsbeirat heißen müsste. Als dann auch noch das Namensungetüm „Beirat für Migration und Integration“ auf der Vorschlagsliste auftauchte, fragten zwei beratende deutsche Ausschussmitglieder, was denn am Begriff „Ausländer“ eigentlich so verkehrt sei, sie empfänden sich im Ausland ja auch als Ausländer. Hier zeigte sich nun die Gespaltenheit: Hala Kindelberger betonte, mit diesem eindeutig negativen Begriff nicht mehr leben zu können, deshalb schlage sie ja die Umbenennung vor. Julia Böselt-Krupkina (hat die russische Staatsangehörigkeit) und Thi Minh Lien Ngo (vietnamesische Staatsangehörigkeit) stimmten ihr unter Vorbehalten zu, während Evgueni Kutikov (Deutscher, weißrussischer Herkunft) und zwei Gäste (ein Türke, ein Afrikaner) bekannten, sie empfänden sich als Ausländer und den Begriff neutral. Die Debatte uferte ins Leidenschaftliche aus, ohne aggressiv zu werden, und die deutschen Ausschussmitglieder und beratenden Teilnehmer nahmen sich respektvoll zurück. Alle spürten: Hier geht es um innerste Identitätsfragen, um das brüchige Zugehörigkeitsgefühl zwischen verlassenem Vaterland und neuer Heimat. Am Ende war es dann ganz knapp: Mit nur einer Stimme Mehrheit siegte der „Migrantenbeirat“ vor dem überkommenen „Ausländerbeirat“.
Wichtiger als das, war aber die Lehrstunde in Sachen Identitätsgefühl in Potsdam lebender Ausländer, das keine Fragebogenaktion oder Podiumsdiskussion so lebendig vermittelt hätte. Das spürte auch Hala Kindelberger. „Wir haben heute sehr viel von uns preisgegeben“, sagte sie zum Abschied.

Erschienen am 02.02.2009

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