Mustergültig in Musterhausen

Online: Linken-Fraktionschef Scharfenberg wird Opfer der Tücken des Internet-Wahlkampfes

Die Seite heißt „Scharfenberg für Potsdam“, doch für ein paar Tage drehte sich dort alles um Muster- hausen – offenbar eine Stadt mit ähnlichen Problemen.

Der Wahlkampf hat seine eigenen Gesetze. Journalisten können auf zunehmende Dünnhäutigkeit bei Politikern gegenüber Kritik und Pressefotografen auf großen Andrang vor der Linse bei Scheckübergaben und Kita-Grundsteinen bauen. Etwas später als die Allgemeinheit haben auch Landtagskandidaten den Charme des Internets entdeckt und stellen auf eigenen Webseiten, mit Facebook-Einträgen, Online-Videos, Blogs und SMS-Beschuss die Bits und Bytes in den Dienst des Wahlkampfs.
Mancher schießt dabei übers Ziel hinaus und biedert sich in einem Maße an, dass sich die junge Zielgruppe angewidert wegdreht; andere belassen es bei lustlosen Anmeldungen auf vermeintlich coolen Seiten, stellen ein Passfoto drauf und drei Passagen aus dem Wahlprogramm und behaupten auf Presseterminen, sie seien jetzt „online voll dabei“ – wohl hoffend, dass die Damen und Herren von den Medien von den Begriffen FaceBook, YouTube und Twitter so verwirrt sind, dass sie nicht nachschauen.
Doch der Online-Wahlkampf hat seine Tücken. Das musste Linken-Stadtfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg erfahren, der sich erneut um einen Landtags-Sitz bewirbt. Er ließ hastig eigene Seiten freischalten, als der Potsdamer SPD-Landtagskandidat Mike Schubert (SPD) jüngst mit seiner „M-Community“ online ging. Doch Scharfenbergs Seiten gehörten offenbar zu einem Mustersatz, den die Linke allen ihren Kandidaten zur Verfügung stellt. Daran ist nichts auszusetzen, schließlich sorgt es dafür, dass alle Seiten der Partei ähnlich aussehen und sich das Wahlvolk schnell zurechtfindet. Dumm nur, dass Scharfenbergs Mitarbeiter vergessen hatten, außer dem Namen ihres Kandidaten weitere Parameter zu ändern. Ein Wochenende lang ließ sich daher lesen, dass Scharfenberg vom „Linke-Verband Musterhausen“ für „ein weltoffenes Musterhausen“ eintritt. Schließlich nehme „Musterhausen als Stadt der Wissenschaft“ die Bürgerrechte ernst und trete daher für Zuwanderung ein. Auch, dass in Musterhausen 3000 Menschen arbeitslos sind und 5000 Menschen als arm gelten, lernte der interessierte Surfer – und erfuhr so nebenbei einiges über politisches Phrasendreschen, denn offenbar sind das Sätze, die fast überall gelten.
Wer den Kandidaten darauf ansprechen möchte, hat spätestens am 1.Dezember – ein paar Wochen nach der Wahl – dazu Gelegenheit: Dann weilt Scharfenberg nämlich laut Internet ab 23 Uhr im Hotel Mustermann zum 2.Musterhausener Parteitag.
Nach drei Tagen waren die Standard-Seiten verschwunden. Die Adresse verweist nun auf die – ganz klassische – Seite der Linksfraktion im Landtag. Und im Hintergrund wird in aller Ruhe an einer mustergültigen Version gefeilt, die dann sicher auch direkten Potsdam-Bezug hat.

Erschienen am 12.05.2009

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