Archiv für die Kategorie „Potsd. Tageszeitung“

Zurückgelassener Protest

Montag, 8. November 2010

Politik: Knapp 40 Potsdamer demonstrierten gegen das Demonstrationsverbot entlang der Castorstrecke

Fast sah es so aus, als gäbe es mehr Polizisten als Demonstranten. Doch dann kamen noch ein paar – und ein Transparent.

POTSDAM | Es ist kalt an diesem ersten Novembersonntag. Mehr als 20 Polizisten und knapp zehn Journalisten treten rund um das Arbeitsamt auf der Stelle, um die Restwärme im Körper zu behalten. Sie sind kurz nach 14 Uhr in der Überzahl gegenüber den 20 Demonstranten, die grüppchenweise eintrudeln. Geplant ist eine größere Demo gegen den Castortransport und das Demonstrationsverbot im rund 160 Kilometer entfernten Gorleben. Rund 300 Potsdamer seien bei den Protesten vor Ort mit dabei, schätzt Linus Rumpf, Sprecher des Antikapitalistischen Aktionsbündnisses, das zur Demo gegen’s Demoverbot aufgerufen hat. Die schon Eingetroffenen diskutieren derweil die Menschenrechtslage in Birma und den Umstand, dass leider niemand ein Transparent dabei hat. Gegen 14.30 Uhr ist die Schar immerhin auf 30 angewachsen. Linus Rumpf greift zum Megaphon und verkündet, es seien schon mehr Demonstranten, als er erwartet habe, was dem Kamerateam des RBB ein lautes Lachen abfordert. Man müsse noch zehn Minuten warten, weil man jemanden angerufen habe, der ein Plakat hat, sagt Rumpf.
Zehn Minuten später ist es da, das Plakat, samt dem, der es hat, ökologisch korrekt auf dem Fahrrad herantransportiert. Es wird entrollt, ist eingerissen und ruft zum Kampf gegen das Patriarchat auf – daneben die Zeichnung eines Mädchens mit geballter Faust. „Ist wohl ein Allzweckplakat“, scherzt ein Polizist. Auf jeden Fall geht’s jetzt los, und der Demonstranten sind es mittlerweile 40. Auch das Megaphon kommt jetzt zum politischen Einsatz. „Im Wendland holt die Polizei den Knüppel gegen die Bevölkerung raus, um die Interessen der Stromkonzerne zu verteidigen“, sagt der Sprecher. Er erklärt auch, warum man sich vor dem Arbeitsamt am Horstweg traf: „Wir sind hier so nah, wie es nur geht, an der Zentrale der Bundespolizei.“ Viel näher wird’s aber auch nicht mehr, denn der Sprecher verrät auch, dass man nicht aufs Gelände der Bundespolizei dürfe, denn das sei „privat“. Unter dem Klicken der Kameras setzt sich die Gruppe in Bewegung. „Wenn Du die Augen zusammenkneifst, siehst es fast wie eine Demo aus“, sagt jemand. Die Demo endet nach wenigen hundert Metern am Eingang zur Bundespolizei. „Wer den Klimawandel bekämpfen will, muss den Kapitalismus in Frage stellen“, ruft Linus Rumpf noch ins Megaphon und fordert, den Protest gegen die Atompolitik der Regierung nicht zu kriminalisieren. Dann löst sich die Demo auf und geht nach Hause, um im Fernseher die wirklichen Proteste zu schauen.

Erschienen am 08.11.2010

Was bleibt: Toi, toi, toi!

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Neulich, im Bauamt. Treffen sich zwei Mitarbeiter auf dem Flur.
„Peinliche Sache, das!“
„Welche von den vielen?“
„Die Radwegmarkierung. Erst markieren wir gegen viel Geld einen Radweg auf der Forststraße, dann kommen die Stadtwerke und reißen genau diesen Streifen wieder auf. 20000 Euro in den Asphalt gesetzt. Und peinlich für den Chef, der selbst markiert hat.“
„Ach, sowas kommt vor. Ich finde die Brückensanierung unangenehmer. Erst kündigen wir eine Sperrung und lange Staus an der Eisenbahnüberführung vor der Langen Brücke an, weil offenbar die totale Gefahr im Verzug ist, und dann blasen wir es bis nächstes Jahr ab, weil alles halb so schlimm war.“
„Verstehe. Die Bürger lachen schon. Da müsste mal jemand einen besseren Überblick haben. Da fällt mir ein: Was macht eigentlich der Klipp?“
„Ach, der markiert doch nur!“
„Ja, eben. Vielleicht sollte er das lassen.“
„Besser nicht. Wenn er nicht markiert, dann asphaltiert er. Kommt auch nicht so gut an.“
„Nun ja. Wenn die Hegelallee-Promenade erst dreistreifig in jede Fahrtrichtung ausgebaut ist, laufen wir Münster vielleicht den Rang als Fahrradhauptstadt ab. Ein paar niedergekachelte Rentner können wir dann als Kollateralschäden verkaufen. Und für die Touristenbusse in der Mangerstraße nehmen wir dann Straßenabnutzungsmaut zur Refinanzierung, weil die Anlieger sich ja gegen Ausbaubeiträge wehren. Einmal Jauch in die Kaffeetasse geguckt: 2,50 Euro. Einmal Joop ins Atelier gelinst: 5 Euro.“
„Das funktioniert doch alles nicht. Wir brauchen etwas, um von den Peinlichkeiten abzulenken. Irgendeinen Aufreger, der die Aufmerksamkeit bindet!“
„Wir könnten verkünden, dass die gesamte Innenstadt Tempo 30-Zone werden soll.“
„Hatten wir schon. Im November.“
„Wir könnten damit drohen, die Humboldtbrücke nicht weiter zu sanieren.“
„Hatten wir auch schon, im Frühjahr.“
„Wir könnten leichtfertig einen Uferweg riskieren.“
„Lockt mittlerweile keinen mehr hinterm Ofen hervor, hatten wir schon dreimal.“
„Junge, das ist aber auch schwer.“
„Irgendwie war’s mit der Kuick einfacher. Die hat zwar nichts Sinnvolles getan, aber das wenigstens öffentlichkeitsunwirksam.“
„Dafür hätte man ihr im Bauausschuss immer was spenden mögen, so verzagt, wie sie da herumsaß.“
„Na, dass kann dem Chef ja nicht passieren, der redet da ja auch mal ungefragt. Vielleicht sollten wir ihm doch etwas zu asphaltieren geben. Das gleicht aus und lenkt die Öffentlichkeit ab.“
„Ich fürchte, der Drops ist gelutscht. Ich plädiere dafür, mehr über die Gartenstadt Drewitz zu reden. Da nehmen wir ja den Asphalt weg, um einen Park draus zu machen. Das sieht mehr nach grüner Politik aus, nicht zuletzt, weil Parkplätze wegfallen, und es hat trotzdem erhebliches Protestpotenzial, weil aller Verkehr durch die Nebenstraßen läuft.“
„Interessante Idee. Du, ich muss wieder an die Arbeit!“
„Ja, ich auf. Woran sitzt Du denn gerade?“
„Am neuen, rechtssicheren Bebauungsplan für den Uferweg am Griebnitzsee. Diesmal wird alles wasser-, anrainer- und klagefest. Und Du?“
„Am Ausbau des Busrings in Groß Glienicke. Ist erst die fünfte grundlegende Planänderung, weil immer irgendwer irgendwas dagegen hat.“
„Na dann: Toi, toi, toi!“
„Gleichfalls!“

Erschienen am 21.10.2010

Nachlässige Netzfischer

Freitag, 17. September 2010

Politik: Der OB-Wahlkampf wird hart geführt, doch im Netz überwiegt die Langeweile

Twitter, Facebook, Youtube – die Möglichkeiten zur Eigenwerbung im Internet sind groß. Potsdams OB-Kandidaten machen davon aber wenig Gebrauch. Es dominiert die klassische Website.

Mit der Kandidatur war er der erste, und seine Plakate sind die kreativsten. Im Internet hingegen ist ausgerechnet der jüngste Kandidat, der für Die Andere antretende Benjamin Bauer, am schlechtesten vertreten: Keine eigene Internetseite und keine Nachrichten auf dem Kurzinformationsdienst „Twitter“ künden von seinem Wahlkampf. Beim Internet-Einwohnermeldeamt „Facebook“ hat Bauer zwar eine eigene Seite, doch ist die angesichts von 340 Treffern beim Namen „Benjamin Bauer“ nur mit außerordentlich viel Geduld zu finden.
Erwartungsgemäß besser läuft es bei Marek Thutewohl, dem Vertreter der Piratenpartei, die sich immerhin als Partei der Informationsgesellschaft versteht und das Internet zu ihren Gründungsmotiven zählt. Auf Twitter lässt Thutewohl die Welt in 81 Nachrichten an seinem Wahlkampf teilhaben – das ist Rekord im Teilnehmerfeld, ebenso die Zahl von 67 Abonnenten. Thutewohl, unter „Piraten_Potsdam“ zu finden, twittert durchaus unterhaltsam und verzichtet auf die „Sitze mit Mutti bei Pizza im Garten“-Tweeds, die nur der eigenen Existenzvergewisserung dienen. Trüber sieht es auf seiner Homepage unter www.marek-web.de aus: Pflanzen- und Urlaubsfotos sind zwar sehr hübsch, sagen über den Kandidaten Thutewohl aber rein gar nichts aus. Dass er Fahrlehrer von Beruf ist, erfährt der Surfer unter fahrlehrer.marek-web.de; außer Tipps zur Straßenverkehrsordnung ist aber auch hier nichts von politischem Interesse zu finden.
Die Pseudo-Vielseitigkeitskrone erntet Marcel Yon (FDP). Der verlinkt gleich zu seinen Twitter-, Facebook-, Flickr- (Fotos) und Youtube-Konten. Der Ertrag dort ist aber gering: Auf Youtube findet sich ein mageres Video, in dem sich der Kandidat vor überbelichtetem Hintergrund und bei grauenvollem Ton nach einer Podiumsdiskussion über die Oberflächlichkeit von Politikerstatements beklagt – in 2:17 Minuten! Auf Twitter (marcel_yon) finden sich ganze sechs Kommentare, die nur elf Leute abonniert haben. Yon hat ganz offensichtlich erst Ende August zum Wahlkampfauftakt mit dem Twittern begonnen, und macht genau, was man nicht tun sollte: „Genieße den Spätsommer im Garten“, lässt er die begeisterte Welt wissen, und auch, was für ein Frühaufsteher er ist: „Ein schöner Tag beginnt, Aufräumen, Sport machen, um 6 Uhr Team-Meeting“. Auf Facebook immerhin kann er auf 1742 Freunde zählen – Rekord im Teilnehmerfeld. Seine Internetseite (marcel-yon.de) listet Lebenslauf, Wahlkampftermine, das Presseecho und Yons „Visionen“. Auf der Bilderplattform Flickr finden sich Portraits des Kandidaten, darunter seine zwei Plakate, auf denen er „neue Wege“ und „frischen Wind“ fordert. Letzteres hätte offenbar auch dem Foto gut getan, das an einem heißen Julitag entstand und daher deutliche Schweißflecken im Gesicht des Kandidaten nachweist.
Marie Luise von Halem (Grüne) ist bei Facebook dank des exklusiven Namens leicht zu finden, beeindruckt aber mit einer fast leeren Seite, auf der man sich erst um ihre Freundschaft bewerben muss, um mehr Informationen zu erhalten. Immerhin hat sie 131 Freunde, bei Twitter findet man sie hingegen nicht. Etwas spartanisch wirkt auch ihre Internetseite unter „mlhalem.de“, die offenbar aus einem Standardbaukasten der Grünen zusammengeklickt wurde. Ein bisschen Lebenslauf, ein paar Termine und der zwar einfache, aber immerhin recht originelle Kurzwerbespot (31 Sekunden) – das war’s dann auch schon.
CDU-Kandidatin Barbara Richstein zeigt ihre Strebsamkeit auch im Internet: Als einzige hat sie auf Facebook eine Fanseite geschaltet, die immerhin 422 namentlich genannte Bewunderer auflistet, inklusive der „Stadt Potsdam“. Zum Twittern hat die Allgegenwärtige aber offenbar keine Zeit. Dafür birst die Internetseite barbara-richstein.de vor stündlich aktualisierten Informationen: Neben Obgligatorischem wie Lebenslauf, Presseecho und Terminen findet sich dort auch ein Spendenaufruf für den teuren Wahlkampf und ein Mitgliedsantrag für die CDU.
Auf seine Internetseite konzentriert sich auch der linke Herausforderer Hans-Jürgen Scharfenberg – Experimente auf Facebook und Twitter scheinen für die Partei mit der wohl ältesten Wählerschaft nicht lohnend. Stattdessen gibt es viele Informationen für politikinteressierte Leser, vom Rathausreport bis zu Standpunkten in (nahezu) allen aktuellen stadtpolitischen Fragen. Der Unterhaltungswert von scharfenberg-fuer-potsdam.de ist im Gegenzug nahezu null.
Amtsinhaber Jann Jakobs (SPD) scheint ebenfalls nicht viel von der „Generation Netz“ als Wähler zu halten: Facebook und Twitter bedient er nicht, auf Youtube finden sich immerhin einige Fremdvideos von seinen öffentlichen Auftritten. Dafür gewinnt Jakobs den Preis für die beste Website (jann-jakobs.de), die durchweg mit professionellen Fotos bestückt ist und eine ausgewogene Mischung aus Politik und Unterhaltung bietet. Vor allem die Präsentation „Jakobs persönlich“ ist aufwändig und liebevoll erstellt. Von privaten Fotos flankiert, zieht Jakobs dort den eigenen Lebensweg nach und spart nicht mit Worten, die Bodenständigkeit, Gemeinwohlorientierung und Kampfeswillen dokumentieren sollen: „Ich wollte mich durchbeißen“, heißt es da, „Beim Fußball kam keiner an mir vorbei“ oder auch „Natürlich musste ich als Ältester schon früh Verantwortung tragen“. Das „offizielle Wahlkampfvideo“ auf der Seite zeigt Jakobs bei der Morgentoilette. Der Wähler erfährt, dass sich sein Oberbürgermeister in Hemd und Krawatte rasiert und beim Parfümieren begeistert in die Hände klatscht.

Erschienen am 17.09.2010

Nachschlag: Kardinalfehler: kaltes Fleisch

Freitag, 17. September 2010

Gastronomie: Der Dönergrill am Bahnhof Babelsberg hat exotische Soßen und zivile Preise

Café, Kneipe, und Ausflugslokal, Spitzenrestaurant oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

POTSDAM |  Von draußen hat er’s ja schwer, der Dönerladen im Bahnhof Babelsberg: Nicht mal ein Name verrät seine Existenz, lediglich zwei gelbe Aufkleber in den Fensterscheiben – „Döner Drehspieß“ und „1/2 Grillhähnchen“ verraten, was einen drinnen erwartet. Die in den Aufklebern vorgesehenen Plätze für den Preis sind leer geblieben – nur ein einsames Komma trennt hier die fehlenden Euro von den abwesenden Cent-Beträgen. Er muss also innere Werte haben, der Döner, denn das Geschäft ist zu jeder Tages- und Nachtzeit gut frequentiert. Die Ladenfläche ist klein, und die zwei Zugänge – einer von der Straße, einer aus der Bahnhofshalle – sorgen dafür, dass man ständig im Weg steht. Immerhin wirkt alles leidlich sauber, und die Auslage präsentiert die frisch geschnittenen Salate sowie halbe und ganze Hähnchen, Buletten und Bratwürste. Die Rückwand über dem Thresen gehört der Preistabelle, die sich sehen lassen kann: Döner für 2,80 Euro, mit doppelt Fleisch für 3,80, Türkische Pizza und Dürümdöner (in der Teigrolle) für 3,30 Euro; das halbe Huhn für 2,60, das ganze für fünf Euro. Bratwurst und Buletten je 1,50, den Kaffee gibt’s für einen Euro, die anderen Getränke für 1,25.
Wir machen die Probe und ordern zwei Döner – einmal klassisch scharf („Hexensoße“), einmal exotisch: Currysoße und „Südsee“ sollen aufs Fladenbrot. Das hat am späten Nachmittag den Zenit seiner Fluffigkeit natürlich längst überschritten, weshalb der Brötchengrill zum Einsatz kommt. Kommen sollte, muss man sagen, denn es wird exakt zwei Sekunden zwischen die heißen Eisen gepackt, genauso gut hätte der Dönermann es auch dran vorbei tragen können. Dann die zweite Enttäuschung: Er macht den Döner-Kardinalfehler und schneidet das Fleisch nicht frisch herunter, sondern bedient sich mit der Zange beim schon abgekühlten, geschnittenen Fleisch am Fuße des Spießes, während es oben lecker und warm brutzelt. Unsere Nachfrage, ob wir frisches Fleisch haben könnten, ignoriert der Dönermann. Schade. Der Salat indes ist nicht nur frisch geschnitten, er schmeckt auch frisch. Die Currysoße ist außerordentlich spicy und verdient daher Lob, zumal sie nicht zu den Standards gehört. Gleiches gilt für die „Südsee“-Soße, in der wir allerdings vergeblich nach den angekündigten „exotischen Früchten“ gesucht haben. Sie schmeckt einigermaßen synthetisch, als habe sich hier ein Lebensmittelchemiker verwirklicht. Außerdem spart der Dönermann mit dieser Soße, auf die Frage, ob wir etwas mehr bekommen könnten, heißt es nur lakonisch „is teuer“. Das soll offenbar „nein“ bedeuten. Die Hexensoße im zweiten Döner hingegen lässt keinerlei Wünsche an Menge und Schärfe offen, wie die hervorquellenden Augen des Kosters belegen. Immerhin steht ausreichend Löschwasser zu moderaten Preisen zur Verfügung.

Erschienen am 17.09.2010

Verständnisinnig

Donnerstag, 5. August 2010

Jan Bosschaart über einen Hauch zu viel Konsenswillen beim Mieterverein

Angstschlottern und Zähneklappern muss bei der städtischen Gewoba jetzt ebenso wenig ausbrechen wie bei allen anderen Vermietern in der Stadt: Die neue Vorsitzende des Mieterbundes ist zweifellos engagiert und bestens informiert, eine Kampfansage hat sie bei ihrem Antrittsbesuch aber nicht abgegeben. Das mag durchaus klug sein, denn zerschlagenes Porzellan taugt als Eintrittskarte in der Regel wenig, doch die Ankündigung, nicht in der großen Politik mitmischen zu wollen, sich nicht in generelle mietenpolitische Fragen einzumischen, ja sogar vorab Verständnis für die Wirtschaftlichkeitsinteressen der Vermieter zu bekunden, lässt auch nicht eben auf eine kampfbereite Mieterlobby schließen. Genau einer solchen bedarf es aber in einer Stadt, in der Wohnraum so knapp und so teuer ist, dass ein regelgerechter Wohnungsmarkt faktisch nicht existiert und in der Folge Vermieter mit Mietern vergleichsweise leichtes Spiel haben – Drohungen mit Kündigung sind kein sonderlich effektives Werkzeug, wenn vor der Tür bereits eine Schlange von Interessenten steht, die erst im Schlaatz abreißt. Der Oberbürgermeister ist zwar im Wahlkampf und war daher gestern zu Zugeständnissen bereit, die gar nicht eingefordert wurden. Doch das wird nicht ewig so bleiben.

Erschienen am 05.08.2010

Nachschlag: Refugium im Landgasthausstil

Samstag, 24. Juli 2010

Die „Maison Charlotte“ empfiehlt sich als romantischer Rückzugsraum mit hohem kulinarischen Anspruch

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

POTSDAM |  Holzstühle an dunklen Holztischen und Platten von Weinkisten an den Wänden drinnen, Korbsessel und Karotischdecken draußen – von den drei Restaurants, die Ralf Junick in Potsdam betreibt, ist das „Maison Charlotte“ im Holländischen Viertel das rustikalste – im besten Wortsinn. Das „Charlotte“ hat sich nicht nur auf französische Küche spezialisiert, es erinnert auch in der detailfrohen Ausstattung an ein französisches Landgasthaus. Die Plätze sind, besonders im Winter, wenn der Innenhof mit dem schattenspendenden Nussbaum nicht zur Verfügung steht, begrenzt: Daher empfielt sich das Charlotte einerseits als romantischer Rückzugsort, es macht aber gerade an den Wochenenden eine Reservierung ratsam.
Die Karte lockt schon von der Straße mit Elsässer Flammkuchen zu zivilen Preisen von urtümlich belegt (mit Schmand, Speck und Zwiebeln für 8 Euro) bis ambitioniert (mit Rucola, Räucherlachs und Honig-Senf-Dill-Sauce für 12,50 Euro), bietet aber auch der verfeinerten Zunge genug Auswahl zu Preisen von bis zu 22 Euro für einen Hauptgang.
Ein Platz im Inneren kommt an diesem heißen Höchstsommertag nicht in Frage, schnell ist ein schattiger Tisch, beschirmt von Baum und Sonnensegel gefunden. Zur Abkühlung drängt sich ein eleganter Elsässer Cremant rosé auf. Er begleitet die Vorspeisen perfekt: Die gratinierten Austern mit Spinat und Frischkäse sind eine Offenbarung selbst für Gäste, die sie pur für gewöhnlich meiden – im Spinatbett und unter der angerösteten Käsehaube verlieren sie ihren fischig-schleimigen Charakter und entfalten ihr zartes Aroma optimal. Die Jakobsmuscheln auf Ingwer-Spinatsalat sind zwar auf den Punkt perfekt gebraten, der Ingweranteil tut aber der Schärfe zuviel, so dass die zarten Muschelnoten in der brennenden Mundhöhle wenig Resonanzraum finden. Schade.
Zum Hauptgang darf es Kalbsfilet sein, aktuell der Star der Karte und passend zur Saison mit Pfifferlingen und Couscous serviert, begleitet von einem klassischen roten Bordeaux. Am tadellosen Filet gibt es nichts auszusetzen, es ist saftig, frisch und hat im perfekten Medium-Zustand die Pfanne verlassen, die Pfifferlinge, mit einem Balsamicodressing betupft, flankieren es aufs Beste. Der Couscous indes kommt etwas langweilig daher und verströmt, obwohl frisch zubereitet, wenig aufregenden Kochbeutel-Charme. Er bleibt, obgleich die Portion nicht eben üppig ist, selbst an den Nebentischen daher zu großen Teilen auf dem Teller zurück.
Die Dessertauswahl, obwohl nur zwischen drei Positionen zu treffen, gehört zu den härtesten unseres kulinarischen Daseins: Die klassische Crème Brûlée konkurriert mit einer Zitronengras-Panacotta an Rharbarber und dem Rosenblättersorbet mit Holunderblüten um die Restplätze im Magen des Gastes. Wir entscheiden uns für den Klassiker und lernen, dass dies an diesem Abend keine umwerfende Wahl ist: Die Creme ist zu stark aufgestockt und tendiert fast schon ins Krümelige, der Zuckerguss ist bereits vollständig erkaltet und verstärkt den Verdacht, das Dessert sei bereits vorbereitet aus dem Kühlschrank gekommen. Die leicht angeschrumpelte Erdbeere schließt die Indizienkette. Trotz sehr moderaten Preises (4,50 Euro) gibt sich das Charlotte hier eine Blöße.
Wer mit großem Hunger oder an einem kühleren Tag ins Charlotte geht, dem sei noch die epochal-gute Bretonische Fischsuppe empfohlen, die längst Berühmtheit erlangt hat. Angesichts der Portionsgröße empfiehlt sich dann aber nur noch ein Salat – oder der sofortige Übergang von der Vorspeise zum Dessert.

Erschienen am 24.07.2010

Präsident beim König

Dienstag, 20. Juli 2010

Feuerwehr: Mit sechs Monaten Verspätung besichtigt Matthias Platzeck die neue Wache

Auf seiner Sommernöte-Tour machte der Ministerpräsident in der neuen Feuerwache an der Humboldtbrücke Station – es wurde ein eher munterer Termin.

POTSDAM| Er hatte zwar schon einen halben Liter Blut, aber nicht seinen Humor verloren: Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) kam gestern Vormittag mit einem jovialen Schulterklopfen zu Potsdams Feuerwehr-Chef Wolfgang Hülsebeck und sagte, „König Hülsebeck“ möge ihm doch nun seine Gemächer zeigen. Schließlich sei er, Platzeck, bei der Einweihung der neuen Wache im Januar verhindert gewesen und wolle nun „die längst überfällige Aufwartung machen“. In der Staatskanzlei hatte man diese Aufwartung geschickt in einen Thementag zu den Sommernöten des Landes gepackt, und so war der Besuch beim „Feuerwehrkönig“ dezent zwischen den Blutspendetermin (Konservenknappheit in der Ferienzeit) und jenem in der Zossener Waldbrandzentrale (hohe Warnstufe bei der Hitze) geschoben worden.
Interessiert preschte Platzeck dem Pressetross (Saure-Gurken-Zeit) voran, erfuhr, dass die Feuerwehr in Potsdam auch alle Rettungseinsätze fährt, dass es neben der Hauptwache Dependancen in Neufahrland und Babelsberg gibt, dass die Potsdamer Kameraden im Schnitt 15 Minuten bis zum Einsatzort brauchen und dass wegen der Hitze 50 Prozent mehr Rettungseinsätze wegen Kreislaufproblemen anfallen. Der Ministerpräsident erkundigte sich bei jedem Mitarbeiter, dessen er habhaft werden konnte, ob die neue Wache ein Gewinn sei, und erhielt nur Zustimmung. Die Rettungsassistentinnen bestätigten ihm zudem den Segen der Klimaanlage in ihren Rettungswagen und verneinten die ministerpräsidiale Frage, ob sie bei Entbindungen im Auto notfalls die Nabelschnur durchbeißen müssten. Dazu gebe es Scheren.
Als sei er bestellt geworden, hallte dann ein Einsatzalarm durch die riesige Fahrzeughalle: Es brannte ein Müllcontainer in der Henning-von-Tresckow-Straße, wie auf den Monitoren gut zu lesen war. „Hat der Innenminister wohl wieder heimlich geraucht?“, scherzte Platzeck unverdrossen auf Kosten seines Zigarren liebenden Parteigenossen Rainer Speer, alles lächelte pflichtschuldig, währenddessen die erste Löschwagenbesatzung in Stiefel, Jacken und Helme sprang und davonbrauste.
Im Herzen der Wache, der Leitstelle für ganz Nordwest-Brandenburg, führte Platzecks routinierte Frage nach der Zufriedenheit zu einem kurzen Zögern. Ob sie die ehrliche oder die geplante Antwort geben solle, wollte eine Mitarbeiterin lächelnd von Wolfgang Hülsebeck wissen. Der lächelte zurück und räumte ein, dass die Klimaanlage zuweilen etwas laut sei und es zu Beginn Probleme bei der Alarmierung der Kollegen in Babelsberg gegeben habe. Sonst sei aber alles bestens. Drei bis vier Mitarbeiter besetzen derzeit tagsüber die Leitstelle, sobald auch der Kreis Ostprignitz-Ruppin hinzukommt, werden es bis zu acht Kollegen sein. „Das ist ja eine Feuerwache wie im Westen“, zeigte Matthias Platzeck begeistert, der, den Fluren folgend, auch forsch in eine Teeküche schritt und den entsetzten Ruf einer Mitarbeiterin, „hoffentlich macht niemand den Kühlschrank auf“, schon nicht mehr hörte.
Der Kühlschrank durfte daher sein Geheimnis behalten, und der Ministerpräsident, zufrieden ob der neuen Eindrücke, der schönen Wache, der glücklichen Mitarbeiter und der erledigten Aufwartung beim „Feuerwehrkönig“, setzte seine gut gelaunte Sommernötetour ’gen Zossen fort.

Erschienen am 20.07.2010

Recht und Ordnung

Donnerstag, 15. Juli 2010

Wahlkampf: eine tolle Zeit, in der als Kandidaten missverstandene Trivialsatzquellen den Bürger als wertvollen Mitmenschen (vulgo: Stimmvieh) entdecken und hübsche Bildlein huldvoll lächelnder Aspiranten an die Laternenmasten tackern. Diese Plakate sind dann so informativ wie Fotos im Kochbuch: Man erfährt nur, was bestenfalls herauskäme, aber es gerät nie wirklich so. Daher sollten wir den Linken dankbar sein, dass sie im dräuenden Oberbürgermeisterwahlkampf die Zahl der Kandidatenkonterfeis auf 500 reduziert wissen möchte. Doch was ist das Kalkül dahinter? Andernorts käme ökologische Anbiederei an die Grünen infrage. In Potsdam nicht. Dort sind die Grünen eine Städtebau- und Pflasterpartei und in diesen beiden Punkten von den Linken weiter entfernt als die Drewitzer vom Konrad-Wolff-Park. Böse Zungen mutmaßen nun, dank der Überalterung in der Linken fehlen Menschen, die fit genug wären, mit dem Plakat in der Hand eine Leiter zu besteigen. Diese Idee hat allein ob ihrer Boshaftigkeit einen gewissen Charme. Doch der vehemente Einsatz fürs Jugendzentrum „Freiland“ machte ja auch ein paar behände Kletterer unterhalb der 80-Jahre-Grenze zumindest zu Sympathisanten. Sie müssen also anderes im Schilde führen, diese Linken.
Möglicherweise hilft eine nicht mehr ganz taufrische Meldung aus dem Rathaus weiter: Darin wird vor Studenten gewarnt, die im Sperrmüll kramen. Nicht, weil vom Bafög heute keiner mehr zu Ikea gehen kann, sondern – doch, wirklich: wegen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. In diesem Projekt werden Sperrmüllmöbelstücke nachhaltig und klimaneutral fotografiert. Ganz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verpflichtet, beeilte sich die Stadt, Massenpaniken vorzubeugen: Die wilden Studis nähern sich nur angemeldeten Sperrmüllhaufen, war zu lesen, sie stellten auch alles „ordnungsgemäß“ zurück. Selbst dem Datenschutz ist Genüge getan: Weder dem Besitzer noch dem Grundstück können die „Sperrmüllgegenstände“ am Ende zugeordnet werden, das ist behördlich garantiert. Und um ganz sicher zu gehen, schloss die Nachricht mit dem dringenden Appell: „Sollten Sie Studenten beim Fotografieren eines Sperrmüllhaufens sehen, rufen Sie nicht gleich die Ordnungshüter herbei!“ Hoffentlich verfügen die Potsdamer über ein ausreichend robustes Nervenkostüm, um dieser lax dahingeworfenen Anrufung Folge zu leisten. Wäre ja doch blöd, wenn GSG-9, Verfassungsschutz und Bombenräumkommandos mehrfach anrücken müssten, weil sich Chaoten an angemeldeten (!) Sperrmüllhaufen zu schaffen machen. Jetzt, endlich, verstehen wir auch die Linke. Was würde nur geschehen, wenn plötzlich überall Genossen an den Masten klebten, um ihren Hans-Jürgen zu plakatieren? Wären es angemeldete Masten? Würden sie danach alles wieder ordnungsgemäß zurückstellen? Könnten die Plakate nicht dem Abgebildeten zugeordnet werden? Ist schon eine wilde Zeit, dieser Wahlkampf. Recht und Ordnung sind quasi aufgehoben.

Mensch, Matzell!

Freitag, 11. Juni 2010

Wir dürfen uns den Marcel Guse als relativ arme Sau vorstellen. Wir wollen gar nicht mit ihm über die groben Stöße klagen, die das politische Leben als einziger rechtsextremer Stadtverordneter in einer Stadt mit einer so deutlichen parlamentarischen linken Mehrheit mit sich bringt – all das Niedergebrülltwerden, die Saalverweise, die tief und schmerzlich empfundene Einsamkeit, wenn sich nie ein anderer Arm mit der Stimmkarte für seine sorgsam ausgearbeiteten, mit arischem Blut geschriebenen Vorlagen in die Höhe reckt –; nein, über solch grobe, rüpelhafte Behandlung soll Klage hier nicht geführt werden. Denn was des Guses im Kern doch zarte Seele viel schwerer angeht, ist nun dies: Die schändliche Misshandlung seiner Muttersprache, die doch auch seine Vatersprache und damit die jenes Landes ist, für das sein Herzblut zu geben er sich im Weltnetz so emsig bereit erklärt. So jedenfalls lautet seine stete Klage, geführt nicht nur in eben jenem Weltnetze, sondern auch am beweglichen Telefon, wie kürzlich auf den Fluren des Rathauses zu vernehmen war. Über Anglizismen klagte er da, über das die Seele wenig bewegende Verwaltungssprech und ja, auch und gerade über die rhetorisch wenig anspruchsvollen Einlassungen, insbesondere der Linken. Geradezu gröblich werde er da zuweilen angeredet, selbst mit körperlicher Misshandlung ihm gedroht. In just diesem Moment war klar: Er hat ein empfindsames Gemüt, vielleicht sogar eine Dichterseele, der Marcel, die dicht unter der trutzig-nationalen Haut schlummert und von allem außer dem kunstvoll gedrechselten Worte schnell verletzt wird. Was für Qualen muss dieser Junge während seiner Jugend in Potsdam-Mittelmark gelitten haben, einer Region, in der er nur „Matzell“ gerufen wurde, wie hart müssen ihn die Lehrjahre im Bayrischen angekommen sein, wo die lokale Mundart vom Deutschen weiter entfernt ist als mancher südchinesische Dorfdialekt und wie selig muss ihn jenes ferne niedersächsische Exil gestimmt haben, in dem eine Weile zumindest Hochdeutsch seine Ohren erfreute. „Hoch“ und „deutsch“ in einem Wort, schon das ein Leckerbissen für den Gepeinigten. Unsägliche Qualen muss er auch leiden, wenn er – allein seiner Mission geschuldet – jene rechte Hetzpostille mit den seitenhohen Lettern buchstabiert, deren Konsum ihm 90 Prozent jeder Plenarsitzung so sichtlich verleidet. Tröstlich da, dass er sich im Weltnetz im hohen Dichterworte zu üben weiß, denn dort lesen wir von ihm Poetisches wie die Verneigung vor den Deutschen, die „im großen Völkerringen ihr Leben in die Waagschale legten. Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“ Wohl gewählte Worte, Marcel. Und trotzdem bist Du eine arme Wurst, denn Du übersahst: Eine hirnrissige Weltsicht wird auch durch schöne Worte nicht wahrer.

Erschienen am 11.06.2010

Verbotsrepublik

Dienstag, 1. Juni 2010

Jan Bosschaart über den Wert der schieren Möglichkeit, ein Bier am Bahnhof zu trinken

Wie oft dürfte es dem Durchschnittspotsdamer passieren, dass er, ein Bier trinkend, über den Bahnhofsvorplatz schlendert? Selten. Und trotzdem hinterlässt der jüngste Vorstoß, dort mit einem Alkoholverbot für Gesetz und Ordnung zu sorgen, ein ungutes Gefühl. Ja, pöbelnde, betrunkene Horden sind unangenehm, und ebenso sind es die Scherben und erst recht die organischen Reste der Zechgelage. Und sicher würden die meisten Menschen nie von diesem Verbot beeinträchtigt, da ja der Bahnhofsvorplatz auch nicht eben das hat, was Städteplaner gern eine „Aufenthaltsqualität“ nennen, so dass man gern dort den Sonnenuntergang beim Feierabendbier genösse. Diese Qualität bekäme er auch nicht, wenn dort niemand mehr tränke. Trotzdem ist das angepeilte Verbot einer jener phantasielosen Vorstöße, die geneigt sind, die Verbotsrepublik Deutschland ein kleines Stück weiter zu zementieren. Sollte also doch einmal jener unwahrscheinliche Fall eintreten, dass den Durchschnittreisenden der unwiderstehliche Drang nach einem Bier überfiele, dann hinterließe die sofort einschreitende Ordnungsmacht einen Nachgeschmack, gegen den eine Bierpfütze vom Vorabend wie Veilchen duftet. Ob ihm dieses Stück persönlicher Freiheit wichtiger ist als ein entpöbelter, sauberer Vorplatz, muss freilich jeder für sich entscheiden.

Erschienen am 01.06.2010


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