Archiv für die Kategorie „Kolumne“

Sommer wird aber auch überbewertet

Samstag, 24. Mai 2014

Das war er also, der Sommer. Also vorerst natürlich, wir wollen ja nicht wieder in Verdacht geraten, nur Schlechtes mitzuteilen, wie uns ein Leser diese Woche vorwarf. Natürlich kommt noch gaaanz viel Sommer dieses Jahr, aber notfalls können wir schon jetzt sagen: Wir hatten doch da diese eine Woche im Mai, wenn wir uns Mitte Juli in Wintermänteln auf dem Luisenplatz begegnen, und irgendwer wird dann in seiner Erinnerung kramen und sagen: Stimmt, da war was.

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Wobei das ja ohnehin alles ungerecht ist, das fängt schon bei der Sprache an: „Der Sommer kommt”, titelten wir und andere, und die Vorfreude war unüberhörbar. Der Sommer darf also kommen, wann er will, er ist stets willkommen. Der Winter hingegen bricht immer ein, jedenfalls im Journalistensprech, und das klingt stets so, als müsse jetzt doch endlich mal jemand zur Staatsanwaltschaft rennen und ihn für diesen hinterlistigen Einbruch anzeigen. Macht komischerweise aber niemand. Jedenfalls lässt sich selbst im Archiv von Deutschlands größer Nachrichtenagentur nichts finden. Und die sind normalerweise um keine Skurrilität verlegen.

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Hätte der Sommer einen Vornamen, dann lautete er vermutlich Mia, Emma oder Hanna, wie wir diese Woche erfuhren — das sind 2014 die beliebtesten Mädchennamen. Wird der Sommer richtig männlich heiß, dann Ben, Luis oder Finn. Der Winter indes, er wird wohl immer Kevin oder Justin heißen, jedenfalls einen Vornamen tragen, von dem pädagogisches Fachpersonal behauptet, das sei kein Name, sondern eine Diagnose. Fast könnte man daher Mitleid mit ihm bekommen, dem Winter, denn soziale Ausgrenzung ist ja auch alles andere als lustig, wie uns ein Professor diese Woche im Interview verriet. Respekt, da haben sich Jahre der Forschung aber mal wieder gelohnt. Da staunt selbst die Kita-Betreuerin, und auch Lehrer und Eltern wundern sich.

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Ist der Ruf aber erstmal ruiniert, dann kommt man — ein schlechtes Wortspiele sei erlaubt — auf keinen grünen Zweig mehr als Jahreszeit. Winter, da schwingt Gefahr mit: Eisglätte, Einbrechen auf Seen; Kreuzbandrisse, bloß weil Opi es auf der schwarzen Piste noch mal wissen wollte; nicht zu vergessen die Nachwirkungen von Jagertee auf Leber und Milz. Als ob der Sommer besser wäre: Hitzekollaps, Tauwetter für Dicke, von den Pollen würden wir gern schweigen, aber das ginge im redaktionellen Wettniesen unter; die frisch belaubten Äste fallen herunter und verletzten Radfahrer oder beschädigen Autos. Von den visuellen Schäden mal ganz abgesehen, denn alles über 30 Grad bringt gnadenlos ans Licht, was der Wintermantel gnädig deckte, von A wie Steißtattoo bis Z wie Orangenhaut. Modesünden sind da noch nicht mal eingerechnet. Auf einer Baustellenbesichtigung waren diese Woche 18 Männer, davon alle in modepolizeilich streng verbotenen Kurzarmhemden. Nur der Baudezernent bewies Stil und hatte, wie es der Gentleman-Guide fordert, gekrempelt.

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Dass zuviel Hitze das Gehirn erweicht, ist zwar Volksmund, aber ab einer gewissen Temperatur zumindest auch wissenschaftlich der Wahrheit nahe kommend. Den Beweis trat am Freitag ein Redner bei einem Richtfest an. Der Mann stand in der prallen Sonne — 32 Grad — und wiederholte 40 Minuten lang, wem er dankte: Den Bauarbeitern zuvörderst, denn ohne die ginge es ja nicht (Wirklich?), den Banken zunächst, denn ohne die könne man die Bauarbeiter nicht bezahlen (Tatsache!) und schließlich den Käufern, die dafür sorgten, dass man die Schulden bei der Bank wieder loswürde (Endlich erklärt’s mal einer.) Das wäre an sich ja noch „soweit, so üblich” gewesen. Doch der Mann wiederholte diesen Dank exakt vier mal, nur mit geringfügig veränderter Wortwahl, aber jedesmal etwas sächselnder, während vor ihm das Publikum und das Eis schmolz, der Champagner erste Hitzeblasen warf und die frisch gegrillten Scampi und Rinderfilets erkalteten. Da kann man nur hoffen, dass der Herr Justin oder Kevin hieß und sich mit früher sozialer Ausgrenzung herausreden kann.

Diskriminiert

Samstag, 12. April 2014

Diskriminierung ist zweifellos böse — egal, ob Frauen, Homophile, Ausländer, Andreas Menzel oder andere Minderheiten betroffen sind. Dem abzuhelfen, wurde die politische Korrektheit erfunden, und, eng mit ihr verschwistert, die gerechte — vor allem geschlechtergerechte — Sprache. Wie mit allem Guten lässt es sich aber auch hier trefflich übertreiben. So erreichte uns diese Woche ein Schreiben einer evangelischen Einrichtung, in der von „Kindern und Kinderinnen” die Rede war. Das man jetzt schon neutrale Substantive gendert („dschändert”), war selbst uns Sprachverhunzungsgeplagten neu. Dagegen war die ebenfalls erwähnte „Christen- und Christinnenheit” fast harmlos. „Christenheit” ist ja wenigstens männlich. Also grammatisch gesehen.

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Bei aller sonstigen berechtigten Kritik an der Boulevardzeitung mit den vier großen Buchstaben — dass sie sich nicht um Diskriminierung verdient machte, kann man ihr kaum vorwerfen. Dass sie es mit der Sprache aber nicht so hat, schon. Da wurden diese Woche auf der Titelseite „Kinder zu Tode gemeuchelt”. Das hat uns dann doch ein wenig überrascht, wusste doch schon Konrad Duden, dass Meucheln für „heimtückisch ermorden” steht. Zu Tode meucheln wäre dann quasi zu Tode ermorden. Das erscheint uns seltsam überflüssig, speziell bei einer Zeitung, die an allem anderen spart — inhaltlicher Substanz, Wahrheit, Bekleidung der abgebildeten „Models” und Text. Nur mit der Größe von Fotos und Überschriften ist sie freigiebig.

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Freigiebig zeigte sich auch jener Herr in Kleinmachnow, der am Mittwoch einem Autofahrer erst sein Handy und dann noch sein Portemonnaie, seine EC-Karte und den Personalausweis gegen die Frontscheibe warf, die dabei glatt zerbarst. Grund des Wutanfalls war nach eigenen Angaben der schlechte Empfang. Das lässt drei Fragen offen: Wird der Empfang besser, wenn man das Handy mit der Autoantenne verbindet? Flog das Portemonnaie hinterher, weil der Herr sich um die Schadensregulierung bemühen wollte? Und wieso spricht der Polizeibericht von einem Unbekannten, wenn doch auch der Personalausweis gegen den Audi prallte? Bewiesen ist mal wieder nur eines: Wo Geld ist, kommt Geld hinzu. Da fährt das Opfer schon einen Audi und bekommt auch noch Handy, Geld und EC-Karte geschenkt. Na gut, und einen Riss in der Frontscheibe. Der Werfer hatte dafür offenbar einen Riss in der Schüssel. Aus unserer Sicht also: Gleichstand.

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Wohnen in Potsdam wird immer teurer, Villen und Einfamilienhäuser quasi unbezahlbar, weil nicht verfügbar, das lernten wir diese Woche aus einem Immobilienbericht. Die Überraschung hielt sich in Grenzen, derlei Botschaften ist der leidgeprüfte Potsdamer gewohnt. Dass die Wohnungsnot indes auch aufs Tierreich übergeht, kam dann doch überraschend. So wird es nicht nur in den Aquarien des Naturkundemuseums eng, wie wir diese Woche lernen durften, in Langerwisch wird jetzt Geschosswohnungsneubau für Störche betrieben, die ansonsten auch kein Appartement auf dem angespannten Mietmarkt finden. Da gab es sogar schon Gerangel um Wohnungen, Hand- beziehungsweise Schnabelgreiflichkeiten. Und in Töplitz haben Nilgänse (und Nilgänsinnen) einfach mal einen Storchenhorst besetzt. Wenn das keine Diskriminierung ist. Wo ist nur die evangelische Kirche, wenn man sie braucht?

Hilfsbereitschaft, adventliche

Montag, 17. Dezember 2012

Wer wochentags lange arbeiten muss und am Wochenende wenig Lust verspürt, sich vom Strom der Adventsshopper zufällig an einem Geschenk vorbeitreiben zu lassen – autonome Bewegungen sind in Konsumtempeln an Samstagen nahezu unmöglich – der greift zur Internetbestellung. Ein Paketdienst liefert das Gewünschte an die Wohnungstür, ganz sorgenfrei. Soviel zur Theorie. In der Praxis nimmt dann gern ein Nachbar die Pakete entgegen, eine Geste voller Hilfsbereitschaft, die gut in die Vorweihnachtszeit passt. Dumm nur, wenn dieser Nachbar an einem Freitag Anfang (!) Dezember gleich acht Pakete für den ganzen Flur bei sich parken lässt, dann aber grußlos bis ins neue Jahr in den Winterurlaub verschwindet. Die gute Laune, die sich seither täglich vor seiner Tür zusammenrottet, trägt nur noch wenig adventliche Züge.

(Erschienen am 17.12.2012)

Die Show geht weiter

Mittwoch, 26. August 2009

Das sind jetzt so Tage, in denen dem Journalisten die Menschen, mit denen er professionellen Umgang pflegt, seltsam leer, wie automatisiert, ja roboterhaft erscheinen. Er kommt sich manchmal vor, als sei er in einen dieser Filme geraten, in denen ein einziger Überlebender zwischen entseelten Marionetten herumstakst, seine Beunruhigung nimmt zu, steigert sich in Angst. Zum Glück ist das nur eine Phantasie, doch das Wissen darum mildert den Eindruck nur bedingt. Am Freitag beispielsweise, als gezeigt wurde, wie der Landtag in Potsdams Mitte aussehen wird, da vermutete der Journalist, die SPD werde es gut finden, die CDU gut mit Abstrichen, und die Bürgerinitiativen fürs Schloss seien trotz historischer Kubatur und Fassade nicht zufrieden. Und wirklich: „Wunderschön!“ sagte die SPD, „schön, aber noch Änderungen nötig“, sagte die CDU, „schrecklich“, „großkotzig“ und „wie ein Toaster“ sagten die Initiativen. Die Linke sagte noch etwas zum Thema ÖPP, und beim Verlassen des Alten Rathauses beschlich den Journalisten das dumpfe Gefühl, dass er das auch schon hätte niederschreiben können, bevor er die Frage stellte. Die unangenehme Idee, dass er mit seinen Fragen zur Verfestigung dieses Prinzips beiträgt, verdrängte er.
Sicher, es ist Wahlkampf, die Geschlossenheit wächst, Minderheitenmeinungen treten zurück, der Wähler könnte ja verschreckt sein, wenn eine Partei sich Menschen leistete, die die Vernunft über einzelne Punkte des Wahlprogramms stellen. Und sicher, was will man erwarten, wenn schon sämtliche Kandidaten das gleiche, freundlich-kompetente, Vertrauen stiftende „Kreuz-mich-an“-Lächeln von Plakaten senden, die sich im Kern nun nur noch durch die Farbwahl unterscheiden? Eben.
Nehmen wir die Meldung, Potsdam würden in den nächsten zwei Jahren je 13 Millionen Euro im Haushalt fehlen. Da war ein Aufschrei zu erwarten, und noch bevor der Journalist zum Hörer greifen konnte, trudelten die Aufschreie im Mailfach ein. „Alle Projekte auf den Prüfstand“, lautete erwartungsgemäß die zentrale Forderung. Kurz darauf tagte der Finanzausschuss, und wenn schnell eines klar war, dann das: Es sollen alle Projekt auf den Prüfstand – so lange sie von den anderen Fraktionen kommen. Die Ideen der eigenen Partei hingegen sind unkürzbar, unerlässlich, unausweichlich. Das sind so Augenblicke, in denen der Berichterstatter sich gern von seinem Beobachterposten erhöbe und einzelne Abgeordnete auf den Bauch herumdrehte, um zu schauen, ob sich in deren Rücken ein viereckiges Loch befinde, in das der Fraktionsvorsitzende vor der Sitzung einen Schlüssel gesteckt und ordentlich gedreht hat, auf dass dieses Programm auch vornahmegemäß die nächsten drei Stunden ablaufe. Oder im Nacken nach eine Klappe schaute, in die die Kassette mit dem immergleichen Ton geschoben wird. Es ist gut, dass er das nicht tut, der Journalist, denn es droht die Gefahr, dass er fündig würde. Dann allerdings bräche sein Welt- und Berufsbild zusammen. Deshalb schreibt er lieber eine Glosse und geht hernach in den Bauauschuss. The show must go on!

Erschienen am 26.08.2009

Was bleibt: Eine Keks-Phantasie

Mittwoch, 5. August 2009

Jetzt, wo ihr Nachfolger in den Startlöchern steht, bereits erste Veranstaltungen besucht und Projekte begutachtet, können wir es ja sagen: Am Ende ist sie nicht am Battis-Bericht oder an schlechter Kommunikation gescheitert, die Baubeigeordnete Elke von Kuick-Frenz. Sondern an der Geschichte mit den Keksen.
Aus baulicher Sicht sind diese Kekse eine ganz simple Angelegenheit: Trocken-bröseliger grundhafter Aufbau, Vollmilch-Deckschicht und – als fassadäres Highlight – eine Applikation aus weißer Schokolade in Form eines Turmes. Poetisch veranlagte Naturen wären da schon hellhörig geworden: Der Turm, ein Solitär, wehrhaft, aber sehr einsam. Doch Journalisten sind nicht poetisch veranlagt. Wären sie es, säßen sie im Feuiletton und nicht bei der Baubeigeordneten. Der in Rede stehende Keks jedenfalls gehört zu einer Kekssammlung, wie es ihrer tausende gibt. Der durchschnittliche Journalist wird wöchentlich im Schnitt 3,72 Mal mit solchen Keksen konfrontiert, die meist als launiges Beiwerk zu nur mäßig genießbarem Filterkaffee bei Presseeinladungen am späten Vormittag daherkommen. Ist nicht zufällig noch ein stets hungriger Fotograf im Raum, bleiben sie meist unangetastet, die Kekse.
Nicht so in Zimmer 1.023 des Stadthauses, wenn die Beigeordnete Neuigkeiten für die Presse vorhielt. Sie griff bei den Turmkeksen stets beherzt zu – als Gastgeberin ihr gutes Recht. Was die Sache nicht unerheblich komplizierte, ist, dass es derer je Packung nur zwei gibt – der Kekse, nicht der Beigeordneten. Und: Sie betonte stets launig und lauthals, dass diesen Keksen ihr unumstößliches Interesse gälte. Hätte sie wortlos gekrümelt, die Geschichte wäre wohl anders verlaufen. Zunächst ließen die Reporter die Beigeordnete gewähren, denn sie haben ein prinzipielles Misstrauen, wenn sie auf Terminen gefüttert werden sollen. Doch dann berichteten sie in der Redaktion von der Vorliebe der Beigeordneten, und die Dinge nahmen einen dramatischen Lauf. Redaktionsleiter nämlich, die Natur und die Berufssoziologie wollen es so, sind per Definition Alphatiere – beim nächsten Termin in 1.023 folglich harrten der Beigeordneten keinerlei Turm-Kekse mehr, stattdessen aber zwei vollgekrümelte Lokalchefs mit diabolischem Grinsen. Der Brunnen war augenblicklich vergiftet, der Fehdehandschuh geworfen, das Kriegsbeil exhumiert. Doch man wird nicht Beigeordnete im nur mit paramilitärischen Methoden zu überlebenden Bauressort Potsdams, wenn man sich nicht zu wehren weiß: Beim nächsten Termin erschien Kuick-Frenz deutlich früher, um Vorräte sicherzustellen. Die Journaille ihrerseits schlug zurück, in dem sie eine Vorhut aus niederen Chargen – Volontäre, freie Mitarbeiter – zur Keksreservierung entsandte. Die sich auf beiden Seiten unvermeidlich einstellenden Keksverluste wurden durch böse Zeitungskommentare auf der einen und zurückgehaltene Informationen auf der anderen Seite kompensiert. Eine normale, kritisch-würdigende Zusammenarbeit erwies sich fürderhin als unmöglich. Das Klima war vergiftet, das Gebäck auch, und so bröselte der Keks – man ging sich gehörig auf denselben. Am Ende, man muss es sagen, hatte die Beigeordnete keine Chance mehr gegen die geballte veröffentlichte Meinung. Der weiße Turm war befleckt, die Wiederwahl unmöglich. Und der einzige Hunger, der blieb, war der nach Vergeltung.

Erschienen am 05.08.2009

Geist der Weihnacht, missverstanden

Samstag, 20. Dezember 2008

Über Kommerz, Spenden und Harmonie-Irrtümer

Ja wo ist er denn nun, der Geist der Weihnacht? Liegt er begraben unter Geschenkebergen? Ist er längst totgedudelt von seichter Weihnachtsmusik, von Jingle Bells und Co. in der fahrstuhltauglichen Version? Oder ist er ertrunken im Glühwein? Depressiv vom Weihnachts-Werbe-Wirbel? Es gehört mittlerweile zur adventlichen Folklore, sich – nicht zu Unrecht – über die Kommerzialisierung und die Entzauberung des Weihnachtsfests zu beklagen und zugleich daran teilzunehmen. Das Verdammen von Spendeaktionen liegt an diesem Punkt der vorweihnachtlichen Debatte schon in der Luft wie der Kardamom beim Plätzchenbacken. „Warum nur jetzt“, heißt es dann meist mit betroffenem Augenaufschlag, „Not gibt es doch das ganze Jahr!“ Das mag unter moralischen Qualitätskriterien richtig sein, aber ginge es nicht etwas pragmatischer? Die Alternative zu Spenden, Wärme und Aufmerksamkeit vor dem Fest lautet doch nicht: dasselbe, das ganze Jahr über, sondern: dann eben nicht. So betrachtet, sind glückliche Kinderaugen und seelig lächelnde Hartz-IV-Empfänger im Advent vielleicht nicht der Himmel auf Erden, aber das kleinere Übel gegenüber der Alternative: Not von Januar bis Dezember. Auch wenn es zugegebenermaßen trübe stimmen kann, zu sehen, wie sich manch Spender medienwirksam inszeniert. Selbst wenn wir oft eher aus schlechtem Gewissen denn aus echtem Altruismus – falls es den überhaupt gibt – spenden, so wird doch die segensreiche Wirkung dieser Tradition davon nicht geschmälert.
Dass man es mit der Weihnachtsharmonie auch übertreiben kann, zeigt sich in Zossen nach wie vor im Umgang mit Neonazis: Obschon Kirche, CDU, Landrat und Bürger aktiv wurden, hält sich die Stadtverwaltung zurück, was ihr einen öffentlichen Rüffel des Landrats einbrachte. Sollte das dem Geist der Weihnacht geschuldet sein, hätte man ihn im Rathaus gründlich missverstanden.

Erschienen am 20.12.2008

Stilvoller Scheitern

Samstag, 29. November 2008

Ein Ratgeber für ehemalige und – ja, auch – aktuelle Kommunalpolitiker

Das Rausfliegen gehört zu den elementaren menschlichen Erfahrungen. Stets imponiert es als Krise, als ein Nicht-gut-genug-sein, und stellt den Rausgeflogenen daher vor eine schwierige Lage: Reparatur- und bestenfalls sogar Renovierungsarbeiten am Ego sind angesagt. Großen Geistern gelingt es, sich aufzurappeln, ja gestärkt daraus hervorzugehen, weil sie eine wichtige Lektion über die eigene Fehlbarkeit gelernt haben. Kleine Geister verkriechen sich im Selbstmitleid, schimpfen auf die Ungerechtigkeit der Welt oder jener imaginären oder konkreten Jury, die die – natürlich falsche – Entscheidung traf: Sei es nun das Wahlvolk an den Urnen, die öffentliche Meinung oder irgendein PopSuperTopModelStarsTalent-Juror a lá Detlef-Dieter-D.-Soost-Bohlen. Wir wissen nun nicht, wie Annemarie aus Rangsdorf ihr vorzeitiges Ende bei den „Popstars“ verkraftet. Immerhin wirkte die 19-Jährige bislang natürlich und bodenständig genug, um darüber nicht am eigenen Lebensweg und der eigenen Bedeutung zu zweifeln. Was man von jedem Lokalpolitiker nicht unbedingt reinen Herzens behaupten kann. So mancher, der es am 29. September nicht wieder in den Ortsbeirat oder die Gemeindeversammlung geschafft hat, oder der dort lieb gewonnene Fraktions- oder Ortsvorsteherposten räumen musste, versucht sich nun in einer Spezialform außerparlamentarischer Opposition: Hinkommen, meckern, geharnischte Leserbriefe verfassen lautet der dissonante Dreiklang dieses öffentlichen Zweit-Scheiterns, sehr zum Ärger der neu Gewählten, die gern konstruktiv Arbeiten würden, und sehr zum Spott der Öffentlichkeit.
Freilich muss das nicht sein. Betätigungsfelder für gerechte Empörung, für geharnischte Leserbriefe oder einfach nur Erschütterung böten sich dieser Tage allein in Zossen genug. Aber was war schon das bisschen Holocaust gegen aktuelle lokalpolitische Verwerfungen?

Erschienen am 29.11.2008

Die Pizza-Alternative

Freitag, 28. November 2008

Der alte Zosse über entscheidende Vorteile vergangener Tage

Das gemeine Vorurteil hat seine besten Zeiten auch hinter sich. Es wird zunehmend unzuverlässig. Früher waren Pferde zum Reiten und Arbeiten da, heute landen sie in immer mehr Mode-Restaurants auf der Pizza. Früher waren die Sommer warm und die Winter kalt, heute gibt’s Schneeregen im Juli, und der Winter fällt auf einen Dienstag. Früher waren Neonazis glatzköpfig, im Geschäftsleben unsichtbar und gegen Schwule und Behinderte. Heute betreiben sie internationale Callshops mit Sonderkonditionen für Anrufe in Erbfeind-Staaten und „Zossens einzige Schwulenbar“ und geifern offen antisemitisch, ohne dass ein anderer Gewerbetreibender die Notwendigkeit sieht, sich öffentlich zu distanzieren. Ich gebe zu, das verwirrt mich, und beim Versuch, unauffällig die Berliner Straße entlangzugrasen, hätte ich mir fast die Nüstern an einem leeren Bierkasten aufgerissen. Das sind so Tage, an denen ich nicht sicher bin, ob die Zeiten der zuverlässigen Vorurteile nicht die besseren waren. Oder ob ich lieber auf einer Pizza landen würde, als dieses Trauerspiel noch länger mitansehen zu müssen.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Was der Senkel hergibt

Samstag, 18. Oktober 2008

Schnüren scheint das Gebot der Stunde, doch die Jury ist gnadenlos

Rettungspaket wird das Wort des Jahres werden – soviel lässt sich schon jetzt sagen. Es wird dieser Tage grandios geschnürt in Deutschland: Jeder, der was zu retten hat, schnürt, was der Senkel hergibt. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass Armut ausnahmsweise mal tröstlich ist: Wer nichts hat, kann nichts verlieren, muss nichts retten. Die vielzitierte Angst des Mittelstands vor dem Abrutschen ins Prekariat, hier wandelt sie sich in ein sanftes Ruhekissen. Nur des wirklich Wohlhabenden Konto trägt böse Früchte: „Hätte ich kein Aktiendepot, ich könnte ruhiger schlafen.“ Das ist die Strafe dafür, dass er sich dem Trend zur Armut standhaft verweigerte – doch der Konjunktiv ist der Feind des Verlierers. Großmut und Opferbereitschaft sind daher das Gebot der Stunde. Der Chef der Deutschen Bank verzichtete, nachdem er sich gründlich umgeschaut hatte, ob auch alle Kameras angeschaltet und alle Bleistifte gespitzt sind, auf seine Boni und begnügt sich nun mit einem schmalen Grundgehalt von 1,2 Millionen Euro. Auch er schnürt also mit, und er spendet die Millionen den Bedürftigsten: verdienten Mitarbeitern seines Geldhauses. Das ist konsequent, denn wenn wir eines gelernt haben aus der Finanzkrise, dann dass es die schwer arbeitenden, bis zur Selbstaufgabe am Gemeinwohl orientierten Banker sind, die nun wirklich am wenigsten dafür können, aber am schlimmsten gebeutelt werden. Sie haben schließlich die gefährdeten dicken Depots, während sich der gemeine Hartz-IV-Lümmel auf seiner Schadenfreude darüber ausruht, dass er ja nichts zu verlieren habe. Sie ist ungerecht, die Welt, und der Pöbel ohne Mitgefühl.
Das Schnüren macht indes Schule. Bei der Miss-Wahl am Mittwoch in Diedersdorf versuchte eine Kandidatin, die Auswirkung der skeptischen Jury-Blicke auf ihr Selbstbewusstsein in den folgenden Runden durch beherzten Eingriff in die Feinjustierung ihres BHs abzumildern. Danach hätte sie zwar freihändig Maßkrüge über den Laufsteg balancieren können und freie Auswahl an Mitfahrgelegenheiten nach Hause gehabt, im Gesamtklassement brachte sie das aber auch nicht spürbar nach vorne. Atemnot und ein farblich ihrem feuerwehrroten Abendkleid nacheifernder Teint lehrten sie immerhin, dass „Schnüren“ und „Abschnüren“ den selben Wortstamm haben. Das wiederum ist eine Lektion, die zu lernen Politikern und Bank-Chefs erst noch bevorsteht. Und wenn es ganz mies läuft, selbst uns armen Prekariern.

Erschienen am 18.10.2008

Medialer Massenauftrieb

Samstag, 13. September 2008

Schein und Sein in Zossens Presselandschaft

Vom sich selbst gern wahnsinnig wichtig nehmenden Potsdam aus betrachtet wirkte der Einzugsbereich der Zossener Rundschau wie eine medial befriedete Zone: Die MAZ als einzige lokale Zeitung, keine Radiosender, keine Fernsehanstalt – als gewöhnlicher Volontär erwartet man da keinen besonderen medialen Auftrieb. Bekanntlich kommt es aber erstens anders und zweitens als man denkt, und von dieser vielleicht universellsten aller Weisheiten war auch Zossen nicht bereit, eine Ausnahme zu machen: Da flimmerte plötzlich Zossens Marktplatz über den Fernsehschirm, und ein stellvertretender Bürgermeister versuchte, dem nicht eben sympathisch auftretenden NDR-Filmteam eine nicht existierende Rechtslage klarzumachen: Er behauptete, im öffentlichen Raum dürfe ohne Genehmigung nicht gefilmt werden, und er sagte das mehrfach in die Kamera, zur wachsenden Amüsiertheit des Filmteams, während sich der irritierte Fernsehzuschauer fragte, ob die mediale Befriedung der Stadt so weit geht, dass man sich mit dem Presserecht im Bürgermeisteramt gar nicht auskennt? Mit „glücklos“ ist der Auftritt jedenfalls noch vorsichtig umschrieben. Und das ist pressetechnisch noch nicht alles, was einem Neuen hier begegnet: Auch die „Zossener Stimme“, die dem Amtsblatt beiliegt, kommt recht professionell daher. Gut, es scheint sich eher um ein journalistisch anmutendes Werbeblatt der Bürgermeisterin zu handeln, aber das muss in Wahlkampfzeiten ja kein Nachteil sein. Logisch, dass die anderen Fraktionen da stänkern und die „Stimme“ weghaben wollen. Aber ein Medium muss Widerstand aushalten können, hieß es im Studium immer – eine Lektion, die offenbar auch der NDR kennt: Statt nämlich – wie von der Bürgermeisterin angekündigt – die „manipulierte Darstellung“ öffentlich richtig zu stellen, brachte das TV-Team diese Woche eine zwar arg überzogene, aber muntere Nachklappe zu den Zossener Verhältnissen, in denen die Stadt nun wirklich schlecht wegkam: Hinterwäldlerisch und provinziell waren noch die geringsten Vorwürfe.
Macht also zwei Lektionen. Erstens: In Zossen ist medial die Hölle los. Und zweitens: Das versprechen vier spannende Monate zu werden.

Erschienen am 13.09.2008


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