Archiv für die Kategorie „Zossener Rundschau“

Fröstelnde Fische aus Fernost

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Silvester: Der Marmorkarpfen ist lecker, wird aber verschmäht

Sie kamen zu DDR-Zeiten als Gastarbeiter, wurden hier aber nie richtig warm. Nun neigt sich der Auslandseinsatz der Marmorkarpfen dem Ende zu.

KALLINCHEN| Nach den Weihnachtsfeiertagen gelten selbst dauerhungrige Zeitgenossen als ausgefüttert. Ein 62 Kilogramm schwerer und 1,52 Meter langer Marmorkarpfen dürfte daher auch größere Gesellschaften als Silvester- oder Neujahrsmahl überfordern. Fischer Peter Sombert hingegen kann sich nicht aussuchen, was er in seinen Netzen findet. Zum Jahreswechsel wird Karpfen traditionell nachgefragt, und er könne ja keine Schilder an die Netze hängen, die den gewünschten heimischen Spiegelkarpfen das Hängenbleiben nahelegt, während er den „Gästen“ aus Asien, den meist größeren Marmor- und Silberkrapfen empfehle, einen Umweg im Motzener See zu schwimmen, sagt Sombert trocken. Und überhaupt, was heißt hier Gäste: In den 1970er Jahren ließ die DDR die Asiaten in großen Stückzahlen in die Seen setzen, um die Gewässer sauber zu halten. Da die Tiere genügsam sind und ausschließlich Plankton fressen, galten sie als wirtschaftlich sinnvoll. Doch ein wenig mehr Fischkunde vorher hätte helfen können: Die Gastarbeiter aus der Mongolei und China frieren in deutschen Gewässern: In jedem kalten Winter reduzierte sich die Population merklich– von ursprünglich 12000 Marmorkarpfen im Motzener See sind es derzeit vielleicht noch 2000, schätzt Sombert. Und: Weil die Gäste wärmeres Wasser gewöhnt sind, kommt in den kalten märkischen Seen keine Fortpflanzungslust auf, so dass der Bestand sich auch nicht erholen kann. Immerhin taugen die im Sommer sprungfreudigen Karpfen als Touristenattraktion. „Wenn neben ihrem Boot so ein Kaventsmann einen delphintauglichen Salto vollführt, staunen sie Bauklötzer“, sagt Peter Sombert.
Prinzipiell müsste der Fischer in Kallinchen den marmornen Beifang im Netz nicht ignorieren: Die Filets sind lecker, und auch in der Fischsuppe macht sich der Marmorkarpfen ausgesprochen gut. Doch Sombert wird deren Fleisch nicht los, der Brandenburger will seinen Spiegelkarpfen, und alte Gewohnheiten sind eben schwer zu ändern. Außerdem überfordert die schiere Größe selbst experimentierfreudige Fischesser: Wer nimmt schon 20 Kilogramm Karpfen mit nach Hause…
So werden die Marmorkarpfen wohl ein vorübergehendes Phänomen bleiben, und das große Zappeln im Netz wird immer seltener werden. Gut 30 Jahre sind die Fische jetzt alt, ihre durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 40 bis 50 Jahren. Zumindest in warmen asiatischen Seen.
Peter Sombert verkauft indes weiterhin zirka einjährige einheimische Spiegelkarpfen, die in der Helter seiner Fischerei, quasi einem umzäunten Becken, dem Schicksal in Topf und Pfanne entgegenschwimmen. Rund 300 Stück hat er über die Feiertage an Kunden aus der Region und aus Berlin verkauft. Mit ihrem Gewicht von zwei Kilogramm sind sie auch nach den fetten Tagen noch zu bewältigen.

Erschienen am 31.12.2008

Entsetzen in Chor und Kirche

Dienstag, 23. Dezember 2008

Neonazi: Rainer Link war im Berliner Oratorienchor bislang unauffällig / Illegale Straßenüberwachung

ZOSSEN | Die Geschichte um den Zossener Neonazi Rainer Link, die Stolpersteine vor seinem „Medienkombinat“ in der Berliner Straße und die Folgen nimmt kein Ende. Zwar hat der Holocaustleugner Link den umstrittenen Bierkasten nebst Aufsteller, den er gern auf die Erinnerungssteine stellte, mittlerweile durch einen lieblos geschmückten Weihnachtsbaum ersetzt, doch steht auch der gern mal auf statt neben den Mahntafeln. Zudem überwacht Link sein Geschäft und die Straße davor mit einer Kamera, deren Live-Bilder sich jederzeit im Internet abrufen lassen – inklusive aller Aufzeichnungen seit dem Tag der Einrichtung. Rainer Link überwacht damit öffentliches Straßenland, was laut Gesetz nur der Polizei erlaubt ist. Weil er auf diese Weise das Recht auf die sogenannte „informationelle Selbstbestimmung“ jedes Passanten und jedes Autofahrers in der Berliner Straße verletzt, die im Aufnahmebereich der Kamera vorbeikommen, und weil dank des online gestellten Bildarchivs sogar Bewegungsprofile möglich sind, kann dagegen jeder bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten.

„Das ist hochgradig illegal“, sagte Lena Schraut, Pressesprecherin der Landesdatenschutzbeauftragten in Brandenburg. Sie könne nicht verstehen, warum die Zossener das bislang hinnähmen und sich dieser Überwachung aussetzten, berichtete Schraut der MAZ. Die Enthüllungen über diverse Mitgliedschaften Links in neonazistischen und holocaustleugnenden Vereinigungen haben nicht nur in Zossen für Entsetzen und Irritationen gesorgt, wo sich zum Beispiel in der Kirchengemeinde und der Jungen Gemeinde viele von ihm abwandten, die Link bislang schätzten. Auch im Berliner Oratorienchor, dem der Zossener angehört – er singt die Bassstimme –, sorgte die Nachricht für Entsetzen. Ein Mitglied des geschäftsführenden Vorstands sagte der MAZ, man habe sich zwar noch keine abschließende Meinung gebildet, sei aber „entsetzt“ über die „sehr, sehr unerfreuliche“ Nachricht. Wegen der Weihnachtspause habe der Chor die „schreckliche Neuigkeit“ noch nicht diskutieren können. Chorleiter und Maestro Thomas Hennig sagte der MAZ, er stehe noch unter Schock und erwarte eine heftige Diskussion im Vorstand und im Chor. Die Überzeugungen und Aktivitäten von Rainer Link seien ihm bisher nicht bekannt gewesen. „Für solche Bodenlosigkeiten darf es kein Verständnis geben“, so der renommierte Chorleiter, der sich bislang gar nicht vorstellen kann, wie der für 2009 geplante Mendelssohn-Schwerpunkt unter diesen Umständen eingeprobt werden soll. Auch wenn alle Chor-Spitzen betonten, dass eine Entscheidung erst in gemeinsamer Diskussion nach der Weihnachtspause getroffen werden kann, ließ niemand einen Zweifel daran, dass die Zusammenarbeit mit Rainer Link künftig nicht mehr vorstellbar sei.

Live-Überwachung aus dem Internetcafé unter www.meinungsfreiheit.org/zossen

Erschienen am 23.12.2008

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Geist der Weihnacht, missverstanden

Samstag, 20. Dezember 2008

Über Kommerz, Spenden und Harmonie-Irrtümer

Ja wo ist er denn nun, der Geist der Weihnacht? Liegt er begraben unter Geschenkebergen? Ist er längst totgedudelt von seichter Weihnachtsmusik, von Jingle Bells und Co. in der fahrstuhltauglichen Version? Oder ist er ertrunken im Glühwein? Depressiv vom Weihnachts-Werbe-Wirbel? Es gehört mittlerweile zur adventlichen Folklore, sich – nicht zu Unrecht – über die Kommerzialisierung und die Entzauberung des Weihnachtsfests zu beklagen und zugleich daran teilzunehmen. Das Verdammen von Spendeaktionen liegt an diesem Punkt der vorweihnachtlichen Debatte schon in der Luft wie der Kardamom beim Plätzchenbacken. „Warum nur jetzt“, heißt es dann meist mit betroffenem Augenaufschlag, „Not gibt es doch das ganze Jahr!“ Das mag unter moralischen Qualitätskriterien richtig sein, aber ginge es nicht etwas pragmatischer? Die Alternative zu Spenden, Wärme und Aufmerksamkeit vor dem Fest lautet doch nicht: dasselbe, das ganze Jahr über, sondern: dann eben nicht. So betrachtet, sind glückliche Kinderaugen und seelig lächelnde Hartz-IV-Empfänger im Advent vielleicht nicht der Himmel auf Erden, aber das kleinere Übel gegenüber der Alternative: Not von Januar bis Dezember. Auch wenn es zugegebenermaßen trübe stimmen kann, zu sehen, wie sich manch Spender medienwirksam inszeniert. Selbst wenn wir oft eher aus schlechtem Gewissen denn aus echtem Altruismus – falls es den überhaupt gibt – spenden, so wird doch die segensreiche Wirkung dieser Tradition davon nicht geschmälert.
Dass man es mit der Weihnachtsharmonie auch übertreiben kann, zeigt sich in Zossen nach wie vor im Umgang mit Neonazis: Obschon Kirche, CDU, Landrat und Bürger aktiv wurden, hält sich die Stadtverwaltung zurück, was ihr einen öffentlichen Rüffel des Landrats einbrachte. Sollte das dem Geist der Weihnacht geschuldet sein, hätte man ihn im Rathaus gründlich missverstanden.

Erschienen am 20.12.2008

Stilvoller Scheitern

Samstag, 29. November 2008

Ein Ratgeber für ehemalige und – ja, auch – aktuelle Kommunalpolitiker

Das Rausfliegen gehört zu den elementaren menschlichen Erfahrungen. Stets imponiert es als Krise, als ein Nicht-gut-genug-sein, und stellt den Rausgeflogenen daher vor eine schwierige Lage: Reparatur- und bestenfalls sogar Renovierungsarbeiten am Ego sind angesagt. Großen Geistern gelingt es, sich aufzurappeln, ja gestärkt daraus hervorzugehen, weil sie eine wichtige Lektion über die eigene Fehlbarkeit gelernt haben. Kleine Geister verkriechen sich im Selbstmitleid, schimpfen auf die Ungerechtigkeit der Welt oder jener imaginären oder konkreten Jury, die die – natürlich falsche – Entscheidung traf: Sei es nun das Wahlvolk an den Urnen, die öffentliche Meinung oder irgendein PopSuperTopModelStarsTalent-Juror a lá Detlef-Dieter-D.-Soost-Bohlen. Wir wissen nun nicht, wie Annemarie aus Rangsdorf ihr vorzeitiges Ende bei den „Popstars“ verkraftet. Immerhin wirkte die 19-Jährige bislang natürlich und bodenständig genug, um darüber nicht am eigenen Lebensweg und der eigenen Bedeutung zu zweifeln. Was man von jedem Lokalpolitiker nicht unbedingt reinen Herzens behaupten kann. So mancher, der es am 29. September nicht wieder in den Ortsbeirat oder die Gemeindeversammlung geschafft hat, oder der dort lieb gewonnene Fraktions- oder Ortsvorsteherposten räumen musste, versucht sich nun in einer Spezialform außerparlamentarischer Opposition: Hinkommen, meckern, geharnischte Leserbriefe verfassen lautet der dissonante Dreiklang dieses öffentlichen Zweit-Scheiterns, sehr zum Ärger der neu Gewählten, die gern konstruktiv Arbeiten würden, und sehr zum Spott der Öffentlichkeit.
Freilich muss das nicht sein. Betätigungsfelder für gerechte Empörung, für geharnischte Leserbriefe oder einfach nur Erschütterung böten sich dieser Tage allein in Zossen genug. Aber was war schon das bisschen Holocaust gegen aktuelle lokalpolitische Verwerfungen?

Erschienen am 29.11.2008

Die Pizza-Alternative

Freitag, 28. November 2008

Der alte Zosse über entscheidende Vorteile vergangener Tage

Das gemeine Vorurteil hat seine besten Zeiten auch hinter sich. Es wird zunehmend unzuverlässig. Früher waren Pferde zum Reiten und Arbeiten da, heute landen sie in immer mehr Mode-Restaurants auf der Pizza. Früher waren die Sommer warm und die Winter kalt, heute gibt’s Schneeregen im Juli, und der Winter fällt auf einen Dienstag. Früher waren Neonazis glatzköpfig, im Geschäftsleben unsichtbar und gegen Schwule und Behinderte. Heute betreiben sie internationale Callshops mit Sonderkonditionen für Anrufe in Erbfeind-Staaten und „Zossens einzige Schwulenbar“ und geifern offen antisemitisch, ohne dass ein anderer Gewerbetreibender die Notwendigkeit sieht, sich öffentlich zu distanzieren. Ich gebe zu, das verwirrt mich, und beim Versuch, unauffällig die Berliner Straße entlangzugrasen, hätte ich mir fast die Nüstern an einem leeren Bierkasten aufgerissen. Das sind so Tage, an denen ich nicht sicher bin, ob die Zeiten der zuverlässigen Vorurteile nicht die besseren waren. Oder ob ich lieber auf einer Pizza landen würde, als dieses Trauerspiel noch länger mitansehen zu müssen.

Erschienen am 28.11.2008

Mehr zum Thema (chronologisch):

Ein Neonazi wird weinerlich

Mittwoch, 26. November 2008

Eklat: Zossener Stolpersteingegner ist gerichtsbekannter Holocaust-Leugner / Offener Brief an die Stadt

Was mag den Mann nur bewogen haben, gegen die Stolpersteine zu wüten? Das fragten sich viele Zossener am Donnerstag. Die Antwort ist so simpel wie erschreckend: Er ist ein bekannter Holocaust-Leugner.

ZOSSEN|  Natürlich ist es kein Versehen, dass der leere Bierkasten, der vor dem Zossener „Medienkombin@t“ auf dem Boden steht, die zwei Stolpersteine verdeckt. Es ist pure Absicht, eine Provokation. Rainer Link, der Inhaber dieses Internetcafés, hat sich für die kleine Lösung entschieden: Die Stolpersteine, die vor seinem Geschäft daran erinnern sollen, dass dort, in der Berliner Straße 11, einst Juden wohnten, wollte er zunächst „rausreißen“ und außerdem gerichtlich dagegen vorgehen. Das Rausreißen hat er sich dann wohl nicht getraut, und zumindest bis gestern lag auch am Amtsgericht noch keine Beschwerde des Gewerbetreibenden vor, der anlässlich der Verlegung der Steine am Donnerstag die Kontrolle verlor, Bürger beschimpfte und einem städtischen Mitarbeiter die Kamera entriss, wobei er ihn verletzte (MAZ berichtete). Dafür aber wurde inzwischen zur Gewissheit, was noch am Donnerstag nur vermutet werden konnte: Rainer Link ist ein bekennender Rechtsradikaler, der bereits mehrfach von Gerichten zu Geldstrafen verurteilt wurde, weil er aktiv die so genannte „Holocaust-Lüge“ vertritt, also öffentlich und vehement behauptet, es habe den Mord an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten nie gegeben.
Link bewegt sich dabei im Dunstkreis des sehr prominent als Holocaust-Leugner hervortretenden Anwalts Horst Mahler und war zeitweise Schatzmeister des mittlerweile verbotenen „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten“, einem Zusammenschluss, dem neben Mahler so bekannte Holocaust-Leugner wie Ernst Zündel, Robert Faurisson und Anneliese Remer angehörten. Dass nun einem Fanatiker wie Rainer Link, der seit Jahren durch die Lande zieht, um zu behaupten, den Holocaust habe es nie gegeben, ausgerechnet zwei Gedenksteine für ermordete Juden vor die Ladentür gelegt werden, muss als Ironie des Schicksals gelten.
In Zossen wusste jedenfalls bis zum letzten Donnerstag niemand etwas von den Überzeugungen des Neubürgers, der vor drei Jahren aus Berlin in die Stadt zog, unter anderem, weil ihm in der Hauptstadt niemand mehr eine Wohnung vermieten wollte, wie Rechtsextremismus-Experte Maurice Reisinger berichtet, der seit Jahren die Gruppe der Holocaust-Leugner beobachtet und zu diesem Thema forscht. In Zossen erwarb Link das Geschäft in der Berliner Straße 11 in Unkenntnis dessen, dass dies früher ein jüdisches Wohnhaus war, und richtete im Untergeschoss sein Internetcafé ein. „Wenn ich gewusst hätte, dass in dem Haus jemals Juden gewohnt haben, hätte ich das Objekt nie gekauft“, klagt Link in einem offenen Brief an Zossens Bürgermeisterin Michaela Schreiber. Darin beschwert er sich nachdrücklich darüber, „hinterrücks besteinigt“ worden zu sein und über den „barschen Tonfall“ am Tag der Verlegung. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, war es doch Rainer Link selbst, der einen städtischen Angestellten verprügeln wollte und mehrere Umstehende schubste und anschrie. Dann schimpft er über den „Meinungsterrorismus“ beim Thema Juden, den „volksverhetzenden Artikel“ in der MAZ und klagt, er müsse nun um sein Geschäft und sogar sein Leben fürchten, ja er habe sogar Polizeischutz beantragt. Bislang sind allerdings nur unfreundlich dreinblickende junge Männer in Bomberjacken zu sehen, die hinter dem Schaufenster demonstrativ auf die Straße starren – unter anderem zum abgedeckten Stolperstein.
Aus seinen Überzeugungen macht Rainer Link in dem Brief keinen Hehl mehr, er erzählt von seinen Gerichtsverfahren wegen Volksverhetzung, klagt über „Gedenkknechtschaft“ und „Zwangsandenkenoktroy“, nennt die Stolpersteine „Schuldkultsteine“ und verlegt sich darüber hinaus auf eine Mischung aus Drohen („Ich werde Sie für alles haftbar machen“, „Ich investiere keinen Euro mehr“) und Weinerlichkeit („Zossen ist für mich zu einem Alptraum geworden“, „Ich schlafe in meinen Gewerberäumen, um präsent zu sein, sollte die verhetzte Meute meinen Laden überfallen“).
Die Kraft, zu provozieren ist Rainer Link aber erhalten geblieben. Schon seit Montag bedeckt der Bierkasten die Stolpersteine, daran hat der Unternehmer einen Aufsteller gelehnt. Zossens Ordnungsamtsleiter Hartwig Ahlgrimm versprach, noch am selben Tag Mitarbeiter vorbeizusenden, doch konnten sich diese entweder nicht durchsetzen, oder die Sturheit des Rainer Link war stärker: Am Abend bedeckte die Bierkiste die Steine nach wie vor. Auch am gestrigen Dienstag waren die Steine während der Öffnungszeiten des „Medienkombin@ts“ nicht zu besichtigen. Die Idee, den Kasten zur Seite zu schieben, dürfte den meisten Passanten angesichts der grimmig schauenden Herren hinter der Scheibe schnell vergangen sein. Bürgermeisterin Michaela Schreiber versprach gegenüber der MAZ aber, man werde sich schnell darum kümmern.
Das sollte durchaus im Interesse der Stadt sein. Neben Gerd Walther, einem anderen Mitstreiter Horst Mahlers, wohnt nun ein weiterer, bundesweit bekannter Holocaust-Leugner in der Stadt, und die Schlagzeilen verbreiten sich schnell. Bedenkt man, dass mit dem Berliner NPD-Vorsitzenden Jörg Hähnel in Kummersdorf-Alexanderdorf und dem NPD-Granden Matthias Ridderskamp in Blankenfelde bereits vier Neonazi-Größen den Weg aus Berlin in den Altkreis Zossen gefunden haben, sind Sorgen um den Ruf der gesamten Region angebracht.

Erschienen am 26.11.2008

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Fehlender Aufschrei

Mittwoch, 26. November 2008

Jan Bosschaart über einen neuen Zossener, der der Stadt nicht zur Ehre gereicht.

Wäre das Thema nicht so ernst, man müsste in schallendes Gelächter ausbrechen: Da kämpft ein Verblendeter jahrelang gegen das, was er die „Auschwitz-Lüge“ nennt und muss sich dafür vor Gerichten verantworten. Dann verlässt er Berlin, wo er verbrannte Erde hinterließ, und lässt sich – als Holocaust-Leugner unerkannt – in Zossen nieder. Es muss ihm wie eine unglaubliche Provokation vorgekommen sein, zu erfahren, dass die Stadt vor seinem Haus, das auch noch ehemals Juden gehörte, der von den Nazis deportierten Bewohner gedenken will. Fast nimmt es nicht mehr Wunder, dass der Mann anlässlich der Steinverlegung ausrastet. Was er nicht bedachte, ist, dass sein Ausbruch Fragen aufwarf. Ganz Zossen weiß nun, dass ein bundesweit bekannter Neonazi in der Stadt lebt und arbeitet. Seinem Geschäft dürfte das nachhaltig schaden, doch leider nicht nur seinem. Was daher fehlt, ist eine eindeutige Reaktion der Stadt und ihrer Bewohner: Die Provokation der verdeckten Steine sollte die Verwaltung nicht länger hinnehmen, auch einen Aufschrei der Bürger hat bislang niemand vernommen. Falls Zossen diese Haltung beibehält, könnte das zum Stolperstein für die Wachstumsregion werden. Und das wäre dann gar nicht mehr lustig.

Erschienen am 26.11.2008

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Rangelei wegen eines Gedenksteins

Freitag, 21. November 2008

Eklat: Zossener Ladeninhaber verlor die Kontrolle, weil vor seinem Geschäft ermordeter Juden gedacht wird

Was als Zeremonie zur Erinnerung an jüdisches Leben in Zossen geplant war, wurde von einem brüllenden, prügelnden Internet-Café-Betreiber überschattet.

ZOSSEN| Es begann ganz harmlos: 15 Leute hatten sich gegen Mittag vor dem Rathaus versammelt, um unter der Leitung von Kurt Liebau Orte jüdischen Lebens in Zossen aufzusuchen. Es regnete, es stürmte, es war kalt, aber es war eben auch „ein wichtiger Tag für Zossen“, wie Liebau betonte. Ehrenamtlich verfolgt der studierte Indienwissenschaftler seit Jahren die Spuren jüdischer Bewohner der Stadt und ihrer Ortsteile. Für den Nachmittag war die Verlegung der ersten sechs Stolpersteine geplant. Unter diesem Namen setzt der Kölner Künstler Gunter Demnig seit 15 Jahren an den ehemaligen Wohnstätten von Juden, die von den Nationalsozialisten vertrieben, ermordet oder in den Tod getrieben wurden, Steine ins Pflaster. Sie sind zehn mal zehn Zentimeter groß und tragen auf einer Messingplatte Namen und Lebensdaten der Opfer. Rund 17000 Steine in mehr als 350 Städten und Gemeinden hat Demnig bisher verlegt.
Die ersten vier dieser Steine zum „darüber Stolpern“ kamen gestern vor dem Buchladen auf dem Marktplatz, Hausnummer 16, in die Erde. Dort lebte seit 1924 die vierköpfige Familie Falk in der oberen Etage. Sie wurde in Auschwitz ausgelöscht. Zwei weitere Steine sollten danach vor dem Haus Berliner Straße 11 eingelassen werden, wo Martha und Lesser Weinberg ein Textilgeschäft unterhielten. Sie wurden nach Theresienstadt deportiert. Doch schon auf dem Marktplatz machte das Gerücht die Runde, der dortige Ladenbesitzer wolle die Steine verhindern. Einer kurzen Beratung von Organisatoren, Stadtverwaltung und Polizei zufolge musste man sich keine Sorgen machen: Der Weg befindet sich im öffentlichen Straßenraum, und die Steinlegung ist durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung eindeutig legitimiert.
Die inzwischen auf rund 20 Personen gewachsene Gruppe wanderte also guten Mutes in die Berliner Straße, aber dort eskalierte es: Aus dem Internetcafé „Medienkombin@t“ stürmte ein Mann, der sich als „Eigentümer Herr Link“ vorstellte und das Setzen des Steines verbot. Auf die freundliche Mitteilung hin, dass er das nicht könne, weil es sich um städtischen Raum handle, rief er die Polizei – die war ohnehin schon im Anmarsch. Als dann die Spaten angesetzt wurden, stürmte der Ladeninhaber brüllend heraus, stieß wahllos umstehende Zuschauer um und verwickelte einen Mitarbeiter der Stadt in eine Rangelei. Der blutete am Ende. Die Polizei versuchte sich in Deeskalation und riet dem Ladenbesitzer, gegen den Beschluss der Stadt vorm Amtsgericht zu klagen. Die Chancen auf Erfolg dürften verschwindend gering sein. Indes wurden die Steine ins Pflaster gelassen. Seine Drohung, sie „wieder rauszureißen“, sollte der Geschäftsmann besser nicht wahr machen: Ihm drohen ohnehin schon Anzeigen wegen versuchter Körperverletzung. Gegenüber der MAZ und der „gesamten Scheißpresse“ wollte er sich zu den Gründen für seinen Unmut nicht äußern. Lediglich, dass die Steine „geschäftsschädigend“ seien, brüllte er mehrfach mit hochrotem Kopf.

Erschienen am 21.11.2008

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Gestolpert

Freitag, 21. November 2008

Jan Bosschaart über einen Unternehmer, der sich selbst demontiert

Was da gestern Nachmittag in Zossens Berliner Straße zu beobachten war, war nicht weniger als die öffentliche Selbstdemontage eines Gewerbetreibenden und Bürgers. Denn es gibt kein vernünftiges Argument gegen die Stolpersteine – es sei denn, man ist Antisemit, Holocaust-Leugner oder sonstwie rechtsextremen Überzeugungen anhängig. Ob das auf den Unternehmer zutrifft, steht dahin. Den Verdacht hat er jedenfalls erfolgreich geweckt. Geschäftsschädigend sind nicht die Steine, sondern das Gebaren des Mannes, der sich nicht zu schade war, eine von der absoluten Mehrheit der Zossener Stadtverordneten und der Bevölkerung getragene Aktion nach Kräften zu sabotieren, und der, da er keine Argumente zu nennen wusste, in hilfloser Wut zum Schubsen, Zerren, Brüllen und zum Entreißen von Kameras griff. Auf offener Straße, wohlgemerkt, unter den Augen von Passanten und Kunden. Gebracht hat ihm das außer einer Anzeige und einer eklatanten Rufschädigung nichts: Die Steine ruhen wie geplant im Pflaster. Der „Medienkombin@t“-Betreiber aber ist darüber gestolpert. Das ist nicht ohne Ironie: Eigentlich dienen die Stolpersteine dazu, Antisemitismus vorzubeugen. Dass sie ihn zuweilen aus dem Dunklen ans Licht zerren, ist ein eher unerwarteter Effekt.

Erschienen am 21.11.2008

Kallinchens radelndes Uhrwerk

Mittwoch, 19. November 2008

Menschen: Leser loben zuverlässige MAZ-Zustellerin

KALLINCHEN| „Eigentlich“, sagt Hannelore Siecke, „bin ich ja Langschläferin“. Das ist schwer vorstellbar, denn sechsmal pro Woche klingt ihr Wecker um 3.45Uhr – eine Uhrzeit, die viele Menschen bestenfalls mal an Silvester mit eigenen Augen auf dem Display sehen. Doch sie hat sich halt dran gewöhnt, die 62-Jährige aus Kallinchen.
Um 4.30Uhr kommen die Zeitungen an. Dann holt Hannelore Siecke ihr Fahrrad aus dem Schuppen. Wenn es nach Regen aussieht, packt sie die druckfrischen Blätter in Plastiktüten. „Ich mag das nicht, wenn die Zeitung nass auf dem Frühstückstisch liegt“, sagt sie. Dann geht es zuerst die Hauptstraße runter, in die Töpchiner Straße, die Burgstraße, die Straße zur Försterei, schließlich die andere Hälfte der Hauptstraße entlang, in die Seestraße und die Nebenwege. Etwa 70 Mal steigt Hannelore Siecke ab und wirft die MAZ ein, manchmal auch mit MazMail geschickte Post. Das macht sie mit der Präzision eines Uhrwerks. Nicht wenige Kallinchener stellen morgens ihre Uhr nach Hannelore Siecke. „Wenn ich mal krank werde, kommen alle zu spät zur Arbeit“, scherzt die Zustellerin. Das muss niemand fürchten: Nur einmal in zwölf Jahren fiel sie aus, und natürlich stand eine Vertretung bereit. Urlaub braucht Hannelore Siecke auch nicht, jedenfalls nicht fern der Heimat. „Kallinchen ist so schön, wir haben Seen, Wald und Hügel, warum sollte ich da weg?“ fragt sie, und ihr Blick verrät, dass das nicht ironisch zu verstehen ist.
Wenn es ausnahmsweise doch mal nicht ganz auf die Minute läuft, sind die Umstände schuld: Bei Eisglätte kommt der Fahrer oft später, und einmal entleerte der Dorn einer Akazie das Vorderrad ihres Drahtesels. Da ging Hannelore Siecke eben zu Fuß, ein Bekannter nahm sich derweil des platten Reifens an. Soviel Engagement wissen die Leser in Kallinchen zu würdigen: Nicht nur, dass sie ihre Zustellerin bei der MAZ lobten, bei nasskaltem Wetter bietet auch mal jemand einen Kaffee und im Sommer ein Glas Mineralwasser an.
Wo bei diesem Arbeitseifer eigentlich der Spaß bleibt? „Den habe ich“, sagt Hannelore Siecke – weil sie gern unterwegs ist, gern Menschen trifft und gern in der Natur ist. Nur einen Luxus gönnt sie sich ab und an: Wenn „In aller Freundschaft“ über die Mattscheibe flimmert, bleibt sie bis 22 Uhr statt bis 20.15Uhr auf. Dann ist sie morgens zwar müde, aber sie steht keine Sekunde später auf. Langschläfer hin oder her.

Erschienen am 19.11.2008


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