Aufgestautes & Angestautes

Für gewöhnlich beginnt diese Kolumne für den hochbegeisterten und hochmotivierten, weil zwangsverpflichteten Autor mit der Frage, ob es denn in der sich dem Ende neigenden Woche ein Thema gegeben habe, das dieselbe bestimmte. Notfalls zählen dazu auch Themen, die man ein wenig vergewaltigen muss, um sie als Klammer zu benutzen. Das ist in gewöhnlichen Wochen oft recht schwer und in den zwei großen Löchern des journalistischen Jahreslaufs — dem Sommerloch, wo alle Politik ruht und dem Neujahrsloch, wo alle vollgefuttert und ermattet unterm längst nadelnden Weihnachtsbaum liegen — nahezu unmöglich. Nun haben wir ja gerade eines dieser Löcher, doch selten bis nie war es allem Vorgenannten zum Trotz einfacher als in dieser Woche, ein alles umgreifendes Thema zu finden. Es hat nur vier Buchstaben und lautet: Stau.

Erster Dank gilt daher der Stadt, die es gut mit der Presse meinte und Zeitungsspalten und Sendeminuten mit dem unglaublich genialen Einfall füllte, zehn Baustellen gleichzeitig zu beginnen. Das ist in den Ferien zwar so ungewöhnlich nicht, doch in Potsdam scheiden sich die Könner von den Dilettanten, die etwa in Berlin zu Werke gehen, und zwar dadurch, dass sie die Baustellen so verteilen, dass auch jede mögliche Ausweichroute zugebaut wird. Die zwangsläufig einsetzende kollektive Empörung traf die Stadt vollkommen unvorbereitet. Ganz im Ernst: Konnte ja keiner ahnen. Schließlich wähnte das Verkehrsamt alle Potsdamer im Urlaub, und Touristen beamen sich bekanntlich in die Stadt oder kommen mit dem Rad oder auf der Schiene.

So war es dann auch völlig plausibel, dass es aus dem Rathaus hieß, just an dem Montag, an dem die Baustellen begannen, habe es plötzlich deutlich mehr Verkehr gegeben als in den Ferienwochen davor. So ist er halt, der fiese Potsdamer, besonders der aus dem Norden: Das ganze Jahr fährt er Rad und Bahn, aber sobald die Sommerbaustellen beginnen, zeigt er dem Baubeigeordneten, was eine Harke ist, holt das eingestaubte Auto aus der Garage und reiht sich ein, zu schwitzen und zu fluchen.

Tragischerweise kam dann hinzu, dass die Stadt schriftlich eine Umfahrung über, wir zitieren wörtlich: „Golm/Grube/Bornim” empfahl, was die dortigen Ortsvorsteher nur in überschaubarem Maße begeisterte. Als sich diese dann bei der Stadt beschwerten, hieß es, die böse Presse habe sich das ganz allein ausgedacht. Wir lernen: Wenn die Stadt mal Mist baut, was verzeihlich ist, will sie dafür ungern geradestehen. Da kommen die Medien mit ihrem schändlichen Ruf gerade recht.

Ergießt sich auch noch ein Sommergewitter über die Wartenden, zeitigt das hübsche Nebeneffekte wie ein heillos verstopftes Leipziger Dreieck, auf dem der neue Superblitzer (löst bei hoher Geschwindigkeit oder Rotlicht aus) mit dem Gewitter um die Wette blitzt. Die Stadt, schon dünnhäutig geworden, lässt mit etwas Verzögerung dann aber zumindest mitteilen, dass die Bußgeldbescheide für Rotlicht nicht verschickt werden, sondern nur jene für Geschwindigkeitsüberschreitungen. Wir fragen uns indes besorgt: Wie überschreitet man im Stau die Geschwindigkeit?

Richtig aufgestaut hat sich in dieser Stadt auch der Frust über die alles spaltende Frage nach Abrissen von DDR-Architektur und dem Wiederaufbau von Barockem, aber in der DDR Gesprengtem. Nachzulesen diese Woche hundertfach am Beispiel des Entscheids über die Garnisonkirche. Der Aufschrei danach war riesig. Wie groß er wohl ausgefallen sein würde, wenn alle zu Wort gekommen wären, die stattdessen irgendwo zwischen „Golm/Grube/Bornim” und der Innenstadt im Stau steckten, darüber könnten wir indes nur spekulieren. Aber das heben wir uns für ein anderes Themenloch auf. Man soll ja sein Pulver nie ganz verschießen.

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