Archiv für die Kategorie „Feature“

Kurze Wege, lange Betreuung

Dienstag, 16. Oktober 2007

Kita in Uni-Nähe eröffnet / Betreiber plant schon die nächste in Golm

EICHE Edwina hat beschlossen, das Konzept der Frühförderung ernst zu nehmen. Wie das so ist mit den wirklich wichtigen Entschlüssen, musste er schnell und ohne Rücksicht getroffen werden. Die Vierjährige mit den kecken Zöpfen und den tiefschwarzen Knopfaugen entschied sich für musikalische Frühförderung mit Schlaginstrumenten. Dass es ausgerechnet den Eröffnungstag der Uni-Kita an der Kaiser-Friedrich-Straße traf, mag sie bedauert haben, aber wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne. So bearbeitete Edwina stoisch die Trommel, während gestern früh Wissenschaftsministerium Johanna Wanka (CDU), Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), die Rektoren der Uni und der Fachhochschule Potsdam und andere Honoratioren von Kita-Leiterin Martina Günther durch die großzügigen Räume geführt wurden, die das Studentenwerk im Erdgeschoss des Studentenwohnheims für rund 700 000 Euro errichtet hat. 33 Jungen und Mädchen werden seit einer Woche dort von sieben Erzieherinnen und zwei Praktikanten betreut, hauptsächlich die Kinder von Studierenden und Hochschul-Angestellten. „Externe“ dürfen zwar auch in diese Kita, aber nur, wenn Plätze frei sind, und danach sieht es auf absehbare Zeit nicht aus: Die 60 Plätze für Kinder zwischen zwei Monaten und sechs Jahren sind längst vergeben, 20 Elternpaare stehen auf der Warteliste. Es scheint, als haben die Eltern nur auf so ein uninahes Betreuungsangebot gewartet. Wie Martina Günther verriet, steht der Betreiber, die Kinderwelt gGmbH, wegen des Andrangs bereits mit den Hochschulen, der Stadt und dem Studentenwerk in Verhandlung, um in Golm eine weitere Kita zu ermöglichen.
Der gestrige Nachmittag gehörte den Eltern und Kindern. Edwina war mittlerweile auf ein Becken umgeschwenkt, das sie jedem erwartungsfroh entgegenhielt, in der Hoffnung, er würde es schlagen. In der Wahl der Mittel war sie nicht festgelegt und ließ Finger, Kugelschreiber und Kuchengabeln als Schlegel gelten. Stellte sich über längere Zeit kein Impulsgeber zur Verfügung, nahm die kleine Chinesin ihre Ausbildung selbst in die Hände und bediente sich der Fensterbretter, Stuhlkanten und Tischbeine zum Scheppern. Die 17 Monate alte Lilli tappte ihr eine Weile fasziniert hinterher, als fordere sie zur Polonaise auf. Lillis Mutter Marie Wohlbrandt schaute mit einem Lächeln zu, nach einem stressigen Tag: Sie nahm gestern ihr Lehramtsstudium auf und zeigte sich glücklich, einen Kita-Platz ergattert zu haben. Die kurzen Wege und vor allem die flexiblen Betreuungszeiten von 7 bis 20 Uhr kämen ihr sehr entgegen, sagte sie. Da sie erst am Samstag nach Potsdam zog, bleibe dank Uni-Kita ein wenig Zeit, die Wohnung herzurichten.
Wenige Stunden später rüsteten Günther und ihre Kolleginnen zur dritten Feier an diesem Tag: Die Kinderwelt dankte den Helfern. Danach ging für das Team ein langer, stressiger erster Tag zu Ende. Vermutlich haben ihnen dann die Ohren geklingelt.

Erschienen am 16.10.2007

Schießerei in der Rotunde

Dienstag, 25. September 2007

Tom Tykwer ließ das Guggenheim-Museum in Babelsberg nachbauen

Dass es wirklich passte, sei die größte Sensation gewesen, sagt Produktionsdesigner Uli Hanisch. Die Suche nach einem passenden Gelände hatte er schon fast aufgegeben, doch dann kam Babelsberg: Ein alter, ein „ruinöser“ Lokschuppen, wie Hanisch betont, rettete den Plan. Dieser Plan besagte, dass für Tom Tykwers neuen Film „The International“ eine wilde Schießerei in der berühmten Rotunde des New Yorker Guggenheim-Museums notwendig ist. Aus technischen, filmischen und musealen Gründen kam ein Dreh am Originalschauplatz nicht in Frage, also musste nachgebaut werden. Doch welches Gebäude hat die Ausmaße, die Rotunde im Originalmaßstab – 40 Meter Durchmesser, 15 Meter Höhe – aufzunehmen? Die Filmstadt konnte weiterhelfen.
Doch bevor das „Gug“ in Babelsberg, wo seit gestern gedreht wird, entstehen konnte, hatten die Götter den Schweiß gesetzt: Während das Original in 16 Jahren erbaut wurde, hatte das Team um Bauleiter Dirk Grahlow nur 16 Wochen Zeit. Zunächst musste der Schuppen geflickt werden – alte Schienenstränge verschwanden unter Asphalt, das Gebäude wurde gegen Wind und Regen geschützt, große Teile des Daches bedurften einer neuen Abdichtung. Zwei Wochen teure Sanierung waren das, erzählt Hanisch, der für Tom Tykwer auch schon das Set im „Parfum“ baute. Nach weiteren vier Wochen Entwicklungszeit kam dann wieder Dirk Grahlow zum Zuge: Innerhalb von nur zehn Wochen musste die Rotunde im Lokschuppen entstehen: eine umlaufende Gerüstkonstruktion mit innenliegenden Strahlträgern. 40 Leute arbeiteten fast rund um die Uhr und sechs Tage pro Woche daran, verbauten 7000 Kubikmeter Gerüst, 3000 Tonnen Stahl und acht Kilometer Kantholz.
Das Ergebnis trägt nicht nur Dutzende von Menschen, sondern erzielt die selbe „Raumwirkung“ wie das Original, wie Uli Hanisch stolz berichtet. Guggenheim-Mitarbeiter aus New York haben sich bereits angekündigt, um sich davon zu überzeugen. Sie halfen während der Konzeptions- und Bauphase kräftig mit, etwa, indem sie Hanisch die Originalbaupläne überließen. Uli Hanisch ist vollauf begeistert: „Es hat wirklich auf 50 Zentimeter genau reingepasst“, sagt er und schüttelt noch immer ungläubig den Kopf. Dem Team von Dirk Grahlow bescheinigt er „eine Riesenleistung“, doch der drückt sich bescheiden in den Hintergrund. Auch Tom Tykwer ist begeistert. Mit Hilfe von 30 Beamern sollen Video-Kunstwerke auf ebenso vielen Leinwänden die Szene beleuchten, verrät er. Hanisch, mit dem Tykwer regelmäßig zusammenarbeitet, habe sich selbst übertroffen: „Solchen Wahnsinn hat noch niemand gemacht“, sagt der Regisseur und lächelt. Dem stimmt sogar Dirk Grahlow zu: „Das war das Komplizierteste, was ich je gemacht hab.“

Erschienen am 25.09.2007

Medien-Ethik in Europa

Samstag, 1. September 2007

Prominente Journalisten diskutierten vor dem M100-Jugendworkshop

„Mein Beileid“, eröffnete Hans-Ulrich Jörges, Vizechef des „Stern“, „sie müssen sich jetzt stundenlang langweilige Debatten anhören. Doch gewöhnen sie sich dran: Das wird ihnen noch die nächsten 50 Jahre so gehen.“ Es war eine knackige Eröffnung des M100-Jugendmedien-Workshops, die der Ankündigung scheinbar widersprach. Und so lachten sie zunächst, die 35 Teilnehmer aus zwölf europäischen Ländern und Israel, die zur Podiumsdiskussion ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gekommen waren. Die 18- bis 25-Jährigen erwartete ein Podiumsgespräch über „Ethische Richtlinien für Journalismus in Europa“. Jörges im Podium ist da eine gute Idee, denn er redet nicht nur zu allen journalistischen Themen in der Öffentlichkeit gern und ausdauernd, sondern meist auch bissig und daher unterhaltsam. Und so ging es dann los: Richtlinien seien schonmal schlecht, denn sie schränkten die Pressefreiheit ein, man spräche doch besser von ethischen Standards, ließ er die Runde wissen. Ehrlichkeit, Integrität und Unabhängigkeit seien die einzigen Rezepte, verkündete Jörges. Er erklärte das so, als sei nun alles gesagt und man könne endlich zum Buffet schreiten. Doch ein wenig reden wollten die anderen im Podium doch noch. Andrea Seibel, Vize-Chefin der „Welt“, erklärte, die Tendenz zur Unterhaltung sei gefährlich. Susan Neiman vom Einstein Forum warnte die jungen Teilnehmer davor, der verführerischen Berufskrankheit Zynismus zu verfallen („Guter Journalismus gehört in die Tradition der Aufklärung!“), und Joachim Huber, Ressortleiter Medien beim „Tagesspiegel“, fasste es pragmatisch: „Lügen Sie nicht, wenn sie wissen, dass Sie lügen!“ Dann kam wieder Jörges, der wusste, dass 80 Prozent der Journalisten ohnehin schon vom Weg abgekommen und den vielen Verführungen erlegen seien. Die Gesichter der Teilnehmer wurden während dieser Debatte immer leerer – wohl auch, weil sie nicht mitreden durften. Da war es gut, dass der Journalist Mathew D. Rose dazu riet, nie den Humor zu verlieren, obwohl der Journalismus in der Krise sei. Ein Rat, den etwa Hans-Ulrich Jörges schon seit Jahren befolgt.

Erschienen am 01.09.2007

Risse in der Familie

Mittwoch, 29. August 2007

Die „Grüns“ mussten repariert werden

INNENSTADT Frau Grün hatte in letzter Zeit einige Sorgen mit der Gesundheit: Nicht nur, dass der Arm furchtbar schmerzte, auch um ihre Standfestigkeit war es schlecht bestellte – sie schwankte gewaltig hin und her, das dauernde Stehen bekam ihr gar nicht. Doch zum Glück erbarmte sich Joachim Buhlmann: Mit Keller und Kleber, Binden und Beton nahm er sich des herunter gefallenen und zerbrochenen Armes sowie des gelockerten Sockels an, und nun strahlt die Familie Grün wieder in gewohnter Eintracht auf der Ecke Brandenburger Straße/Lindenstraße den Passanten entgegen – zwar um ein paar Narben reichen, aber so ist das halt im Alter und wenn man 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche und 52 Wochen im Jahr draußen steht. Die Grüns führen ein öffentliches Familienleben, mit all den Vor- und Nachteilen. Zu letzteren gehören Vandalismus oder zumindest Unbedachtheit. „Kinder klettern darauf herum, sitzen auf den Schultern, zerren daran“, sagt Joachim Buhlmann, dessen Frau Carola die Familie 1979 schuf – und damit ein kleines Wahrzeichen Potsdams. „Dass die drei angefasst und genutzt werden, war ja auch so geplant“, verteidigte Buhlmann die jungen Kunstnutzer. Nur für echten Vandalismus und mutwillige Zerstörung hat er kein Verständnis, auch wenn er betont, dass „Halbstarke es in unserer Zeit sehr schwer haben“. Es wird nicht die letzte Reparatur an der Familie gewesen sein.

Erschienen am 29.08.2007

Wenn die Geigen wiehern

Freitag, 24. August 2007

Filmlivekonzert zu „Dick und Doof“-Streifen fordert Musikern einiges ab

„War das Moll oder Dur? Also ich hab Dur erwartet.“ Scott Lawton lässt den Taktstock sinken und grinst. Ohne Blick in die Noten kann Gert-Jan Blom aus der ersten Bankreihe bestätigen: „Es ist Dur!“ „Dann habt ihr ein sehr interessantes Dur gespielt“, sagt Lawton, wieder seinem Orchester zugewandt. Die Musiker zucken mit den Schultern und schauen konzentriert auf ihre Notenblätter. Es funktioniert noch nicht alles, aber schon das meiste bei der Generalprobe zum „Filmlivekonzert Dick und Doof“ im Nikolaisaal, das heute Abend dort erklingen wird. Scott Lawton hat das Deutsche Filmorchester Babelsberg bestens im Griff, und er wird von zwei Profis in Sachen Filmmusik der 1920er und 30er Jahre flankiert: Musikforscher Piet Schreuders und Gert-Jan Blom, Orchesterleiter der berühmten „Beau Hunks“, stehen dem Dirigenten zur Seite.

Die beiden Niederländer haben sich das Verdienst erworben, die fast vergessene und vielbelächelte Filmmusik der letzten Stumm- und ersten Sprachfilme auszugraben. „Es ist fast ein archäologischer Prozess gewesen“, sagt Piet Schreuders. Weder gab es Aufnahmen dieser Stücke, noch Noten, noch hielten es die damaligen Filmemacher für nötig, Komponisten oder Musiker im Abspann zu erwähnen. Also setzten sich Schreuders und Blom zusammen und hörten sich die Musik tausende Male an. Sie transkribierten die Noten, bevor sie sie wieder zu Orchesterarrangements zusammensetzten. „Originaltreue war dabei oberstes Gebot“, sagt Schreuders. Vier Alben produzierten die „Beau Hunks“ mit dieser Musik und erwarben sich internationalen Ruhm, bevor sie sich, der Filmmusik müde, wieder anderen Projekten zuwandten. Drei seiner Besten – Saxophonisten und Klarinettisten – hat Gert-Jan Blom nach Potsdam mitgebracht, um das Filmorchester zu unterstützen. „Das Orchester ist gut, aber für sie ist es ein Konzert. Für uns ist es Enthusiasmus und ein Teil unseres Lebens“, erklärt Schreuders lächend den Unterschied.

Den schwersten Job an diesem Abend aber hat zweifellos Scott Lawton: Er muss nicht nur rund 20 Musiker dirigieren, sondern auch noch darauf achten, dass Melodien synchron zu den zwei „Dick und Doof“-Filmen auf der Leinwand laufen. Manchmal auf den Ton genau. „Scott macht das super“, sagt Piet Schreuders anerkennend, „egal in welchem Dur“.

Erschienen am 24.08.2007

Die dunkle Seite der Amundsenstraße

Mittwoch, 8. August 2007

RTL ließ für düsteren Krimi eine Verfolgungsjagd drehen

NEDLITZ Kein Hase und kein Reh musste am Montagabend um sein Leben fürchten, als im Wald an der Amundsenstraße scharf geschossen wurde. Dafür aber der Mann vom Special-Effects-Team: Hauptdarstellerin Melika Foroutan war sichtlich genervt, als ihre Pistole nach zwei Schüssen nur noch ein leises „Klack“ von sich gab – gerade, als sie zum dramatischen Höhepunkt abdrückte. Regisseur Peter Keglevic rief daraufhin „Abbruch“ und zog sich mit krauser Stirn zurück, Aufnahmeleiter Stefan Bechem sah aus, als explodiere gleich er statt der Patrone.

Pannen passieren, obwohl es hochprofessionell zugeht am Set von „Die dunkle Seite“, der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Frank Schätzing („Der Schwarm“), den die Firma Network Movie für RTL dreht. Doch der lange Drehtag fordert an diesem Abend Tribut: Seit 6 Uhr morgens ist die vielköpfige Crew in der Amundsenstraße am Werk, die dafür voll gesperrt ist. Mehr als diesen einen Tag haben die Filmleute allerdings auch nicht für die rund sieben Filmminuten, in denen eine Verfolgungsjagd und deren nervenaufreibender Showdown zu sehen sein werden.

„Die Amundsenstraße ist grandios. Wir mussten dort einfach drehen. Diese dichte Allee, über der die Baumkronen ein durchgehendes Dach bilden, ist eine unglaubliche Kulisse“, schwärmte Andi Wecker, leitender Producer bei Network Movie am Telefon. Durch ihren rund 1,5 Kilometer langen, schnurgeraden Verlauf eigne sie sich zudem hervorragend zum Filmen der Verfolgungsjagd.

Die war am Montagabend schon längst im Kasten. Trotz erster Ermüdungserscheinungen konzentrierte sich das Team auf deren Schluss-Szene, wo Detektivin Vera Gemini (Melika Foroutan) den Privatdetektiv Christian Zander (Charly Hübner) schließlich stellt und zum Reden bringen will. Filmleute sind Perfektionisten. Nicht nur, dass der Zugang zum Set dem Passieren einer Hochsicherheitsschleuse glich, auch entlang aller denkbaren und einiger undenkbarer Zuwegungen zur Straße waren freundliche, aber strenge Sicherheitsleute aufgestellt. Vor Ort herrschte hochprofessionelles Gewusel. Spiegelungen in Autoscheiben, Lichteinfall, Störgeräusche durch überquerende Flugzeuge, Überreste der Ausrüstung im Bild, all das zu verhindern hatte Aufnahmeleiter Stefan Bechem im Blick. Während Melika Foroutan und Charly Hübner ihre Texte durchgingen, tupfte die Maske ihnen den Schweiß aus dem Gesicht, jemand verteilte Ohrstöpsel gegen den Knall der Pistole und ein Kamera-Assistenz sprintete nach dem Ersatz-Akku.

Nur Peter Keglevic verströmte eine Ruhe, als säße er nicht im Zentrum des Orkans, sondern betrachte ihn durch eine Glasscheibe. Der in Salzburg geborene Drehbuchschreiber und Regisseur ist bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Grimme-Preis für seine Verfilmung der Oetker-Entführung und dem Goldenen Löwen für „Die Roy-Black-Story“. Darüber hinaus gilt Keglevic als Krimi-Spezialist: Er drehte auch mehrere Tatort-Folgen und Episoden bei „Doppelter Einsatz“ und „Der Elefant“. Wann „Die dunkle Seite“ auf RTL gesendet wird, ist derzeit noch unklar.

Erschienen am 08.08.2007

„Karl Marx“ lässt Häuser liften

Dienstag, 17. Juli 2007

Eine Aufzug-Inbetriebnahme mit ministeriellem Beistand

AM STERN Ruth Rauter hatte mit vielem gerechnet an diesem Vormittag, aber nicht damit, dass der Minister begehrliche Blicke auf ihren Braten werfen würde. Doch Reinhold Dellmann (SPD), im Kabinett für Verkehr und Infrastruktur zuständig, tat genau das: Er stellte sich vor den Braten in Ruth Rauters Küche und sagte vernehmlich: „Der sieht aber lecker aus!“ Der Appetit war so deutlich zu hören, dass Frau Rauter, obschon bestrebt, eine gute Gastgeberin zu sein, sich gezwungen fand, zu antworten: „Ja, der ist für unseren Besuch, der gleich kommen wird.“

So zog der Minister knurrenden Magens wieder aus der Rauterschen Küche. Er hatte sie betreten, weil Ruth und Gerd Rauter die ersten Wiedereinzügler in der Galilei-Straße 73/75 sind, seit die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ das Haus aufwändig sanierte: mit neuem Wohnungszuschnitt, neuen Bädern, Wärmedämmung, neuer Fassade und einem Fahrstuhl, der dafür sorgt, dass 15 Wohnungen nun alten- und behindertengerecht zu erreichen sind. Rund 1,7 Millionen Euro hat das gekostet, und weil das Land im Rahmen eines Zuschussprogramms die Hälfte der Kosten des Aufzugs – etwa 90 000 Euro – übernahm, schaute auch der Minister zur Einweihung vorbei. Schließlich ist die Galileistraße 73/75 das erste Haus, das in den Genuss dieses im Zuge der Föderalismusreform an die Länder gewanderten Fördertopfes gelangte, der im Februar geöffnet wurde.

Es war Dellmans erster Termin nach dem Urlaub und es schien, als habe er gefastet: Auch WG-Chef Ulf Hahn musste den Minister enttäuschen, als der nach einer Testrunde mit dem Fahrstuhl fragen ließ, wo denn nun die Schnittchen zu finden seien. „Beim nächsten Mal wieder“, sagte Hahn, und machte ein Gesicht, als sei er beim Abschreiben ertappt worden.

Davon abgesehen war es ein guter Tag für den WG-Chef: Die hellen, großzügigen und leicht zugänglichen Wohnungen mit 46, 55 und 61 Quadratmetern Wohnfläche ernteten viel Lob und sind samt und sonders schon vergeben, nicht zuletzt wegen günstiger Mietpreise. Der Beginn der Sanierung und Erweiterung des nächsten Hauses steht noch in dieser Woche an: Am Kahleberg werden nicht nur zwei Stockwerke auf ein weiteres WG-Gebäude draufgesetzt, dank erneuter Förderung aus dem Hause Dellmann wird auch dort ein Aufzug das Erreichen der Wohnungen nicht nur für Alte und Behinderte erleichtern.

Die Rauters sind schon jetzt hochzufrieden. Sie sind trotz Baulärms früher zurückgezogen und erfreuen sich täglich am neuen Schnitt ihrer Wohnung, am breiten Korridor und dem großen Bad. Und am noch eben geretteten Braten.

Erschienen am 31.07.2007

Freundinnen in schwerer Zeit

Dienstag, 10. Juli 2007

Hannah Pick-Goslar berichtete an der Voltaire-Schule von Anne Frank

INNENSTADT Es muss schwer sein für Hannah Pick-Goslar, in Anne Franks Tagebuch zu lesen. Besonders jene Stelle, in der Anne mutmaßt, ihre Freundin Hannah sei vermutlich längst tot. Seit Ende des Krieges ist es genau andersherum: Anne ist tot, Hannah lebt. Und sie wird nicht müde, davon zu berichten – davon, wie sie Anne kennen lernte, und was für finstere Zeiten es waren. In Amsterdam, wohin die beiden jüdischen Familien geflohen waren, als Hitler 1933 an die Macht kam, trafen die beiden Fünfjährigen aufeinander: Eine Begegnung im Gemüseladen, der erste Tag im Kindergarten, und Hannah und Anne sollten Freundinnen werden für den Rest ihres Lebens. Sie ahnten noch nicht, dass das nur noch wenige Jahre waren.

Soweit es ihre Kraft und Gesundheit zulassen, kommt Hannah Pick-Goslar aus Jerusalem oft nach Deutschland, um ihre und Annes Geschichte zu erzählen. Besonders oft kommt sie nach Brandenburg, und in die Landeshauptstadt am liebsten. Die Aula der Voltaire-Schule ist gut gefüllt an diesem Vormittag, fast 100 Schüler, vorrangig aus der achten und neunten Klasse begrüßen die energiegeladene Israelin mit kräftigem Applaus. Sie wirkt nicht wie 79 – straffer Gang, pechschwarzes Haar, elegante Kleidung, selbstsicheres Auftreten. Die Entschuldigung für ihr schlechtes Deutsch darf getrost als Koketterie verbucht werden: In ihrem rund einstündigen Vortrag, frei und ohne Pause gesprochen, unterläuft ihr kein Fehler, keine Betonung weist darauf hin, dass sie seit vielen Jahren im Nahen Osten lebt, nicht mal ein Wort sucht sie.

Hannah Pick-Goslar begeht auch nicht den Fehler, Anne Frank auf einen Sockel zu heben. Sie ist klug genug, zu wissen, dass ihr Tagebuch, das offenbar alle im Saal gelesen haben, für sich spricht. Die reale Anne mit ihren Schwächen zu zeigen, lässt die Schüler viel näher an das junge Mädchen heran, lässt sie stärker mitleiden, als es jeder Heroisierungs-Versuch könnte. Anne habe gern im Mittelpunkt gestanden, sagt Hannah Pick-Goslar, und ihre Mutter habe mit Recht gesagt: „Vielleicht weiß Gott alles, aber sicher ist: Anne weiß alles besser.“ Um so stärker und nachhaltiger hat sich die vom Typhus geschwächte, jämmerliche Gestalt mit der dünnen Stimme in Hannah Pick-Goslars Gedächtnis eingebrannt, der sie Jahre später, von einem Stacheldrahtzaun getrennt, im KZ Bergen-Belsen begegnete: Wenige Wochen nach diesem Zufallstreffen war Anne tot. Sie würde wohl glücklich sein, zu wissen, dass sie ihre Energie und Erzählkraft an ihre Freundin weitergegeben hat.

Erschienen am 10.07.2007

Nachwuchs im Simulator-Park

Freitag, 8. Juni 2007

Lufthansa Training mit neuer Boeing 737 / Nachfrage in der Pilotenausbildung ungebrochen

SCHÖNEFELD War ja klar, dass es so kommen musste. Wenn ein Schreiber sich als Flieger versucht, ist die Bruchlandung programmiert. Wir setzen hart auf in Hong Kong. Zu hart. Die Boeing 737 bockt und springt wieder von der Landebahn hoch, bekommt eine bedrohliche Schieflage und schlägt dann schräg und mit der Nase voran auf den Asphalt. Das Bild friert ein. „Game Over“ sagt der Flugtrainer trocken, und die Häme ist unüberhörbar. „Maybe you shouldn’t consider becoming a pilot“ setzt er hinterher, in dem für Franko-Kanadier typisch französisch klingendem Englisch. Die Eleganz dieser Aussage ist unübersetzbar. De facto heißt es: Trottel!

Es ist der achte Flugsimulator in den Hallen der Lufthansa Flight Training (LFT) in Schönefeld, der an diesem Tag in Betrieb genommen wird. Und der erste der Firma Mechtronix aus dem kanadischen Quebec. „Wir haben uns für das Gerät entschieden, weil uns die Qualität, Zuverlässigkeit und der attraktive Preis überzeugt haben“, sagt LFT-Chef Florian Hamm zur Einweihung. Die geringeren Kosten könnten direkt an die Kunden, die ihre Ausbildungsstunden auf dem Gerät buchen, weitergegeben werden, fügt er an. Angesichts ungebrochen großer Nachfrage an Piloten und Pilotenausbildung ein Argument, das die Kundschaft gern hört. Der Trend zum Billigflieger mag den Bedarf erhöht haben, doch Easyjet, Germanwings & Co. haben auch die Kosten schärfer im Blick. Hauptkunde auf dem Mechtronix-Gerät wird die Tui Fly sein, die Fluggesellschaft des großen Touristik-Konzerns. „Wir benutzen das Gerät schon jeden Tag und sind sehr zufrieden“, verrät Joachim Kramer, Leiter der Piloten-Ausbildung bei der Tui Fly. Man habe lange mit sich gerungen, selbst einen Simulator anzuschaffen und schließlich entschieden, das lieber in den bewährten Händen der LFT zu belassen. „Unsere Kompetenz besteht darin, von A nach B zu fliegen. Das Training überlassen wir lieber den Profis“, so Kramer.

Da der Verkauf eines Simulators selbst für ein Unternehmen wie Mechtronix ein großes Ereignis ist, ist fast der gesamte Führungsstab nach Schönefeld gekommen. Geschäftsführer Xavier Herve übergibt ein zusätzliches Ausstattungsmerkmal des Simulators an Hamm und Kramer: Das integrierte Pain-Relief-System (Schmerz-Minderungs-System) in Form von zwei Flaschen Champagner.

„Es wäre ein Traum, mal für Euch zu arbeiten“, bekennt Florian Hamm im Gegenzug, der vor dem Kauf die Firma in der kanadischen Provinz Quebec besucht hatte. Betriebsklima und Führungsstil hätten ihn nachhaltig beeindruckt. Angesichts des Durchschnittsalters von 18 bis 23 Jahren unter den jungen Ingenieuren werde es aber wohl ein Traum bleiben.

Nach so vielen freundlichen Worten dürfen die Besucher der Einweihung selbst im Cockpit Platz nehmen und für 15 Minuten durch die Welt jetten – auf Wunsch auch selbst am Steuerknüppel. Nun scheiden sich die Luftfahrtprofis von den Presseleuten, die sehr schmerzhaft erfahren müssen, dass das Wort Schmierfink auf der ersten Silbe betont wird und mit Fliegen wenig zu tun hat. Selbst der Kollege, der in seiner Freizeit mit dem Segelflugzeug nach Höherem strebt, ist vom originalgetreuen Cockpit der 737 hoffnungslos überfordert. So sehr, dass er vor Aufregung auf der Startbahn mit dem Steuer zu lenken versucht, statt mit den Ruderpedalen. Los geht’s in Tegel, die Nase zeigt nach Osten, das Wetter ist im Wortsinn blendend. Der Start ist noch relativ einfach: Bremsen lösen, Gas geben, die Spur halten und im richtigen Moment hochziehen. Der Kollege ist dennoch in Schweiß gebadet. „Warm hier!“ sagt er. Ja, klar. Einmal in der Luft, entspannt er sich, ein Zustand, der dem kanadischen Trainer gar nicht behagt. Er lässt es nun richtig krachen: Dunkelheit, Nebel, Schneetreiben, drei entgegenkommende Maschinen – der arme Hobbyflieger ist voll beschäftigt. Erst der Anblick des Hongkonger Flughafens, traumhaft beleuchtet, entspannt ihn wieder. Es wird nicht lange anhalten. Die sechs Hydrauliksäulen, die das Cockpit in jede erdenkliche Richtung neigen können, bewegen sich nicht immer so butterweich. Sie können auch anders: Etwa, wenn die Nase des Riesenvogels mit einem gewaltigen Rumms auf die Landebahn kracht.

Erschienen am 08.06.2007

Ungehobelte Essensgäste

Dienstag, 5. Juni 2007

Wildschweine verwüsten Grundstücke / Rund zehn Vorgärten auf der Speiseliste

PRIEROS Es sieht nicht gut aus in Margot Ziebolds Garten, man muss das so direkt sagen. Er ist eher ein Sauhaufen. Der Steingarten ist über das Grundstück verteilt, die Kartoffeln aus dem Acker sind es auch, die Tulpenzwiebeln – was davon übrig ist – liegen über der Erde, und selbst der Kompost ist überall – nur nicht auf dem Haufen. Eine echte Schweinerei.

„Das Schlimmste ist aber, dass ich mich abends kaum noch raustraue“, sagt Margot Ziebold. Den Garten könne sie ja wieder richten, doch die Angst, die störe sie schon gewaltig. Schließlich haben die Verursacher des Schlamassels, eine Rotte Wildschweine, die nun schon zum dritten Mal im Zieboldschen Vorgarten ein unfeines Picknick feierte, gerade Frischlinge. Und mit Bachen ist dann nicht zu spaßen.

Das Ehepaar ist nicht das einzige, das unter dem ungebetenen Wühlkommando leidet. Etwa zehn Gärten in Ziebolds Viertel sind auf dem Speiseplan der Wildschweine verzeichnet, und auch im Neubaugebiet am Ahornweg wurden welche gesichtet. Ziebolds aber trifft es besonders hart: Sie wohnen direkt am Waldrand, so dass der Hunger noch am größten ist, wenn die Rotte ihren Garten stürmt. Bei den Nachbarn sind die ungehobelten Essensgäste schon wählerischer, das Ausmaß der Zerstörung daher geringer.

Es gibt wenig, was getan werden kann. Jagdpächter Horst Sauer habe darauf verwiesen, dass er im Wohngebiet nicht schießen darf, sagt Margot Ziebold. Er riet zu einem übelriechenden Mittel, das an den Zaun gehängt wird und die Schweine vertreiben soll. Seither müssen Ziebolds allerdings bei geschlossenem Fenster schlafen. Und die Nachbarn grüßen nicht mehr so freundlich wie früher.

Erschienen am 05.06.2007


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