Archiv für die Kategorie „Glosse“

Was bleibt: Acht goldene Regeln

Donnerstag, 14. April 2011

Derzeit vergeht kaum ein Tag in dieser Stadt, an dem sich keine neue Bürgerinitiative gründet. Unerklärlicherweise gelingt es dann aber doch hin und wieder der Mehrheit – oder zumindest der Stadtverordnetenversammlung, die ein paar verschrobene Demokratietheoretiker immer noch für die Repräsentanz dieser Mehrheit halten – der Stadt Bestes gegen den wütenden Ansturm der Partikularinteressierten durchzusetzen. Das muss nicht sein. Mit ein paar einfachen Ratschlägen lässt sich so ziemlich jede Bürgerinitiative zum Erfolg führen – und zum Liebling in Politik und Medien machen. Hier die acht wichtigsten Punkte:
1. Engagieren Sie sich nur gegen Vorhaben, die Sie ganz konkret betreffen. Sehen Sie davon ab, sich für schwachsinnige übergeordnete Ziele wie Menschenrechte, Atomausstieg oder Kinderarmut einzusetzen. Bekämpfen Sie nur den Straßenausbau, der Ihr Geld kostet, die Verkehrsmaßnahme, die Ihnen Lärm beschert, das Neubaugebiet, das Ihnen die Sicht vom Balkon verbaut.
2. Ebenso unumstößlich ist es aber, niemals dazu zu stehen, dass es nur um Ihre ureigenen Interessen geht. Heucheln Sie stets ein Allgemeininteresse, reagieren Sie höchst empfindlich auf die Unterstellung, Sie wollten ja nur Ihre Ruhe im Vorgarten.
3. Für Fortgeschrittene: Simulieren Sie Verständnis für gesellschaftliche Notwendigkeiten, sehen Sie öffentlich ein, dass man die Straße, Schule oder Siedlung ja brauche, aber eben nicht genau hier, bei Ihnen. Ignorieren Sie den völlig hirnrissigen Einwand, dass, wenn alle das sagten, nirgendwo mehr Schulen gebaut würden. Was geht Sie anderer Leute Elend an?
4. Suchen Sie Gleichgesinnte, gründen Sie eine BI, geben Sie sich einen Namen, der mindestens einen Imperativ enthält und mit einem Ausrufezeichen endet. Sichern Sie sich die gleichlautende Internetadresse. Dort schauen zwar nur Ihre Mitglieder drauf, aber das gibt Ihnen die hübsche Gelegenheit, auf der Seite eine Umfrage zum bekämpften Projekt zu starten, deren Ergebnis Sie dann in einer Pressenotiz „repräsentativ“ und „überwältigend“ nennen.
5. Für Profis: Warten Sie mit Ihrem Protest bis kurz vor dem ersten Spatenstich. Ignorieren Sie jahrelange politische Debatten, Bürgerversammlungen, Foren, Presseberichte, Planauslegungen. Kommen Sie erst ganz zu Schluss hervor und klagen Sie dann lauthals, das hier mal wieder nicht mit den Anliegern geredet wurde, obwohl das doch das Naheliegendste gewesen wäre. Beklagen Sie ein Demokratiedefizit und mangelnde Bürgernähe.
6. Seien Sie, um Himmels Willen, feindselig und kompromisslos. Gehen Sie unbedingt davon aus, dass Ihnen Politiker und Verwaltungsmenschen Übles wollen, dass die Sie sie austricksen, hintergehen, auf die lange Bank schieben. Halten und erklären Sie jeden für komplett unzurechnungsfähig und böswillig, der eine andere Meinung vertritt.
7. Bemerken Sie, wie unfähig doch Verwaltung und Politik sind. Recherchieren Sie im Internet ähnlich aussehende Fälle, die anders entschieden wurden und verklären Sie diese dann zu Referenzurteilen. Lesen Sie sich auf eigene Faust in komplexe Rechtsmaterien ein und schreien Sie begeistert Zeter und Mordio, wenn ein Offizieller in der Bügerversammlung nicht Ihre Detailkenntnis hat.
8. Bleiben Sie unsachlich und bekämpfen Sie jedes Argument gegen das Vorhaben, so einleuchtend es auch sein mag. Vermeiden Sie Differenzierung wie der Teufel das Weihwasser. Und geben Sie nie, nie, nie ganz einfach zu, dass das Projekt gut ist, aber Sie einfach davon verschont bleiben wollen.

Erschienen am 14. April 2011

Na, geht doch

Donnerstag, 10. Februar 2011

Jan Bosschaart über die Pflasterhauptstadt und ihre Zentrale, den Bauausschuss

Die kollektive Begeisterung beim Aufruf des Themas „Pflaster“ im Bauausschuss kennt kaum Grenzen – das Gremium darf mit Recht und Fuge als deutlich pflastergeschädigt gelten, seit es sich dank einiger Mitglieder regelmäßig zwangsverpflichtet sieht, die Natursteinfrage zu diskutieren, bis alles auf Format geschlagen und festgeklopft ist. Die Liegezeiten des Ausschusses können sich da schon mal verdreifachen. Doch stand diesmal kein erneuter Antrag darüber zur zähen Debatte, ob nicht dort oder hier oder vielleicht auch da noch gepflastert werden könnte, sondern eine Information über die generelle Strategie der Stadt, und so wandelte sich Unmut in Freude: Dass nämlich „Pflastermeister“ Norbert Praetzel mit seinen Mitarbeitern da Wünschenswertes fernab jeder Ideologie sprichwörtlich auf den Weg bringt, stand über alle Fraktionsgrenzen, in diesem Fall müsste man gar sagen: über alle Konfessionsgrenzen hinweg fest. Mit einem ausgefeilten Konzept will Potsdam das Pflastererhandwerk wiederbeleben und stärken. Dazu wird die Ausbildung junger Straßenbauer ebenso gefördert wie Mitarbeiter qualifiziert und fremde Buddler auf Linie gebracht werden. Dieser unaufgeregte Zugang zwischen die steinharten Fronten wurde daher allenthalben begrüßt.

Erschienen am 10.02.2011

Was bleibt: Wie Ritter der Kokosnuss

Donnerstag, 3. Februar 2011

Kommt ein Mann ins Museum und sagt: „Ich habe hier eine antike Statue, bitte stellen Sie sie aus!“ Sagt der Direktor: „Sie irren, das ist nur Nippes vom Trödelmarkt. Da steht ,made in China’ drauf.“ „Ja, aber es erinnert mich an eine antike Statue. Stellen Sie es aus!“ „Das kann ich nicht tun. Außerdem haben wir hier schon genug Statuen aus dieser Zeit.“ „Na und?“ „Das würde nicht nur unser Museum in Verruf bringen, man würde sich auch über Sie als Spender lustig machen.“ – „Trotzdem!“
Das klingt albern und ist ausgedacht – aber es ist von der Realität inspiriert. In Wahrheit ging es so: Kommen die Grünen in den Bauausschuss und sagen: „Da steht ein Rest der Grenzmauer an der Bertinistraße, die muss unter Schutz gestellt und erhalten werden!“ Sagt die Bauverwaltung: „Sie irren, das ist keine Hinterlandmauer. Das ist nur die Einfriedung einer Logistikeinheit der Grenztruppen, die zudem lange vor dem Mauerbau dort stand!“ „Dann erinnert es ja trotzdem an die Grenze. Stellen Sie es unter Schutz!“ „Daneben gibt es einen echten Grenzturm, den stellen wir ohnehin schon unter Schutz.“ „Na und?“ „Wenn wir dieses wackelige Fragment stehen lassen, kippt es bald auf den Gehweg und gefährdet Passanten. Außerdem können wir die Straße dann dort nicht ausbauen.“ – „Trotzdem!“
Dieses Beharren offenbart einen abstrusen Charme, wenn man es zu Ende denkt. So ließen sich etwa sämtliche Uferwege unter Schutz stellen, weil dort Grenztruppen ihre Stiefel drauf gesetzt haben. (Die FDP als Mitantragsteller würde sich bei dieser Forderung zurückziehen, aber Verluste gibt’s halt überall.) Schritt zwei wäre dann, alle DDR-Bauten in Grenznähe zu erhalten oder herzustellen, weil nur so das Flair des früheren Mauerumfelds für künftige Generationen erlebbar wird. Das bisschen Bürgerprotest dagegen lässt sich sicher aussitzen.
Anderswo wirft man den Grünen gern vor, eine Partei zu sein, die sich statt um die Menschen nur um Mopsfledermäuse kümmert. In Potsdam geht das an der Realität vorbei. Hier kümmern sich Grüne vor allem um Denkmäler und Asphalt und darum, in der Stadtverordnetenversammlung mit Clownsnase zu sitzen, wenn der Oberbürgermeister spricht, was zugegebenermaßen der lockeren Stimmung sehr zuträglich ist. Cineasten hingegen wissen, dass der Mauervorstoß nur eine Hommage an den legendären britischen Komiker Monty Python war. Der lässt in „Die Ritter der Kokosnuss“ zwei Kämpfer aufeinander treffen. Der eine schlägt dem anderen erst einen Arm ab („Nur eine Fleischwunde!“), dann den nächsten („Dann spuck’ ich Dir halt ins Gesicht“), schließlich ein Bein („Komm doch, komm doch!“ erklärt der Einbeinige hopsend) und letztlich auch das andere. Als der Sieger seiner Wege zieht, ruft ihm der Torso nach: „Einigen wir uns halt auf unentschieden!“ In diesem Sinne: Hut ab! Ihr Grünen lasst Euch von nichts kleinkriegen. Nicht mal von Argumenten. Oder, wie der grüner Überzeugungen unverdächtige Helmut Kohl einst sagte: „Ich lasse mir doch von Ihrer Sachkenntnis nicht meinen politischen Willen verwässern.“

Erschienen am 03.02.2011

Was bleibt: Der Welt Lohn

Freitag, 17. Dezember 2010

Ja, wo ist nur, der Geist der Weihnacht? Da haben wir nun Schnee, Glühwein und Kommerz in Hülle und Fülle und reiben uns verwundert die Lebkuchenkrümel aus den Augen, weil sich das adventliche Gefühl partout nicht einstellen will. Fast scheint es, als fehle eine Zutat, aber welche sollte es sein, wenn das Wetter winterlich ist, der Magen voll und Defizite im Zwischenmenschlichen unter den Geschenkebergen sorgfältig kaschiert sind? Es ist, verzeiht den klerikalen Tonfall, Schwestern und Brüder, die Dankbarkeit, der wir entbehren. Dankbarkeit ist der Schlüssel zu adventlichen Gefühlen, Dankbarkeit ist das, was fehlt in dieser Stadt – im Großen wie im Kleinen. Fangen wir mit dem Großen an: Da plagt sich der Kämmerer seit Jahren mit dem Haushalt, dem er wie einer alten Zitrone durch gezieltes Wringen und Quetschen noch den einen oder anderen Tropfen Substanz abringt, welchen der gute Mann dann gewissenhaft mit einem kleinen Schälchen aufzufangen pflegt und an sicherer Stelle verwahrt, auf dass nichts verdunste. Kurz vor dem Fest der Liebe geht er, des stolzen Geschenkes froh, in eine „Haushaltsklausur“ genannte Weihnachtsfeier und eröffnet, während im Hintergrunde Händels Halleluja läuft, im Schein der Kerzen die frohe Botschaft: Wir haben Geld! Einen Überschuss! Preiset den Herrn der Doppik! Doch es kommt, wie es in jeder guten Familie kommt: Die sorgfältig ausgewählten Krawatten und Socken treffen nicht den Geschmack, das Geschenk ist zwar willkommen, aber nicht so, nicht jetzt, nicht auf diese Art. Früher hätte man es haben mögen, damit die Socken noch gegen neue Radwege, die Krawatten gegen kostenloses Kitaessen hätten getauscht werden können. Und dann kommen sie ihm mit Spielräumen, dem armen Kämmerer, die er ihnen genommen habe, mit arglistiger Täuschung, mit Lüge gar – ihm, der er stets nur, wenn auch mit einiger Verschlagenheit, der Stadt Bestes suchte! Hätten Sie danach noch Lust auf Gänsebraten und Rotwein im Kreise der Lieben? Eben. Undank ist des Ringens schmaler Lohn.
Ein Prinzip, das auch im Kleinen gilt. „Das größte Geschenk, dass Sie ihrem Leser machen können, ist es, ihm kulinarische Tipps zu geben. Testen Sie Restaurants und Kneipen, testen Sie Eis im Sommer und Glühwein im Winter“, so tönte es in Journalistenkreisen dieses Jahr laut von fern und nah. Da wir berufsbedingt ausgesprochen gern Geschenke machen, stürzte die MAZ also voran, zu Sterneköchen und Dönerbuden, in die Eisdielen und an die Glühweinstände. Und was tun Sie, liebe Leser? Haben wir auch nur eine freundliche Dankeskarte bekommen? Hat uns einer die vom Schreibkrampf gekrümmte Hand geschüttelt, dass wir ihn vor einem gustatorischen Desaster bewahrt, ihm die Magenverstimmung oder die Privatinsolvenz für zwei Crème Brûlée erspart haben? Mitnichten! Stattdessen wird geklagt! Wie man denn das Lieblingsrestaurant verreißen könnte, bloß weil es nicht schmeckt – die Chefin ist doch so nett und es gibt immer kostenlos Schnaps, wurden wir gefragt. Ob wir den Lieblingsdöner vernichten wollen, bloß weil das Fleisch kalt und das Brot labbrig ist? Nein, so kommen wir nicht weiter – fürs nächste Jahr daher bitte den Vorsatz größerer Dankbarkeit fassen, dann klappt’s auch wieder mit der Adventsstimmung. Mit kritischen Politikern und Lesern lässt sich kein Staat machen. Die stellen am Ende noch den ganzen schönen Weihnachtskommerz in Frage. Und dann wird es wirklich finster, im Weihnachtswirtschaftswunderland.

Erschienen am 17.12.2010

Berufsrisiko

Dienstag, 30. November 2010

Jan Bosschaart über die jedes Menschenmaß sprengenden Härten des Advents

Journalisten haben nicht nur die niedrigste Lebenserwartung aller Berufsgruppen, sie haben auch echte Probleme. Eines davon heißt Vorweihnachtsblues und stellt sich regelmäßig nach dem ersten Advent ein. Die Symptome: Glühweinüberdruss, Tannengrünallergie, Kinderchor-Vermeidungsverhalten und ausgeprägte Jingle-Bells-Phobie. Das alles nicht etwa, weil sie so ausgeprägt zynische Zeitgenossen wären, sondern schlicht wegen der jedes Menschenmaß sprengenden Fülle an Weihnachtsmärkten, -feiern, -konzerten und -spendenaktionen. Geht Otto Normalleser im Advent auf zwei Märkte, zu drei Weihnachtsfeiern und spendet einmal, hat der Lokaljournalist bereits nach dem ersten Advent zwei Dutzend Märkte besucht, vier Konzerte rezensiert und zwölf weitere angekündigt, dazu für vier Spendenaktionen geworben und sieben Weihnachtsfeiern besucht. Dass dort immer Jingle Bells läuft, er immer zu Glühwein und Stollen genötigt wird („nu haben Se sich doch nich so“) und ein Kinderchor auftritt, ist leider unvermeidlich. Am 24. Dezember liegt er dann unter dem Baum, unfähig, sich noch an irgend etwas zu erfreuen, und murmelt erschöpft: „In vier Wochen beginnt die Karnevalssaison. Pro Wochenende elf Narhallamärsche, acht Büttenreden…“

Erschienen am 30.11.2010

Was bleibt: Toi, toi, toi!

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Neulich, im Bauamt. Treffen sich zwei Mitarbeiter auf dem Flur.
„Peinliche Sache, das!“
„Welche von den vielen?“
„Die Radwegmarkierung. Erst markieren wir gegen viel Geld einen Radweg auf der Forststraße, dann kommen die Stadtwerke und reißen genau diesen Streifen wieder auf. 20000 Euro in den Asphalt gesetzt. Und peinlich für den Chef, der selbst markiert hat.“
„Ach, sowas kommt vor. Ich finde die Brückensanierung unangenehmer. Erst kündigen wir eine Sperrung und lange Staus an der Eisenbahnüberführung vor der Langen Brücke an, weil offenbar die totale Gefahr im Verzug ist, und dann blasen wir es bis nächstes Jahr ab, weil alles halb so schlimm war.“
„Verstehe. Die Bürger lachen schon. Da müsste mal jemand einen besseren Überblick haben. Da fällt mir ein: Was macht eigentlich der Klipp?“
„Ach, der markiert doch nur!“
„Ja, eben. Vielleicht sollte er das lassen.“
„Besser nicht. Wenn er nicht markiert, dann asphaltiert er. Kommt auch nicht so gut an.“
„Nun ja. Wenn die Hegelallee-Promenade erst dreistreifig in jede Fahrtrichtung ausgebaut ist, laufen wir Münster vielleicht den Rang als Fahrradhauptstadt ab. Ein paar niedergekachelte Rentner können wir dann als Kollateralschäden verkaufen. Und für die Touristenbusse in der Mangerstraße nehmen wir dann Straßenabnutzungsmaut zur Refinanzierung, weil die Anlieger sich ja gegen Ausbaubeiträge wehren. Einmal Jauch in die Kaffeetasse geguckt: 2,50 Euro. Einmal Joop ins Atelier gelinst: 5 Euro.“
„Das funktioniert doch alles nicht. Wir brauchen etwas, um von den Peinlichkeiten abzulenken. Irgendeinen Aufreger, der die Aufmerksamkeit bindet!“
„Wir könnten verkünden, dass die gesamte Innenstadt Tempo 30-Zone werden soll.“
„Hatten wir schon. Im November.“
„Wir könnten damit drohen, die Humboldtbrücke nicht weiter zu sanieren.“
„Hatten wir auch schon, im Frühjahr.“
„Wir könnten leichtfertig einen Uferweg riskieren.“
„Lockt mittlerweile keinen mehr hinterm Ofen hervor, hatten wir schon dreimal.“
„Junge, das ist aber auch schwer.“
„Irgendwie war’s mit der Kuick einfacher. Die hat zwar nichts Sinnvolles getan, aber das wenigstens öffentlichkeitsunwirksam.“
„Dafür hätte man ihr im Bauausschuss immer was spenden mögen, so verzagt, wie sie da herumsaß.“
„Na, dass kann dem Chef ja nicht passieren, der redet da ja auch mal ungefragt. Vielleicht sollten wir ihm doch etwas zu asphaltieren geben. Das gleicht aus und lenkt die Öffentlichkeit ab.“
„Ich fürchte, der Drops ist gelutscht. Ich plädiere dafür, mehr über die Gartenstadt Drewitz zu reden. Da nehmen wir ja den Asphalt weg, um einen Park draus zu machen. Das sieht mehr nach grüner Politik aus, nicht zuletzt, weil Parkplätze wegfallen, und es hat trotzdem erhebliches Protestpotenzial, weil aller Verkehr durch die Nebenstraßen läuft.“
„Interessante Idee. Du, ich muss wieder an die Arbeit!“
„Ja, ich auf. Woran sitzt Du denn gerade?“
„Am neuen, rechtssicheren Bebauungsplan für den Uferweg am Griebnitzsee. Diesmal wird alles wasser-, anrainer- und klagefest. Und Du?“
„Am Ausbau des Busrings in Groß Glienicke. Ist erst die fünfte grundlegende Planänderung, weil immer irgendwer irgendwas dagegen hat.“
„Na dann: Toi, toi, toi!“
„Gleichfalls!“

Erschienen am 21.10.2010

Recht und Ordnung

Donnerstag, 15. Juli 2010

Wahlkampf: eine tolle Zeit, in der als Kandidaten missverstandene Trivialsatzquellen den Bürger als wertvollen Mitmenschen (vulgo: Stimmvieh) entdecken und hübsche Bildlein huldvoll lächelnder Aspiranten an die Laternenmasten tackern. Diese Plakate sind dann so informativ wie Fotos im Kochbuch: Man erfährt nur, was bestenfalls herauskäme, aber es gerät nie wirklich so. Daher sollten wir den Linken dankbar sein, dass sie im dräuenden Oberbürgermeisterwahlkampf die Zahl der Kandidatenkonterfeis auf 500 reduziert wissen möchte. Doch was ist das Kalkül dahinter? Andernorts käme ökologische Anbiederei an die Grünen infrage. In Potsdam nicht. Dort sind die Grünen eine Städtebau- und Pflasterpartei und in diesen beiden Punkten von den Linken weiter entfernt als die Drewitzer vom Konrad-Wolff-Park. Böse Zungen mutmaßen nun, dank der Überalterung in der Linken fehlen Menschen, die fit genug wären, mit dem Plakat in der Hand eine Leiter zu besteigen. Diese Idee hat allein ob ihrer Boshaftigkeit einen gewissen Charme. Doch der vehemente Einsatz fürs Jugendzentrum „Freiland“ machte ja auch ein paar behände Kletterer unterhalb der 80-Jahre-Grenze zumindest zu Sympathisanten. Sie müssen also anderes im Schilde führen, diese Linken.
Möglicherweise hilft eine nicht mehr ganz taufrische Meldung aus dem Rathaus weiter: Darin wird vor Studenten gewarnt, die im Sperrmüll kramen. Nicht, weil vom Bafög heute keiner mehr zu Ikea gehen kann, sondern – doch, wirklich: wegen des Klimawandels und der Nachhaltigkeit. In diesem Projekt werden Sperrmüllmöbelstücke nachhaltig und klimaneutral fotografiert. Ganz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verpflichtet, beeilte sich die Stadt, Massenpaniken vorzubeugen: Die wilden Studis nähern sich nur angemeldeten Sperrmüllhaufen, war zu lesen, sie stellten auch alles „ordnungsgemäß“ zurück. Selbst dem Datenschutz ist Genüge getan: Weder dem Besitzer noch dem Grundstück können die „Sperrmüllgegenstände“ am Ende zugeordnet werden, das ist behördlich garantiert. Und um ganz sicher zu gehen, schloss die Nachricht mit dem dringenden Appell: „Sollten Sie Studenten beim Fotografieren eines Sperrmüllhaufens sehen, rufen Sie nicht gleich die Ordnungshüter herbei!“ Hoffentlich verfügen die Potsdamer über ein ausreichend robustes Nervenkostüm, um dieser lax dahingeworfenen Anrufung Folge zu leisten. Wäre ja doch blöd, wenn GSG-9, Verfassungsschutz und Bombenräumkommandos mehrfach anrücken müssten, weil sich Chaoten an angemeldeten (!) Sperrmüllhaufen zu schaffen machen. Jetzt, endlich, verstehen wir auch die Linke. Was würde nur geschehen, wenn plötzlich überall Genossen an den Masten klebten, um ihren Hans-Jürgen zu plakatieren? Wären es angemeldete Masten? Würden sie danach alles wieder ordnungsgemäß zurückstellen? Könnten die Plakate nicht dem Abgebildeten zugeordnet werden? Ist schon eine wilde Zeit, dieser Wahlkampf. Recht und Ordnung sind quasi aufgehoben.

Mensch, Matzell!

Freitag, 11. Juni 2010

Wir dürfen uns den Marcel Guse als relativ arme Sau vorstellen. Wir wollen gar nicht mit ihm über die groben Stöße klagen, die das politische Leben als einziger rechtsextremer Stadtverordneter in einer Stadt mit einer so deutlichen parlamentarischen linken Mehrheit mit sich bringt – all das Niedergebrülltwerden, die Saalverweise, die tief und schmerzlich empfundene Einsamkeit, wenn sich nie ein anderer Arm mit der Stimmkarte für seine sorgsam ausgearbeiteten, mit arischem Blut geschriebenen Vorlagen in die Höhe reckt –; nein, über solch grobe, rüpelhafte Behandlung soll Klage hier nicht geführt werden. Denn was des Guses im Kern doch zarte Seele viel schwerer angeht, ist nun dies: Die schändliche Misshandlung seiner Muttersprache, die doch auch seine Vatersprache und damit die jenes Landes ist, für das sein Herzblut zu geben er sich im Weltnetz so emsig bereit erklärt. So jedenfalls lautet seine stete Klage, geführt nicht nur in eben jenem Weltnetze, sondern auch am beweglichen Telefon, wie kürzlich auf den Fluren des Rathauses zu vernehmen war. Über Anglizismen klagte er da, über das die Seele wenig bewegende Verwaltungssprech und ja, auch und gerade über die rhetorisch wenig anspruchsvollen Einlassungen, insbesondere der Linken. Geradezu gröblich werde er da zuweilen angeredet, selbst mit körperlicher Misshandlung ihm gedroht. In just diesem Moment war klar: Er hat ein empfindsames Gemüt, vielleicht sogar eine Dichterseele, der Marcel, die dicht unter der trutzig-nationalen Haut schlummert und von allem außer dem kunstvoll gedrechselten Worte schnell verletzt wird. Was für Qualen muss dieser Junge während seiner Jugend in Potsdam-Mittelmark gelitten haben, einer Region, in der er nur „Matzell“ gerufen wurde, wie hart müssen ihn die Lehrjahre im Bayrischen angekommen sein, wo die lokale Mundart vom Deutschen weiter entfernt ist als mancher südchinesische Dorfdialekt und wie selig muss ihn jenes ferne niedersächsische Exil gestimmt haben, in dem eine Weile zumindest Hochdeutsch seine Ohren erfreute. „Hoch“ und „deutsch“ in einem Wort, schon das ein Leckerbissen für den Gepeinigten. Unsägliche Qualen muss er auch leiden, wenn er – allein seiner Mission geschuldet – jene rechte Hetzpostille mit den seitenhohen Lettern buchstabiert, deren Konsum ihm 90 Prozent jeder Plenarsitzung so sichtlich verleidet. Tröstlich da, dass er sich im Weltnetz im hohen Dichterworte zu üben weiß, denn dort lesen wir von ihm Poetisches wie die Verneigung vor den Deutschen, die „im großen Völkerringen ihr Leben in die Waagschale legten. Ewig lebt der Toten Tatenruhm!“ Wohl gewählte Worte, Marcel. Und trotzdem bist Du eine arme Wurst, denn Du übersahst: Eine hirnrissige Weltsicht wird auch durch schöne Worte nicht wahrer.

Erschienen am 11.06.2010

„Clever, oder?“

Freitag, 7. Mai 2010

Satire: Ein Interview mit Staatssekretär Steffen Kampeter zum Griebnitzseeufer, das nie stattgefunden hat

Steffen Kampeter (CDU) ist Staatssekretär im Finanzministerium. Jan Bosschaart hätte gern mit ihm über den Uferweg gesprochen.

MAZ: Herr Kampeter, seit Wochen bitten wir um ein Interview, aber Sie haben partout keine Zeit. Wir haben daher beschlossen, uns nicht nur ein paar Fragen, sondern gleich auch Ihre Antworten auszudenken. Geht das in Ordnung?
Steffen Kampeter: Lieb ist mir das nicht, aber ich kann wohl wenig dagegen tun. Also fangen Sie schon an.

Danke! Sie haben sich im Bundestag schon 2005 für den Griebnitzsee interessiert, da waren sie noch einfacher Abgeordneter aus Minden/Westfalen – woher das Engagement?
Kampeter: Das hat mit meinem alten Kumpel Balthy zu tun. Balthasar Schramm. Der wohnt am Uferweg. Wir kennen uns noch aus meiner Lobbyisten-Zeit: Er war als Sony-Chef ein hohes Tier in der Musikindustrie, ich Vorsitzender des Dialogforums Musikwirtschaft der CDU. Waren tolle Tage, damals, nur wurde der Balthy immer trauriger. „Steffen“, seufzte er im Sonnenuntergang beim Wein auf seiner Seeterrasse, „da unten laufen Leute über mein Grundstück, du musst was tun.“

Ihre kleine Anfrage im Bundestag blieb ohne große Wirkung.
Kampeter: Ja, aber der Balthy hat sich letztlich selbst helfen können. Gott sei Dank verboten die Richter am Oberlandesgericht ja den Pöbel zwischen Terrasse und Bootssteg.

Doch jetzt können Sie wirklich helfen …
Kampeter: Genau! Die Stadt will 3,2 Hektar Uferland vom Bund kaufen, um ihre Ausgangsposition im Streit um den Weg zu verbessern. Der Deal wäre um ein Haar durchgewesen. Mittlerweile bin ich aber Staatssekretär. Mein Minister hat mit Griechenland zu tun, da konnte ich den Verkauf an die Stadt stoppen – wegen Haushaltsbedenken. Clever, oder?

Sie wollen, dass der Bund die Grundstücke am Markt anbietet, damit eine interessierte Sperrergruppe kaufen kann?
Kampeter: Stimmt. Glücklicherweise sind sogar ein paar Argumente auf unserer Seite: Schließlich verdient der Bund dann mehr. Die klamme Stadt kann nicht mitpokern. Der Weg wäre damit erledigt.

Dumm nur, dass die Haushaltsordnung ihres Ministeriums den Kommunen bei Eigeninteresse ein Vorrecht beim Flächenkauf einräumt.
Kampeter: Ach wissen Sie, Papier ist geduldig. Hinter echte Männerfreundschaft müssen Richtlinien mal zurücktreten. Schon der Name „Richtlinie“ deutet ja an, dass man sich danach „richten“ kann und nicht sklavisch jeden Buchstaben befolgen muss. Auf Linien kann man in gegensätzlichen Richtungen gehen, und man kann Richtlinien abändern. Alles kein Problem.

Und das Gutachten dieses Professors aus Speyer, das die Rechtsauffassung der Stadt in der Kauffrage stützt?
Kampeter: … ist rausgeworfenes Geld. Wir können flugs zwei Gegengutachten zaubern. Die Stadt täte besser daran, ihr bisschen Kohle für andere Zwecke einzusetzen.

Tja, dann danke für dieses sehr offene Gespräch!
Kampeter: Gern! Tat gut, so ungeschminkt zu reden.

Erschienen am 07.05.2010

Gleichgestellt

Freitag, 23. April 2010

Jan Bosschaart über Girls, Boys und die Zukunft des Zukunftstages

Das war ja zu erwarten: Wenn alles durchgegendert ist, sucht sich der Gleichstellungswahn ein neues Opfer und irgendjemand merkt, dass nun ja die Jungs benachteiligt seien, wenn Mädchen so gefördert werden. In Berlin hat es jetzt unser aller Bundesfamilienministerin geahnt und ausgerufen, zum jährlichen „Girls Day“ zur Förderung des Berufseinstiegs von Mädchen in Männerberufe, soll künftig gleichberechtigt auch ein „Boys Day“ gestellt werden. Schließlich drängen sicher genau so viele Jungen ins Krankenschwestern- und Grundschulfach, wie Mädchen die Piloten- und Hufschmiedkarriere vorenthalten wird. Brandenburg ist da schon seit längerem weiter – dank Ostsozialisation? –, denn hier heißt der „Girls Day“ seit einiger Zeit „Zukunftstag“ und richtet sich ausdrücklich an Mädchen und Jungen. Und das nicht nur auf dem Papier: Die Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg hatte gestern Mitleid mit dem phantasie- und gefühllosen Geschlecht und ließ zum Schauspielworkshop nur Jungen zu. Für den entsprechenden Studiengang der HFF bewerben sich nämlich fast nur Frauen. Die mussten hingegen mit den harten Fächern Sounddesign vorlieb nehmen und rostige Ölfässer vor Maschinengewehren in die Luft stemmen. Es lebe die Gleichstellung!

Erschienen am 23.04.2010


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