Archiv für die Kategorie „Blog“

„Ich sag, der Türke war’s“

Freitag, 10. Juli 2015

Oder: Wie viele McDonalds-Mitarbeiter es braucht, eine Energiesparlampe zu wechseln

Samstag Abend, Berlin. Schwach besetzte McDonalds-Filiale. Über dem Eingang flackert eine Lampe. Hinter dem Tresen stehen zwei Mitarbeiter männlichen Geschlechts, einer eindeutig mit Migrationshintergrund. Faszinierend beobachten sie mangels Kundschaft das An und Aus der Lampe. Der türkische Mitarbeiter, nach Uniform und Schild Schichtleiter, übernimmt schließlich Initiative und Verantwortung. Er fordert den Kollegen auf, einen Hocker zu holen. Das dauert nur wenige Minuten, dann stellt der Kollege für den Schichtleiter den Hocker (der sich, streng genommen, als eine kleine Trittleiter materialisiert) unter die Lampe, die sich trotz beharrlichen Anstarrens durch den Schichtleiter noch immer nicht zwischen An und Aus entschieden hat. Er steigt nun auf den Hocker, streckt sich und merkt, das sein Arm gerade so an die Abdeckung reicht. Da das jeder sieht, zwingt ihn sein Stolz zu einem waghalsigen Manöver. Er bittet nicht etwa den deutlich größeren deutschen Kollegen auf den Hocker – der steht offenen Mundes – sondern überstreckt sich, und berührt so die Abdeckung gerade mit den Fingerspitzen. Diese quittiert den Eingriff mit schepperndem Herunterfallen. Beim Überstrecken legt der Schichtleiter ein weiteres waghalsiges Manöver, diesmal rhetorischer Natur hin, den seine Lippen formen den unsterblichen Satz: „Ich würde mich ja länger machen, aber dann kannst Du Honk ja meine Waffe sehen“. (Für nicht Dabeigewesene: Er hatte offenbar Sorge, dass sein Bauch aus der Hose rutscht – das war bereits eingetreten –, und zwar soweit, dass Teile des Genitaltrakts freigelegt würden.)

Der Kollege lacht pflichtschuldig, aber nicht überzeugen. Der Schichtleiter hat indes nun die perfekte Ausrede gefunden, den Hocker zu verlassen. Er ist nicht zu klein, sondern hat Sorgen, seinen Kollegen Minderwertigkeitskomplexe oder gar unerfüllbare Begierden aufzubürden, falls sie seiner gewaltigen Fortpflanzungsausstattung ansichtig würden. Außerdem hat ihn das ewige Schauen in die nach wie vor unbeeindruckt an- und ausgehende Energiesparlampe, die zudem ihres mattierten Schutzes beraubt ist, geblendet. Also darf der größere Kollege dran. Der klagt zunächst auch über Blendung, kommt aber gerade so an die Lampe, greift sie allerdings nicht am Sockel, sondern am Glas. Das hat zwei völlig unvorhersehbare Auswirkungen: Er verbrennt sich und schreit auf. Der Schichtleiter grübelt einen Moment angestrengt und bringt dann eine unschlagbaren Idee ein: Ein Lappen muss her. Selbstverständlich kann er als Schichtleiter den Posten unmöglich verlassen, also muss der Kollege von der Trittleiter herunter und den Lappen selbst holen. Die Zeit nutzt der Schichtleiter, ein gelbes „Vorsicht, rutschig“-Warnschild vor die Trittleiter zu platzieren. Es ist zwar nicht rutschig, aber irgendwie sollten die nicht existenten Kunden ja gewarnt sein, dass hier eine Gefahrenstelle vorliegt, die schon einen Kollegen verletzt hat.

Der Verletzte kommt derweil mit zweierlei zurück: verpflasterten Fingern und dem Lappen. Er steigt nun auf die Trittleiter, und fasst die Lampe durch den Lappen an. Leider nicht am Sockel – der wäre ja kalt gewesen –, sondern erneut am Glas, so dass er sie abbricht und ein bisschen Quecksilberdampf in die Küche weht. Dank des Lappens verbrennt er sich zumindest nicht. Aber er schneidet sich an den Scherben. „Wenigstens ist sie aus“, sagt der Schichtleiter, sein mediterran-optimistisches Naturell unter Beweis stellend. Jetzt werden zwei Kolleginnen gerufen: Eine, um die Scherben aufzufegen, eine weitere, um mehr Pflaster zu bringen. Das dauert weitere fünf Minuten, der Schichtleiter tauscht derweil den Tritthocker gegen eine Stehleiter aus, die so hoch ist, dass sie nicht unter die Decke passt. Mit leichtem Schrägstellen gelingt es, er muss sie nun aber durch Besteigen der untersten Stufe austarieren. Die verpflasternde und die scherbenfegende Kollegin haben ihre Aufgaben erfüllt, bleiben aber sicherheitshalber – und weil’s lustig zu sein scheint – noch am Ort des Geschehens.

Der nun vierfach verpflasterte Kollege erklimmt unsicheren Schritts die schwankende Leiter, die sein Schichtleiter dank höheren Körpergewichts immerhin stabilisieren kann. „Wenn ditt ma nich schiefjeht und der noch runtasaust“, sagt die Kollegin mit den Scherben auf der Kehrschaufel. „Ich sag dann einfach, der Türke war’s“, witzelt der Kollege auf der Leiter, dem es mittlerweile tatsächlich gelang, den Sockel der Lampe ohne weitere Verbrennungen, Schnittwunden oder Quecksilberwolken herauszuziehen. „Jetzt die neue“, sagt er, und sein Knie zittert etwas – ob der Höhe oder mangels Vertrauens in das Gegengewicht des Schichtleiters, muss unklar bleiben. „Ach Du kacke, wo sind denn neue?“ fragt dieser. Die Pflasterkollegin mutmaßt, dass Katrin das wissen müsse. Katrin ist im Moment die einzige noch arbeitende Kollegin und bedient gerade jemanden am McDrive-Fenster. Also warten. Sobald Katrin frei ist, weiß sie es tatsächlich, kann aber gerade nicht ins Lager, weil ein neuer Kunde anrollt. Die Kollegin mit den Scherben bietet sich an, ins Lager zu gehen und diese dort auch gleich zu entsorgen. „Einer muss hierbleiben, falls Kunden kommen“, entscheidet der Schichtleiter, „ich kann hier ja nicht weg und er“ – er meint den immer stärker zitternden Kollegen am oberen Ende – „auch nicht“. „Ich bin ja noch da“, bringt sich die Pflasterkollegin in Erinnerung. Der Schichtleiter denkt kurz nach. „Das müsste gehen“, entscheidet er schließlich, ganz Schichtleiter. So wird es gemacht. Fünf Minuten später kommt die Kollegin aus dem Lager mit einer herkömmlichen Glühbirne zurück, die mit ihrem Gewinde nicht in den Stecksockel der Energiesparleuchte passt. Das merken die Herren aber erst nach einigen Versuchen, das runde Gewinde in den quadratischen Sockel zu drehen. Also muss die Kollegin erneut ins Lager.

Inzwischen kommen Kunden, ein Pärchen. „Habt ihr schon zu?“ fragt der Mann, weil das gelbe Anti-Rutsch-Schild, die wankende Aluleiter und der Tritthocker eine unüberwindliche Barriere bilden. „Nee, ist offen“, sagt der Schichtleiter, „ihr müsst nur außen rum gehen, durchs ganze Lokal“. „He“, ruft der Kollege von oben zaghaft, denn der Schichtleiter hat sich zur Beantwortung der Frage etwas zu weit vorgelehnt und das Konstrukt gerät bedrohlich ins Wanken. Erschrocken lehnt er sich zurück. Die Kunden gehen brav durchs ganze Lokal – statt einfach über den Hocker zu steigen – und die Kollegin kehrt aus dem Lager zurück. Sie will an diesem Abend offensichtlich den Preis für den intelligentesten Mitarbeiter gewinnen, denn sie hat sicherheitshalber von jedem verfügbaren Leuchtmittel im Lager ein Exemplar mitgebracht – auch wenn das bedeutet, dass sie einen Extraweg in Kauf nimmt, um die nicht passenden zurückzubringen. Es sind dies: drei weitere Glühlampen mit dem selben Sockel, nur in anderen Wattstärken, zwei Glühlampen mit kleinerem Sockel und zwei Energiesparlampen mit quadratischem Stecksockel. Sie werden genau in dieser Reihenfolge und unter zunehmender Resignation durchprobiert: Erst die drei mit dem Drehsockel groß, dann die beiden mit dem Drehsockel klein.

Missmut macht sich breit. Erst bei der ersten Energiesparlampe hellt sich das Gesicht am oberen Ende der Leiter auf: „Hey, die sieht ja aus wie die, die wir rausgenommen haben!“ Der Schichtleiter vergisst vor Freude fast wieder die Balance, doch die Begeisterung ist nur von kurzer Dauer: Die Lampe ist zu klein, passt nicht in den Sockel. „Gib mal die letzte“, sagt der Kollege oben, und es ist kaum noch Hoffnung in seiner Stimme. „Lass gut sein“, sagt der Schichtleiter, „wenn die anderen nicht passen, passt die auch nicht. Wir fragen Chef am Montag“. Doch der Kollege oben riskiert nicht seit 20 Minuten sein Leben und hat vier Pflaster an den Fingern, um jetzt den letzten Strohhalm vorbeischwimmen zu lassen. „Gib schon her“, beharrt er, steckt die Lampe in den Sockel, sie passt – und bleibt dunkel. „Du muss sie tiefer reindrücken“, sagt der Chef. Das tut der Kollege, fasst sie aber wieder am Glas an. Kurzes Leuchten, dann ein Schrei, Scherben, Quecksilberqualm. „Na wenigstens war es die richtige“, sagt die Kollegin mit der Vorliebe fürs Lager, „ich hol noch eine und sag Katrin, sie soll Pflaster bringen.“

Geistesgegenwärtig hat auch der Schichtleiter die Lage analysiert und fordert bei der fünften Kollegin erneut den Lappen an. Auf die Idee, die Lampe am Plastikfuß zu berühren, kommt niemand. Muss auch niemand. Mit vereinten Kräften gelingt es im nächsten Anlauf ganz zufällig. Nach nur einer halben Stunde, sieben Pflastern und mit Hilfe von fünf Kollegen hat die Crew eine Energiesparleuchte gewechselt. „Was für ein Tag“, sagt der Schichtleiter, tief ausatmend. Dann verteilt er die Aufgaben zum Wegräumen von Leiter, Tritthocker, nicht passenden Lampen, Scherben und Pflasterresten. Das gelbe Schild klappt er eigenhändig zusammen.
Was bleibt, ist ein Hauch Quecksilberduft über der Küche.

Veröffentlicht am 10. März 2013

Dürre Argumentation

Dienstag, 20. Mai 2008

Die klassische Reaktion auf Ohnmacht ist Aktionismus. Auch Ulla Schmidt ist in diese Falle getappt: Angesichts der Ohnmacht der Gesundheitspolitik gegenüber der Magersucht fordert sie ein Laufstegverbot für zu dünne Models. Die Ministerin hat knochige Mannequins als Schuldige am verzerrten Körperbild der kranken Teenager ausgemacht, und auf diese Fehldiagnose folgt nun ein untauglicher Therapievorschlag. Das findet jede Stammtischrunde einleuchtend, und die Ministerin steht als Retterin der Töchter da.

Magersucht ist aber kein Problem des gesellschaftlichen Schönheitsideals, sondern eines der Selbstregulation, der Körperwahrnehmung und der Familienstruktur, das kann die Gesundheitsministerin in jedem klinischen Lehrbuch nachlesen. Oder in den extra für ihr Haus erstellten Forschungsberichten. Sie hat es vermutlich längst getan – und auf diese Weise erfahren, dass politisch dagegen wenig getan werden kann. Die Hilflosigkeit gegenüber der Magersucht ist offenbar nicht nur für Therapeuten, sondern auch für Gesundheitspolitiker schwer zu ertragen. So fordert Schmidt nun ein Verbot der Magermodels. Das ist billig zu haben, im doppelten Sinne: Es sieht aus, als tue die Ministerin etwas, und es kostet sie keinen Cent. Verdienstvoller, aber mühseliger und teurer wäre es hingegen, die Zwangsdiät in der psychotherapeutischen Versorgung endlich zu lockern. Seit fast zehn Jahren steigt der Bedarf an Psychotherapie in der Bevölkerung, doch weil das Budget dafür gedeckelt ist, erhalten die Patienten immer weniger Stunden. Das entstehende Therapie-Vakuum füllen die Pharmakonzerne gern aus: Sie bringen neue Substanzen auf den Markt, die Leidenszeiten verkürzen und Menschen schneller wieder in die globalisierte Arbeitswelt entlassen. Die Hoffnung auf Spareffekte im Gesundheitssystem ist dennoch trügerisch, weil selbst die beste Pille gegen Angst, Wahn oder Zwang nicht heilt, sondern nur während der Einnahmezeit die Symptome unterdrückt. Gegen viele Krankheiten ist zudem noch kein Medikament in Sicht – die hochkomplexe Anorexie gehört dazu.

Magersucht ist eine Krankheit des Individuums. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie das jeweilige Schönheitsideal beeinflussen nur die Symptomwahl, sie entscheiden nicht darüber, ob ein Mensch krank wird oder nicht. Eine Therapie kann daher nur beim Einzelnen ansetzen. Doch Therapien in ausreichendem Maß bereitzustellen, dazu ist das über jedes gesundes Maß hinaus verschlankte Gesundheitssystem derzeit kaum in der Lage. Diese Versäumnisse der Gesundheitspolitik kann auch Ulla Schmidts dürre Argumentation nicht verdecken.

(veröffentlicht am 20. Mai 2008)

Kultur geht durch den Magen

Montag, 19. Mai 2008

Das Abendland geht schon wieder unter. Nur ein Häuflein aufrechter Eltern stellt sich noch mit Protesten dem kulturellen Verfall entgegen, der diesmal in Form des Verzichts auf Schweinefleisch im Mittagessen von zehn Münchner Kitas daherkommt. Er tut das unter dem Deckmantel des Pragmatismus: Weil bis zu 60 Prozent der Kinder dieser Kitas Muslime sind, will die Schulverwaltung gänzlich aufs Schwein verzichten.
Nicht nur von den Eltern wird das flugs zur vor-auseilenden Selbstaufgabe der westlichen Welt stilisiert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszei-tung diagnostiziert auf der Stelle einen besonders schweren Fall der vorgeblich überall grassierenden kulturellen Demenz – „einer bis zur Selbstaufgabe übersteigerten Rücksichtnahme“, die auf direktem Wege zum Verschwinden der jüdisch-christlichen Kultur führt. Hurra, wir kapitulieren mal wieder. Das Schandmahl ist angerichtet, und die bitteren Brocken schmecken nach Abdankungsbereitschaft aller westlichen Werte. Denn spätestens jetzt wird klar: Die Transformation Europas in einen islamischen Kontinent ist längst nicht mehr aufzuhalten. Die Horden des Bösen verbreiten nicht nur Angst und Schrecken, sie nehmen uns auch die kulturell verbürgten leiblichen Genüsse.
Soviel Aufregung wegen ein paar läppischer Schnitzel und Bockwürste!
Es muss ein sehr trauriges Bild sein, das diese lustvollen Propheten des Untergangs von ihrer westlichen Welt haben, wenn sie deren Kern schon beim Verzicht auf Eisbein und Bauchfleisch in Kindertagesstätten bedroht sehen. Und nicht nur das: Sie unterstellen der von ihnen so kultisch verehrten westlichen Zivilisation damit eine Fragili-tät, die fast schon beleidigend ist angesichts der Jahrhunderte ihres Bestehens. Das alles erweist sich bei Lichte betrachtet als fataler Fehlschluss, dem aufzusitzen das weitaus größere Übel wäre. Die Stärke des Abendlandes liegt keineswegs in seiner Speisekarte, sondern in seiner Offenheit und Pluralität. Nicht durch einen Rückfall in die Abgrenzung von anderen oder die Überhöhung der eigenen Kultur in eine „leitende“ beweist der Westen seine Stärke. Diesem fatalen Irrtum ist er doch schon mehrfach aufgesessen, und die Folgen sind noch lange nicht verdaut.
Die Bereitschaft zur Integration hingegen ist der einzige Weg aus dem Dilemma. Dass er immer leicht sei und keine Opfer fordert, hat nie jemand ernsthaft behauptet. Diese Bereitschaft zu opfern wäre aber der wahre Rückschritt: ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten, der die Diagnose vom Verfall der westlichen Kultur weit eher rechtfertigte als Haxenentzug für Vorschüler.

(Veröffentlicht am 19. Mai 2008)

Das Stock-Werk

Samstag, 16. Juni 2007

„Auf geht’s“, das hielt der gewöhnliche Deutsche bislang für eine ländlich-bajuwarische Ermunterung, die dem sinnenfrohen Bergvolk den beschwerlichen Aufstieg zu den Rindviechern auf der Alm erleichtern sollte. Auch wenn die zwei Silben, knackig wie a Lederhos’n, längst legion geworden sind: Spätestens durch testweises Anhängen eines „Buam!“ gelingt die landschaftliche Einordnung des rustikalen Motivationsausrufs selbst dem Zugereisten.
Dass indes die ursprüngliche Bedeutung eine – man muss es so deutlich sagen: – handfestere ist, hat die Welt jenseits des Weißbieräquators nun von zweien erfahren, die eher für den schnellen Abstieg berühmt sind. Naheliegenderweise war es der Donau-Kurier, der „die Skilegenden Rosi Mittermeier, 56, und Christian Neureuther, 58“ mit dem endgültig aufklärenden Satz zitierte: „Seit eine Studie belegt hat, dass Nordic Walker länger Sex haben, steht meine Frau täglich mit den Stöcken neben meinem Bett und drängt: ,Auf geht’s! Auf geht’s!’“ Selbst wenn wir uns ungern vorstellen, welche Rolle die Stöcke konkret dabei spielen mögen, auch wenn wir nicht verstehen, ob es dem Altersunterschied geschuldet ist, dass der Neureuther Christian – noch? – im Bett liegen muss, während die Mittermeier Rosi die Stecken schon fest in der Hand hat, so imponiert doch zweierlei: Der in Zeiten blauer Pillen rührend naive, ja fast schon naturmystisch zu nennende Glaube, allein durch Zuruf die erhoffte Wirkung zu zeitigen und nicht zuletzt die offenkundige Vertrautheit der beiden Spezl’n mit dem breiten Repertoire der Symbolik des Liebesspiels.
Haben nicht schon unzählige Romanciers und Regieheroen, Maler und Musiker, Psychologen und Pornoproduzenten, Größen des Geistes und Groschenheftautoren den Aufstieg, die Treppe und den Gipfelsturm mit dem Akt verglichen? Taten wir den beiden munteren Margarinevertretern gar unrecht, wenn wir mutmaßten, die Vereinigung der Geschlechter sei für sie nur eine weitere Form des cholesterinbewussten Genießens? Was der Donaukurier dazu verrät, ist im Grunde nur das: bei der Rosi und dem Christian, da läuft’s offenbar wie geschmiert.

(Veröffentlicht am 16. Juni 2007)

Zum Spielball degradiert

Dienstag, 12. Juni 2007

Wozu brauchen die USA einen Raketenabwehrschild in Europa? Zum Schutz vor Angriffen aus Schurkenstaaten, sagt die US-Regierung. Doch wer soll hier eigentlich geschützt werden? Hat Europa nach diesem Schutz gerufen? Umfragen zufolge sind selbst zwei Drittel der Polen und fast drei Viertel der Tschechen gegen die Stationierung amerikanischer Abfangraketen und Radarstationen in ihrem Land. Und: Die Bedrohung bleibt – zunächst und mindestens auf zehn Jahre hinaus – abstrakt. Iran und Nordkorea sind weit davon entfernt, mit ihren Raketen bis auf mittel- oder westeuropäisches Territorium vorzudringen. Wissenschaftler zweifeln, ob das je möglich wird. Ähnliche Bedenken gelten für den US-Abwehrschild, der vor turmhohen technischen Schwierigkeiten steht.
Doch auch Putins „ernsthafte Bedrohung Russlands“ ist nur konstruiert. Zehn Abfangraketen taugen nicht für einen Angriff, und sie würden angesichts tausender russischer Atomwaffen die militärische Schlagkraft des Landes nicht nennenswert schwächen.
So entsteht der Eindruck, Bushs vorgebliche Sorge um die europäischen Verbündeten und Putins überzogene Kalter-Kriegs-Rhetorik dienen nur den beiden Supermächten: der einzig verbliebenen und der gerade mit aller Macht wieder aufstrebenden. Europa verkommt dabei zum Spielball der Interessen, und erschreckend brav, fast schon reflexartig, lässt es sich für einen Schutz instrumentalisieren, dessen es möglicherweise gar nicht bedarf. Jene Politiker, die für Europa eine gewichtigere Rolle in der Weltpolitik anstreben, können von Bush und Putin noch eine Menge lernen.

(Veröffentlicht am 12. Juni 2007)

Pilchereske Ausmaße

Sonntag, 10. Juni 2007

Zwölf Minuten. So lange dauert es, bis der Zuschauer weiß, wohin die Reise geht. In dem Moment, wo sich Jenny, scheinbar im Übermut, auf dem Rasen an die Brust des väterlichen Freundes Lothar wirft und ihr Dekolleté noch einen Moment nachwogt, ist klar, was kommen wird.
Doch der Reihe nach: Lothar (Udo Wachtveitl), Fotograf für Whirlpoolprospekte, und Flugkapitän Milan (Miroslav Nemec), sind Freunde seit immer, aber nur die Copiloten ihres Lebens. Milan hat den Tod seiner Frau nicht verwunden und widersteht jedem Verkupplungsversuch durch offensiven Einsatz des Familienfotoalbums.
Lothar hingegen sieht sich eher als Künstler und befindet sich zudem im ehelich verordneten Zeugungsstress: Gattin Amelie hat sich für die späte Mutterschaft entschieden und einen strammen Fahrplan errichtet, der an den fruchtbaren Tagen dem immer gleichen Ritual aus Marvin Gayes „Sexual Healing“ und untergeschobenem Kissen folgt. Die Konflikte brechen durch, als Milans Tochter Jenny vom Studium zurückkehrt und eine Romanze mit Lothar beginnt. Das führt in Beziehungs- und Gefühlswirren pilcheresken Ausmaßes, die nur treue Zuschauer des großen ZDF-Sonntagsfilms nicht mehr schrecken kann.
Die Charaktere wirken, als seien sie aus dem Kulissenfundus einer Inga-Lindström-Verfilmung direkt auf die Startbahn der Copiloten geschoben: etwa der makellose Brian, Brite mit obligatem Akzent, der den hochwertigen Pullover stets adrett über die Schultern gelegt trägt oder die hyperkritische Journalistin, die nur darauf wartet, den späten Fotokünstler Lothar in Grund und Boden zu schreiben. Da ist es folgerichtig, dass auch Friederike Kempter die Rolle der Jenny mit einer jedes Klischee erfüllenden Jugendlichkeit gibt, Ältere-Herren-Erotik inklusive.
Was bleibt, sind Fledermaus-Füttern im Sonnenuntergang und beziehungsrelevante Gespräche an der Isar. Dass der Film dennoch keine 90-minütige Bruchlandung bietet, liegt allein am „Tatort“-Duo Nemec und Wachtveitl, die dank ihrer Präsenz dafür sorgen, dass er zumindest eine gewisse Höhe gewinnt.

Gegen die seichte Story kommen sie aber nicht an, und spätestens das ebenso vorhersehbare wie überzuckerte Happy-End dieses telegenen Flachseglers macht ihre Mühen zunichte. Warum sie sich in diese Tiefen schwingen mussten und was den Kultursender Arte bewog, dabei zu kooperieren, bleiben offene Fragen an diesem Fernsehabend.

(Veröffentlicht am 10. Juli 2007)

Michas rotierende Welt

Montag, 22. Januar 2007

Ein Abend im „Waschomat“

Vorwäsche

Mit einem Klick rastet die Waschmaschinentür ein, der Finger verharrt über dem Startknopf. „Das würde ich nicht tun“, sagt Michael. „Wieso nicht? Ist beides schwarz, beides 30 Grad!“ Das muss ein furchtbar dummer Satz gewesen sein, denn Michael verdreht genervt die Augen. „Das fusselt“, sagt er schließlich, „Baumwolle und Kunstfaser zusammen, das fusselt.“

Es ist leer im Waschomat am Rande der Altstadt. Nur wenige der 18 Waschmaschinen mümmeln, von Neonlicht beschienen, die Unterwäsche, Gardinen, Handtücher ihrer Mieter durch. Außer Michael, 38, graue Hose, grauer Karo-Pulli mit weißem Hemd darunter, sitzt nur einer im Geschäft, vor drei riesigen Reisetaschen, und liest. „Das ist Sven, aber den brauchst du gar nicht ansprechen, der ist stumm wie ein Fisch“, sagt Michael. Aus seiner Verachtung macht er keinen Hehl. Sven, unrasiert und mit filzigen Haaren, hat offenbar den Inhalt der Taschen in drei große Maschinen gepresst und überbrückt die Zeit, indem er „Die Bedeutung des sozialen Abstiegs für die Identität“ liest. Nachdem die Erwähnung seines Namens ihn ohnehin unterbrochen hat, geht er zum Kaffeeautomaten und zieht sich einen Plastikkaffee.

Hauptwaschgang

Zwei quirlige Teenager betreten den Waschomaten mit einer Reisetasche, die sie gemeinsam tragen. Sie wirken uniform: Lange schwarze Haare, dick aufgetragene Schminke, enge Jeans. Und sie sind bester Laune. Kichernd und giggelnd räumen sie eine Maschine ein, zeigen sich ihre Kleidung. Michaels Stirn liegt in Dauerfalten. Er ist von dem Gespräch ausgeschlossen, da sie türkisch reden, und ihr Umgang mit der Wäsche behagt ihm auch nicht. Sven, vom plötzlichen Lärm aufgeschreckt, zieht sich noch einen Kaffee.

Die Tür spuckt einen älteren Herrn in den Waschsalon. Unsicher schaut er sich um, hinkt in die hinterste Ecke zu einer großen Maschine. Aus seinem abgewetzten, löchrigen Koffer stopft er unwillig, fast wütend die Trommel voll. Dann ist die Leibwäsche an der Reihe: Die Jacke mit dem fleckigen Kragen, die schmuddelige Cordhose, die statt eines Gürtels von einer Paketschnur gehalten wird, das Polohemd, dem die Knöpfe fehlen. Nur in einer Unterhose, die mal weiß gewesen sein muss, und in Strümpfen setzt er sich auf die Bank und schaut in eine Zeitung von letzter Woche. Die Teenager kichern etwas lauter und blicken den Alten ungeniert an. „Arme Sau!“ sagt Michael.

Als es dunkel wird, kommt Herr Yildeniz. Herr Yildeniz ist klein und ständig in Bewegung. An seiner viel zu dicken, goldenen Armbanduhr hängt ein Schlüsselbund. Herr Yildeniz sieht hier nach dem Rechten, hebt Taschentücher auf, wischt Waschmittelreste weg, füllt Automaten nach. Er hat einen schwäbisch-bayrisch-türkischen Akzent, das klingt putzig. „Hallo Yildrim!“, sagt Michael, als Herr Yildeniz unter seinen erhobenen Füßen die Flusen unter der Bank hervorfegt. „Du schon wieder!“, knurrt Herr Yildeniz auf schwäbisch-bayrisch-türkisch und fegt weiter.
Das Surren des Kaffeeautomaten verrät, dasss Sven nicht an seinem Platz ist.

Als Herr Yildeniz geht, macht sich Langeweile breit. Die Abendkundschaft ist durch. Der Alte schläft, die Mädchen rauchen vor der Tür. Sven liest, umringt von leeren Kaffeebechern. Michael starrt auf „Jumbo, die Waschmaschine mit dem großen Hunger (14 kg)“. Darüber steht ein Schild: „Bitte keine Pferdedecken in die Maschine!“ Was macht Michael eigentlich hier? Seine Wäsche – zwei Pullunder, drei Hemden – ist längst gewaschen, geschleudert, gemangelt und getrocknet sowie nach Farben, Funktionen und Schrankfächern sortiert. „Ich lerne hier, mich zu emanzipieren!“, sagt er. „Ein Mann muss irgendwann selbstständig werden. Schließlich bin ich bald 40. Zeit für eine Freundin.“ Sein Gesicht lässt nicht erkennen, ob das Ironie ist. Etwas verlegen streicht er seine akkurat sitzende Ewiger-Junggeselle-Frisur zurecht.

Schleudergang

Das ist der Moment, in dem Julia auftritt. Julia kommt nicht einfach herein, Julia erscheint. Trotz drei Grad Kälte trägt sie einen kurzen Rock und Lederstiefel mit Metallabsätzen, die auf den Fliesen laut klacken. Hinter der Tür hält sie kurz inne und mustert die Runde. Ihr Gesichtsausdruck wird verächtlich. Erhobenen Hauptes schreitet sie klappernd durch den Raum und hinterlässt dabei eine betäubende Duftspur. „Das ist wirklich mal ein kurzer Rock“, sagt Michael, der sich vorgebeut hat, um hinterherzuschauen. „Widerlich“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.
Selbstverständlich würde Julia hier niemandem ihren Namen verraten. Doch Julia telefoniert, während die Baby-Waschmaschine den Inhalt ihres blauen Jeans-Handtäschchens wäscht. „Hallo, Maja-Schatz, hier ist Julia“, sagt sie. Julias Welt scheint noch aus mehreren Schätzen zu bestehen, doch die Babymaschine läuft schnell durch. Julia stopft die nassen Sachen in ihre Handtasche und entschwebt, ohne jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen. Vor der Tür wartet ein Sportwagen, dessen gegelter Fahrer sie mit quietschenden Reifen davonträgt. „Ekelhaft!“, sagt Michael. Er sagt es so laut, dass der Neid deutlich hörbar wird.

Trocknen

Baumwolle und Kunstfaser sind im Trockner, die Stimmung sinkt auf den Tiefpunkt. Die Mädchen haben ihre Wäsche abgeholt, der Alte schnarcht. Sven ist sauer, denn der Kaffeeautomat zeigt „Fehler“. Schweigendes Starren auf rotierende Wäschestücke. Ein neuer Kunde kommt mit zwei Teppichen, deren ursprüngliche Farbe unter Katzenhaaren nicht mehr zu erkennen ist, und müht sich redlich, sie in Jumbo zu stopfen. Michael springt entrüstet auf: „Hey, kannst Du nicht lesen?!“ „Halt einmal’s Maul, Micha, einmal! Und geh zu Mama!“, lautet die Antwort. Jetzt schaut sogar Sven auf – er grinst. Michael stapft wutentbrannt und ohne Gruß hinaus. Die Niederlage auf eigenem Boden nimmt er übel.
Der Trockner meldet, Kunstfaser und Baumwolle seien fertig. Sie haben gefusselt.

(Veröffentlicht am 22. Januar 2007)

Professionalität statt Aufregung

Freitag, 10. November 2006

Es war keine Sternstunde der Fernsehberichterstattung: Bis auf die Moderatorin traten bei der letzten Landtagswahl in Sachen-Anhalt Politiker und Journalisten geschlossen vom MDR-Tisch zurück, als die Fragerunde beim Abgeordneten der NPD ankam. Es war noch viel weniger eine Sternstunde des Journalismus, wie die Moderatorin im Gespräch mit dem Mandatsträger umsprang. Ihre aufgeregte Art, ihre Fragen, die eine Antwort schon enthielten und ihr beständiges Unterbrechen des Gegenübers waren von Interviewkultur und kritischem Journalismus meilenweit entfernt. Die gesamte Aktion wirkte selbstgerecht, aufgesetzt und eitel: „Guckt mal, Rechte sind pfui, und wir zeigen, wie man mit ihnen umspringt!“
Selbstredend ist der Einzug rechter Parteien in Landes- und Kommunalparlamente eine Herausforderung für die Demokratie – und damit für den Journalismus. Er ist auch ein Prüfstein dafür, wie stark und wie sicher die Demokratie sich ihrer selbst ist. Als spontane Reaktion von Bürgern wäre der Vorfall an diesem Abend ein schönes Zeichen gegen rechts gewesen. Als konzertierte Aktion der Politiker wirkte er zwar inszeniert, nahm aber zumindest die parlamentarische Isolation der Fraktion vorweg. Als journalistischer Umgang mit dem Vertreter einer Partei, auf die mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen entfielen, war der Vorfall peinlich.
Journalisten sollten sachlich bleiben. Sie sollten berichten, aufklären, Hintergründe durchsichtig machen. Für einen Kommentar war an diesem langen Wahlabend genug Sendezeit, er musste nicht in Form eines Interviews erfolgen, das diesen Namen kaum verdient. Da wäre selbst ein völliger Verzicht auf eine Aussage des NPD-Abgeordneten besser gewesen. Denn was erreicht der Journalist auf diese Weise? Bei den Zuschauern, die ohnehin gegen NPD und DVU sind, erzielt er vielleicht Schadenfreude oder oberflächlichen Beifall: „Dem haben sie es aber gegeben!“ Dennoch bleibt eine gewisse Irritation ob des tendenziösen und aufgeregten Umgangs mit dem Parteivertreter. Schlimmer aber ist: Jene Zuschauer, die DVU oder NPD gewählt hatten oder wählen würden, werden ausgegrenzt: Eine wichtige Chance, sie ins Gespräch zurückzuholen – und auch das ist eine journalistisch Aufgabe, gesellschaftliche Debatten anzustoßen, zu moderieren und die eigenen Zuschauer/Leser/Hörer ins Boot zu holen – ist vertan. Das Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung ist ein häufiger Grund, radikale Parteien zu wählen. Unterstellen wir der MDR-Moderatorin beste Motive, so hat sie ihrer Sache damit doch letztlich einen Bärendienst erwiesen.
Wie also sollten sich Journalisten verhalten? Die Antwort ist im Grunde leicht: professionell, wie sie es gelernt haben. Sie sollten unaufgeregt bleiben, um den Rechten nicht mehr (emotionale) Aufmerksamkeit zu verschaffen, als notwendig ist; kritisch, aber sachlich berichten, wenn es um die alltägliche Arbeit dieser Parteien in den Parlamenten geht; Absichten, Ziele und Methoden der Rechten gründlich recherchieren und, wenn nötig, aufdecken; ihnen keine Spezialbehandlung angedeihen lassen, die sie unnötig ins Rampenlicht öffentlicher Aufmerksamkeit hebt; sie aber auch nicht ignorieren, denn im Verborgenen sind diese Parteien gefährlicher als unter öffentlicher Beobachtung – und kommentieren, wenn es unerträglich oder ungeheuerlich wird, bei fremdenfeindlichen Reden etwa, bei Taten allzumal, oder beim Leugnen des Holocaust.
Selbstverständlich müssen der geistige Horizont, das überschaubare Weltbild und die Absichten von NPD und DVU transparent gemacht werden. Anlässe dafür gibt es genug. Meist bedürfen diese Parteien der journalistischen Schützenhilfe gar nicht: Sie sind zerstritten und in ihrer parlamentarischen Arbeit derart bedeutungslos, dass von ihrem Einzug in die Parlamente zwar ein sehr negatives Signal ausgeht, ihre reale Gefahr aber gering ist – zum Glück. Professionelle Arbeit statt aufgeregter Ignoranz: dann klappt’s auch „mit“ den Rechten.

(Veröffentlicht am 10.11.2006; Text während des „Assessment-Centers“ der MAZ)


%d Bloggern gefällt das: