Geschmacksprobe für ein Förderinstrument

Europa: EU-Kommissar kostete die süßen Auswirkungen seines Sozialfonds

Vladimír Špidla entscheidet für gewöhnlich an seinem Brüsseler Schreibtisch. Die Auswirkungen können durchaus lecker sein, lernte er gestern.

POTSDAM | „Ach“, sagte der Herr Kommissar, „da wird die ganze abstrakte Arbeit doch mal sinnlich“. Sprach’s und ließ sich eine Praline mit Cassis-Likör auf der Zunge zergehen. „Bei uns in Böhmen“, fügte Vladimír Špidla genießerisch hinzu, „sind ja alle Pralinen mit Alkohol.“ Das trifft auf die kleinen Meisterwerke von Tanja Hofmann und Franziska Tölcke in der Kurfürstenstraße zwar nicht immer zu, aber der EU-Kommisar für Beschäftigung, Chancengleichheit und soziale Angelegenheiten fühlte sich in der kleinen Manufaktur nebst Café dennoch sichtlich wohl. Ganz unaufgeregt, mit nur kleiner Entourage, wehte der hohe Herr aus Brüssel hinein, fast auf Zehenspitzen, um sich vor Ort ein Bild von den Segnungen des Europäischen Sozialfonds zu machen. Mit Hilfe dieser Förderung nämlich gründeten Hofmann und Tölcke vor etwas mehr als einem Jahr ihr „Lekker Snoepjes“ im Holländischen Viertel – das heißt soviel wie „leckeres Naschwerk“. Dass Vladimír Špidla die Segnungen seiner Programme mal erschmecken darf, ist selbst für den Kommissar nicht selbstverständlich, und auch die Handarbeit gehört nicht unbedingt zum täglichen Brot des promovierten Historikers und ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten. Doch beim Versuch, selbst eine Praline in weiße Schokolade zu tauchen, schlug er sich ganz wacker, auch wenn Špidla geradezu rührend um die Hygienevorschriften besorgt war und sich erst umständlich in Gummihandschuhe zwängte, obgleich ihm alle zuriefen, er möge doch nur beherzt zugreifen.
Der Kommissar weilte für eine Asien-Europa-Konferenz in Potsdam und nutzte die Gelegenheit, sich von den Segnungen der EU-Programme vor Ort zu überzeugen. Über die Gründungswerkstatt „Enterprise“ waren Tanja Hofmann und Franziska Tölcke bei ihrem Gang in die Selbstständigkeit beraten worden. Die Werkstatt erhielt dazu Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und vom Land Brandenburg. „Ich kann diese kostenlose Beratung nur empfehlen“, schwärmte Tanja Hofmann, die sich „vom ersten Tag an gut betreut“ fühlte.
Špidla fühlte sich seinerseits im „Snoepjes“ so gut betreut, dass er gegen den Terminplan noch einen Espresso trank und Pralinen mit nach Brüssel nahm. Geschenkt wollte er sie nicht, er zahlte brav selbst. Und natürlich nahm er welche mit Alkohol. Wie zuhause üblich.

Infobox: Gründungsförderung in Brandenburg
Mehr als 6,7 Millionen Euro stellt das Brandenburger Arbeitsministerium aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und Landesmitteln im Jahr 2009 bereit. Die EU gibt jeweils 75 Prozent der Fördersumme, das Land die restlichen 25 Prozent.
Die Gründungswerkstätten für junge Menschen bis 28Jahre, aus denen auch „Lekker Snoepjes“ hervorgingen, brachten seit 2003 rund 660 Brandenburger in die Selbstständigkeit.
In Potsdam betreute die Werkstatt „Enterprise“ zwischen März 2007 und Februar 2009 17 Gründerinnen und 14 Gründer, so Pressesprecherin Cornelia Grasme.
Seit 2003 sind in Brandenburg 230 Unternehmen durch diese Maßnahmen an den Start gegangen, davon 40Prozent von Frauen geführte Start-Ups.
Die Werkstätten helfen vor allem durch Betreuung, Beratung und Begleitung auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Sie gewähren keine finanzielle Unterstützung, helfen aber beim Beantragen von Fördermitteln und Krediten.
Viele Gründer profitieren auch nach der Förderung noch von den Jungunternehmer-Netzwerken, die sie in dieser Zeit bilden.

Erschienen am 17.03.2009

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