Archiv für die Kategorie „Potsd. Tageszeitung“

SAMSTAGMORGEN: Notstand ist Notstand

Samstag, 4. August 2012

Das ertrage er einfach nicht, erklärte diese Woche ein Leser am Telefon. Er sprach nicht vom Abschlachten in Syrien oder von Kindesmissbrauch, sondern von etwas, das er „einen drohenden Notstand an Beachvolleyballplätzen in Potsdam“ nannte. Gemeint ist ein Platz im Bornstedter Feld, der einer seit 15 Jahren geplanten Wohnbebauung weichen muss. Direkt neben-
an gibt es vier weitere Plätze, die bleiben. Doch Notstand ist Notstand. Wir sehen daher schon das UN-Flüchtlingshilfswerk, von Blauhelmen beschützt, ins Bornstedter Feld einziehen, wo aus dem Sand gesperrter Uferwege dieser Stadt ein erster Beachvolleyballplatz improvisiert wird, um die ärgste Not zu lindern. Auf eben jenem schlägt dann Matthias Finken, Chef des Bürgerforums Nord und eifriger Unterschriftensammler gegen die Bebauung, im CDU-farbenen Bikini auf – auf der Gegenseite sein Lieblingskontrahent aus alten Kampftagen um den Badstandort, Thomas Hintze, im Borat-String. Auf den Bällen stehen Argumente wie: „Vergesst den Norden nicht“, „Potsdam braucht Wohnungen“, „Der Brauhausberg muss frei bleiben“ und „Gemeinwohl? Nein danke!“. Die beiden schmettern sie sich nur so um die Ohren, und wir hören schon den Oberbürgermeister warnend rufen: „Bis einer weint!“. Doch da schreiten die Punktrichter, vier Drewitzer Kita-Erzieherinnen in Resozialisierung, ein. Sie können zwar nicht unfallfrei bis 33 zählen, aber bis 21 hat es gereicht. Als sie gerade den Sieger küren, klingelt der Wecker. Zum Glück.

(Anmerkung für Nichtabonnenten: Den vier Kita-Erzieherinnen war am Vortag gekündigt worden, weil sie ein Kind auf einem Ausflug vergessen hatten – wegen „Verzählens“)

Erschienen am 04.08.2012

Aufwachen!

Freitag, 6. Juli 2012

Die Hotel- Entscheidung muss akzeptiert werden – aber mit allen Folgen

Im Grunde war es schon gelaufen, bevor es richtig begonnen hatte: In jenem Moment, in dem Hasso Plattner ankündigte, er wolle über den Kunsthallenbau mit niemandem in Streit geraten, sanken die Chancen für einen Abriss des Hotel-Plattenbaus auf null. Nicht nur, dass es bei mehr als 150 000 Einwohnern schwer möglich ist, keinen zu finden, der einen Einwand hat. Mit Potsdam hat sich Plattner ausgerechnet die Stadt ausgesucht, in der der Streit zwischen dem baulichem Erbe der DDR und der Rückerlangung europäischen Formats so hart ausgetragen wird wie in keiner anderen. Es ist nun müßig, darüber zu streiten, ob der Mäzen die Mimose gibt, wenn er angesichts der Einwände einknickt – es ist sein Geld, und er hat über den Aufbau einer Sammlung von DDR-Kunst klug versucht, den Ostalgikern eine Brücke zu bauen, damit sie den Abriss akzeptieren. Das hat nicht funktioniert. Die Halle wird nun weit draußen liegen und die DDR-Freunde reiben sich die Hände über den Fortbestand der subversiven Platte neben dem Schloss. Der ewige Streit „neu und weltoffen“ gegen „so wie früher“ ist einmal mehr auf die Potsdam-Art ausgegangen. Das ist zu akzeptieren. Die fortdauernde innere Bezirkshauptstadt und der Anspruch auf europäisches Format bleiben aber unvereinbar.

Erschienen am 06.07.2012

Futterneid

Dienstag, 3. Juli 2012

Über tierische Neulinge in der Stadt und ihre nicht sehr nette Begrüßung

Da wird nun immer geklagt, man müsse die Gästezahlen in der Stadt erhöhen, gerade die Amerikaner fehlen, und dann das: Kaum siedeln sich mal einige an, ist es den Potsdamern auch wieder nicht recht. Weil mal eine Mülltonne umfiel, weil’s mal auf dem Dachboden rappelte oder weil mal ein Fischlein aus des Nachbars Teich fehlte. Dabei verfügt der Waschbär – und nur um den geht’s – doch über durchaus sympathische Eigenschaften: Er ist clever, niedlich und versöhnt durch seinen namensstiftenden Bauch die Mehrzahl der Männer mit dem ihren. Doch was passiert in dieser vermeintlich so weltoffenen Stadt, dieser familienfreundlichen Metropole? Freut man sich über junge, gut ausgebildete Waschbärenpaare, die sich für ein Leben in der Berliner Vorstadt entschieden haben, ein Leben mit Blick auf Wasser, Parks, Weltkulturerbe und immer volle Mülltonnen? Mitnichten. Vergrämt soll er werden, der Waschbär, und wenn das nicht gelingt, wird scharf geschossen. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ sieht anders aus. Das hinterlässt natürlich Spuren in des Bären Gemüt. Hielten die Neulinge unter Potsdams Tieren dereinst noch eng zusammen, regiert nun der Futterneid: Berichten zufolge räumte ein Waschbär kürzlich einen Teich wertvoller japanischer Koikarpfen leer.

Erschienen am 03.07.2012

NACHSCHLAG: Nostalgie vom Drehgrill

Montag, 2. Juli 2012

Die „Globus Grillbar“ hat zwar den falschen Namen, aber noch das richtige Flair – und die besten Hühnchen

Ob Spitzenrestaurant, Café, Kneipe, Ausflugslokal oder Döner – Mitarbeiter des Potsdamer Stadt- und Landkuriers sind als anonyme Tester unterwegs.

Über der Tür steht „Globus Grillbar“. Wer diesen Namen benutzt, hat sich allerdings sofort entweder als Zugezogener oder als Unter-30-Jähriger geoutet. Alle anderen nennen die kleine Einrichtung Am Kanal nämlich beharrlich weiter „Goldbroiler“, wie sie bis zur Wende hieß. Man könnte sie auch „Aquarium“ nennen, denn durch die riesigen Fenster zur Straße hat man nicht nur einen schönen Blick hinaus, sondern auch hinein.
Drinnen ist es spartanisch, aber modern eingerichtet; den Raum dominiert eine große, verspiegelte Bar, hinter der die Broiler brutzeln. Der klassische Drehgrill, der es gestattete, dem eigenen Mittagsmahl bei der Vergoldung zuzusehen, fehlt leider. Dank warmer Beleuchtung und ein paar Pflanzen wirken die runden Resopaltischchen mit je zwei Stühlen dran nicht ganz so karg. Es ist Mittagszeit, die Tische sind gut besetzt: Angestellte der umliegenden Läden und Kanzleien, FH-Studenten, Touristen und Rentner auf Einkaufstour dominieren. Ein Pärchen mit hörbar sächsischer Herkunft kommt herein, schaut sich um und er sagt zu ihr: „Gugg ma, fast wie früher“.
Die laminierte Speisekarte ist quietschbunt, aber übersichtlich. Der Broiler heißt touri-kompatibel jetzt Viertel- oder halbes Hähnchen und kostet pur zwei respektive drei Euro, mit Brötchen 25 Cent mehr, mit Pommes einen Euro plus. Wer Majo oder Ketchup möchte, legt nochmal 25 Cent drauf und ist trotzdem preiswert satt geworden. Für den weltgewandten Gast gibt’s auch noch Hähnchen Cordon Bleu (8,40 Euro) und Thaihuhn in Kokossoße mit Reis (5,80), für Geflügelverweigerer Beefsteak mit Röstzwiebeln (6,80) und für das komplette Ostalgie-Gefühl ein Ragout fin vorweg (4 Euro), natürlich in der DDR-Variante mit Huhn statt Kalb. Wir entscheiden uns für den halben „Gummiadler“ nebst Pommes (die in den 1980ern auch im Goldbroiler angebotenen Pommes waren legendär!) und einer Tüte Majo, dazu darfs eine Cola sein, die aber aus dem „imperialistischen Ausland“ kommt. Vita- oder Club-Cola aus dem Osten gibt’s nicht. Dafür sind die Teller „Made in GdR“, Marke „Inglasur Colditz“. Herrlich. Trotz Imbiss-Preisen wird man im Grill bedient von einer netten Dame mit leicht osteuropäischem Akzent. Nur die Dederon-Schürze fehlt. Der Broiler ist schlicht fantastisch. Schön heiß, schön frisch, saftig die Keule, faserig der Flügel, mit Curry und Paprika gewürzt, eine Köstlichkeit, wie sie in der berühmten Neptun-Bar Rostock nicht besser zu bekommen gewesen wäre. Auch die Pommes präsentieren sich ohne Fehl und Tadel, schon leicht abgekühlt zwar, aber reichlich viele, groß und kaum fettig. Die Gemüsegarnitur allerdings erfüllt nur Dekorations- und Alibizwecke. Die paar Gurkenstiftel und das Sechzehntel einer Tomatenscheibe, gekrönt von einem im Sterben liegenden Petersilieblatt, passen zusammen auf eine Gabel.
Nach dieser Riesenportion stellt sich eine fast schon sozialistische Arbeitsmoral ein. Abhilfe verspricht entweder die Abteilung heimisch-hochprozentig (Wilthener Goldkrone, Nordhäuser Doppelkorn oder Wodka Gorbatschow, alles 1,30 Euro) oder modern-aufputschend (Espresso, Cappuccino, Latte Macchiato 1,50–2,50 Euro). Da es noch Mittag ist, entscheiden wir uns für Letzteres und sind erfreut, frisch Gebrühtes aus frisch gemahlenen Bohnen zu bekommen mit einer tollen, nussigen Crema. Wir schämen uns einen Moment, dass wir insgeheim Muckefuck oder gefriergetrockneten Cappucino aus der Tüte, mit kochendem Wasser aufgequollen, befürchtet hatten. Mit dem Koffein flutet ein kindliches Nostalgie- und Wohlgefühl den Körper und wärmt nicht nur den Bauch, sondern auch die Seele. Das gibt es in der Global Grillbar kostenlos obendrauf. Wer’s erleben möchte oder einfach gute Grillhähnchen mag, sollte mal reinschauen. Für Tage mit „Westbesuch“ gibt’s andere Lokale.

Erschienen am 02.07.2012

Danke, Lindenpark!

Montag, 2. Juli 2012

Mensch, danke, Lindenpark! Du warst für fast vier Wochen mein – besseres – Wohnzimmer. Bei Sonne und Regen, in guten (gegen Griechenland!) wie in trüben (gegen Italien!) Stunden warst Du offen für mich und jeden anderen, hattest immer ein kühles Bier und einen warmen Burger zur Hand (auch wenn der Käse öfter mal aus war); wenn ich früh kam, fand ich einen Liegestuhl gar, wenn ich spät kam, nur eine harte Bank – doch so ist das Leben. Rudelgucken bei Dir war eine schöne Erfahrung – weil man keinem Gesinnungszwang unterlag, der an anderen Orten in der Stadt herrscht und dort jeden, der nicht zum Stammpublikum passt, zum Unwohlsein verdammt; weil bei Dir immer ein gewisses Niveau herrschte, im Gegensatz zum Luisenplatz, wo nach einer Niederlage auch schon mal eine Fahne angezündet wurde. Bei Dir aber – vielleicht ist’s die Uninähe? – herrschte immer ein offenes, internationales Klima, feierten hübsche Spanierinnen und enthusiastische Ukrainer Seite an Seite, hier freuten sie sich und schimpften in mindestens 16 Sprachen, all die Potsdamer, die Erasmusstudenten und die Exilberliner. Bei Dir war man nie allein und nie bedrängt, das ist eine reife Leistung, die auch Deinem netten Team zu danken ist. Ach Lindenpark, Du wirst fehlen – bis zur nächsten WM.

Erschienen am 02.07.2012

Broschüren statt Bußgeld

Dienstag, 22. Mai 2012

Stadt, Polizei und Behindertenbeirat erinnerten Radler in Babelsberg daran, dass Gehwege für sie tabu sind

Dutzende Radfahrer erwischte ein Infoteam gestern Nachmittag in nur zwei Stunden auf Babelsberger Gehwegen.

Der Absprung ist so schnell und elegant, dass mancher Stuntman vor Neid erblassen würde, das Gesicht danach die reine Unschuld. Binnen Sekundenbruchteilen hat die junge Frau ein Schaufenster im Blick, schiebt das Rad nun, als habe sie seit Stunden nichts anderes getan. Polizeiobermeister Hans-Thomas Christ lässt sie dennoch nicht vorbei. Charmant, aber bestimmt, weist er sie darauf hin, dass sie doch eben auf dem Gehweg geradelt sei. „Waaaas?“ Entsetzter Blick aus grünen Augen. Nein, da müsse er sich verguckt haben. Erst als Christ erklärt, dass er nur aufklären möchte und nicht etwa fünf Euro Bußgeld kassieren, bekommt er ein Geständnis.
So geht es gestern Nachmittag zwei Stunden lang. Die Stadt, der Fahrradclub ADFC, der Behindertenbeirat und die Polizei haben sich zusammengetan, um etwas gegen das Radlerunwesen auf Gehwegen zu tun. Statt Knöllchen verteilen sie Broschüren mit der Aufschrift „Rücksicht kommt an“. Schwerpunkte der Kontrolle sind der Weg vor dem Thalia-Kino und die Mündung der Schornsteinfegergasse auf die Karl-Liebknecht-Straße.
Dass die meisten Radler durchaus wissen, dass sie etwas Verbotenes tun, beweist der Umstand, das 80 Prozent der Gehsteigradler hastig abspringen, wenn sie der Polizei oder auch nur der gelben Warnwesten des Infoteams ansichtig werden. Manche wechseln auch schleunigst die Straßenseite oder müssen plötzlich eiligst etwas im nächsten Geschäft erledigen. Bar jeden Schuldbewusstseins sind hingegen zwei 14-Jährige, die munter auf die Streife zuradeln und erwartungsvoll schauen, was man von ihnen wolle. Sie zeigen sich danach mustergültig einsichtig und sagen sogar „danke“, bevor sie weiter schieben.
So gute Erfahrungen macht Stefanie Seidel eher selten. Sie ist blind, und Radler auf Gehwegen sind für sie ein fast schon existenzielles Problem. „Wenn ich aus dem Weg geklingelt werde und mich schnell zur Seite drehe, verliere ich regelmäßig die Orientierung“, erzählt sie. Selbst wenn sie nur fünf Minuten von Zuhause entfernt sei, verlaufe sie sich dann oft so gründlich, dass sie erst nach einer Stunde wieder den Weg zurück finde. Und viele Gehwegrowdys seien zudem auch noch unfreundlich oder machten sich über sie lustig. Der Aktionstag ist Stefanie Seidel daher ein Herzensbedürfnis, was man ihr anmerkt, wenn sie mit den Erwischten spricht. Seidel wohnt in der Brandenburger Vorstadt, wo es besonders schlimm sei, weil die engen Gehwege auch noch mit parkenden Rädern zugestellt würden. Auch Rollstuhlfahrer kämen da oft kaum durch.
Angesichts der geballten Menschenmenge, der Polizei und der Presse gibt es kaum jemanden, der an diesem Nachmittag nicht Einsicht zeigt oder heuchelt. „Was die Leute allerdings ab der nächsten Ecke tun, darüber sollten wir uns nicht zuviele Illusionen machen“, sagt ein Polizist. Die Gründe für die Fehlfahrten sich vielschichtig: Einer sagt, das Fahren auf dem Kopfsteinpflaster schade seinen Bandscheiben, andere empfinden die Fahrbahn auf der Karl-Liebknecht-Straße als zu gefährlich, weil dauernd Autos ein- und ausparken. Das noch größte Verständnis haben die Polizisten, wenn Eltern ihre Kinder – bis zehn Jahre dürfen die auf dem Gehweg fahren – auch auf dem Gehweg begleiten. Verboten ist es dennoch, und die Ermahnung hilft. Meistens. Nur ein Vater fährt aus der Haut. „Wenn jetzt etwas passiert, mache ich Sie verantwortlich“, ruft er, und fährt schlicht weiter. Da hätte dann wohl doch eher ein Knöllchen geholfen. Die Broschüre lässt er demonstrativ liegen.

Erschienen am 22.05.2012

Viele Besucher, viele Fragen

Montag, 14. Mai 2012

Der Andrang beim Tag der offenen Baustelle im Stadtschloss ebbte zu keiner Zeit ab

Schauen, Staunen, Fragen stellen: ein Rundgang mit einer schloss-skeptischen Besucherin.

Während Martin Richter Löcher in den Sandstein schlägt, fragt ihm Else Hoyer welche in den Bauch. Der Steinmetz der sächsischen Sandsteinwerke befreit mit Beitel und Knüpfel eine von 1000 Palmetten fürs Stadtschloss aus dem Reinhardtsdorfer Sandstein, die 78-Jährige Besucherin hingegen legt ihrer Neugier im Schlosshof keine Fesseln an. Wie lange er für eine Palmette brauche? Elf Stunden. Wieso er keine Schablone benutze? Weil er nach der 100. Palmette die Form fest im Kopf hat. Was passiert, wenn er mal zuviel abschlägt? Dann gibt es „Middel und Wege“, sagt Martin Richter mit seinem sächsischen Akzent trocken. Ob er nicht eigentlich eine Schutzbrille tragen müsse? Müsse er, und eine Gesichtsmaske, aber dies sei nun mal ein Tag der offenen Tür und er wolle allen Interessierten zeigen, wie die Palmetten entstünden. Mit Maske ließen sich nur schwer die ganzen Fragen beantworten.
„Aha“ sagt Else Hoyer und schaut, als leuchte ihr wenigstens diese Antwort unmittelbar ein. Sie ist resolut, und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie vom Stadtschloss eigentlich wenig hält. Zwar ist sie vor 13 Jahren „nach der Verrentung“ wegen der Schlösser und Parks aus Chemnitz nach Potsdam gezogen, aber den neuen Landtag im alten Gewand findet sie „affig“. „Unzeitgemäß und affig“, korrigiert sie. Zum Tag der offenen Tür kam sie trotzdem, wie auch 21 500 andere Besucher. Um ihre Vorurteile zu prüfen, wie sie sagt. Und um Experten zu löchern.
Ihr nächstes Opfer ist Sandro Hilmes, beim Baukonzern BAM fürs Kupferdach zuständig. Wie weit das Dach denn nun sei? Im Moment arbeite man am Südflügel, etwa ein Drittel des Daches sei bereits gedeckt. Dann werde man sich auf beiden Seitenflügeln vom Norden nach Süden durchdecken. Wann das denn fertig sei? Bis Oktober, sagt Hilmes, und das müsse es auch, weil Kupfer bei Kälte nicht verlegt werden könne. Was man denn gegen diese Buntmetalldiebe tue? Hilmes lächelt. „Wir haben Tag und Nacht gutes Wachpersonal.“ „Und wenn der Bau fertig ist? Kann ein frecher Dieb das dann nicht vom Dach reißen?“, lässt Else Hoyer nicht locker. Hilmes lächelt breiter und ein wenig angestrengt und sagt: „Das ist eher unwahrscheinlich. Fallrohre und Regenrinnen würden zudem hinter der Fassade verlegt, seien also unerreichbar. So mit Fakten versorgt, geht Else Hoyer zur Bewertung über: Sie finde das Kupfer furchtbar protzig, das glänze wie Gold und sehe bei Sonne „nur großspurig“ aus. Hilmes kann beruhigen. Schon nach zwei Wochen sei der ärgste Glanz vorüber, die Patina brauche allerdings 30 Jahre.
So geht es weiter. Im dichten Besucherstrom durchs Treppenhaus, dessen Ausblick auf Fortunaportal und Nikolaikirchenkuppel Else Hoyer um ein Haar mit dem Schloss versöhnt hätte, am Plenarsaal vorbei („bisschen mickrig für so ein Riesenschloss, finden Sie nicht?“) durch den Ostflügel mit den künftigen Büros, wo Landtagsabgeordnete wie Dieter Dombrowski schon mit dem Zollstock Maß nehmen für die Büroeinrichtung. Die Fragefreudigkeit Else Hoyers ist unermüdlich, doch auf seltsame Weise kreuzen nach gewisser Zeit kaum noch BAM-Mitarbeiter ihren Weg. Sie sind mit Funkgeräten untereinander verbunden. Else Hoyer fragt dann einfach andere Besucher oder stellt sich die Fragen selbst. Nach einer guten Stunde ist der Rundgang beendet. Else Hoyer hat nicht ihren Frieden mit dem Schloss gemacht, sagt sie. Aber sie weiß jetzt eine Menge drüber.

Erschienen am 14.05.2012

Mit Kartenleser und Micro-Kamera

Mittwoch, 18. April 2012

Diebe erbeuten tausende Euro mit präpariertem Geldautomaten im Stern-Center / Mehr als 20 Opfer

Der Schreck vieler Bankkunden am Dienstag nach Ostern war groß: Tausende Euro buchten Betrüger von ihren Konten ab – an Automaten in Brasilien. Ausgespäht wurden sie in Potsdam.

Als aufmerksamer Zeitungsleser und weltgewandter Vielreiser lässt Klaus Feldmann (Name geändert) immer Vorsicht walten. Bevor er einem Geldautomaten seine EC-Karte anvertraut, probt er den Sicherheitsdreiklang: Rütteln am Karteneinzug, Puhlen an der Zifferntastatur und Suchblick nach einer versteckten Kamera – um nicht Opfer einer Betrugsmethode zu werden, die im Fachjargon „Skimming“ heißt. Betrüger präparieren dabei Geldautomaten, in dem sie ein Lesegerät vor den Karteneinzug setzen und so an die EC-Karten-Daten kommen. An die Geheimzahl gelangen sie entweder über eine aufgeklebte Tastatur, die die Zahlen aufzeichnet, oder über eine winzige, am Automaten oder der Decke aufgeklebte Kamera. Diese Daten werden dann ins Ausland weitergeleitet, wo ein Komplize auf eine überall erhältliche Blanko-Karte die Daten programmiert und mit der erbeuteten Geheimzahl Geld abhebt.
Waren diese Manipulationen früher noch leicht zu erkennen, werden die Methoden mittlerweile immer raffinierter – auch, weil Banken, Automatenhersteller und Kunden gewarnt sind. Klaus Feldmann jedenfalls ist kürzlich Opfer eines Skimming-Angriffs geworden – und mit ihm mindestens 20 weitere Potsdamer. Zwischen dem 6. und dem 17. März war ein Automat der Ing-Diba im SternCenter präpariert. Erst nach einigen Wochen schlugen die Täter zu und hoben das Geld ab – in Brasilien, Mexiko und den USA. Gut 2000 Euro waren es bei Feldmann, wie er am Dienstag nach Ostern mit Schrecken feststellte, abgehoben in sechs Schritten in Brasilia und Sao Paulo. Andere traf es noch härter: Die höchste bislang angezeigte Summe liegt bei 3600 Euro, die geringste bei 700 Euro, sagte Polizeisprecherin Kathrin Laurisch. Als die erste Anzeige bei der Polizei einging, war die Spähtechnik schon abgebaut. Indem sie fast einen Monat mit den Abbuchungen warteten, ließen die Diebe sich genug Zeit, alle Spuren am Automaten zu verwischen.
20 Anzeigen gab es bis gestern, die Polizei rechnet aber mit deutlich mehr Geschädigten. Sorge um sein Geld muss indes niemand haben, die Banken unterhalten einen Fonds, der in solchen Fällen das Geld zurückzahlt. Klaus Feldmann hatte bis gestern allerdings noch keine Nachricht von seiner Hausbank, die aber eine schnelle und unbürokratische Lösung versprach, sofern Feldmann einen Antrag stelle und den Fall bei der Polizei anzeige.
Über die Höhe des Schadens wollte die Ing-Diba gestern keine Angaben machen. Man erstatte aber alles „zeitnah“ zurück. Bei auffälligen Abbuchungen würden auch Karten gesperrt und die Kunden benachrichtigt, so ein Bank-Sprecher. Es habe sich um den ersten Skimming-Fall an diesem Automaten gehandelt, so die Bank, die ihre Kunden weiterhin um Aufmerksamkeit bittet.
Auch des Management des Stern-Centers betonte, dies sei der erste Fall von Skimming in ihrem Hause. Für gewöhnlich mieden die Täter gut ausgeleuchtete, gut besuchte und von Wachschutz durchstreifte Center. Allerdings musste das Center aus Datenschutzgründen vor einiger Zeit alle Kameras abmontieren, weil in einem Hamburger Haus desselben Betreibers Beschwerden aufkamen.

Erschienen am 18.04.2012

WAS BLEIBT: Rauchmelder-Arkadien

Donnerstag, 12. April 2012

Es gibt für fast jede Randgruppe einen eigenen Tag, dieser hat aber selbst uns noch überrascht: Morgen ist der bundesweite Tag des Rauchmelders. Höchste Zeit für ein Interview mit einem Vertreter, fand Jan Bosschaart.

Tag des Rauchmelders – braucht die Welt so etwas wirklich?
Rauchmelder: Nun, wenn nicht gerade die Luft brennt, lassen wir ja nicht eben viel von uns hören.

Stimmt. Ist Potsdam denn ein gutes Pflaster für Ihresgleichen?
Rauchmelder: Sagen wir mal diplomatisch, es wird besser. In vielen Schulen und Kitas der Stadt waren wir ja lange Zeit deutlich unterrepräsentiert, aber seit ein paar Jahren wächst unsere Community auch dort zuverlässig.

Sie müssen immer gleich an die Decke gehen – nervt das nicht?
Rauchmelder: Das ist eine ambivalente Geschichte. Am Boden oder an der Wand gäbe es natürlich weniger zu tun, aber wenn man seine Aufgabe wirklich ernst nimmt, führt kein Weg an der Decke vorbei.

Verstehe. Nun ist die Zahl der Brände ja seit Jahren rückläufig. Ist Potsdam eine Art Schlafstadt für Sie, ein Rauchmelder-Arkadien?
Rauchmelder: Das würde ich nicht so sagen. Es kommt ganz drauf an, wo Sie stationiert sind. Im Stadthaus zum Beispiel gibt es viel zu tun. In Beigeordnetenkonferenzen ist die Luft so dick, dass teilweise mehrfach pro Sitzung die Batterien gewechselt werden müssen, ähnlich ist es im Plenarsaal, wenn’s ums Schwimmbad geht. Letztes Jahr hatten wir monatelang bei den Stadtwerken Großeinsatz, da brannte eigentlich ständig die Luft.

Und im Büro des Oberbürgermeisters?
Rauchmelder: Ach, da ist es vergleichsweise ruhig. In den letzten Monaten hatten wir nur zwei Einsatzfälle. Einmal, als sich der Baudezernent zum Haushalt geäußert hatte und dann zur „Aussprache“ gebeten wurde und einmal, als der OB sich nach Dienstschluss allein wähnte und eine Zigarette ansteckte.

Der Rauchmelder als Petze? Wie gemein! War das Schadenfreude?
Rauchmelder: Ich habe im Nachhinein mit dem Kollegen gesprochen. Er litt wohl schlichtweg unter einem Defizit an Zuwendung. Die Batterie war lange nicht getauscht, und auch der Probealarm ewig nicht geschaltet worden. Da ist ihm wohl die Sicherung durchgebrannt. Im übertragenen Sinne, versteht sich.

Ist das Rauchverbot seit 2008 eigentlich ein Problem für Sie?
Rauchmelder: Anfangs hatten wir mit einer gewissen allgemeinen Depressivität zu kämpfen, ja. Der Raucher war ja eine Art Komplize. Bevor er sich im Hotel oder Büro eine ansteckte, wanderte der Blick zur Decke, man beäugte den Gegner respektvoll und blies dann in die andere Richtung. Das entfällt nun. Aber wir haben ein Motivationsprogramm aufgelegt und den internationalen Rauchmeldertag eingeführt, und kämpfen uns aus dem Sumpf heraus.

Was kann der Normalverbraucher tun, um dem Rauchmelder dabei zu helfen?
Rauchmelder: Einmal im Monat den Alarm checken und gelegentlich mal das Gulasch auf dem Herd vergessen, das wäre nett. Es zeugt vom Respekt für unsere Arbeit und reduziert die Zahl der Fehlalarme, die einzig aus dem Gefühl der Vernachlässigung entstehen.

Erschienen am 12.04.2012

Rechenfehler an der Alten Fahrt

Dienstag, 27. März 2012

Rechnungsprüfer: Grundstücke nicht korrekt vergeben / Unterlegene haben Recht auf Schadensersatz

Drei von acht Grundstücken hätten andere Eigentümer, wenn so gerechnet worden wäre, wie es die Ausschreibung suggerierte.

Ein systematischer Fehler in der Bewertung der Angebote für Neubauten an der Alten Fahrt stellt das Ergebnis des aufwändigen, zweistufigen Wettbewerbs infrage. Nach Auffassung des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), der Gerichte und einiger Bieter haben die Stadt und der mit dem Wettbewerb befasste Sanierungsträger durchgehend falsch gerechnet, als es um Barberini, Chiericati, Pompeji und Nachbarn ging. Trifft das zu, dann sind drei Grundstücke falsch vergeben worden: Das Eckgrundstück Humboldtstraße 1–2 hätte statt vom niederländischen Konzern „Kondor Wessels“ vom Elmshorner Unternehmer Semmelhaack erworben werden können, die Brauerstraße 3 wäre an die Firma Elpro statt der Complan gegangen und die Brauerstraße 2 an die Bietergemeinschaft Seisreiner/Malik statt an die Lelbach-Stiftung. Bei den anderen Grundstücken ändert die Rechenart den Gewinner nicht.
Das Problem liegt in der Bewertung des Kaufpreises. Laut Ausschreibung erhielt der Bieter mit dem höchsten Gebot fünf Punkte, der mit dem niedrigsten Gebot null. „Die Punkte der dazwischen liegenden Gebote werden durch lineare Interpolation ermittelt“, heißt es in der Ausschreibung. Demnach hätte, wenn es drei Bieter gäbe, und diese eine, zwei und drei Millionen geboten hätten, Folgendes passieren müssen: Der schlechteste Bieter (eine Million) hätte null Punkte bekommen, der beste (drei Millionen) fünf Punkte und der mittlere (zwei Millionen) 2,5 Punkte. Stattdessen ließ die Stadt aber so rechnen, als hätte der schlechteste Bieter auch null Euro geboten – was die Reihenfolge durcheinander wirbelt. Dadurch sind die Gebote „deutlich breiter gespreizt“, argumentierte Volker Theobald, Leiter des Team „Recht“ beim Sanierungsträger gegenüber dem RPA. „Wir sind trotzdem absolut von der Fehlerhaftigkeit überzeugt“, schrieb Rechnungsprüfungsamts-Chef Christian Erdmann an den Oberbürgermeister – mit Verweis auf die anders lautende Ausschreibung. „Um die Fehlerhaftigkeit zu erkennen, bedarf es keines großen mathematischen Sachverstandes“, fügte Erdmann noch an.
Das schlug hohe Wellen in der Verwaltung. Baudezernent Matthias Klipp war so erbost, dass er die Kündigung der Antikorruptionsbeauftragten Petra Rademacher forderte, die den Fehler zuerst bemerkt hatte, sagen RPA-Mitarbeiter. Deren Chef Christian Erdmann verwahrte sich dagegen. Unterdessen ließ der Sanierungsträger öffentlich erklären: „Rechenfehler gab es nicht! Das Verfahren wurde von Seiten der Antikorruptionsbeauftragten und der Ombudsfrau durchleuchtet und es wurde nichts zu Beanstandendes festgestellt“.
Unterdessen haben die unterlegenen Bieter bereits den Weg zu den Gerichten gesucht. Eine Bietergemeinschaft zog vors Landgericht, um wegen der Rechenfehler zu verhindern, dass mit dem vermeintlichen Gewinner ein Kaufvertrag geschlossen wird. Das Gericht bestritt zwar den Anspruch auf einen Kaufvertrag, wies aber darauf hin, dass die Unterlegenen wegen der Rechenfehler Schadenersatz bekämen müssten. Ähnlich äußerte sich das Oberlandesgericht. Zwar würden andere Gerichte in solchen Fällen durchaus die Stadt gezwungen haben, die Verträge zu lösen und neu zu vergeben, doch sehe sich das OLG außerstande, wegen einer Regelungslücke im Gesetz das Recht selbst fortzuentwickeln. Stattdessen sei der Gesetzgeber gefordert. Schadenersatz stehe den Parteien zu. Die „Elpro“ prüft indes noch weitere rechtliche Mittel, Semmelhaack wollte sich „derzeit“ noch nicht zu weiteren Schritten äußern.
Die Stadtverordneten hatten die Verträge übrigens in Kenntnis der Bedenken beschlossen. Oppositions-Chef Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke) sagte, es sei Sache der Gerichte, nicht der Politik, diese Fragen zu klären.

Erschienen am 27.03.2012


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